Transkript von Episode 85: State of the Trade Union – mit Wolfgang Schroeder

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Wolfgang Schroeder
Am Ende ist ihre Rolle in der Transformation, im sozialen Ausgleich,
die soziale Abpufferung das Mitnehmen der Beschäftigten.
Das hat man ja in der Debatte um das Heizungsgesetz so keimhaft spüren können.
Wenn diese Variante der sozialen Zumutbarkeit, wenn die nicht hinreichend plausibel
verankert wird, dann wird der Umbauprozess länger dauern.
Insofern sollte man ein großes Interesse daran haben, dass man Organisationen
mittlerer Reichweite hat,
die um die soziale Plausibilität wissen, dafür einstehen und diesen Prozess
zwar nicht mitbeschleunigen werden, aber die ihn absichern und in eine nachhaltige
Perspektive bringen können.
Jan Wetzel
Hallo und herzlich willkommen zur 85. Folge von Das neue Berlin.
Mein Name ist Jan Wetzel.
Leo Schwarz
Und ich bin Leo Schwarz.
Jan Wetzel
Und gemeinsam versuchen wir hier, Gesellschaft und Gegenwart zu verstehen.
Gewerkschaften sind die älteste Form moderner Vertretung der Interessen von
Arbeiterinnen und Arbeitern.
Sie stehen damit im Zentrum der Entwicklungspfade moderner Industriegesellschaften.
Die Rede über sie stand seit den Krisen der 1970er Jahre mit den Stichworten
Deindustrialisierung und schließlich auch dem Neoliberalismus lange unter negativen Zeichen.
Sie schienen, ob nun veraltet oder eben mutwillig zerstört, der Vergangenheit anzugehören.
Seit einigen Jahren hat sich das grundlegend geändert. Man redet sogar von einer
Renaissance der Gewerkschaften.
Doch gleichzeitig gibt es natürlich eine Reihe von Herausforderungen. Ob Klimawandel,
die durch den Ukraine-Krieg beschleunigte Energiewende und Industriewende,
eine pluralisierte Zivilgesellschaft, der Verlust klassischer Arbeitermilieus,
schließlich neue rechtsextreme und zumindest angebliche Volksvertreter.
Veränderungen, die die Gesellschaft insgesamt betreffen und die Gewerkschaften eben aufs Besondere.
Wir wollen heute einen Blick in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der
deutschen Gewerkschaften wagen
und natürlich auch mit dem internationalen Blick in diesem großen Bild.
Und dafür haben wir zu Gast Wolfgang Schröder. Er ist Professor für das politische
System der Bundesrepublik Deutschland in Kassel, forscht am Wissenschaftszentrum
Berlin für Sozialforschung.
Vor allem aber beschäftigt er sich eben seit vielen Jahren mit den Gewerkschaften.
Standardwerke zum Thema verfasst, war selbst Leiter der Grundsatzabteilung der
IG Metall. Wir könnten also kaum einen besseren Gast haben. Hallo Wolfgang.
Wolfgang Schroeder
Ja, schönen guten Tag.
Jan Wetzel
Jetzt habe ich schon gesagt, seit einigen Jahren, das ist jetzt nicht mehr neu,
redet man von einer Renaissance der Gewerkschaften.
Du weißt das besser, wann diese These so ein bisschen auftauchte.
Was war so der Kontext und hat sich dieser optimistische Blick,
der jetzt eben nicht erst zwei, drei Jahre alt ist, hat er sich eigentlich bestätigt?
Was kann man zu dieser These sagen?
Wolfgang Schroeder
So eine Idee, dass die Gewerkschaften wieder an alte Stärke anknüpfen können,
die gibt es episodisch, konjunkturell.
Das ist kein Phänomen, was man nur in einer Konstellation einbetten kann.
Aber du hast recht, vor 10 Jahren, vor 13 Jahren, die Weltfinanzkrise.
Damals zu vielfältigen Formen der kooperativen Krisenregulierung geführt.
Die Gewerkschaften waren diejenigen, die die Kurzarbeit protegiert haben,
die die Abwrackprämie mit eingeführt haben und damit eine Nützlichkeit zur Krisenlösung
gezeigt haben, die in der Politik, in der Gesellschaft sehr positiv aufgenommen wurde.
Damit einhergeht auch eine gewisse Wertschätzung,
dass Gewerkschaften nicht nur existenziell für eine kapitalistische asymmetrische
Verteilung von Macht und Herrschaft
sind und damit ein Gegengewicht zu den Unternehmen zur Macht des Kapitals,
sondern dass sie eben eingebettet sind in die Zivilgesellschaft,
Vertrauen genießen und aus ihrer Expertise heraus dann im Interesse der Beschäftigten
und der Gesellschaft Vorschläge unterbreiten, die zu deren Problemlösungsfähigkeit beiträgt.
Und das war so eine der Konstellationen. Gleichzeitig sind diese Thesen von
der Renaissance immer von so einem gewissen Romantizismus geprägt,
also die Gewerkschaften so als die entscheidende Gegenmacht,
die dazu beiträgt, dass diese Gesellschaft wieder ins Lot kommt und dass die
Elite und das Volk zueinander finden und damit Demokratie gestärkt wird,
das scheint mir sehr romantisch zu sein und hat wenig mit der Realität zu tun.
Insofern würde ich dem nicht so viel Bedeutung beimessen.
Gleichzeitig ist natürlich klar, wenn Organisationen sich nützlich machen,
gute Dinge tun und das Ganze sichtbar wird in einer auf Konflikten und auf Widersprüchen
aufbauenden Gesellschaft, dann sind da immer Hoffnungen mit verbunden.
Ist schon extrem wichtig.
Und insofern gibt es immer Linien aus diesen Krisen heraus,
die sich nicht nur damit verbinden, dass man eine imaginäre Stärke der Vergangenheit reproduziert,
sondern dass da ein wichtiger zentraler Akteur ist, der einen Beitrag zu Demokratie,
zum Sozialstaat und zu Gerechtigkeit vor allen Dingen leisten kann.
Jetzt wissen natürlich alle, wie die Geschichte gelaufen ist,
weil die normale Erwartung war ja,
dass aus diesen Widersprüchen des Kapitalismus, des Finanzkapitalismus sich
eher gestärkt eine linke Bewegung etabliert, die nunmehr die Hegemonial-Position
in der Gesellschaft erlangt für mehr Demokratie, für mehr Gerechtigkeit wirbt.
Der Gang der Dinge war aber so, dass der kurze Zyklus der politischen Ökonomie
abgelöst worden ist durch einen längeren Zyklus der politisch-kulturellen Hegemonie.
Und in dieser politisch-kulturellen Hegemonie haben die Gewerkschaften wirklich
keinen wichtigen zentralen Beitrag leisten können,
um der Gesellschaft signifikant deutlich zu machen,
wir sind ein Faktor nicht nur der Gerechtigkeitspolitik, der Wirtschaftspolitik,
sondern insgesamt der Kultur- und Demokratiepolitik und können die kulturellen
und ökonomischen Dinge so synthetisieren, dass es zum Besten der Beschäftigten,
der Gesellschaft und der Demokratie sich entwickelt.
Diese Positionen haben dann die rechtspopulistischen Bewegungen eingenommen
und damit ist die strukturelle Defensive,
in der die Gewerkschaften im Umbau der Ökonomie und der Gesellschaften stecken,
die hat sich nicht verschlechtert, weil es schon eine gewisse Erwartungshaltung
an die Gewerkschaften gibt, weil es eine gewisse Loyalität gibt und weil es
eine Funktionalität vor allen Dingen in den Kernbereichen der exportorientierten Industrie gibt.
Aber aus diesen drei Dimensionen hat sich nicht sowas wie eine gesellschaftspolitisch-...
Erhöhte Relevanz ergeben, sondern im Gegenteil dadurch, dass einerseits die
kulturelle Dimension im Vordergrund stand und andererseits dann sukzessive die
ökologische Dimension nach vorne rückte.
Und im Rahmen der Ökologie sind Gewerkschaften eher ambivalente Akteure.
Jan Wetzel
B2 Zu dieser Verortung zwischen den Herausforderungen, den ökologischen Herausforderungen,
dann Wie du schon sagst, dass die von rechts, die politischen Konfliktlinien
kommen, der Neuorganisation sozusagen der Konflikte.
Kommen wir im Laufe der Sendung und ich glaube genau das ist das Ziel,
das so ein bisschen zu verorten.
Was jetzt die sozusagen Machtbasis angeht, nämlich die Mitglieder,
was kann man dazu der Entwicklung sagen? Also auch da hat man natürlich über
viele Jahrzehnte der Organisationsgrad, also der Organisationsgrad ist zurückgegangen.
Ich weiß gar nicht, ob das für alle westlichen Industrieländer so gilt.
Wie hat sich das entwickelt und wie würde man das heute einschätzen,
auch sozusagen mit Blick auf die Zukunft?
Wolfgang Schroeder
Die Gewerkschaften haben klassischerweise ihre Hochburgen in der Industrie,
in den Großbetrieben, in den etablierten Branchen, die über eine lange Tradition
verfügen und in denen es möglich gewesen ist, die Arbeitgeber in einen Klassenkompromiss,
in ein sozialpartnerschaftliches Engagement einzubeziehen.
Das wird häufig vergessen, die Mobilisierungsstärke und Akzeptanz der Gewerkschaften
im Sinne eines hohen Organisationsgrades,
der schöpft sich nur zum Teil aus ihrer eigenen Stärke, zum anderen Teil eben
aus der Einsicht der Unternehmen, dass ein...
Guter Kompromiss mit der Arbeitnehmerschaft, institutionalisiert,
für sie auch strukturelle Vorteile hat im Sinne der Planbarkeit,
im Sinne der Sicherheit, im Sinne einer hohen Produktivität und dort,
wo dieses Sicherheits-Produktivitätsparadigma sich hat realisieren lassen,
wie in Maschinenbau, Automobilindustrie, chemische Industrie,
pharmazeutische Industrie, da sind nach wie vor hohe Organisationsgrade existent.
In anderen Bereichen, die zunehmend an Bedeutung gewonnen haben,
eben der gesamte Dienstleistungssektor außerhalb der staatlichen Strukturen,
der hat es nicht vermocht, die Gewerkschaften haben es nicht vermocht,
doch eine Vergewerkschaftung der Beschäftigten und der Strukturen zu erreichen.
Und somit haben wir verschiedene Welten. Ich spreche immer von drei Welten der
Gewerkschaften in Deutschland.
Und die erste Welt ist die Welt, in der es nicht nur einen guten Organisationsgrad
gibt, sondern auch starke Betriebsräte und die Anwendung von Flächentarifverträgen.
Die zweite Welt ist so ein mittlerer Organisationsgrad,
eventuell ein Betriebsrat, eventuell auch ein Tarifvertrag,
ist aber in dieser Dreiheit nicht unbedingt gegeben, ist eher situativ,
ist immer umkämpft, ist etwas prekär, aber durchaus im Sogfeld der Arbeitsbeziehungen der ersten Welt.
Und die dritte Welt, das sind die Bereiche, in denen es weder Betriebsrat noch
Flächentarifverträge gibt, geringer Organisationsgrad.
Und in der Vergangenheit gab es diese Welten auch, die waren aber nicht so segmentiert.
Das heißt, es gab eine gewisse Durchlässigkeit.
Erfolge, die in der ersten Welt errungen worden sind, die haben auch eine Relevanz
gehabt für die zweite und dritte Welt und sind zeitverzögert auch dort angekommen.
Und das hat sich stark entkoppelt bis hin zu einer umgekehrten Dynamik,
dass nämlich Elemente der Deregulierung, der Entkopplung,
wie wir sie in der dritten Welt haben, dann zunehmend auch in Teilbereichen
der ersten und zweiten Welt sich etablierten und damit insgesamt das System
prekärer, weniger planbar, weniger sicher gemacht haben.
Wenn man sich jetzt den Organisationsgrad anschaut, dann sind die deutschen
Gewerkschaften analog zum deutschen Sozialstaatsmodell sehr männerbündige Organisationen
gewesen, was mit dem konservativen Sozialstaat zusammenhängt.
Das heißt, die Männer arbeiten, die Frauen sind für die Hausarbeit und Reproduktion zuständig.
Entsprechend kann man auch gewisse Etappen der diskursiven Auseinandersetzung
in den deutschen Gewerkschaften rekonstruieren,
wo es um den Frauenlohn, die Frauenerwerbstätigkeit und die Lohngerechtigkeit
zwischen Frauen und Männern anschaut,
wo das Engagement der Gewerkschaften keinesfalls so egalitär,
partnerschaftlich und auf Geschlechtergerechtigkeit bedacht war,
wie man das heute sehr wohl in den deutschen Gewerkschaften vorfindet.
Und diese männerbündige Struktur der Vergangenheit ragt immer noch ein wenig
in die aktuelle gewerkschaftliche Sozialstruktur hinein.
Das ist natürlich ein sehr unterschiedliches Bild. Also wir haben Gewerkschaften,
in denen die Frauen in der Mehrheit sind, das ist natürlich die GEW,
also die Lehrergewerkschaft, das ist Verdi, wo auch der Dienstleistungssektor
dominant ist, wo die Frauen in der Mehrzahl sind.
Und wir haben auf der anderen Seite natürlich Gewerkschaften wie die IG Metall,
wo in der Branche nur 18 Prozent Frauen sind und wo der Mitgliederanteil der
Frauen so etwa auf diesem Niveau liegt.
Und jetzt könnte man ja sagen, gut, wenn das alles auf dem Niveau liegt,
wie es auch die Sozialstruktur der Beschäftigten hergibt, dann gibt es ja eigentlich kein Problem.
Doch, es gibt ein Problem, weil das war das, was du, Jan, eben angedeutet hast.
Sieht es eigentlich im internationalen Bereich aus. Und wir können rekapitulieren,
dass dort, wo Gewerkschaften.
Erfolge in der Mitgliederrekrutierung haben in der Regel diese Gewerkschaften femininer sind.
Das heißt, die haben sich stärker auf die grundlegende Strukturveränderung des
Arbeitsmarktes eingestellt und sind besser in der Lage,
die besonderen Interessen von Frauen so zu berücksichtigen, dass sie auch mit
der Kultur der Gewerkschaft stärker harmonisiert werden können.
Diese Entwicklung erleben wir in Deutschland auch seit mindestens 20 Jahren,
dass die Gewerkschaften schon versuchen, sich zu entmännerbündigen und stärker
auf die besondere Geschlechtergerechtigkeitsperspektive einzugehen.
Aber da ist noch ein bisschen Luft nach oben und das scheint mir auch einer
der Schlüssel zu sein für die Frage, wo können Gewerkschaften noch zusätzliche
Potenziale mobilisieren.
Jetzt sind die Frauen auf dem
Arbeitsmarkt, weil die haben eine enorme Erfolgsgeschichte zurückgelegt,
aber die Erfolgsgeschichte der Frauen ist Teilzeit und mit der Teilzeit geht
häufig eine doppelte Belastung im Haushalt einher und dafür braucht man auch
entsprechende Angebote, muss das für die Organisationskultur berücksichtigt werden.
Dann muss man sehen, das ist ja nicht nur ein Problem der passiven Mitglieder,
also dass man Beschäftigte für die eigene Organisation begeistert und denen Angebote unterpreist,
Das ist ja auch ein Problem für die aktive Mitgliederstruktur,
also wer wird Betriebsrätin, wer wird Mitglied in der Ortsverwaltung,
im lokalen und regionalen und Bundesvorstand.
Und hier ist es nach wie vor so, dass die Art und Weise der gelebten inneren
Demokratie für viele Frauen abschreckender ist als für Männer.
Jedenfalls ist es schwieriger, Frauen für dieses aktive Engagement in den Gewerkschaften
zu gewinnen, als eben Männer zu rekrutieren.
Und aufs Ganze betrachtet ist der Mitgliederorganisationsgrad in den deutschen
Gewerkschaften seit 1990 fast halbiert.
Also wir haben so in den 90er Jahren noch so einen Organisationsgrad gehabt,
der so zwischen 25 und 30 Prozent war, liegen mittlerweile unter 15 Prozent,
wenn man alle Beschäftigten der deutschen Wirtschaft mit einbezieht.
Und da muss man ja sehen, die Gewerkschaften haben auch noch einen nicht unerheblichen
Anteil der Rentner. Das heißt, etwa 25 Prozent der Mitglieder,
20 bis 25 Prozent, gehören den Pensionären und Rentnern zu.
Das heißt, der Anteil im direkt Beschäftigten-Segment ist doch sehr stark zurückgegangen
und das Das hängt zusammen mit der ...
Veränderten Haltung der Arbeitgeber, die sich aus den Tarifverträgen zurückgezogen haben,
die sich aus den Arbeitgeberverbänden mit Tarifbindung zurückgezogen haben und
damit ist das Anreizmotiv für beschäftigte Mitglied in einer Gewerkschaft geworden
an einem Punkt schon mal etwas geschwächt,
weil sie gar nicht in den Genuss des Tarifvertrages kommen, weil das Unternehmen dort kein Mitglied ist.
Da muss man immer klar sagen, die strukturelle Schwäche der Arbeitgeber ist
gleich eine strukturelle Schwäche für die Gewerkschaften.
Und umgekehrt kann man sagen, dass die Arbeitgeber sich aus den Verbänden zurückgezogen
haben, hängt auch damit zusammen, dass die Gewerkschaften schwächer geworden sind.
Weil dort, wo die Gewerkschaften mobilisierungskampagnenfähig,
durchsetzungsfähig sind, sind die Unternehmen meistens noch in den Tarifbindungen
und in den entsprechenden Arbeitgeberverbänden.
Insofern ist die Frage des Organisationsgrades und
der damit einhergehenden Kampagnenfähigkeit ganz entscheidend für die Stabilisierung
dieses deutschen Modells der Arbeitsbeziehungen aufgebaut auf überbetrieblichen
Flächentarifverträgen und das wiederum ist die Ankerposition,
ist die Stärke der deutschen Gewerkschaften.
Insofern haben wir eigentlich nicht nur diese drei Welten, sondern wir haben
vor allen Dingen zwei Modelle.
Einerseits das Modell der Sozialpartnerschaft in den exportorientierten Bereichen,
die gut funktioniert, die aber
so gut funktioniert, dass es keine größeren sichtbaren Konflikte gibt.
Und dann haben wir das Modell der Konfliktpartnerschaft mit Konflikten ohne
Sozialpartnerschaft in den.
Dienstleistungsbereich. Und dann haben wir noch einen dritten Teil,
der in den letzten Jahren stärker geworden ist. Das ist nämlich die zunehmende
Konfliktrichtigkeit innerhalb der staatlichen und staatsnahen Infrastruktur.
Dafür stehen die Flughäfen, dafür stehen die Konflikte im Eisenbahnsektor,
im Krankenhaussektor, wo also die
Frage der Quantität und Qualität der staatlichen Infrastruktur und der Rolle
der Beschäftigten zur Disposition steht und dort sind die zentralen Zentren
der sichtbaren Konflikte innerhalb der Arbeitsbeziehungen in den letzten Jahren gewesen.
Jan Wetzel
Es ist schon vieles angesprochen. Vielleicht beginnen wir mit diesem Wandel der Mitglieder.
Du hast gesagt, es gibt diese Verweiblichung, das ist ein langer Prozess,
der aber nicht so schnell geht in Deutschland.
Was mit diesen zwei unterschiedlichen Welten zu tun, die du schon angesprochen hast.
Dass sich eben in den exportorientierten großen Unternehmen,
die natürlich auch den höchsten Organisationsgrad haben und klassisch auch sozusagen
in dem Fall die Macht der IG Metall begründen,
dass sich dort eben relativ wenig tut, dass das so konservativ doch bleibt und
auch das Machtmodell sich nicht groß geändert hat,
solange eben die deutsche Industrie konkurrenzfähig bleibt und daneben eben
diese neuen Bereiche entstehen.
Die zweite Frage, die daran angeschlossen ist, jetzt sozusagen auf die,
deutschen Gewerkschaften insgesamt blickend, es sind dann auch neue jetzt erst
mal ganz offen beschreibt der der deutschen gewerkschaften.
Wolfgang Schroeder
Also wenn man mit der Mitgliederfrage und den Hemmnissen für die stärkere weibliche
Rekrutierung zu sprechen kommt,
dann habe ich den Eindruck, dass in diesen exportorientierten Sektoren,
die ansonsten gut organisiert sind, eine hohe Kampagnenfähigkeit haben,
dass doch die Rekrutierungsfähigkeit ein Stück weit noch an klassischen Mustern
scheitert oder gehemmt wird, wenngleich auch hier innerhalb der letzten Jahre
viele Aktivitäten beobachtbar sind.
Zum Beispiel ist es so, dass die IG Metall selbst sehr darauf geachtet hat,
den Anteil weiblicher Führungskräfte extrem zu erhöhen.
Also das steht in keinem Verhältnis zur Branchenrepräsentanz und ist durchaus
Ausdruck eigenen politischen Willens, um mit gutem Vorbild hier voranzugehen.
Die DigiMetall wird ja jetzt in diesem Jahr auch erstmals eine weibliche Vorsitzende bekommen.
Der DGB hat eine weibliche Vorsitzende. Also das sind im Vergleich zu anderen
gesellschaftlichen Organisationen Spätstachter in der Geschlechtergerechtigkeit.
Aber das ist jetzt auch normalisiert, wenn man so will.
Der zweite Punkt ist die Pluralität der Gewerkschaftskulturen,
der Gewerkschaftsstrukturen innerhalb der deutschen Gewerkschaften.
Da haben wir ja nicht nur die Gewerkschaften innerhalb des DGBs zu sehen,
sondern wir haben den Deutschen Beamtenbund, der eine recht starke Organisation
ist mit beträchtlichen Mitgliedererfolgen in den letzten Jahren.
Und wir haben dann die Spachtengewerkschaften.
Also wir haben in Deutschland, wir hatten da mal eine empirische Auswertung
gemacht, über 100 Gewerkschaften insgesamt.
Der Blick ist natürlich richtigerweise auf die Gewerkschaften unter dem Dach des DGBs gerichtet.
Und darauf sollten wir erstmal auch unser Augenmerk konzentrieren,
um zu verstehen, wie die Vielfalt beschaffen ist. die,
IG Metall und Verdi stellen hier mehr als die Hälfte der Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Dieses Interesse am Deutschen Gewerkschaftsbund, das ist auch sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Also für kleine Gewerkschaften war das traditionell sehr wichtig gewesen,
dass es einen starken Gewerkschaftsbund gibt,
der für sie gewisse Aufgaben mit übernehmen kann und zwar nicht nur in der Rechtsberatung,
sondern vor allen Dingen auch im Lobbyismus gegenüber der Regierung und in der
Öffentlichkeitsarbeit.
Die großen Gewerkschaften haben da weniger oder gar kein Interesse daran,
weil das alles in ihrer eigenen Organisationsstruktur sehr entfaltet ist.
Dann haben wir also, wie gesagt, diese Industriegewerkschaften,
vor allen Dingen IG BCE und IG Metall,
die zwar gut eingebettet sind,
die in allen Strukturen vertreten sind,
die auch gegenüber der Regierung und vor allen Dingen auch den Arbeitgebern
eine starke Position haben, aber die auch durchaus starke Mitgliederverluste
in den letzten 10 bis 20 Jahren hinnehmen mussten.
Da ist übrigens interessant, darüber haben wir noch nicht gesprochen,
seit den Nullerjahren gibt es durchaus einen Paradigmenwechsel in der Frage,
wie müssen Gewerkschaften aufgestellt sein, um aktiv Mitglieder zu rekrutieren.
Und da kann man ganz allgemein gesprochen davon ausgehen, dass die Mitgliederwerbung
so bis in die Nullerjahre hinein kein Thema der Gewerkschaften war.
Sondern die haben gesagt, dafür haben wir die Betriebsräte, dafür haben wir
die Ehrenamtlichen Und die sind eigentlich unsere...
Organisatoren eines guten Mitgliederniveaus und in dem Maße,
in dem aber klar wurde, wir haben immer mehr Betriebe, in denen es keine Mitglieder gibt,
wir haben immer mehr Betriebe, in denen die Betriebsratsmitglieder gar nicht
so aktiv für die Gewerkschaften einstehen, weil man muss auch sehen,
das deutsche Modell ist ja in einer doppelten Struktur.
Wir haben die Interessenvertretung auf der betrieblichen Ebene und wir haben
die Interessenvertretung auf der überbetrieblichen Ebene und die Gewerkschaften
haben durch das Betriebsverfassungsgesetz in seiner originären Fassung der 50er-Jahre
keinen direkten Zugang zu den Betrieben,
sondern die betriebliche Sphäre und die überbetriebliche sind
grundlegend getrennt und die Gewerkschaften haben das erstmal als Niederlage
aufgefasst und haben dann im Prozess eine sogenannte Vergewerkschaftung der
Betriebsräte betrieben und damit die strukturelle Spaltung zwischen Betrieb
und überbetrieblichem Raum relativiert und teilweise sogar aufgehoben.
Und im Zeitverlauf können wir aber jetzt in den letzten 10, 15 Jahren feststellen,
dass wieder die Zahl der Betriebsräte, die Gewerkschaftsmitglieder sind, zurückgegangen ist.
Das heißt also, allein aufgrund dieses Tatbestandes müssen die Gewerkschaften
selbst sehen, wie sie Mitgliederwerbung machen. Dann die gewerkschaftsfreien
Betriebe, betriebsratsfreien Betriebe, die zugenommen haben.
Und dann eben auch, selbst dort, wo die Betriebsräte sehr engagiert sind,
ist die Aufgabenfülle bei ihnen so groß, dass teilweise diese Mitgliederarbeit
etwas unter den Tisch gefallen ist.
Also es gibt hier eine ganze Fülle an Motivlagen, die dazu raten,
eine systematischere Erschließungsarbeit zu praktizieren.
Und da haben die deutschen Gewerkschaften, vor allem von den amerikanischen
Gewerkschaften in den 80er Jahren,
in den Nullerjahren gelernt, das sogenannte Organizing und das meint eben Aktivierung von Mitgliedern,
Aktivierung von schon gewerkschaftlich affinen Personen in den Betrieben,
um in einem positiven Wechselspiel dann durch Konflikte und durch Sichtbarkeit deutlich zu machen,
wir haben was anzubieten, wir sind eine starke Truppe und wenn ihr Mitglieder
werdet, werden wir noch stärker und können dann auch die Verhältnisse zum Besseren verändern.
Da spielt natürlich auch eine Rolle, dass man teilweise versucht,
die Mitgliederwerbung und die Implementierung von Tarifverträgen in einem Vorgang
zu realisieren. Da kommen natürlich immer auch die Fragen, wenn es Streik gibt.
Ist ja das Arbeitsverhältnis suspendiert und das ist eigentlich die klassische Situation,
wo Beschäftigte dann auch Gewerkschaftsmitglieder werden können,
weil ihnen klar ist, da könnte ich ja jetzt einen Nachteil haben,
durch die Gewerkschaftsmitgliedschaft habe ich so eine Art Versicherung und
durch diese Versicherung ist es für mich nachvollziehbar, dass diese Gewerkschaft
für mich einen Nutzen hat.
Also dieses Zusammenspiel, Konflikte, Gestaltung, Perspektiven entwickeln,
das hat man systematischer entwickelt seit den Nullerjahren und damit auch durchaus
kleinere und größere Erfolge errungen.
Allerdings sind diese kleineren und größeren Erfolge nicht so groß,
dass man den Weggang von Menschen durch den demografischen Wandel,
also durch das Ausscheiden aus dem Betrieb kompensieren kann.
Weil das ist auch ein Teil der Geschichte, dass die Gewerkschaften vor allen
Dingen in 80er-Jahren enorme Zugänge von jungen Leuten hatten und die sind durchaus
über ihr Berufsleben Mitglied geblieben,
steigen jetzt aber aus und die nachfolgenden Jahrgänge sind kleiner,
die nachfolgenden Jahrgänge haben nicht mehr diese politische Motivation,
haben nicht mehr diese Organisationsloyalität und insofern sind die.
Rekrutierungsprozesse, die da jetzt stattfinden, zwar hilfreich und gut,
aber sie können den Abgang aufs Ganze nicht kompensieren.
Aber es ist ein innovativer Faktor, der die Gewerkschaft in den letzten Jahren
attraktiver hat werden lassen und ihnen auch wieder eine stärkere Eigenständigkeit zugesprochen.
Weil das Schlimmste in strukturell schwierigen Phasen ist ja,
wenn man nichts tut und wenn man abwartet, was die anderen tun,
sondern man muss natürlich selbst etwas tun und das Das ist so ein starkes Moment
der Selbstorganisation, die dazu beigetragen hat, auch das Selbstbewusstsein zu stärken.
Jan Wetzel
Kann man dann im Blick auf die Organisation selbst auch von so einer Professionalisierung sprechen?
Also wir sehen ja an vielen Bereichen alle möglichen Formen von Massenorganisationen,
ob das Volksparteien sind, ob das auch die Kirchen natürlich in Deutschland
sind, die an sozusagen dieser, was du schon sagtest, Organisationsloyalität,
also wirklich dieser breiten Basis deutlich verloren haben.
Gleichzeitig eben sicherlich auch irgendwie um das zu kompensieren und um eine
neue Rolle zu finden in der Organisation eine Professionalisierung begonnen hat.
Das sind ja dann auch eben diese Organizer, Campaigner und so weiter.
Das gab es ja alles vor 50 Jahren noch nicht.
Ist das, also einerseits die Entwicklung und zweitens natürlich damit
verbunden die Frage, entstehen damit auch neue Konflikte, weil man eben diese
professionelle professioneller Ebene hat,
die du meintest auch zum Beispiel weiblicher ist als eigentlich die Basis,
also das heißt, die auch entschieden und ganz bewusst sagt, wir sind nicht einfach
eine Repräsentation, sondern wir haben auch unser eigenes Programm.
Wolfgang Schroeder
Naja, diese Transformation der Gewerkschaften, über die wir jetzt sprechen,
ist ja eine, die stark dadurch geprägt ist, dass die Gewerkschaften.
Ich sag mal, etwas pathetisch früher Milieuorganisationen gewesen sind und der
stumme Zwang des Milieus die Organisationsstärke ausgemacht hat.
Das heißt, es gab so eine gewisse Konsistenz von Arbeitsplatz und Wohnplatz und Freizeitumfeld,
dem heraus sich so eine Norm der Mitgliedschaft ergeben hat,
für die man gar nicht groß werben und sich groß einsetzen musste,
weil es dieses Band der Solidarität gegeben hat,
was vor allen Dingen auch im generativen Wandel gepflegt und weitergegeben wurde und in dem Maße,
in dem dieses Milieu sich sukzessive aufgelöst hat und das ist jetzt kein disruptiver Prozess,
den man auf einige wenige Jahre fixieren kann,
sondern das ist natürlich ein Prozess, der schon in den 50er Jahren begonnen hat,
sehr ungleichzeitig verlaufen ist, hat sich dann auch die Organisation auf der
einen Seite professionalisiert und auf der anderen Seite aber auch wieder Rückschritte gemacht.
Zum Beispiel früher gab es das
Prinzip der hausbezogenen oder arbeitsplatzbezogenen Beitragskassierung.
Und durch dieses Prinzip gab es auch für die passiven Mitglieder immer wieder
einen Ansprechpartner.
Es gab eine Erinnerung, die Organisation existiert.
Das sind Personen, die ich sprechen kann, die mir Ratschläge geben können,
über die ich eine Erweiterung meiner Handlungsmöglichkeiten erlangen kann.
Und ich bin Teil dieser Organisation.
Indem dann in den 60er Jahren diese Hauskassierung abgestellt worden ist und
das Ganze in bankenbezogene Beitrags- und Einzugsverfahren umgewandelt wurde,
war schon mal so ein wichtiger lebensweltlicher Zugspuren.
Für Gewerkschaftsmitglieder weg. Das hat man dann teilweise über betriebliche
und andere Aktivitäten versucht zu kompensieren.
Aber aufs Ganze betrachtet ist aus einer Milieuorganisation am Ende eine professionelle
Dienstleistungsversicherungsagentur geworden.
Insofern kann man sagen, die Gewerkschaften, die wir heute erleben,
sind eigentlich Versicherungsunternehmen, die ihren Mitgliedern Rechtsschutz
anbieten, ihren Mitgliedern Tarifverträge anbieten und Ansprechpartner in allen
möglichen Lebenslagen.
Und das Moment der politischen Zugehörigkeit zur Klasse,
zur Organisation hat sich eher in so eine utilitaristische Nutzerperspektive
verändert und dem haben die Gewerkschaften auch im Inneren Rechnung getragen,
indem sie ihre eigenen Bezüge auch strukturell routinisiert,
professionalisiert und dienstleistungsorientiert ausgerichtet haben.
Und das heißt natürlich, dass Organisationen, die ehemals eine.
Gewisse über Wärme-Zugehörigkeit basierte Loyalitätsstruktur anzubieten hatten,
sind zu eher kälteren Rational-Joyce-Organisationen,
Das heißt, man wägt ab, ist der Beitrag in der Tat so,
dass ich eine angemessene Gegenleistung bekomme und aus der angemessenen Gegenleistung
sich mein Einsatz rechtfertigen lässt?
Und diese Organisationen sind kälter, sie sind volatiler, sie sind auf einzelne
Lebensabschnitte bezogen und haben nicht mehr diese biografische Tiefendimension.
Und vor allen Dingen ist es für diese Organisation schwieriger,
sich wirklich planbar zu reproduzieren,
ihren Punkt in der Lebenswelt der Beschäftigten wirklich zu bestimmen.
Am Ende bleibt das Dienstleistungs- und Versicherungsunternehmen übrig.
Leo Schwarz
Da würde ich vielleicht nochmal kurz anschließen. Aber diese Wärme hat ja auch,
also diese Solidarität in der Lebenswelt, die es da mal möglicherweise mehr gegeben hat,
die hat ja schon eben auch zur Grundlage diese, sagen wir mal,
gewisse Homogenität des Milieus und eben auch einem bestimmten eher selektiven
Korporatismus sozusagen,
der bestimmte Bevölkerungsgruppen auch nicht so richtig in diese Lebenswelt
integriert hat oder integrieren wollte oder integrieren konnte.
Also es ist zweischneidig, will ich sagen. Nicht wahr? Also diese,
sagen wir mal, eher utilitaristische Struktur des Gewerkschaftsangebots ist
auch kompatibler mit der Pluralisierung der Lebenswelten und der Milieus, nicht wahr?
Wolfgang Schroeder
Das kann man auf jeden Fall sagen. Das ist eine ganz wichtige Beobachtung,
die du hier einbringst, nämlich die, dass homogene Gesellschaften,
homogene Mitgliedschaften sehr stark auch Schließungsprozesse organisieren und kein Interesse haben,
andere Gruppen so einfach reinzulassen und an ihren organisatorischen Ressourcen
partizipieren zu lassen.
Und das ist ja die Stärke des Sozialstaates gewesen,
der sukzessive Funktionen von Gewerkschaften übernommen hat,
indem er diese Integration der Arbeitnehmer, der Beschäftigten,
der Bürger in die sozialstaatlichen Arrangements nicht davon abhängig macht,
wie sich jemand engagiert und wie jemand in seiner...
Mitgliedschaftsposition ist, sondern universalisiert, also weg von so einer
eher partikular homogenen Struktur hin zu einer universellen Struktur.
Und insofern vollziehen die Gewerkschaften hier etwas nach,
was der Sozialstaat schon lange und immer als Grundlage praktiziert hat,
dass es um universelle Leistungen auf der Grundlage von Rechtspositionen geht.
Die Rechtsposition ist mit dem Bürgerstatus verbunden und jetzt könnte man natürlich sagen,
das ist aber doch eigentlich eine gute Entwicklung, die die Gewerkschaften durchlaufen,
weil die Heterogenisierung der Beschäftigten, der Milieus,
der Branchen ist ja offensichtlich Wie soll man angesichts dieser Heterogenität
eine Integration umfassenderer Art hinbekommen als durch Versicherungsleistungen,
Dienstleistungen und Angebote, die sich dann eben nicht an
den Beschäftigtenstatus, den Bürgerstatus, sondern an den Mitgliedschaftsstatus binden?
Aber es bleibt die offene Frage,
wie kann dieser Mitgliedschaftsstatus so attraktiv gestaltet werden?
Es bleibt die offene Frage, wie kann man den Mitgliedschaftsstatus so konstituieren,
dass er nicht nur nutzenorientiert ist, sondern auch solidaritätsorientiert
und in dem Maße, wie er solidaritätsorientiert ist, eben auch von einem politischen Impetus getragen wird.
Also das Verhältnis zwischen den partikularen individuellen Interessen und den
politischen und sozialen Interessen.
Das ist das, was die Gewerkschaften ja auch versuchen auszubalancieren.
Insofern ist die eben von mir vorgenommene Fokussierung auf Dienstleistungen
und Versicherungen ist nur ein Teil der Wirklichkeit.
Die Gewerkschaften versuchen immer auch Angebote der Gemeinschaftsbildung des
Denkens und Handelns um die Interessenlage der Beschäftigten und der daraus
resultierenden sozialen,
ökonomischen und politischen Anliegen herauszustellen und auch entsprechend zu wirken.
Aber die Entwicklung ist so, dass diese Momente der Vergesellschaftung innerhalb.
Der Organisation eher schwächer geworden sind und die utilitaristischen Momente stärker geworden sind.
Jan Wetzel
Dann kommen wir vielleicht noch mal zu den politischen Herausforderungen oder
geänderten Bedingungen, unter denen die Gewerkschaften ihre Rolle suchen, weitersuchen.
Über allem steht natürlich, was den wirtschaftlichen Wandel angeht,
der Klimawandel und die Herausforderungen, die das für den Umbau der Industrie bedeutet.
Ich glaube, du hast einleitend gesagt, dass die Gewerkschaften und es betrifft
natürlich dann insbesondere die Industriegewerkschaften eine ambivalente Rolle einnehmen.
Diana Fleming, wir verlinken das unten auch schon mal darüber gesprochen,
über diese Versuche ja eine neue Rolle zu finden.
Wie wäre deine Einschätzung? Also man guckt ja immer mal erfolgreich auf so
wenige Einzelfälle, wo auch eine Zusammenarbeit zum Beispiel mit Fridays for
Future in Tarifauseinandersetzungen gelungen ist.
Insgesamt hat man aber jetzt nicht den Eindruck, dass die IG Metall zum Beispiel
sich vorne und sichtbar politisch als so ein Player des Transformationsangebots
sozusagen oder der Transformation der Wirtschaft präsentieren kann oder auch
wirklich diese Rolle übernehmen kann.
Was auch verständlich ist natürlich, weil das an vielen Stellen unklar ist,
wie genau eben dieses Exportmodell und das deutsche Industriemodell diesen Wandel genau hinkriegt.
Ja, was wäre deine Einschätzung der aktuellen Situation?
Wolfgang Schroeder
Naja, Gewerkschaften sind ja zunächst einmal Organisation der Interessen der Beschäftigten.
Das heißt, es geht um deren Arbeitsplatz, um deren Partizipation an den wirtschaftlichen
Erträgen inklusive der Partizipation an der Gestaltung ihrer eigenen Arbeitsbedingungen.
Und das ist, glaube ich, zunächst mal als zentrale Ankerposition zu nehmen.
Das heißt, wenn Beschäftigte in ökologisch problematischen Bereichen agieren,
dann kann man von der Gewerkschaft in der Gegenwartsbezogenheit des Verlangens
etwas für diese Gruppe zu tun nicht erwarten,
dass sie sagen, naja, das hat eigentlich hier keinen Platz mehr,
weil wir wissen ja alle, ökologisch ist diese Form der Produktion,
diese Form der Produkte, die hier entwickelt werden, gar nicht im Sinne der
ökologischen Bilanzen, sondern die müssen irgendwie eine Brücke bilden.
Die müssen sagen, okay, die Leute haben Anspruch darauf, dass sie einen sicheren
Arbeitsplatz haben, dass sie eine gute Entlohnung erfahren und dass ihr Arbeitsplatz
so beschaffen ist, dass sie sich dort entfalten können.
Und gleichzeitig kann die gleiche Gewerkschaft sagen, wir sehen,
dass diese Form der Produktion begrenzt ist und wir beteiligen uns normativ-strategisch an Überlegungen,
wie können Produkte und Arbeitsprozesse und Ressourcen so gestaltet werden,
dass sie eben ökologisch kompatibel sind.
Nur wir haben das ja bei der IG BCE am stärksten immer gesehen,
die ja die Beschäftigten der Montanindustrie,
der Kohleindustrie, der Atomkraftwerke in starkem Maße organisiert und von dieser
Gewerkschaft kann man natürlich, konnte man in der Vergangenheit nicht erwarten,
dass sie für den Kohleausstieg, dass sie für den Atomausstieg,
sondern sie hat diese Beschäftigten dort.
Vertreten, wo sie sind und wo ihre Erwerbsinteressen auch liegen.
Und insofern ist, glaube ich, es sind zwei Dinge zu unterscheiden.
Also man kann die aktuellen Interessen nicht ignorieren als Gewerkschaft,
weil man damit seinen eigenen Daseinsgrund zerstören würde.
Und auf der anderen Seite kann man von dieser Gewerkschaft aber durchaus erwarten,
dass im Dialog mit den Mitgliedern die Perspektiven erörtert und über den Tag
hinaus auch Überlegungen anstellt,
wie eine zukunftsfähige Produktion in diesen Bereichen stattfindet.
Also wenn man zum Beispiel IG Metall nimmt, die hat 1972 den großen Kongress
Qualität des Lebens in Oberhausen durchgeführt,
wo sie bereits eine sehr weitreichende Perspektive,
den Umbau der Industriegesellschaft prognostiziert hat, wo sie analog zum Club
of Rome die Dinge gestaltet hat und das qualitative Wachstum ins Zentrum gerückt hat.
Damit hat man natürlich schon mal so eine normative Positionierung,
die über das gegenwartsbezogene Interessenshandeln hinausreicht und signalisiert der Öffentlichkeit,
den sozialen Bewegungen und der Politik, wir müssen uns jetzt für die Leute
einsetzen, die hier arbeiten.
Aber wir sehen, dass langfristig andere Dinge möglich und notwendig sind und
damit hat man eine Allianzposition, hat eine gesellschaftliche Sensibilitätsposition.
Ich glaube, das sind schon mal ganz gute Punkte.
Aber wenn man zum Beispiel heute die Transformationsprozesse anschaut,
dann ist es ja auch so, dass bei den Arbeitgeberverbänden und bei den Gewerkschaften
ja Mitglieder sind, die Rohstoffe, die wir.
Benutzen und Produkte produzieren, die umweltschädlich sind und diese Gruppe
wird sich nicht für ein forciertes Vorgehen in der Transformation ausspielen.
Dann hat man solche, die jetzt schon Ressourcen und Produkte produzieren,
die dem Green Deal, die der neuen nachhaltigen Kreislaufwirtschaft entsprechen,
die wird man voll auf seiner Seite haben.
Hat man die Gruppe derjenigen, die sowohl als auch orientiert sind.
Und die sind, glaube ich, besonders wichtig für das weitere Vorgehen der Gewerkschaften,
der Öffentlichkeit, um starke Bündnisstrukturen in Richtung einer nachhaltigen
Wirtschaft zu ermöglichen.
Also es ist nicht einfach, dieses Verhältnis kognitiv und praktisches zu tun,
sondern es sind harte Interessen und diese Interessen kann man ein Stück weit
auflockern und damit in eine strategische Position bringen, indem man unterscheidet
zwischen den gegenwartsbezogenen und den mittel- und längerfristigen Interessen.
Und da können Gewerkschaften durchaus etwas tun, aber nicht gegen ihre Mitglieder,
sondern mit den Mitgliedern. Das muss, glaube ich, Gewerkschaften auszeichnen.
Leo Schwarz
Da würde ich gerne nochmal nachfragen. Also leider stellt sich ja die ökologische
Katastrophe nicht mehr nur so wie in
den 70er Jahren, sondern mit einer Dringlichkeit, die ganz handfest auch.
Zeithorizonte vorgibt, die wirklich massive gesellschaftliche,
industrielle, infrastrukturelle, technische Umbauten erfordert,
die eigentlich in kürzester Zeit ablaufen müssen, um den Zeithorizonten auch
nur einigermaßen noch zu entsprechen, die geboten sind. Und die interessante Frage ist ja.
Können Gewerkschaften dort Akteur gesellschaftlicher in jeder Hinsicht progressiver
Transformation werden?
Also es gibt so vereinzelt Beispiele. Ich glaube, aus Italien gibt es so ein
Werk in Campi Bisenzio bei Florenz,
wo Arbeitskampf mit betrieblicher Konversion, also es ist ein Autozulieferer,
verbunden wurde, wo dann die Beschäftigten dafür auch gestreikt haben,
dass jetzt in Zukunft hier bitte Fahrräder produziert werden, glaube ich.
Ich habe die Details nicht mehr ganz im Kopf. Also das wäre sozusagen so eine
Verbindung von Arbeitskampf und ökologischer Transformation, die vorbildlich wäre.
Aber mit Blick auf die IG Metall und speziell auf die Autoindustrie.
Kann ich mir eigentlich kaum ein Szenario vorstellen, wo jetzt in kürzester
Zeit die deutsche Autoindustrie auf Fahrradproduktion umstellt.
Also ist nicht vielleicht sogar das Szenario zu befürchten, dass in dieser ökologischen
Frage es zu einer Polarisierung kommt,
in der eigentlich zum Beispiel die IG Metall eher ja,
transformationsblockierend wirken wird, eher konservative Bündnispartner suchen
wird, vielleicht sogar bis ganz nach rechts, möglicherweise in Teilen.
Also ist dieses Szenario nicht auch zu fürchten, in diesem, wie du ja schon
sagst, handfesten Interessenkonflikten, die da bestehen? Wie schätzt du das ein?
Wolfgang Schroeder
Also ich sehe jetzt keine Anhaltspunkte, dass die Gewerkschaften jetzt Bündnispartner
von ganz rechts anvisieren.
Ich sehe eher eine Situation des muddling through,
dass sie sehen, sie können so eine ganz avantgardistische Position der schnellen
und notwendigen Veränderung der Ressourcen und der Prozesse nicht befürworten,
weil das ihre Mitglieder überfordern würde,
dann der Arbeitsplatzverlust vermutlich sehr schnell zustande kommen könnte
und deshalb wenn sie so eine mittlere Position weiter einnehmen,
wo sie einerseits Interessen vertreten, Andererseits aber sehr deutlich die normative...
Bedeutsamkeit des schnellen und nachhaltigen Umbaus der Industrie formulieren
und diese mittlere Variante ist einerseits unbefriedigend, weil sie in der Geschwindigkeit
keinen zusätzlichen Impuls setzt.
Sie ist aber stark, weil sie dann doch anschlussfähig ist auf der normativen
Ebene zu den sozialen Bewegungen, zu den entscheidenden Prozessen in der Politik.
Man muss ja sehen, bei diesen Prozessen ist es ja nicht einfach nur das Unternehmen
dieses oder jenes tun können,
sondern es gibt ja internationale Verträge, es gibt Vorgaben und diese Arrangements
reduzieren die Komplexität der etwas.
Und das ist glaube ich auch für die Gewerkschaften ganz gut,
weil sie dann auch Punkte haben, auf die sie sich beziehen können.
Aber am Ende ist ihre Rolle in der Transformation, im sozialen Ausgleich,
die soziale Abpufferung, das Mitnehmen der Beschäftigten.
Das hat man ja in der Debatte um das Heizungsgesetz so keimhaft spüren können,
wenn diese Variante der sozialen Zumutbarkeit, wenn die nicht hinreichend plausibel
verankert wird, dann wird der Umbauprozess länger dauern.
Insofern sollte man großes Interesse daran haben, dass man Organisationen mittlerer Reichweite hat,
die um die soziale Plausibilität wissen, dafür einstehen und diesen Prozess
zwar nicht mit beschleunigen werden, aber die ihn absichern und in eine nachhaltige
Perspektive bringen können.
Jan Wetzel
Was noch auffällt in dem Kontext ist natürlich, dass NGOs dazugekommen sind,
also das heißt, die politische Landschaft ist heute sehr viel pluraler und hat
viele neue Organisationstypen, auch Bewegungen, die sich schneller professionalisieren als früher.
Ist auch das so eine Herausforderung für die Gewerkschaften,
weil sie es eben mit einer viel größeren politischen Landschaft heute zu tun hat?
Also wie reiht sich sozusagen die ja sehr alte und altehrwürdige zum Teil Gewerkschaft
da in dieser neuen Vielfalt von Organisationen ein,
die ja eben gerade, wir haben jetzt über Fridays for Future gesprochen,
Greenpeace, alle möglichen Verbände und NGOs.
Wie kann man da die Gewerkschaft einmal einschätzen und wie schätze ich auch
selber dort einen dieser Vielfalt?
Wolfgang Schroeder
Also diese Vielfalt ist für die Gewerkschaften sehr ambivalent,
weil auf der einen Seite ist diese Vielfalt eine produktive Herausforderung,
weil damit Ansprechpartner da sind,
weil damit Impulse gegeben werden und vor allen Dingen,
Allerdings, weil dann auch denkbar ist, dass aus dem Kreis dieser Aktivisten
auch Gewerkschaftsmitglieder oder Gewerkschaftsaktivisten rekrutiert werden
können. Auf der anderen Seite ist es aber genau umgekehrt.
Auch in der guten alten Welt der Übersichtlichkeit gab es ja so viele Orte gar
nicht, wo sich junge Menschen hätten engagieren können.
Wenn es jetzt aber vor allen Dingen in dem Klimabereich, in NGOs globaler Art
so viele Angebote sind, dann ist der Teil der jungen Aktiven ja sehr klein,
der noch für die Gewerkschaften übrig bleibt.
Insofern hat man also so eine Personalkonkurrenz schon im Sinne der Aktivierung,
im Sinne der Stärkung der eigenen Organisation und diese Ambivalenz muss man schon sehen.
Ich denke am Ende ist es eine interessante Herausforderung für die Gewerkschaften,
weil Weil das ja eben dazu beitragen kann, dass sie inhaltlich,
personell und organisatorisch sich dadurch auch ein Stück weit weiterentwickeln
können in der Jetzt-Zeit.
Und da macht es ja keinen Sinn zurück zu blicken auf die gute alte Zeit der
Übersichtlichkeit, sondern die Zeit ist jetzt so wie sie ist und die Gewerkschaften
müssen das schon als eine konkurrenzhafte Herausforderung begreifen, die da existiert.
Weil das ist klar, also der Anteil der Aktivisten, der wächst nicht beliebig von Menschen,
die sich engagieren und für die jungen Menschen ist es viel besser nachvollziehbar
sich in dem ökologisch globalen Bereich zu engagieren als sich in dem gewerkschaftlichen Bereich.
Und da müssen aber Gewerkschaften Brücken bauen, weil wenn sie den jungen Leuten
plausibel machen können,
hört zu, wir sind an der gleichen Front wie ihr, aber wir müssen die Leute mitnehmen
und wenn wir die Leute gewinnen, dann können wir eigentlich Punkte machen,
die genau in eurem Interesse sind.
Leo Schwarz
Jetzt hattest du auch noch mal bei den NGOs global gesagt, da würde ich auch
gerne nochmal nachfragen.
Also es ist ja ganz offensichtlich, auch aus vielerlei strukturellen Gründen so,
dass die Gewerkschaften extrem nationalstaatlich orientiert sind,
dass sie jetzt nicht wirklich im Ruf stehen können,
zumindest die deutschen Gewerkschaften, besonders internationalistisch zu sein
oder, sagen wir mal, daran zu arbeiten, übernationale Organisationsformen zu
schaffen, schaffen, an dem man dann auch Kompetenz abgeben würde.
Zugleich ist natürlich auch mit dem Standort ein ganz wichtiger struktureller
Faktor gegeben, mit dem man eigentlich immer auch argumentieren muss,
eigentlich muss es auch der Nation gut gehen, damit es den Betrieben gut gehen
kann, damit es den Gewerkschaften und den Gewerkschaftsmitgliedern gut gehen kann.
Gleichzeitig entsteht dann natürlich auch so eine Art von Partikularismus,
Universalismus-Problem ganz offensichtlich.
Natürlich, weil wir in einer extrem ungleichen Welt leben einer extrem ungleichen,
arbeitsteiligen Welt, in der sozusagen die Arbeitskämpfe in anderen Teilen der Welt,
in ärmeren Teilen der Welt, in der Peripherie des Weltsystems möglicherweise
gar nicht so unmittelbar in Harmonie stehen mit den Belegschaftsinteressen in Mitteleuropa.
Also wie ist diese Frage der Internationalität, der Globalität,
der Universalität eigentlich aus gewerkschaftlicher Perspektive zu behandeln?
Ist das einfach ein struktureller Widerspruch, der sich nicht so ohne weiteres
auflösen lässt oder gibt es auch irgendwie
positive Perspektive eines gewerkschaftlichen Internationalismus?
Wolfgang Schroeder
Unbedingt gibt es eine positive Perspektive, weil in dem Maße,
in dem sich die Wertschöpfungsketten in den letzten drei, vier Jahrzehnten extrem
internationalisiert haben, Ist die,
die Verständigung, die Kooperation mit den anderen Gewerkschaften an anderen
Standorten immer bedeutsamer geworden.
Ich würde sogar sagen, sie ist ein Stück weit Teil der Alltagswelt von großen Betriebsräten,
von Gewerkschaften, die darum wissen, dass sie selbst nur noch semisouverän
sind in der Einschätzung und in der Handlungsorientierung und darauf angewiesen sind,
die Kompetenzen und die Bedürfnisse der anderen mit zu berücksichtigen.
Zweitens ist es so, die deutschen Gewerkschaften sind vermutlich die Hauptfinanziellisten
der meisten internationalen Organisationen, die supranationale Interessen bündeln.
Ob das jetzt die europäischen Branchengewerkschaften sind,
ob das der EGB ist, ob das die Weltorganisationen sind,
da gibt es schon ein engagiertes Mitmachen und gleichzeitig gibt es auch hier
und da grenzüberschreitende Organisationsprotestformen,
die eingegangen worden sind.
Wenn man jetzt aber diesen heeren Anspruch des Internationalismus,
so wie du ihn auch jetzt nochmal formuliert hast, mit der sichtbaren Praxis
der Gewerkschaften versucht in Einklang zu bringen,
da scheint natürlich auf den ersten Blick eine ziemliche Diskrepanz,
was ja darauf maßgeblich zurückzuführen ist, dass die normativen Ansprüche der
internationalen Solidarität das eine sind das andere ist die
Die Institutionalisierung von Sozialstaaten und Gewerkschaften ist je nationalstaatsspezifisch.
Das heißt, es gibt keine zwei Länder, die ein gleiches Sozialstaatssystem haben,
die ein gleiches Gewerkschaftssystem haben und trotzdem gibt es eine gemeinsame
Interessenlage, die daraus resultiert.
Es geht darum, die Interessen der Beschäftigten möglichst optimal zu unterstützen,
was dann teilweise aber in Konkurrenz zueinander auch stehen kann.
Vor allen Dingen, wenn es um Standortfragen geht, also wenn die Frage ansteht,
soll der Standort in Mittelosteuropa erweitert werden oder der Standort in der
Bundesrepublik? Da hat man natürlich einen knallharten Interessenskonflikt.
Und der ist aber von den deutschen Gewerkschaften in der Vergangenheit auch
nicht einfach immer nationalstaatlich-chauvinistisch gelöst worden.
Sondern man hat vielfach durchaus Verlagerungen auch unterstützt und hat gesagt,
okay, das macht Sinn, wenn bestimmte Bereiche hier bleiben.
Also man hat da durchaus einen offenen Verhandlungsprozess, der Interessenlagen
beider Seiten auch berücksichtigen kann. Es ändert aber nichts daran,
dass es eine Konkurrenzlage ist. Das ist überhaupt keine Frage.
Aber so im Zeitverlauf würde ich schon sagen, diese Internationalität ist gewachsen,
ohne dass sie das Prä den nationalen Interessenlagen, der nationalen Regulierung
wirklich in Frage stellen konnte.
Insofern ist es prä der nationalen Interessenspolitik gegeben und im Bereich
der internationalen Kooperation,
Koordination haben wir ein erhebliches Maß an Professionalität,
wozu übrigens auch die europäischen Betriebsräte beigetragen haben und viele
internationale Organisationen von der ILO bis zur OECD,
wo Gewerkschaften Wissens-Stakeholder sind und damit auch in Prozesse der internationalen
Kommunikation sehr intensiv einbezogen.
Jan Wetzel
Worüber wir noch nicht so viel gesprochen haben, ist die Bedeutung des Dienstleistungssektors,
der ja sozusagen aufs Ganze so einen wesentlichen Strukturwandel der Wirtschaft
auch bedeutet und damit natürlich andere Organisationsformen.
Dort hat man, wir waren jetzt beim Internationalismus oder im Blick auf das
Internationale, so Konzerne wie Amazon, die hier sozusagen große Mengenjobs
schaffen, die aber gleichzeitig sehr prekär sind,
wo man ja fast wie so theoleristischen Methoden unterworfen ist.
Wie das kaum in einem anderen Bereich denkbar ist. Überhaupt Liefergewerbe,
wo sich viel geendet hat.
Es sind aber auch so was wie die Gesundheitsbranche, wo man klassischerweise
oft gesagt hat, in Krankenhäusern, in Pflegeheimen kann man eigentlich nicht
streiken und deswegen ist das dort schwierig. Die Berliner Krankenhausbewegung
zeigt in den letzten Jahren, dass das auch geht.
Was ist insgesamt dein Blick auf die Dienstleistungsbranche?
Ist das insgesamt schwierig da zu organisieren?
Ist sie sozusagen immer im Schatten irgendwie noch eben dieser ersten Welt,
die du vorhin genannt hattest? Oder tut sich dort was?
Wolfgang Schroeder
Der Dienstleistungssektor ist auch in sich sehr heterogen, insofern kann man
das in dieser Allgemeinheit gar nicht formulieren.
Wir haben zum Beispiel im Bankensektor einen sehr hohen Organisationsgrad,
wir haben bei den Krankenschwestern in den größeren Krankenhäusern guten Organisationsgraden,
wir haben auf der anderen Seite, zum Beispiel in der Altenpflege,
einen ganz geringen Organisationsgrad.
Das hat jeweils historische, akteursbezogene Gründe, warum im einen Fall Stärke
vorliegt und im anderen Fall Schwäche.
Aber aufs Ganze betrachtet ist es im Dienstleistungssektor in Deutschland nicht
in gleicher Weise wie in der exportorientierten Industrie möglich gewesen,
so eine Institution, Ordnung der Stabilität und Sicherheit zu entfalten,
wo Arbeitgeber und Gewerkschaften gleichermaßen die Dinge versuchen so zu bewirtschaften,
dass vor dem Hintergrund eines gewissen Kräftegleichgewichts eine positive Bilanz
für beide Sozialpartner.
Möglich ist, sondern wir haben in dem Dienstleistungssektor meistens die Position der Dienstherren,
die versuchen ohne Gewerkschaften auszukommen oder die Gewerkschaften dulden,
aber selbst keinen aktiven Beitrag leisten, um sowas wie eine Gewerkschaftskultur
in ihrer Branche entwickeln zu lassen.
Und das ist ein wesentliches Merkmal der Heterogenität unseres Gewerkschaftsmodells
aufs Ganze, dass diese starke Position der exportorientierten Industrie,
die aber immer von der beschäftigten Zahl immer schwächer wird.
Also der Anteil des Industriesektors liegt so etwa bei 20 Prozent,
während der Dienstleistungssektor eben bei fast 80 Prozent liegt.
Dieser Dienstleistungssektor ist dann eben auch nochmal sehr heterogen,
wenn man den Staatssektor da mal rauszieht, der ja auch in der Regel ganz gut
organisiert und reguliert ist.
Und auf der anderen Seite dann die prekären Bereiche und zu den prekären gewerkschaftlichen
Bereichen zählen aber nicht nur solche, die ökonomisch schwach sind.
Du hast das mit Amazon oder mit vielen Unternehmen der I&K-Industrie,
der Start-ups und moderner durchaus dynamischer,
sehr hohe Umsätze machender Unternehmen, die aber weit ab von gewerkschaftlichen
Zugangsmöglichkeiten liegen.
Dann kommen die ausländischen Konzerne, die Amerikaner, die in der Regel alles
daran setzen, um ihre Kultur auch hier zu praktizieren.
Es sind die Chinesen etwas stärker in Deutschland geworden in den letzten Jahren.
Die haben bis vor kurzem eigentlich eine sehr wohlwollende Haltung zur deutschen
Gewerkschaftskultur gehabt und da eher die Dinge zugelassen,
die hier auch allgemein praktiziert werden, also keinesfalls wie die Amerikaner
sich gegen die Vergewerkschaftung gestellt haben.
Das scheint aber auch schon wieder der Vergangenheit anzugehören.
Also in den letzten Jahren gibt es vermehrt Beispiele auch von chinesischen
Eigentümern, die sich gegen Betriebsräte
und Mitgliedschaften im Arbeitgeberverband ausgesprochen haben.
Das fing mit KUKA an, dieses Unternehmen in Augsburg, wo dann relativ schnell
durch die chinesischen Investoren die Geschäftsleitung ausgetauscht wurde und
auch Einfluss auf die Arbeitsbeziehungen genommen.
Jan Wetzel
In den großen Konzernen, jetzt ist Amazon genannt,
ist das erfolgreich, diese Strategie der,
in dem Fall amerikanischen Unternehmen, da die Kultur zu etablieren oder sieht
man doch auch so eine Resilienz sozusagen der deutschen Organisationen von Arbeit,
sodass sie dann doch in der Lage ist, das zu tame sozusagen?
Wolfgang Schroeder
Also sagen wir mal so, Verdi ist in seinem Einsatz, die Arbeitsbeziehungen bei
Emerson mitzugestalten, sehr tapfer, sehr mutig, sehr langfristig am Ball.
Allerdings, was die große Frage der Mitgliedschaft Arbeitgeberverband Tarifbindung
angeht, strukturell erfolglos.
Seit über zehn Jahren versuchen sie das mit immerwährenden Streiks,
mit immerwährenden deutlichen Aktivitäten, ohne dass sich dieser Konzern irgendwie
auf eine kooperative Strategie einlässt.
Aber in dem Konzern gibt es natürlich Betriebsrat, also insofern gibt es ein
Element der Beteiligung verankert,
auch gute Betriebsräte, die eine gewerkschaftliche Anbindung haben und auch
entsprechend sich da artikulieren und Einfluss auszuüben versuchen.
Aber das Beispiel Amazon zeigt eben, wie schwierig es ist, diese Klassik des
deutschen Modells, wie wir sie eben aus der Industrie kennen,
auf diesen Dienstleistungssektor zu übertragen.
Und Amazon ist ja ein gutes Beispiel. Das ist ja eigentlich Industrie,
das ist Tayloristische Arbeit, das ist nicht sehr unterschiedlich von industriellen Produktionen.
Und dann haben wir natürlich diese unendlich große Zahl kleiner Unternehmen,
darüber muss man ja auch sprechen.
Man kann ja nicht nur die große Industrie ins Blickfeld rücken oder die großen
Dienstleistungsunternehmen,
sondern muss sich ja auch über die Dynamik in diesem kleinen und mittelständischen
Bereich da verständigen, weil da häufig gute Arbeit gemacht wird,
weil das sehr wichtig ist für die Wertschöpfungsprozesse, auch sehr wichtig
für die Transformation, die ökologische.
Und da haben Gewerkschaften klassischerweise traditionell Schwierigkeiten hineinzukommen,
anderes Verständnis von Gemeinschaft ist, von der Nichtakzeptanz von externen Gruppen,
die Einfluss nehmen können und die Ausdifferenzierung in diesen Einheiten ist
nicht so vorangeschritten, dass man Gewerkschaften als Unterstützung im Prozess
der Steuerung dieser Unternehmungen begreift.
Und dann ist es, glaube ich,
auch wichtig, wenn wir jetzt die Transformation schon ein mal angesprochen haben,
die Windenergie, weil da würde man ja denken, das ist eine wachsende,
explosive, ganz wichtige Branche für dieses Land, nicht nur von Arbeitsplätzen,
von Wertschöpfung, sondern davon hängt ja viel ab, wie die Energiewende funktioniert.
Und da ist die IG Metall seit über zehn Jahren sehr bemüht, einzelne Unternehmen zu unterstützen.
Und sie für eine kooperative Strategie zu gewinnen und der Widerstand ist enorm.
Und man ist ja sehr erstaunt, darüber haben wir ja jetzt noch gar nicht gesprochen.
Wir haben ja nicht nur das Problem von Inflation, Energie, Transformation,
sondern wir haben das Problem des Arbeitskräftemangels.
Und der Arbeitskräftemangel ist ja die entscheidende Ressource,
die die Stärke der Gewerkschaften gegenwärtig noch absichert.
Also das ist ja viel stärker als alles andere, weil durch die Knappheit am Arbeitsmarkt
ist natürlich der Mut der Beschäftigten, sich einzusetzen, viel größer,
weil sie Alternativen haben.
Die Knappheit ermöglicht höhere Lohnabschlüsse und die Knappheit verlangt auch
auf Arbeitgeberseite ein höheres Engagement für bessere Arbeitsbedingungen und
in einigen Fällen auch für Kooperation.
Also für die Arbeitgeber gibt es ja zwei Möglichkeiten. Sie werden selbsttätig
und bieten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen aus eigenen Motivlagen
und in alleiniger Regie an.
Oder sie sagen, naja gut, dann nutzen wir das ganze doch direkt und bauen uns
wieder verstärkt oder erstmals in so einen kooperativen Handlungszusammenhang ein.
Und die letzte Variante ist allerdings sehr selten zu sehen.
Insofern muss man natürlich fragen, was können oder was sollten Gewerkschaften
unter dem Primat der Knappheit tun, um die Kooperationsbeziehungen der anderen
Seite herauszufordern.
Und das halte ich eigentlich für eine riesige Chance, indem sie Angebote unterbreiten,
wie man gemeinsam die Attraktivität der Arbeitsplätze so gestaltet,
dass Leute dort sich auch motiviert sehen, ihre Arbeitsstelle zu suchen und zu finden.
Jan Wetzel
Also das heißt, man kann sagen, was wir vorhin mit dem elitaristischen Motiv
hatten, in den Jobs, die eben gefragt sind.
Ich kenne das selber auch aus dem Freundes- und Bekanntenkreis,
gerade in diesen entwicklungsintensiven Branchen, ist zum Teil das gar nicht
notwendig, sich zu organisieren, weil man eh alle drei Jahre wechseln kann.
Man wird bombardiert mit Angeboten von Headhuntern, kann mit diesen Angeboten
natürlich zum Arbeitgeber gehen und kriegt im Prinzip fast jährlich seine Gehaltserhöhungen.
Das heißt, aus utilitaristischen Motiven ist das nicht unbedingt notwendig.
Jetzt hast du gesagt, es ist wichtig, sich das anzugucken. Was wären denn dann Ansätze?
Also diese reine lebensweltliche Verankerung, die wir hatten,
die ist natürlich dann so nicht möglich in dieser konservativen Rückkehr sozusagen
in die guten alten Zeiten.
Aber worüber wird dann sonst so diskutiert, wenn man eben tatsächlich konkurrieren
will in gewisser Weise mit den Angeboten, die die Arbeitgeber machen müssen
durch den Fachkräftemangel?
Wolfgang Schroeder
Naja, was auf jeden Fall ein zentrales Thema ist, ist das Thema Qualifizierung,
weil bei der Qualifizierung ist es so, dass die insgesamt in Deutschland sich
quantitativ nach oben entwickelt hat.
Das heißt immer mehr Menschen und auch unter besseren Bedingungen können in
Qualifizierungsarrangements eingebunden werden.
Auf der anderen Seite haben wir nach wie vor die klassischen Defizite,
dass diejenigen, die eigentlich am stärksten auf Qualifizierung angewiesen werden,
um ihren Arbeitsplatz und ihre Entwicklungsmöglichkeiten zu fördern,
am schlechtesten, am seltensten und am geringsten in den Genuss solcher Fördermaßnahmen kommen,
weil der Arbeitgeber das gar nicht einsieht, weil das bringt für den Arbeitsplatz
gar nichts und er will diesen Arbeitnehmer ja auch nicht verlieren,
indem er sich höher qualifiziert und dann in ein anderes Unternehmen gehen könnte.
Also hier wären schon Angebote zu entwickeln,
wobei auf Arbeitgeberseite eben eine sehr zurückhaltende Gangart existiert,
um dies tariflich festzulegen, weil die Arbeitgeber natürlich sagen,
ja warum sollen wir dem geringer Qualifizierten jetzt...
Angebote der Qualifizierung machen, die für diesen Arbeitsplatz gar nicht notwendig sind.
Das ist eine Aufgabe, die müssen sie entweder selbst in Angriff nehmen oder
es könnte vielleicht eine Aufgabe des Staates sein, aber auf keinen Fall eine,
die den Sozialpartnern vorbehalten sein sollte.
Dann spielt auf die Frage, was könnten Gewerkschaften anbieten,
sicherlich die Verbindungen zwischen Familie und Beruf eine wichtige Rolle,
also der Aufbau und die qualitative Bewirtschaftung von Kindergärten,
von Senioreneinrichtungen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor allen Dingen
für Frauen, die ja nach wie vor stärker
in Teilzeit sind und in Beschäftigungskalamitäten zu verbessern und auch,
was ja eigentlich noch sinnvoller wäre, auch gewisse positive Anreizstrukturen
für partnerschaftliche Erwerbsmodelle
und partnerschaftliche Angebote zur Teilung der häuslichen Arbeit,
also das ist ja durch Institutionen und durch Hilfsleistungen durchaus zu verbessern,
da gibt es sicherlich Möglichkeiten.
Dann die Arbeitszeitpolitik spielt immer wieder eine Rolle,
die Kampagne für vier Tage Woche finde ich eigentlich einen sehr guten Punkt,
weil damit deutlich wird,
wie wir leben in einer zunehmend sich immaterialisierenden Wirtschaftsgesellschaft
und diese Immaterialisierung hat den Preis,
dass psychische Leiden, Druck, seelische Art,
Burnout doch eine ganz andere Qualität erreicht hat,
als in der klassischen Industriearbeitskonstellation, das heißt Und da braucht
man auch andere Angebote,
um zu regenerieren, um den Arbeitsplatz als erfüllend und motivierend zu erleben
und diese ganzen Formen der agilen Arbeit,
dann Homeoffice, also das sind ja ungezählte Felder, wo Gewerkschaften etwas
tun könnten. Und gleichzeitig sind all diese Felder sehr ambivalent.
Also beim Homeoffice kann man es ja am stärksten sehen, weil die gewerkschaftliche
Organisations- und Einflusswelt ist die des Betriebes, der direkten Begegnung.
Wenn die Leute jetzt im Homeoffice sind, dann kann das zwar das Ergebnis gewerkschaftlicher
Verträge sein, aber es kann auch das Ende der Bezugnahme auf die Gewerkschaften sein.
Weil wenn die Leute nicht im sozialen Miteinander sichtbar sind,
dann ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einer Organisation,
die das Sichtbare in den Vordergrund heben möchte, keinen Anknüpfungspunkt sehen.
Also das ist, glaube ich, eine durchaus schwierige Lage,
aber das ist nun mal so und es ist klar, dass diese Homeoffice-Entwicklung,
selbst wenn sie jetzt nicht weiter expandiert, sie ist ein nicht unerheblicher
Punkt unserer Arbeitswelt und darauf müssen Gewerkschaften eben Angebote unterbreiten.
Und diese Angebote können sie nicht alle nur durch hauptamtliche Gewerkschaftern.
Das heißt also, sie sind schon darauf angewiesen, dass sie ein verstärkt motiviertes
Feld von ehrenamtlichen Leuten haben, die sich mitkümmern, die aktiv sein wollen.
Und das ganze Partizipationsthema, das treibt die Gewerkschaften schon sehr,
weil sie haben das so in ihrer Rede als ganz selbstverständlich eingebaut,
aber die Voraussetzungen, um diese Selbstverständlichkeit umzusetzen,
die wandeln sich natürlich permanent.
Wir haben es eben gehabt mit den ökologischen Bewegungen, die viele Aktivisten
absorbieren, die dann eben für das Gewerkschaftliche nicht zur Verfügung stehen.
Und wir haben es damit, dass Leute sich überfordert fühlen durch die Doppelbelastung
von Beruf und Privatleben,
die ja immer prekärer wird, weil wenn die älteren,
also die Väter, also Elterngeneration dann auch im Kehrbereich anfällt und dort
erhebliche Leistungen zu erbringen sind,
dann bedeutet das natürlich auch für die Männer und Frauen, die davon betroffen
sind, dass sie andere Arbeitszeitmodelle brauchen, dass sie andere Unterstützungsformen benötigen.
Also die Gewerkschaftsarbeit, die könnte sich durchaus stärker in diesem Übergangsfeld
zwischen Betrieb und Reproduktions-Privatbereich in einigen Dimensionen einsetzen,
indem sie nicht nur Rechtspositionen schaffen, sondern eben auch Institutionen.
Und das würde, glaube ich, ihre Attraktivität doch deutlich erhöhen,
weil klar ist, und das ist ja auch ein Signum dieser neuen Arbeitswelt,
dass die konstitutive Trennung zwischen Arbeit und Freizeit,
die ist in der neuen Arbeitswelt durchlöchert.
Und weil sie durchlöchert ist, müssen die Gewerkschaften einerseits Sorge dafür tragen,
dass wo es immer geht, dass die Trennung stark gemacht wird,
aber da, wo die Trennung eben existiert, und zwar ob wünschenswert oder nicht,
wie beim Homeoffice, da müssen auch klare Regeln,
da müssen Ansprechpartner, da müssen Einbettungsbemühungen, da müssen Qualifizierungsangebote
und vieles andere mehr etabliert und angeboten werden und gleichzeitig verändert
das die Gewerkschaftsarbeit eben.
Leo Schwarz
In deinen Darstellungen, da steht halt schon so dieses kooperatistische,
sozialpartnerschaftliche Irgendwie auch auf die Vorteile der Unternehmerinteressen
argumentierende gewerkschaftliche Arbeiten im Zentrum.
Zugleich gab es ja zumindest so in den 70er Jahren auch viele Überlegungen,
inwieweit Gewerkschaften auch dazu beitragen können,
eine Gesellschaft zu schaffen, in der grundlegend andere institutionelle Bedingungen
von Arbeit und Kapital herrschen, beziehungsweise das Kapital vielleicht gar
nicht mehr so eine große Rolle spielt.
Da wurde dann auch über Wirtschaftsdemokratie zum Beispiel geredet und all diese
Konzepte, die jetzt auch zum Beispiel Urban auch teilweise noch hochhält.
Also diese Vorstellung einer grundlegenden gesellschaftlichen Transformation,
die in Bezug auf Gewerkschaften immer wieder diskutiert worden sind.
Ist das irgendwas, ist da irgendwas noch dran, sind da irgendwie noch Potenziale
oder siehst du das eigentlich eher schon so,
dass es vor allem in diesem eher symbiotischen Verhältnis mit dem Kapital eigentlich
die meisten Handlungspotenziale von Gewerkschaften in Deutschland liegen,
wenn ich mal so eine vielleicht etwas naive Frage stellen darf?
Wolfgang Schroeder
Bei IBF-Franken sind sie immer sehr gut, weil sie Dinge klarer machen.
Natürlich ist das so. Dort, wo Arbeit und Kapital sich auf Augenhöhe begegnen
und die Gewerkschaften aufgrund einer Anerkennung stark institutionalisiert sind,
gibt es ganz andere Löhne, gibt es ganz andere Partizipationsmöglichkeiten,
gibt es ganz andere Emanzipations- und Entfaltungspotenzial.
Das kann einem gefallen oder nicht, aber das ist einfach ein Tatbestand,
weil in den Bereichen, wo die Rede von dem ganz anderen existiert,
ist die Realität die der Prekarität.
Und diese Prekarität ist nicht das, was man den Leuten gerne wünschen möchte.
Und der Punkt von dir ist aber trotzdem super wichtig,
weil Gewerkschaften nicht nur traditionell, sondern auch aktuell sich nicht
erschöpfen in ihrer Versicherungs- und Dienstleistungslogik,
Sie haben einen emanzipativen Auftrag in der Herstellung von Bedingungen,
sinnhafter, guter, universell.
Gültige Bedingungen von Arbeit und Anerkennung. Und in diesem Sinne sind sie immer aufgefordert,
auch darüber nachzudenken, wie die Bedingungen anderer Kooperationsformen,
genossenschaftlicher Art, egalitärer Art gestaltet werden können.
Und die Bedingungen sind ja von der stofflichen Seite gar nicht so schlecht,
weil ja viele Formen des Autoritarismus, die gleichsam die frühe Arbeitswelt
geprägt haben, sind ja weg.
Und wir haben teilweise sehr egalitäre Strukturen in modernen,
kleineren, mittelgroßen Betrieben, die auf dieser Grundlage viele Freiheitsräume
ermöglichen und viele an Produktivität auch vorzuweisen haben.
Aber man muss das natürlich koppeln, also die Frage der Beteiligung,
die Frage der Autonomie Und die Frage der Eigentumstitel, das scheint mir schon
wichtig und das ist glaube ich schon ein Strom, der von Seiten der Gewerkschaften
auch bedient werden sollte.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass sie das zu traditionalistisch angehen,
dass sie zu wenig Souveränes angehen, weil da könnte man viel souveräner die
Dinge angehen, weil die Arbeitswelt hat sich ja doch in vielen Bereichen so
verändert, dass sie eher in in Richtung dieser egalitären und auf Selbstbestimmung
hinauslaufenden Strukturen geht.
Aber dann ist natürlich auch immer zu sehen, das sind einzelne Bereiche,
wir haben nach wie vor viele beschissene Bereiche von Arbeit,
von der Fleischindustrie, von gewissen Dienstleistungsbereichen mal gar nicht
zu reden und auch dafür muss man was anbieten können.
Also die Aufgabenvielfalt ist sehr groß und das ordnungspolitische Denken zur Überwindung
dieser kapitalistischen Logik und eher kooperativer, fände ich schon gut,
wenn das in den Gewerkschaften weiterhin auch eine Heimat hat und auch dort Angebote.
Jan Wetzel
Dann kommen wir zum Ende nochmal mit einem neuen Thema, was wir hier eher nur
anschneiden und sozusagen nicht nochmal ausführlich darauf angehen,
aber ich glaube es ist, und du bist ja auch damit eingestiegen,
so ein wichtiger Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Veränderung,
nämlich der Rechtsruck, der insbesondere natürlich im politischen Raum das Nachdenken
erstmal geändert hat und gerade auf dieser kulturellen Ebene auch erfolgreich
ist und zumindest auf dieser kulturellen Ebene das Ausdruck hat ja die AfD durchaus Erfolge,
sozusagen diese Vorstellung des alten Industriearbeiters, der nun sozusagen von den Grünen,
der ja eben der Hauptgegner ist in dem Fall, ja um seine nicht nur kulturelle
Lebensgrundlage und der Entwertung sozusagen seines Lebensstils,
seines Konsumstils und so weiter, da zu befürchten hat.
Sondern eben auch die Jobs, die sozusagen in der Vorstellung und der Rhetorik
sozusagen von den Grünen systematisch zerstört werden für die Industrialisierung Deutschlands.
Inwiefern das gilt oder nicht, ist ein anderes Thema. Aber man ist erfolgreich
mit dieser Inanspruchnahme.
Leo hat das vorhin schon angesprochen. Du hast gesagt, das ist keine Kooperation
der deutschen Gewerkschaften mit
rechtsextremen Kräften. In dem Fall insbesondere der AfD zu befürchten.
Aber auf kleinerer Ebene, auf der Ebene der Betriebsräte gibt es schon die Befürchtungen,
dass da eine Art Unterwanderung passiert.
Du hast selber auch dazu geforscht, was ist da so ein bisschen die Aussicht?
Oder zuerst mal der Stand und die Aussicht. Ist das tatsächlich eine Gefahr?
Oder bleibt das eigentlich auf dieser Ausdrucks-Ebene eher, die da die AfD besonders nutzt?
Wolfgang Schroeder
Zunächst mal muss man ja positiv hervorheben, dass es im gesamten Funktionärskörper
der deutschen Gewerkschaften unter dem Dach des DGBs die es keinerlei AfD-affine Akteure gibt,
also die gibt es schlicht und einfach nicht.
Und dann wird man sich natürlich Rechenschaft ablegen müssen,
ja, aber die Gewerkschaften sind ja zuständig für die Arbeitsbedingungen,
für die Tarifverträge, wie sieht es in den Betrieben aus.
Und wir wissen natürlich, dass vor allen Dingen in Ostdeutschland,
aber durchaus auch in Westdeutschland, also kein ostdeutsches Sonderphänomen,
dass dort viele Akteure, viele Betriebsräte in der klaren Sprache der AfD,
in der klaren Forderung sich von grünen, kosmopolitischen.
Fiktion fernzuhalten, sehr klar sind und sagen,
wir haben hier ein hochentwickeltes Industriemodell, wir haben ein hochentwickeltes Wirtschaftsmodell,
wir machen hier gute Arbeiten, wir haben ja keinen Bock uns von den Grünen und
anderen Weltverbesserern vorgeben zu lassen,
wie wir hier produzieren, wie wir hier arbeiten,
sondern wir finden das gut und das bedeutet, wir stützen eher die Kräfte,
die gegen die Grünen eingestellt sind, die gegen eine schnelle Transformation
eingestellt sind und versuchen unsere Lebenswelt zu stabilisieren und unseren
Wirtschaftsstandort zu stabilisieren.
Und da gibt es schon eine erhebliche Unterstützung, wobei man die jetzt auch
nicht überdramatisieren darf.
Bei den Nachwahlbefragen waren es immer so zwei, drei Prozent höherer Anteil
an AfD-Unterstützung als in der Gesellschaft,
in den Gewerkschaften und wenn das Betriebsräte praktizieren,
ist das natürlich sehr problematisch, weil das Einflussakteure sind,
weil das Multiplikatoren sind, die mit ihrem Engagement auch die Organisation
repräsentieren und damit auch einen Eindruck erwecken, einen Einfluss ausüben,
der für die Gewerkschaften schädlich ist.
Und die Gefahr der Unterwanderung würde ich in einigen Regionen nicht unterschätzen.
Das heißt also, dass es nicht dabei bleibt, dass Betriebsräte aus ihrer betrieblichen
Logik heraus bestimmte Positionen formulieren,
sondern dass sie auch darüber hinaus versuchen, den Marktplatz und die örtlichen
Organisationen der Gewerkschaften da auch als Gegenstand der Infiltration zu begreifen.
Also das sollte man schon realistischerweise mitberücksichtigen für die weitere Entwicklung.
Insofern muss dieser Befund von mir, dass die Gewerkschaften gegenwärtig sakrosankt
sind, das muss nicht so bleiben, weil die Aktivitäten zur Unterwanderung sind im Gange.
Und am Beispiel von Zentrum für Automobil in Stuttgart können wir ja sehen,
dass auch auch hier in einem Großunternehmen,
wo ja respektable Partizipationsmöglichkeiten existieren,
hohe Löhne existieren, sichere Arbeitsplätze, dass auch in einer solchen Konstellation
sich bei geschicktem Einbinden und geschicktem Auftritt Punkte machen lassen.
Jetzt haben wir bei diesem Zentrum für Automobil auch feststellen können,
deren Aktivitäten sind auch limitiert und das Wachstum der Gruppen.
Nicht stattgefunden in den letzten Jahren, auch wenn es ihnen gelungen ist,
in der öffentlichen Aufmerksamkeit starke Punkte zu machen.
Und das hängt aber auch ein bisschen damit zusammen, dass diese Rechtsextremen
und Rechtspopulisten ja in
der Regel die Repräsentationslücken zum Gegenstand ihrer Politik machen.
Und die Repräsentationslücke ist natürlich, dass es keine Kraft in Deutschland
gibt, die so eindeutig und fundamental die alten Industrien zum Maß der Dinge
erklärt, weil die Ruhe und Bescheidenheit und eine Souveränität,
eine Schein-Souveränität suggerieren.
Jan Wetzel
Wolfgang Schröder, danke fürs Kommen. Ich hoffe, dass wir die ein oder anderen,
das war ja heute ein paar Vorschritte sozusagen durch die Gewerkschaftswelt
und die Herausforderung, dass wir die ein oder anderen Aspekte in Zukunft dann
nochmal vertiefen können. Ansonsten vielen Dank fürs Kommen.
Wolfgang Schroeder
Ja, ich bin sehr gerne gekommen und fand das auch ein angenehmes Nachdenken
mit euch über die Entwicklung der Gewerkschaften und ich möchte sehr unterstreichen,
die Rechten haben nicht das letzte Wort, sondern die Gewerkschaften sind nach
wie vor ein zentraler demokratiepolitischer Faktor,
der nicht nur gegen Rechts ist, sondern der auch eine Rolle spielen kann und
muss in der ökologischen Transformation,
weil diese ökologische Transformation wird ohne soziale Einbindung,
Einbindung, Kompensation nicht funktionieren und in dem Sinne stehen die Gewerkschaften
eher für eine nachhaltige Entwicklung,
weil die schnelle Entwicklung ist nur auf dem Reißbrett möglich und die nachhaltige
Entwicklung, die muss durch Konflikte, durch Kämpfe, durch Deutungsschlachten erobert werden. A.
Jan Wetzel
Aber noch ein gutes Schlusswort. Wir danken fürs Hören, empfehlt uns gern weiter,
bewertet uns gut auf den Podcast-Plattformen eurer Wahl.
Bis zur nächsten Folge von Das neue Berlin. Tschüss!