Die Gewerkschaften haben klassischerweise ihre Hochburgen in der Industrie,
in den Großbetrieben, in den etablierten Branchen, die über eine lange Tradition
verfügen und in denen es möglich gewesen ist, die Arbeitgeber in einen Klassenkompromiss,
in ein sozialpartnerschaftliches Engagement einzubeziehen.
Das wird häufig vergessen, die Mobilisierungsstärke und Akzeptanz der Gewerkschaften
im Sinne eines hohen Organisationsgrades,
der schöpft sich nur zum Teil aus ihrer eigenen Stärke, zum anderen Teil eben
aus der Einsicht der Unternehmen, dass ein...
Guter Kompromiss mit der Arbeitnehmerschaft, institutionalisiert,
für sie auch strukturelle Vorteile hat im Sinne der Planbarkeit,
im Sinne der Sicherheit, im Sinne einer hohen Produktivität und dort,
wo dieses Sicherheits-Produktivitätsparadigma sich hat realisieren lassen,
wie in Maschinenbau, Automobilindustrie, chemische Industrie,
pharmazeutische Industrie, da sind nach wie vor hohe Organisationsgrade existent.
In anderen Bereichen, die zunehmend an Bedeutung gewonnen haben,
eben der gesamte Dienstleistungssektor außerhalb der staatlichen Strukturen,
der hat es nicht vermocht, die Gewerkschaften haben es nicht vermocht,
doch eine Vergewerkschaftung der Beschäftigten und der Strukturen zu erreichen.
Und somit haben wir verschiedene Welten. Ich spreche immer von drei Welten der
Gewerkschaften in Deutschland.
Und die erste Welt ist die Welt, in der es nicht nur einen guten Organisationsgrad
gibt, sondern auch starke Betriebsräte und die Anwendung von Flächentarifverträgen.
Die zweite Welt ist so ein mittlerer Organisationsgrad,
eventuell ein Betriebsrat, eventuell auch ein Tarifvertrag,
ist aber in dieser Dreiheit nicht unbedingt gegeben, ist eher situativ,
ist immer umkämpft, ist etwas prekär, aber durchaus im Sogfeld der Arbeitsbeziehungen der ersten Welt.
Und die dritte Welt, das sind die Bereiche, in denen es weder Betriebsrat noch
Flächentarifverträge gibt, geringer Organisationsgrad.
Und in der Vergangenheit gab es diese Welten auch, die waren aber nicht so segmentiert.
Das heißt, es gab eine gewisse Durchlässigkeit.
Erfolge, die in der ersten Welt errungen worden sind, die haben auch eine Relevanz
gehabt für die zweite und dritte Welt und sind zeitverzögert auch dort angekommen.
Und das hat sich stark entkoppelt bis hin zu einer umgekehrten Dynamik,
dass nämlich Elemente der Deregulierung, der Entkopplung,
wie wir sie in der dritten Welt haben, dann zunehmend auch in Teilbereichen
der ersten und zweiten Welt sich etablierten und damit insgesamt das System
prekärer, weniger planbar, weniger sicher gemacht haben.
Wenn man sich jetzt den Organisationsgrad anschaut, dann sind die deutschen
Gewerkschaften analog zum deutschen Sozialstaatsmodell sehr männerbündige Organisationen
gewesen, was mit dem konservativen Sozialstaat zusammenhängt.
Das heißt, die Männer arbeiten, die Frauen sind für die Hausarbeit und Reproduktion zuständig.
Entsprechend kann man auch gewisse Etappen der diskursiven Auseinandersetzung
in den deutschen Gewerkschaften rekonstruieren,
wo es um den Frauenlohn, die Frauenerwerbstätigkeit und die Lohngerechtigkeit
zwischen Frauen und Männern anschaut,
wo das Engagement der Gewerkschaften keinesfalls so egalitär,
partnerschaftlich und auf Geschlechtergerechtigkeit bedacht war,
wie man das heute sehr wohl in den deutschen Gewerkschaften vorfindet.
Und diese männerbündige Struktur der Vergangenheit ragt immer noch ein wenig
in die aktuelle gewerkschaftliche Sozialstruktur hinein.
Das ist natürlich ein sehr unterschiedliches Bild. Also wir haben Gewerkschaften,
in denen die Frauen in der Mehrheit sind, das ist natürlich die GEW,
also die Lehrergewerkschaft, das ist Verdi, wo auch der Dienstleistungssektor
dominant ist, wo die Frauen in der Mehrzahl sind.
Und wir haben auf der anderen Seite natürlich Gewerkschaften wie die IG Metall,
wo in der Branche nur 18 Prozent Frauen sind und wo der Mitgliederanteil der
Frauen so etwa auf diesem Niveau liegt.
Und jetzt könnte man ja sagen, gut, wenn das alles auf dem Niveau liegt,
wie es auch die Sozialstruktur der Beschäftigten hergibt, dann gibt es ja eigentlich kein Problem.
Doch, es gibt ein Problem, weil das war das, was du, Jan, eben angedeutet hast.
Sieht es eigentlich im internationalen Bereich aus. Und wir können rekapitulieren,
dass dort, wo Gewerkschaften.
Erfolge in der Mitgliederrekrutierung haben in der Regel diese Gewerkschaften femininer sind.
Das heißt, die haben sich stärker auf die grundlegende Strukturveränderung des
Arbeitsmarktes eingestellt und sind besser in der Lage,
die besonderen Interessen von Frauen so zu berücksichtigen, dass sie auch mit
der Kultur der Gewerkschaft stärker harmonisiert werden können.
Diese Entwicklung erleben wir in Deutschland auch seit mindestens 20 Jahren,
dass die Gewerkschaften schon versuchen, sich zu entmännerbündigen und stärker
auf die besondere Geschlechtergerechtigkeitsperspektive einzugehen.
Aber da ist noch ein bisschen Luft nach oben und das scheint mir auch einer
der Schlüssel zu sein für die Frage, wo können Gewerkschaften noch zusätzliche
Potenziale mobilisieren.
Jetzt sind die Frauen auf dem
Arbeitsmarkt, weil die haben eine enorme Erfolgsgeschichte zurückgelegt,
aber die Erfolgsgeschichte der Frauen ist Teilzeit und mit der Teilzeit geht
häufig eine doppelte Belastung im Haushalt einher und dafür braucht man auch
entsprechende Angebote, muss das für die Organisationskultur berücksichtigt werden.
Dann muss man sehen, das ist ja nicht nur ein Problem der passiven Mitglieder,
also dass man Beschäftigte für die eigene Organisation begeistert und denen Angebote unterpreist,
Das ist ja auch ein Problem für die aktive Mitgliederstruktur,
also wer wird Betriebsrätin, wer wird Mitglied in der Ortsverwaltung,
im lokalen und regionalen und Bundesvorstand.
Und hier ist es nach wie vor so, dass die Art und Weise der gelebten inneren
Demokratie für viele Frauen abschreckender ist als für Männer.
Jedenfalls ist es schwieriger, Frauen für dieses aktive Engagement in den Gewerkschaften
zu gewinnen, als eben Männer zu rekrutieren.
Und aufs Ganze betrachtet ist der Mitgliederorganisationsgrad in den deutschen
Gewerkschaften seit 1990 fast halbiert.
Also wir haben so in den 90er Jahren noch so einen Organisationsgrad gehabt,
der so zwischen 25 und 30 Prozent war, liegen mittlerweile unter 15 Prozent,
wenn man alle Beschäftigten der deutschen Wirtschaft mit einbezieht.
Und da muss man ja sehen, die Gewerkschaften haben auch noch einen nicht unerheblichen
Anteil der Rentner. Das heißt, etwa 25 Prozent der Mitglieder,
20 bis 25 Prozent, gehören den Pensionären und Rentnern zu.
Das heißt, der Anteil im direkt Beschäftigten-Segment ist doch sehr stark zurückgegangen
und das Das hängt zusammen mit der ...
Veränderten Haltung der Arbeitgeber, die sich aus den Tarifverträgen zurückgezogen haben,
die sich aus den Arbeitgeberverbänden mit Tarifbindung zurückgezogen haben und
damit ist das Anreizmotiv für beschäftigte Mitglied in einer Gewerkschaft geworden
an einem Punkt schon mal etwas geschwächt,
weil sie gar nicht in den Genuss des Tarifvertrages kommen, weil das Unternehmen dort kein Mitglied ist.
Da muss man immer klar sagen, die strukturelle Schwäche der Arbeitgeber ist
gleich eine strukturelle Schwäche für die Gewerkschaften.
Und umgekehrt kann man sagen, dass die Arbeitgeber sich aus den Verbänden zurückgezogen
haben, hängt auch damit zusammen, dass die Gewerkschaften schwächer geworden sind.
Weil dort, wo die Gewerkschaften mobilisierungskampagnenfähig,
durchsetzungsfähig sind, sind die Unternehmen meistens noch in den Tarifbindungen
und in den entsprechenden Arbeitgeberverbänden.
Insofern ist die Frage des Organisationsgrades und
der damit einhergehenden Kampagnenfähigkeit ganz entscheidend für die Stabilisierung
dieses deutschen Modells der Arbeitsbeziehungen aufgebaut auf überbetrieblichen
Flächentarifverträgen und das wiederum ist die Ankerposition,
ist die Stärke der deutschen Gewerkschaften.
Insofern haben wir eigentlich nicht nur diese drei Welten, sondern wir haben
vor allen Dingen zwei Modelle.
Einerseits das Modell der Sozialpartnerschaft in den exportorientierten Bereichen,
die gut funktioniert, die aber
so gut funktioniert, dass es keine größeren sichtbaren Konflikte gibt.
Und dann haben wir das Modell der Konfliktpartnerschaft mit Konflikten ohne
Sozialpartnerschaft in den.
Dienstleistungsbereich. Und dann haben wir noch einen dritten Teil,
der in den letzten Jahren stärker geworden ist. Das ist nämlich die zunehmende
Konfliktrichtigkeit innerhalb der staatlichen und staatsnahen Infrastruktur.
Dafür stehen die Flughäfen, dafür stehen die Konflikte im Eisenbahnsektor,
im Krankenhaussektor, wo also die
Frage der Quantität und Qualität der staatlichen Infrastruktur und der Rolle
der Beschäftigten zur Disposition steht und dort sind die zentralen Zentren
der sichtbaren Konflikte innerhalb der Arbeitsbeziehungen in den letzten Jahren gewesen.