Hinter den Dingen – Mit Jenni Brichzin und Sebastian Schindler über politische Erkenntnis

Kaum etwas prägt die Wahrnehmung von Politik in der modernen Demokratie so wie der Verdacht. Politik ist zu einem guten Teil Darstellung. Ihre Wahrnehmung lebt so vor allem von der Frage, welche Mächte, welche Interessen und Strukturen „hinter“ der politischen Auseinandersetzung stecken. Dieses kritische Denken hat uns gelehrt, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie scheinen. Doch kann der automatisierte Blick „hinter“ die Dinge auch ein Hindernis bei der Erkenntnis darüber sein, wie die Welt funktioniert.

In einem Aufsatz im Leviathan haben sich unsere Gäste Jenni Brichzin und Sebastian Schindler damit beschäftigt, warum es ein Problem sein kann, immer „hinter“ die Dinge blicken zu wollen. Den Ausgangspunkt bildet ihre ethnografische und historische Politikforschung. Der Vorwurf aus der scientific community war dabei regelmäßig: Eigentlich ginge es doch nur um Macht und Interessen. Dagegen betonen die Autoren, dass es gerade die Oberfläche ist, die zu erforschen sich lohnt.

In der Sendung sind wir uns zunächst uneins, wie stark man verschwörungstheoretisches und sozialwissenschaftliches Denken miteinander identifizieren kann. Fragen wirft auch der Begriff der Oberfläche auf. Wie greift man darauf zu? Hier helfen Hannah Arendt und Bruno Latour weiter. Es geht um ein Verhältnis zum Wissen: Eine Haltung, Unsicherheit nicht als Defizit, sondern als Ressource von Erkenntnis zu verstehen. Das „oberflächliche“ Denken will allerdings gelernt sein. Muss man das Staunen über die soziale Welt im Lehrplan verankern?

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3 Kommentare

  1. Ein sehr interessanter Beitrag, der vieles enthält, mit dem man weiter machen kann. Von mir ein kurzer Kommentar zu der Frage, wie man die Glaubwürdigkeit von Gewährsleuten einschätzt. Das ist ein sehr alte Frage in der Ethnografie, vor allem aber in der Ethnologie und Soziologie; Fragen, die schon so alt sind wie diese Forschungen selbst. Die Antwort stellt sich als Widerspruch dar. Einerseits kann man die Glaubwürdigkeit nicht einfach bestreiten, weil man sich dann ja fragen müsste, was man denn noch wissen will, wenn man fragt. Andererseits sind eben immer auch, was man schon bei einer einfachen Konsistenzprüfung feststellt, Ungereimtheiten im Spiel, Unklarheiten und Widersprüche. Kein Wunder! Denn Widersprüche sind auf jeder Seite im Spiel. Auch der Blick des Forschers ist von Widersprüchlichkeiten geprägt, weshalb alle Wissenschaft Ansprüche auf Wahrheit, erst recht da, wo sie sich widerspruchsfrei mitteilen soll, gar nicht so leicht erfüllen kann. Die Wissenschaft (und nicht nur sie) umgeht diese Schwierigkeiten dadurch, dass sie dem Gegenstand ihrer Forschung mit Verdacht begegnet, hier der Verdacht, es ginge bei Politik allein um Macht, um Durchsetzung von Interessen, wofür den Handelnden alle legalen Mittel als legitim erscheinen, auch das Lügen, Manipulieren, Verdrehen von Tatsachen und dergleichen, was ja schon deshalb als berechtigter Verdacht erscheint, weil man all dies ja auch feststellen kann. Insbesondere bei der Betrachtung von Politik und Staatsverwaltung wird man keineswegs irren, wenn man feststellt, dass immer, wo Staatsgewalt eine Rolle spielt, eben auch Gewalt im Spiel ist. Und Gewalt ist ein gut funktionierendes Mittel der Vernichtung von Wahrheit. Aber: wie stets denn mit der Wissenschaft, einerlei welchen fachlichen Geschlechts? Gleichviel ob Ethnologie, Soziologie oder Politologie, ist Wissenschaft tatsächlich von jedem Verdacht befreit, der meinen möchte, dass auch in der Wissenschaft Wahrheit vernichtet wird?

    Wenn man, wie ich es tun würde, diesen Verdacht gestattet, dann stellt sich aber nicht mehr so einfach die Frage, was denn „dahinter“ sei, weil es ja sein kann, dass gerade die Erkundschaftung einer „Hinterwelt“ oder jedenfalls die Ankündigung, man sei aus lauteren Motiven an der Erkundung einer Hinterwelt interessiert, eine Rhetorik der Verschleierung von eigenem Interesse ist. Sprich: eine gut funktionierende Strategie der wissenschaftlichen Vernichtung von Wahrheit. Wie kommt man denn darauf, dass etwas dahinter sei? Woraus ergibt sich die Empirizität einer solchen Vermutung, wenn man nicht einfach behaupten kann, dieser Verdacht sei unmittelbar evident?

    An dieser Stelle würde ich gern weiter machen: Welche theoretischen Probleme hat eine Wissenschaft noch, die sich einem Selbstverdacht aussetzt? Und wie kann man von da aus einen Blick bekommen auf die sogenannten „Tatsachen der realen Welt“?

    Mit freundlichen Grüßen

    Klaus Kusanowsky

  2. Danke sehr. Gefällt mir sehr. Hatte den Artikel zufällig gelesen, Wartezeit in ner Bib … Und jetzt das Gespräch. Passt mir prima. Auch das über die Lehre. Wie neugierig bleiben.und machen? Toti, toi, toi Euch. Peter

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