Transkript von Episode 86: Der Kommunismus und wir – mit Gerd Koenen

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Gerd Koenen
Da ist die deutsche Sozialdemokratie die größte, das Mutterschiff dieses europäischen.
Sozialismus vor 1914 gewesen, haben sie die Gesellschaften eingreifend verändert.
Die Konservativen hätten das nicht getan, die Klerikalen, die gab es ja auch,
die hätten es auch so nicht getan und die Liberalen aus sich heraus auch nicht.
Also sie haben zur Bildung einer modernen Gesellschaft, haben diese marxistisch
geprägten europäischen Sozialisten ganz entscheidend beigetragen.
Und dann kommt aber wirklich der große Bruch. Und da sind wir beim Kommunismus des 20.
Leo Schwarz
Jahrhunderts. Hallo und herzlich willkommen zur 86. Folge von Das neue Berlin.
Mein Name ist Leo Schwarz.
Jan Wetzel
Ich bin Jan Wetzel.
Leo Schwarz
Und gemeinsam mit unseren Gästen versuchen wir, diesen Podcast Gesellschaft
und Gegenwart zu verstehen.
Als die beiden Moderatoren dieses Podcasts geboren wurden, war gerade ein weltgeschichtlicher
Abschnitt zu Ende gegangen.
Der real existierende Kommunismus und Sozialismus erendete nicht nur in der
DDR, die gesamte Sowjetunion fielen sich zusammen. Und abgesehen von wenigen
Ausnahmen fand so auch die Bewegung des sogenannten Weltkommunismus ihr Ende.
Für uns Nachgeborene blieb von diesem globalgeschichtlichen Phänomen wenig Anlass zur Nostalgie.
Ein etwas bruchstückhafte Ahnung eines historischen Scheiterns,
das sich in einem Spektrum von tragisch-komischer Dysfunktionalität bis hin
zu maßloser Katastrophe bewegte.
Das passte gut zu den allgemeinen Entwicklungen. Francis Fukuyama verkündete
das Ende der Geschichte,
ein neoliberales Politikverständnis setzte sich selbst bei mitteleuropäischen
Sozialdemokraten durch und als Kommunist möchte sich bis heute wohl auch kaum
ein Linker mehr bezeichnen.
Nun, wieder 30 Jahre später, ist die Lage eigentümlich ungeklärt.
Der neoliberale Enthusiasmus der 90er-Jahre ist wohl nicht mehr ganz Zeitgeist
und sicherlich mehren sich auch Zweifel,
inwiefern unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung nur ansatzweise in der
Lage ist, die lange Reihe unterschiedlichster Krisen der Gegenwart und insbesondere
die sich entfaltende ökologische Katastrophe angemessen zu bearbeiten.
Dennoch scheint der kapitalistische Realismus, von dem Mark Fischer sprach,
weiterhin gültig, grundlegend andere Gesellschaft bleibt für uns weiterhin ansatzweise unvorstellbar.
Ich denke, wenn progressive Politik einen ernsthaften Anteil an den gesellschaftlichen
Transformationen des 21.
Jahrhunderts haben will, dann muss sie so illusionslos wie möglich auf die Vergangenheit blicken.
Das wollen wir heute tun. Unser Gast, Gerd Köhnen, gehört zu den renommiertesten
Historikern des Kommunismus und er kennt Glanz und Elend des linken Denkens
auch aus eigener Erfahrung. Wir freuen uns sehr, dass er sich heute Zeit für
uns nimmt. Gerd Köhnen, herzlich willkommen.
Gerd Koenen
Ja, hallo, ich bin auch sehr gerne dabei.
Leo Schwarz
Sie haben sich in zahlreichen Büchern mit dem Kommunismus und Sozialismus in
unterschiedlichen Phasen und auch in unterschiedlichen Regionen der Welt beschäftigt,
in ihrem großen Werk, die größten Buch, die Farbe Rot, unternehmen Sie sogar
eine Weltgeschichte des Kommunismus, gehen da bis in die Frühzeit der Menschheit zurück.
Wieso so einen breiten Blick, so einen menschheitsgeschichtlichen Blick auf
den Kommunismus werfen?
Wieso sich so einem Projekt stellen?
Gerd Koenen
Ja, dafür gibt es subjektive und objektive Gründe.
Die subjektiven sind, dass die ersten Kommunisten zum Beispiel, die so um 1830,
1840 herum in Europa auftraten Partner und sich so bezeichneten oder auch die
späteren Sozialisten sich selber immer in eine große weltgeschichtliche Reihe gestellt haben,
allerdings in einem eher emphatischen Sinne. Also z.B.
Nicht ganz früh, relativ spät, aber bei Engels und so ist das ja angelegt.
Aber auch bei den Frühsozialisten schon gibt es ja immer den Rückgriff auf den
Urkommunismus, auf einen Urkommunismus.
Also aus sozusagen einem Urkommunismus kommen wir alle her.
Zweitens ist auch in dem Begriff Kommunismus, das ist ja ein Neologismus,
eine Neubildung, die ja auf ganz mindestens antike Begriffe zurückgreift,
also über die Kommunen, eben auf die die christliche Communitas im Wesentlichen
im europäischen Zusammenhang und so weiter.
Objektiv kann man aber auch sagen, ist da was dran? Also wenn ich mal diesen
Begriff Kommunismus bei Max Weber nachschlage,
das habe ich mal in seinem großen, auch Fragment, mein Buch ist ja eigentlich
auch ein Fragment, kann auch gar nichts anderes sein.
Also wenn ich bei Max Weber mal den Begriff Kommunismus oder das Adjektiv kommunistisch nachschlage,
komme ich auf, ja, so in ganz soziologischer Beschreibung auf zum Beispiel einen
bäuerlichen Hauskommunismus.
Ich komme auf einen militärischen Kommunismus, Beute-Kommunismus,
sagt Max Weber manchmal auch.
Ich komme auf einen in vielen Kulturen verbreiteten Tempel-Kommunismus,
also Angkor Wat zum Beispiel, das Reich von Angkor Wat.
Ich komme auf einen monastischen Liebeskommunismus, sagt Max Weber.
Also er hat ein ganzes Spektrum von Begriffen und wenn Sie die mal alle zusammenstellen, ja.
Bauern, Tempel, Klöster, ja, dann besteht eigentlich ein großer Teil der Weltgeschichte
aus gemeinwirtschaftlichen Formen und das eigentlich revolutionäre Element,
was zwar in früheren Gesellschaften schon im Alten Rom, auch in China,
in der Yangtze-Mündung oder so angelegt war, ist eigentlich der Ausbruch aus dieser,
Eingebundenheit in ein vorgegebenes Gemeinwesen.
Also dieser Adam-Smith-Gedanke, dass eine Gesellschaft auch dadurch als Gesellschaft
überhaupt existieren kann, dass alle ihr Ding machen, mal ganz umgangssprachlich
gesagt, das ist eigentlich der neue europäische Gedanke.
Daran knüpfen Marx und Engels an.
Deswegen sehr zögernd übernehmen sie diesen in ihrer Zeit so im schwangen befindlichen
Begriff des Kommunismus,
ohne dann aber nachher, was Marx betrifft insbesondere,
Engels ist ein bisschen anders gestrickt gewesen, irgendwie als Propagandist
des Kommunismus oder als jemand, der eine ganz andere Gesellschaft ausmalt.
Sondern für Marx ist ja der Clou gerade, dass die gegenwärtige Gesellschaft
aus ihrer inneren Dynamik heraus sich selbst transzendiert.
Und dass sie sich aber auch transzendieren muss, weil sie sonst alle ihre destruktiven,
alle ihre vergiftenden, alle ihre entfremden Kapazitäten so übermächtig werden,
dass sie letztlich im Untergang münden muss.
Also Untergang, also das, was in Luxemburg stand, so in Sozialismus oder Barbarei,
das ist schon durchaus tatsächlich angelegt in dieser Art, wie Marx diesen Begriff aufnimmt.
Das ist aber ein Begriff, der in keiner Weise sozusagen sich romantisch rückbezieht auf,
ja, obwohl bei Engels dann in der Ursprung der Familie und es gibt es das,
diesen romantisierenden Rückbegriff auf irgendeine Form von ursprünglicher Gemeinschaft.
Sie sagen auch mal sowas, wir müssen zurück zu einer Form ursprünglicher Gemeinschaft,
aber in unglaublich höherer Form.
Naja, also so ungefähr ist die Gedankenfigur und wenn ich sogar noch was Drittes
zufügen würde, dann würde ich sagen,
dass alle bestehenden kommunistischen Parteien und Bewegungen des 20.
Jahrhunderts, weil sie ja nun auch in einem bestimmten Kontext standen und eigentlich
niemand so ausgeprägt wie die kommunistische Partei,
die heute noch an der Macht ist, nämlich die Kommunistischpartei Chinas,
sich emphatisch auf 6.000.
Jahre chinesischer Geschichte, in denen Züge von ursprünglicher Gemeinschaft
und so weiter, immer das Ideal gewesen seien und auch in manchen verwirklicht
gewesen seien. Also sie versuchen auch diese Rückanknüpfung.
Also das ist der Grund, warum ich das kleiner nicht machen konnte,
als mit diesem vertikalen Rückgriff in die menschliche Geschichte.
Leo Schwarz
Auf Marx und natürlich auch den Kommunismus des 20. Jahrhunderts wollen wir noch eingehen.
Ich würde gerne aber noch mal ins 19. Jahrhundert mit Ihnen blicken.
Natürlich ist die Entstehung des modernen Sozialismus und Kommunismus als Konzept
und dann später natürlich auch in seinen politischen Ausformungen nicht zu verstehen,
ohne die Umbrüche, die sich grob irgendwie mit moderne Sattelzeit,
Industrialisierung und all diesen weiteren Großbegriffen verbinden.
Irgendwie gehen ja alle die Denker dieser Zeit wirklich von einem fundamentalen
welthistorischen Umbruch aus.
Gleichzeitig gibt es auch immer wieder Kritik an dieser Art,
sozusagen dort eine klare Zäsur zu sehen, weil man ja auch immer wieder alle
möglichen Elemente eben, wie Sie ja schon selber sagen, welthistorisch immer
früher auch wieder auffinden kann.
Wie fundamental ist dieser Umbruch, diese Entstehung dessen,
was wir ja auch modernen Kapitalismus eben nennen müssen?
Wie alles umfassend ist diese Transformation auch aus global-geschichtlicher Perspektive?
Oder machen wir doch wieder nur eurozentrische Europakunde sozusagen,
wenn wir die Geschichte so erzählen?
Gerd Koenen
Ein bisschen europazentrisch ist das schon,
weil tatsächlich dieser Kumbuk, wenn man ihn so definiert und für so entscheidend hält,
dann hat er nun mal gar nicht in ganz Europa, nur in ganz wenigen Gebieten Europas,
ist er zum Durchbruch gekommen. Man hat sich dann global ausgebreitet.
Dazu gehört eben nicht nur das Element des Industrialismus, den es ja zu Marx-Zeiten
eigentlich auch nur in Ansätzen gab.
Also insofern ist diese ganze Vorstellung einer industriellen Revolution ja
etwas, Der Begriff selbst kommt überhaupt erst in allgemeinen Gebrauch im späten 19.
Jahrhundert, weil da findet sie statt, ja, vorher nicht,
bei ganz Einzelnen nur, auch bei Engels einmal kommt der Begriff vor,
aber darüber hinaus geht es auch nicht nur um die moderne Industrie, sondern es geht...
Um die bürgerliche Gesellschaft, also in dem Sinne einer Gesellschaft,
in der sich eben aus ihren traditionellen Kontexten ausbrechende Individuen
oder Familienverbände,
was weiß ich, also jedenfalls einzelne Subjekte unter dann auch zunehmend rechtlich
gesicherten Verhältnissen,
darauf verlagern, im Grunde von einem Reichtumsinstinkt,
aber auch von einem Instinkt, sich dieser modernen Dinge zu bemächtigen,
auch von dem Instinkt, rauszugehen in die Welt, auch von dem Instinkt,
neue Ufer von Wissenschaften, von Weltwissen zu akquirieren.
Ja, also dieses ganze Bündel von sozialen Energien, was nicht einfach toll oder
schön ist, überhaupt nicht, aber
trotzdem in dieser Form so in anderen Gesellschaften nicht existiert hat.
Das alles zusammen bildet eben diesen Knoten, diesen welthistorischen Bruch
oder diese neue welthistorische Dynamik, nennen wir sie mal so.
Ja, wie gesagt, Ansätze dazu hat es in früheren Gesellschaften gegeben und auch
in außereuropäischen Gesellschaften.
Also im alten Rom haben sie schon sowas wie Kapitalisten, Warenwirtschaft und so weiter.
Aber was sie dort nicht haben, ist die nächste Bedingung, ist die eigentliche freie Lohnarbeit.
Das gründet sich auf organisierter Sklaverei hauptsächlich oder anderen Formen dann von,
ja von einer Abschöpfungsökonomie und so weiter, ist im Wesentlichen im Übrigen noch agrarisch.
Also diese freie Lohnarbeit ist natürlich auch eine Form der Befreiung,
die so brutal wie nur möglich zu denken ist.
Vogelfrei findet man ja auch als Marx oder anderen Zeitgenossen als Beschreibung.
Aber genau auf dieses Blatt einer sich dann auch.
Organisierenden Arbeiterbewegung, einer Selbstorganisation der arbeitenden Klassen,
nennen wir sie mal so, plus den Bildungselementen, die dann auch aus einer allgemeinen
Bildung und dann auch einer allgemeinen Durchkämpfung politischer Beteiligungsrechte herauskommt.
Darauf richtet sich dann die Erwartung,
dass von daher dann diese gesellschafttranszendierenden Elemente und veränderten
Elemente in Richtung Demokratie oder auch Sozialismus dann kommen müssen.
Das ist auch etwas in der Form historisch Neues gewesen.
Das findet zu der Zeit zunächst mal so in Europa statt.
Also in dem Sinne, klar, kann man sagen, ja, Eurozentrismus,
europäischer Exzeptionalismus, aber in dem Sinne bin ich so ein später Post-Marxianer.
Marxist würde ich mich ja beileibe nicht nennen, aber der Begriff ist zu dogmatisch verbraucht.
Aber in diesem Denkmodus von Marx,
ist Marx natürlich schon auch ein sehr, ja, überemphatischer,
das würde ich jetzt auch kritisch sagen, Wästler, ja, aber es ist auch was Richtiges dran, ja.
Leo Schwarz
Diese Entwicklung in Mitteleuropa oder Westeuropa hat ja auch trotzdem so eine
globale andere Seite sozusagen,
also bestimmte Extraktion von Ressourcen und von menschlicher Arbeitskraft auch
in Sklaverei ähnlichen oder buchstäblich Sklaverei.
Also es gibt immer wieder Versuche zu interpretieren, wie weit der Kapitalismus
tatsächlich auch strukturell auf Phänomene wie Kolonialismus,
Sklaverei angewiesen ist.
Es gibt auch andererseits wieder Positionen, die sagen, das ist eher gar nicht
so klar. Es ist vielleicht sogar das Gegenteil der Fall. Es war eigentlich letzten
Endes eine reine Verlustunternehmung, Kolonialismus überhaupt zu betreiben.
Und hat dem der Entstehung des modernen Kapitalismus eigentlich gar nicht so viel beigetragen.
Sie selber schreiben auch, dass es ohne Kolonialismus und Sklavenarbeit nicht
so leicht eine moderne Industrie hätte geben können.
Können Sie das vielleicht noch ein bisschen ausführen? Also es scheint irgendwie
schon eine strukturelle,
wie soll ich sagen, eine strukturell begünstigende Faktor gewesen zu sein,
aber nicht unbedingt ein notwendiger Faktor für die Entstehung des modernen
Kapitalismus, dass es auch sowas wie Sklaverei und Kolonialismus gegeben hat.
Wie schätzen Sie das ein?
Gerd Koenen
Naja, ich meine, dass Kolonialismus und Sklaverei dann letzten Endes keine Bedingung
des Kapitalismus, einer kapitalistischen Produktionsform gewesen sind,
hat man ja historisch gesehen.
Man konnte es hinter sich lassen und dann ging es ja erst richtig los.
Also bei Marx gibt es ja erstens mal, ja, er nennt das geradezu die Aufgabe,
die historische Aufgabe der modernen Bourgeoisie, einen Weltmarkt zu schaffen, ja.
Also es geht erst mal um die Schaffung eines Weltmarkts.
Weltmarkt heißt internationale Arbeitsteilung, heißt, dass überhaupt Güter des
täglichen Bedarfs kommodifizierte werden.
Unter Kolonial müssen sie jetzt
auch nicht nur, Also jetzt an Plantagensklaverei oder an Afrika denken.
Also was erstmal eine viel bedeutende Rolle gespielt hat, ist die Kolonisierung
des amerikanischen Kontinents.
Die ging natürlich auch mit brachialen Methoden einher. Und das Entscheidende ist dann Nordamerika.
Und auch Südamerika übrigens macht sich ja im 19. Jahrhundert schon selbstständig.
Also es geht um Plantagenwirtschaft. Ja,
es geht um riesige, auch industriell gezüchtete und verarbeitete Rinder,
zum Beispiel in Schlachthöfen von Chicago oder dann in Argentinien oder so.
Das ist Zufuhr von äußeren Nahrungsmitteln, dann eben von Rohstoffen und so
weiter, die sich diese gefräßige europäisch-kapitalistische Maschinerie einverleibt.
Für die Entstehung des Kapitalismus, wie gesagt, hat das eine wesentliche Bedeutung
gespielt. Das war ein beschleunigender Faktor, sagen wir mal ein Dopingmittel.
Wie gesagt, ab einem bestimmten Punkt konnte man auch darum verzichten.
Ohnehin, jetzt ich bleibe mal immer in dieser marxischen Beschreibung,
weil sie mir im Kern immer noch viel Richtiges zu enthalten scheint,
unterschied sich, sagen wir mal, die Sklaverei auf den Zuckerplantagen in der
Karibik nicht so sehr von der frühkapitalistischen Lohnsklaverei.
Ja, also er sieht das und auch die Enteignung der Produzenten,
sagen wir mal, in Irland bei ihm archetypisch, ja,
für große Schafsfarmen, für Wollproduktion, ja,
Loslösung, Losreißung von dem eigenen bäuerlichen Betrieb, Also was in den Kolonien
in riesigem Maßstab stattfindet, findet in den Ländern des Kernkapitalismus aber auch statt.
Also so getrennt ist das nicht.
Und was im Übrigen die Sklaverei, aber das ist eine andere große Debatte angeht,
muss man wirklich mal sehen, dass das nun ein menschheitsgeschichtliches Erzübel gewesen ist.
Also auf Sklaverei gegründet, waren nun auch alle außereuropäischen,
sogar gerade Gesellschaften, viel länger, viel früher schon.
Und die schwarze Sklaverei, die bei uns jetzt immer so ganz im Vordergrund steht,
unserer postkolonialen Debatten, die kommt ganz spät.
Und in dem Moment, in dem sie kommt, beginnt auch die Bewegung des Evolutionismus
und der Abschaffung der Sklaverei. Und diese Abschaffung der Sklaverei hat sogar
auch etwas mit der bürgerlichen Gesellschaft zu tun.
Andere Gesellschaften hatten diesen inneren Impuls, Sklaverei abzuschaffen,
nicht. So ohne weiteres. Es ist letztlich ein ganz handfestes Kalkül,
zum Beispiel in Nordamerika, Das nämlich ...
Diese Sklavenwirtschaft im Süden, zwar sehr modern,
ist sehr lukrativ, objektiv gesehen,
kann man sagen, King Cotton für die britische Baumwollindustrie sehr essentiell,
aber in Amerika selbst ist es ein vergiftendes Element.
Es ist ein Element, was eine moderne Entwicklung von Lohnarbeitern in einen
Prozess der Degradation treibt.
Es sind also, sagen wir mal, die modernen Kapitalisten, die die Sklavenhalter
im Süden letztlich in einem äußerst brutalen Krieg niederzwingen und dann die Sklaverei abschaffen.
Und damit beginnt auch etwas weltgeschichtlich Neues, bis es dann in Brasilien,
in Afrika überall so der Fall war.
Bis heute gibt es das noch, aber ja, das sind alles schon auch historische Leistungen,
muss man mal sagen, der europäisch-kapitalistischen Gesellschaft,
die man, finde ich, aber gut,
das ist eine ganz eigene Diskussion, ich bin da mit gerade ein bisschen zugange,
die man, ohne jetzt irgendwie das rosig zu malen oder sonst was,
alles andere, aber die man sozusagen dieser jetzt völligen Fokussierung der
Kritik auf den europäischen Kolonialismus und speziell die schwarze Sklaverei
doch mal korrigierend oder relativierend entgegenstellen muss.
Jan Wetzel
Da kann ich vielleicht noch eine methodische Frage einschieben.
Wir hatten das jetzt bei der Frage nach der industriellen Revolution,
auch bei der Frage der Sklaverei.
Ich finde gerade in die Farbe Rot interessant, dass Sie ja einerseits die Geschichte
des Kommunismus durch die Ideen,
durch die zeitgenössischen Ideen erzählen, gleichzeitig aber natürlich auf der
anderen Ebene doch auch fragen, wie sehr war das angemessen,
sozusagen diese materialistische Ebene, die man heute anders sieht.
Deswegen war natürlich die wirtschaftsgeschichtliche, überhaupt die geschichtliche
Forschung viel weiter als in den letzten 20, 30 Jahren hat man das ja ganz anders
erforscht, hat auch belastbare Zahlen.
In welchem Verhältnis steht das beides? Versuchen Sie schon die Geschichte der
Ideen zu erzählen und gleichen das sozusagen ab, um zu sagen,
hier waren vielleicht die historischen Interpretationen falsch und das würde
man heute ansehen. Und hier haben Sie doch auch noch eine Gültigkeit.
Also wie gehen Sie da vor?
Gerd Koenen
Ich gehe erstmal grundsätzlich davon aus, dass schon das Sein,
das Bewusstsein bestimmt, plus, minus.
Das heißt, dass Ideen ihrer Zeit angehören,
oder auch Theorien, sprechen wir mal vielleicht eher von Theorien in diesem
Zusammenhang, Weltanschauungen im wörtlichen Sinne, ja, also wie man die Welt
wahrnimmt, da findet ein objektiver Prozess statt.
Also wenn wir jetzt mal bei dem Beispiel des Evolutionismus und der Sklaverei bleiben,
dann gibt es dieses moralische Element, es gibt dieses Ideen-Element,
also der Würde des Menschen,
das ist natürlich schon stark und mächtig, aber es gibt auch das ganz reale
Kalkül, dass Sie moderne Industrie mal ganz platt gesagt mit Sklaven nicht betreiben können.
Sklaverei ist teuer. Also es gibt auch das ganz nüchterne und sachliche Element
und es gibt Sachzwänge, es gibt einen evolutionären Druck.
Das ist ja eigentlich unser Problem, was wir mit dem Kapitalismus haben.
Der Kapitalismus aus sich heraus erzeugt eine Dynamik, die wir nicht kontrollieren.
Und das ist immer noch der richtige Kern der marxistischen Analyse.
Denn ich finde, alle unsere oft auch wirklich großartigen Erfindungen,
dass wir heute beispielsweise im Internet uns mit ein paar Suchwörtern das Wissen
dieser Welt zusammenholen können, verwandelt sich in einen Fluch, in eine Waffe gegen uns.
Wir beherrschen es nicht, sondern es beherrscht uns. Das ist der Entfremdungsbegriff,
der da zum Beispiel aufkam.
Also wir, die Menschen selber, schaffen uns eigentlich eine ungeheure Apparatur,
um hochproduktiv mit enorm viel Wissen und Kenntnissen ja, die Welt,
ja, uns nutzbar zu machen und dann kippt das ab.
Es kippt aber auch real ab. Ja, es kippt in Kriegen,
kippen die destruktiven Kräfte in,
also da, wo es sich gerade auch um Kriege der entwickelten Nationen,
das Urbild ist da, der Erste Weltkrieg, gegeneinander stattfinden und größte
Wettrüsten und so weiter.
Man traut sich nicht.
Heute haben wir ein neues Wettrüsten aus Gründen, über die man gesondert reden müsste.
Aber eben auch alles andere verwandelt sich eben in ein Unheil wie die ökologische
Katastrophe zum Beispiel,
die natürlich aus diesem ungeheuren Zwang fasst.
Also es geht ja nicht nur um Drang in einem Verfahren,
die Menschen wollen sich die Welt unterdrehen, sie wollen alles wissen,
sie wollen alles beherrschen, ja, auch, ja, aber für die kapitalistischen Konzerne,
das ist das Fatale, ja, ist es auch ein Zwang.
Denn sie können nur so funktionieren und sie schauen auf ihren Shareholder-Value und sonst etwas.
Und deshalb treiben sie diese Entwicklung eben in einer blinden Weise immer,
immer, immer weiter voran. Und wir hinken hinterher.
Das ist eigentlich die Grundsituation seit dem 19. Jahrhundert.
Leo Schwarz
Jetzt haben sie schon mehrfach auf Marx Bezug genommen natürlich und ihre ganze
Analyse ist ja natürlich auch sehr noch immer wie sie schon gesagt haben von Marx geprägt,
das merkt man auch sehr in ihrem Buch, da hat Marx wirklich eine absolute historische
Sonderstellung, sage ich fast.
Also selbst mit Blick auf die Frühsozialisten und auf die utopischen Romane der Neuzeit,
urteilen sie eigentlich durchweg eher kritisch,
mit wenigen Ausnahmen, dass es dort eben, ja, also eigentlich doch irgendwie
noch um ein rückwärtsgewandtes, ein retrogrades Denken gegangen ist.
Ein Denken, das irgendwie in einen zurück möchte. Und erst mit Marx ist wirklich
so ein Denken entstanden, das sozusagen ganz klar sagt, es gibt kein Zurück,
es geht nur nach vorne und man muss in dem, was jetzt ist, erkennen, wohin es geht.
So heruntergebrochen, sage ich mal. Vielleicht können Sie noch mal kurz auf
die Rolle, die Sonderrolle von Marx
eingehen. Und Sie sprechen ja auch vom marxischen Momentum in Ihrem Buch.
Gerd Koenen
Naja, das ist der Punkt, den ich aber vorhin schon versucht habe zu stellen.
Er erfasst etwas. Und zwar ganz analytisch.
Und zwar ganz unabhängig davon, dass er in seiner Jugend, hat er das natürlich
gemacht, in seinen Frühschriften, morgens jagen, abends fischen und noch später
am Abend philosophieren oder so.
Also Aufhebung dieses Zwangs der Arbeitsteilungen.
Wir müssen nicht immer unser ganzes Leben dasselbe, kann ich nur so aus dem
19. Jahrhundert, klingt ja heute auch fast schon lächerlich, aber...
Der Kern dessen, was er erfasst hat, ist eben das, was ich vorhin geschildert habe.
Das ganze Ding kann sich nur darum drehen, wir können Sozialismus oder nennen,
wie wir wollen, eine höher entwickelte Gesellschaft, wenn wir diese ganzen Potenziale,
die diese Gesellschaft entwickelt und bereithält,
wenn wir aus denen etwas Produktives, nicht Destruktives, nicht Vergiftendes
und nicht eigenen, blinden Zwängen Unterliegendes machen.
Das wird natürlich, in heutiger Zeit klingt das völlig vermessen und bei Marx,
da gibt es ja 1000 Dead Ends.
Ja, er sagt natürlich, das muss die Tat der am weitesten entwickelten Völker
gemeinsam sein, also dieses Internationalismuselement, die Arbeiter aller Länder und so weiter. Ja,
über die meisten Sackgassen des Denkens,
was zum Beispiel diese Übererwartung an diese neue industrielle Arbeiterklasse
angeht oder eben dieses internationale Zusammenwirken, die liegen alle offen
auf der Hand, das ist gar nicht dabei das Problem.
Das magische Momentum ist dieser analytische Grundgedanke.
Der sich eben nicht jetzt in,
ja, einfach Vorstellung einer schönen neuen Welt verliert,
der sich vor diesem Sog des Rhetoraden,
also des romantisch rückwärtsgewandten, was in fast allen Utopien jedenfalls
der damaligen Zeit enthalten war
und nebenbei gesagt in ganz vielen Science-Fiction-Geschichten heute auch.
Ja, man kommt immer wieder bei letztlich ganz archaischen Gesellschaftsvorstellungen
von einfachen glücklichen Leben oder sowas an Und also sich dem nicht zu überlassen,
sondern irgendwie zu versuchen, aus diesem Gang der Geschichte und der Entwicklung,
an dem wir drangeschnallt sind, in dem wir selber drinstecken und den ja wir,
jetzt mal Milliarden Menschen, mit unseren Eigenkräften produzieren,
also den irgendwie zu beherrschen.
Der Begriff Utopia, nur um das mal zu sagen,
weshalb ich gegenüber diesem Begriff auch so, heißt ja ein Nicht-Ort,
ein Un-Ort, ein Ort außerhalb der Welt und der Begriff kommt auf in einer Zeit, in der gerade.
Ja, zeitaltere Entdeckung, sagt man, man kann es nennen wie man will,
die erste Phase der Globalisierung, ja, da will man sich rausnehmen aus der Welt.
Man will eine stillgestellte Welt, man will eine auf Ewigkeit gestellte Welt.
Das ist übrigens eine sehr hierarchische Welt. Ja, da frage ich mich übrigens,
wer will da wirklich leben?
Ja, also wenn Sie diese Utopien mal durch, alle Städte sehen gleich aus,
ja, Alle tun fröhlich irgendwie zusammenwirken, aber es gibt eine Hierarchie,
einen guten Monarchen von Ewigkeit zur Ewigkeit.
Naja, das ist eigentlich der Wunsch, stop the world and get me out. Ja, das nützt uns ja nix.
Ich habe ja gar nichts dagegen, aber andere utopische Sozialisten,
übrigens wie Saint-Simon und so, ja, der Sozialist war, könnte man sich sehr drüber streiten.
Der hat dann gerade das in Richtung eines Geo-Engineering, also alle diese tollen
Panama-Kanäle und Suez-Kanäle und große Industrie, aber was braucht er dafür?
Da braucht er eine Elite der Aufgeklärten, die sollen in Zukunft die Geschicke
der Menschheit leiten, so einen Areopark der Höchstgebildeten und so.
Das ist natürlich auch eine sehr illusorische Feststellung, weil wir kommen
ja aus dem Kuddelmuddel in dem wir nochmal stecken, nicht daraus.
Leo Schwarz
Auf eine der von Ihnen erwähnten Sackgassen von Marx würde ich gerne noch mal eingehen.
Auf das Proletariat, das bei Marx natürlich eine ganz entscheidende Rolle spielt,
auch wenn man da natürlich Unterschiedliches bei empfindet und auch Differenziertes.
In Ihrem Buch schreiben Sie ja, dass wenn man sozialstatistisch und auch auf
die Lebenswirklichkeit der Menschen im 19.
Jahrhundert blickt, wirklich schwierig ist, von einem Proletariat in irgendeinem
einheitlichen Sinne zu sprechen.
Wenn man jetzt vielleicht von der Lohnabhängigkeit mal absieht,
löst sich das, wenn man das jetzt einfach als eine Ausbreitung einer Bevölkerungsgruppe
sieht, die lohnabhängig wird?
Oder ist es eher doch so, dass man das Proletariat als Konzept und Wirklichkeit
eher als eine kulturelle Konstruktionsleistung des 19.
Jahrhunderts, der sozialistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts begreifen muss?
Gerd Koenen
Ja, es ist erstmal eine philosophische Idee, das ist ganz klar.
Er sucht einen Ankerpunkt in der Wirklichkeit, von dem dieses transzendierende
Element ausgehen könnte.
Und da kommt er auf die ja auch unter seinen Augen, obwohl erst den ersten Ansätzen
sich bewegen, sich konstituierende Arbeiterbewegung.
Die gab es ja, die hat sich auch selbst so bezeichnet. Die schaute natürlich ganz auf...
Industriestädte, obwohl die, die eigentlich diese Bewegungen bildeten,
erstmal Handwerksgesellen hauptsächlich waren. Ja, ganz viele waren in Hausindustrien,
würden wir sagen, also vor modernen Industrien beschäftigt.
Aber auf den Weltausstellungen, da konzentriert sich das ja ein bisschen.
Also die Sozialistische Internationale
konstituiert sich 1889 am Rande der Weltausstellung in Berlin.
Ja, da sieht man diese großen Hallen, das schwebt diesen Menschen auch sehr
stark als eine leuchtende Vorstellung,
in der sie selber, das ist ja das vielleicht Wesentliche, ein entscheidendes Element sind.
Also es geht auch gegen Arbeit und Kapital.
Es geht um eine Besitzbourgeoisie und ein ausgeschlossenes,
eigentlich noch ursprünglich von aller Politik und aller gesellschaftlichen
Teilhabe, ausgeschlossene Masse von Arbeitenden.
Ja, so ungefähr kann man das beschreiben.
Diese Arbeitenden stellen sich dann allerdings, das war dann schon ein Problem
der dann real entstehenden sozialistischen Parteien, die stellen sich sehr unterschiedlich dar.
Viele sind noch in der Landwirtschaft, ja, zählen die nun dazu oder nicht, ja?
Viele sind in Hausindustrien und Kleinindustrien, in Familienbetrieben,
zählen die dazu oder nicht?
Was ist mit den Kaufmannsgehilfen, den Büroleuten, also das differenziert sich dann.
Das ist das Problem, was die Sozialdemokratie dann um 1900 hatte,
ja, das Proletariat in diesem archätypischen Sinne existiert so nicht.
Und dann die Frauen zum Beispiel, ja, das ist ein...
Ein elementares Anliegen dieser sozialistischen Bewegung, aber die Frauen haben
ja noch kein Wahlrecht und man kann für das Wahlrecht eintreten,
aber sie befinden sich in dieser insubordinierten Stellung.
Immerhin das große Buch der deutschen
Sozialdemokratie ist die Frauten der Sozialismus von August Bebel.
Und da werden, also es ist ein sehr schönes Buch,
ich finde, ein bisschen patriarchalisch, altväterlich, kann man alles begritteln
und irgendwie auch ganz gemütlich, in dem Sinne, dass er alle Lebensfragen damit ins Spiel bringt.
Von der Kindererziehung, von der Ernährung, vom gesunden Leben,
von dem Leben mit der Natur und so weiter. Und die Frauen stehen im Zentrum davon.
Ja, das ist in dem Sinne hart, diese sozialistische Bewegung,
und zwar gerade auch die marxistisch geprägten, da ist die deutsche Sozialdemokratie
die größte, das Mutterschiff dieses europäischen Sozialismus,
vor 1914 gewesen, haben sie die Gesellschaften eingreifend verändert.
Die Konservativen hätten das nicht getan. Die Klerikalen, die gab es ja auch,
die hätten es auch so nicht getan. Und die Liberalen aus sich heraus auch nicht.
Also zur Bildung einer modernen Gesellschaft haben diese marxistisch geprägten
europäischen Sozialisten ganz entscheidend beigetragen.
Und dann kommt aber wirklich der große Bruch und da sind wir beim Kommunismus des 20.
Jahrhunderts, nämlich der Weltkrieg, in dem gerade diese entwickeltsten europäischen
Staaten spontan aufeinanderprallen und alle Produktivkräfte sich jedenfalls
für einen historischen Moment vor allem in Destruktivkräfte verwandeln,
wie man sie so noch nie gesehen hat, was natürlich indirekt auch heißt,
dass sie eine ungeheure Potentialität hatten.
Das waren Industriegesellschaften, die da aufeinanderbrachen.
Das ist das Erschütternde dieses Ersten Weltkriegs gewesen und in dem Sinne
ist es auch ganz richtig,
das die Seminal Catastrophe of the 20th Century zu nennen, was ja sowas heißt
wie die Gründung, die Ursprungs- oder die Gründungskatastrophe geradezu des 20. Jahrhunderts.
Jan Wetzel
Bevor wir dazu kommen, hätte ich noch eine allgemeine Frage zum 19.
Jahrhundert, oder was in dem Buch mir auch noch mal sehr bewusst geworden ist
und was man, glaube ich, überlagert eben vom 20. Jahrhundert und dann in den
Geschichtsphilosophien des 20.
Jahrhundert, sieht, ist diese große Unentschiedenheit. Also Sie sagen auch, in der Mitte des 19.
Jahrhunderts war das eigentlich auch egal von der politischen Richtung.
Es war eigentlich unter allen Gruppen relativ unklar, wie weit kann das überhaupt
gehen mit dem Kapitalismus? Funktioniert das denn als Gesellschaftsmodell?
Gerd Koenen
Ja, ich meine, es gab um 1900, spricht man ja vom Kulturpessimismus, ja.
Also man muss sagen, die Sozialisten sind ja so ungefähr die einzigen Optimisten
neben ein paar Liberalen in diesem ganzen gesellschaftlichen Kontext.
Also die Angst davor, was diese dort entfesselte Dynamik mit den Gesellschaften
macht, die durchzieht alle Kreise der Gesellschaft, alle Intelligenz.
Alles ist schon am Vorabend des Ersten Weltkriegs auch in ein apokalyptisches Licht getaucht.
Das kennen wir ja aus der Literatur oder Kunst.
Also sich vorzustellen, dass man in diesem Modus,
der da entstanden ist, überhaupt in Zukunft würde leben können,
war schon eher selten und letztlich fast das Privileg von Sozialisten europäischen Typs,
die deutschen Sozialdemokraten da ziemlich voran, oder auch eben Liberalen.
Aber die Liberalen zum Beispiel, Teile der Sozialisten im Übrigen auch,
verknüpfen dann ihre Zukunftserwartungen,
die relativ lichten Zukunftserwartungen irgendwie doch mit dem Schicksal ihrer Staaten,
Also gegen den düsteren Zarismus, gegen den französischen Militarismus,
ja, und Revanchismus, was weiß ich.
Also sie binden ihr Vorankommen an die, ja, an den Kriegswagen,
muss man sozusagen, dieser konkurrierenden Mächte.
Und das ist dann 1914 das Moment ihrer Hilflosigkeit,
was die Mehrheitssozialdemokratie angeht oder aber auch ihrer eigenen Verantwortlichkeit
und Deprivation, was zum Beispiel die Liberalen angeht.
Die sind ganz entscheidende Kriegstreiber auf allen Seiten.
1918, dann 1718, haben Sie dann auf der einen Seite wieder die Sozialdemokraten,
die Konkursverwalter sind, die das in der redlichsten Weise versuchen zu sein.
Und dann entstehen die faschistischen Bewegungen mitten im Krieg.
Muss man auch sehen. Also Mussolini kommt ja ganz aus der Kriegserfahrung,
der Schützenkramerfahrung, und es entstehen diese von Lenin geprägten neuen
kommunistischen Bewegungen.
Da sind wir eigentlich erst beim Begriff des Kommunismus im 20. Jahrhundert.
Leo Schwarz
Sie schreiben, dass da wirklich tatsächlich was ganz vollkommen anderes entsteht.
Eine geistige und politische Mutation, schreiben Sie auch in der Linie des sozialistischen Denkens.
Auch ganz neue, also nicht ganz neue Typen, aber schon auch so mit berufsrevolutionären
Persönlichkeiten Und auch mit der speziellen Konstellation des Zarenreiches,
wirklich komplett neuartige Phänomene.
Was ist das für eine Situation und was sind das für Leute, die da entstehen,
die auch mit so einem ruchlosen, realpolitischen Instinkt ausgestattet sind?
Und ja tatsächlich auch zu den wenigen gehören,
die dann tatsächlich zum Guten wie zum Schlechten, vor allem zum Schlechten
vermutlich, historisch erfolgreich werden in der Machtergreifung im stärksten Sinne.
Gerd Koenen
Ja, naja, gut. Das Ungeheure ist erstmal, dass Lenin im Moment des Kriegsausbruchs,
der ihn übrigens völlig überrascht, dort an der Grenze, wie ihn ja auch die Revolution von 1904,
1905 überrumpelt hat, also er, der unermüdliche Berufsrevolutionär,
war dann immer doch von den großen Wendungen der Geschichte letztlich überrascht.
Also das Ungeheure war, dass er diesem Weltkrieg auf seine Weise sogar entgegenfieberte.
Ja, also er gibt so Briefe, wo er sagt,
also ob der österreichische Kaiser uns den Gefallen tut und den russischen Zaren
mal in einen Krieg zwingt oder so, ja, dann kommt unsere Stunde.
Wissen wir nicht, ist etwas pessimistisch, aber dann ist es doch soweit, ja.
Und dann dreht er sich ja gegen diesen ganzen,
also gut, gegen die, die sich dann irgendwie unter die Fahnen ihres Landes stellen,
ja, das sind die Sozialchauvinisten, aber er dreht sich auch gegen alle Sozialpazifisten, ja.
Also die sagen die Waffen nieder, also wir müssen uns, stopp,
stopp, stopp, wir müssen zurück, sagt, nein, gibt kein Zurück,
vorwärts, das ist unsere Stunde, ja.
Und er hat ja Recht, dieser Weltkrieg ist eine Weltrevolution in einem objektiven Sinne.
Denn indem auch diese großen, ja durchweg, nehmen Sie mal die europäischen Länder insbesondere,
eben als Reiche und Imperien, Kolonialimperien oder traditionelle Imperien,
verfassten Staaten aufeinandertreffen, zerbricht ja dieses ganze Weltsystem.
Es zerbricht, das Österreich bricht zusammen, das deutsche Kaiserreich wird
zusammen rückgestutzt aus seinen Wildmachträumen, das Osmanische Reich bricht
zusammen, das Zarenreich bricht auch zunächst zusammen.
Und dann ist es eben dieser Instinkt von Lenin,
der sagt, genau in diesem Zusammenbruch können wir,
und zwar nicht wir als große Massenorganisationen, die sind es ja nicht,
sondern gerade wir als eine Kaderorganisation von Berufsrevolutionären,
ja, dann kommt unsere Stunde. In dem Sinne.
Hat er den Instinkt, dass alle Karten neu gemischt werden und dass daraus ein
Weltumsturz hervorgeht, der auch ganz neues Terrain öffnet.
Beiner hätte das im Übrigen wieder verpasst, dass in Russland eben doch eine
große Revolution ausbricht, die mag er ja auch gar nicht.
Also die große russische Revolution, die der von 1945 gleicht,
nämlich 1916-17 in Petersburg, die Februarrevolution, wie sie genannt wird,
ja, die große Volksrevolution.
Daran sind die Bolschewiki nicht nur nicht beteiligt, er hasst sie auch eigentlich
von vornherein, ja, denn es ist eine demokratisch-republikanische,
im Kern auch bürgerlich-soziale Revolution, ja.
Er stellt sich sofort gegen diese demokratische Republik.
Und da der Krieg weitergeht, da Russland aus dem Krieg nicht rauskommt,
weil Deutschland keinen Frieden macht und auch die Alliierten es nicht aus dem Krieg
entlassen, ist dann der Zusammenbruch dieses Reiches im Jahr 1917 seine Stunde,
so eine Art Stunde Null, in der es genügt, mit 6.000, 7.000.
Bewaffneten im Zentrum der Macht, diese Macht in die Hände zu nehmen,
weil niemand mehr da ist, der die neu sich konstituierende demokratische Macht wirklich verteidigt.
Und oder so finden ja sogar noch Wahlen statt. Es findet eine Konstituante statt.
Im Januar 1918 wird eine äußerst fortschrittliche Verfassung von einer erstmals
demokratisch gewählten Mehrheit gebildet.
Aber Lenin ist in der Lage, sie mit seinen Matrosen auseinander zu jagen und
den Bürgerkrieg sogar sehenden Auges zu entfachen.
Und in diesem Bürgerkrieg, im Feuer dieses Bürgerkriegs, bildet er eigentlich
überhaupt erst die neue Erntetruppe seiner neuen Macht.
Und etwas kategorisch Neues ist es eben auch darin, dass diese Macht ja unmittelbar,
diese Partei, also der Begriff Kaderpartei ist schon ein militärischer Begriff.
Kader ist ein militärischer Begriff, also eindeutig auch selber in sich nach Befehl und Gehorsam.
Es wird viel diskutiert und so, das schon, aber es muss sich jeder der Partei
Disziplin unterordnen.
Und der Radius der Fragen, die überhaupt erordert werden dürfen,
wird ja strikt immer enger gestellt.
Und diese Partei ist eigentlich nur der Kopf und das formative Element einer
Armee, die aufgestellt wird, plus einem Geheimdienst, also lauter Zwangsorgane.
Und so muss es auch sein.
Terror schreibt Lenin noch 1922 in die neue Verfassung, die alle möglichen ehrenziele verkündet.
Aber Terror wird ein dauerndes Element und muss ein dauerndes Element unserer Politik.
Das heißt, den Begriff der proletarischen Diktatur, den Marx ganz naja,
weitführen und man braucht da auch keine Mohrenwäsche tun,
aber nur in der Situation von 1848 und so als eine Gedankenkonstruktion einer
Übergangsphase gedacht hat, aber gewitzt nicht als Parteidiktatur.
Die Partei gab es ja auch gar nicht.
Das wird zum eigentlichen Kern, sagt ja Lenin gegen Kautzki,
den eigentlichen großen Marxisten noch der Zeit, der Vorkriegszeit.
Das ist der Kern des Sozialismus. Das ist der Kern dessen, wo wir hinwollen. Und wo wollen Sie hin?
Ich habe das ja auch einen Marsch in einem Niemandsland bezeichnet.
Er beschreibt das ja in napoleonischen Kategorien, also en sauvage et puis en
bras. Man wirft sich in die Schlacht und dann muss man weitersehen.
Irgendwo ist da der helle Horizont. Wir sind sowieso die, die das Wissen der
Geschichte und wo es im Prinzip hingehen muss, irgendwie in unseren Köpfen haben,
in unseren Superhirnen.
Lenins Hirn wird ja nachher als Superhirn dann auch noch historisch,
also materialistisch, seziert.
Und ja, da sind die Genialitätsfaktoren in Lenins Hirn, finden dann auch noch
die Ärzte nach seinem Tod. Ist ja alles sehr gruselig.
Da sind wir wieder in ganz archaischen Dingen, wo diese eine Pyramide eingeschreite
Mensch jetzt überhaupt die Menschheit neu erschaffen hat, so ungefähr.
Ja, da kommen wir ganz bei utopisch-religiösen oder sonstigen Dingen raus,
aber der harte Kern der Sache ist dieser.
Eroberungszug von den Zentren in die Peripherie und soweit die Füße tragen.
Theoretisch hätte die Weltrevolution in einem großen Militärzug bis Indien oder
sonst wo stattfinden sollen. Trotzki und andere haben ja auch davon geträumt.
Also das ist wirklich die Neukonzeptionierung dessen,
was aus einem marxistisch-sozialistischen, Aber ich würde auch im Übrigen sehr
stark sagen, sozialdarwinistischen Theoriefundus heraus kristallisiert worden ist.
Und das steht im schärfsten Gegensatz, im schärfsten Gegensatz.
Das ist eigentlich die tiefste Gegnerschaft zu den demokratischen Sozialisten des Westens,
die Sozialverräter sind, die Spalter der Arbeiterklasse sind und die dann sogar
zu Sozialfaschisten in der kommunistischen Rhetorik werden.
Diese Spaltung von Kommunisten und Sozialdemokraten in diesem Moment ab Kriegsausbruch
zwischen einem Kriegskommunismus,
so könnte man sagen, und einem zivilen Sozialismus, das ist eigentlich die welthistorische
Spaltung der Stunde, die dann einen großen Teil des 20.
Jahrhunderts tatsächlich bestimmt und definiert hat.
Leo Schwarz
Zwei der vielleicht bezeichnendsten merkmale dieses neuen kommunismus dieses
von lenin ausgehenden dieser von lenin ausgehenden bewegung Ist einerseits so lese ich das bei ihnen.
Eine intellektuelle Verengung auch irgendwie, also eine Aufgabe des Pluralismus,
der den Marxismus bis dahin ausgezeichnet hat. Sie schreiben auch von einem
systematischen Ignorantentum an der Spitze dieser Regime.
Also eine irgendwie bei paradoxerweise gleichzeitig eine dem anspruch ultimative
einsicht in die gesetze der welt weltbewegung sozusagen bei gleichzeitiger immer
weitere aufgabe jeder jeder jeder
des ganzen sensoriums der der intellektuellen aufnahme und wahrnehmungskraft
und das andere moment was ich bei ihnen lese ist eben irgendwie auch immer eine
eine interne getriebenheit auch also nicht nur eine sozusagen,
imperiale bewegung nach außen sondern auch eine in den zentren der macht befindliche dynamik der,
des getrieben seins des einer flucht nach vorne schreiben sie auch sind das
so die also verbindet sich das irgendwie so in dieser dynamik habe ich das richtig
beschrieben und wiedergegeben vielleicht können sie das noch mal ausführen also wie diese
diese intellektuelle erstarrung und gleichzeitige innere dynamisierung auch
in diesem machtkreis sich dargestellt hat ja ich nehme das gar nicht mal als.
Gerd Koenen
Sozusagen von Haus aus zugehörige Grundeigenschaften dieser Leute,
um die es da zunächst mal geht, dieses formativen Kerns.
Das waren erst mal teilweise noch relativ weltläufige, hochgebildete Leute.
Es war ja eine intellektuelle Elite erst mal, die das Ganze,
und die wussten schon sehr viel, und sie haben auch in den 20er Jahren noch vergleichsweise, ja.
Anspruchsvolle Diskussionen geführt über die neue sozialistische Ökonomie und
wie man nun eigentlich mit all dem, was man davor findet, umgeht und so weiter und so weiter.
Psychologie, Soziologie, das ist ja alles noch im Pott. Aber wenn es unter dem Primat steht,
erstens der Partei-Disziplin, zweitens dessen,
dass es eben ein für allemal einen Kanon von richtigen und falschen Ideen gibt oder Theorien,
ja, dann, das ist darin angelegt,
in dieser Hybris des Weltwissens,
ja, und der Optipotenz, dass man dann natürlich diesen Spielraum immer mehr
verengt und dass auch dieser künstlerische Ausbruch zum Beispiel der 20er Jahre,
der sich ja gerade aus dem sich
öffnenden, leeren Raum, ja, man hatte unheimlich viel Platz scheinbar.
Also auf dieser Travula rasa konnte man dann ganz fantastische Gebilde,
aber diese Utopisten der 20er Jahre, die werden ja alle in den 30er Jahren dann
eingestampft oder stürzen,
wie ich gesagt habe, wie Icarus mit brennenden Flügeln vom Himmel und da gehören
sie dann auch hin in die Siele der Erschießungskeller oder sonst etwas oder in die Hinterzimmer.
Also das ist schon mal die eine Grundbewegung.
Aber das fast Fatale ist ja, dass die Kommunisten,
weil sie eben das für sich in
Anspruch nehmen und weil sie sich so als Schöpfer einer neuen Welt sehen,
es auch fast so tun müssen, weil sie müssen ja überhaupt ihr Subjekt.
Sie nennen es Arbeiterklasse, aber das ist ja im Grunde eine aus allen Schichten
der Gesellschaft zusammengeholtes,
vor allem aus dem jugendlichen Material der Gesellschaft heraus,
entwickeltes, zusammengeschweißtes, indoktriniertes, neues Subjekt,
die Partei oder die Nomenklatura, wie Sie es nennen wollen.
Ja, es ist eine Gesellschaft in der Gesellschaft.
Das ist ja, was sich hier ausbildet. Und die muss man formatieren.
Ja, die muss man, also heute würden wir sagen, formatieren. Ja,
mit einem Betriebssystem versehen und die Dinge einspeichern,
aber alle Fäden zur Welt draußen abkappen.
Ja, das ist auch das Eigentümliche.
Und das sind ja auch die Figuren der Führer dann. Lenin, okay,
war noch da draußen in der Welt, weil er auch Emigrant war, aber er hat sich
übrigens immer nur für Russland interessiert, also von Paris oder London,
aber hat er nicht viel mitbekommen.
Mao ist aus China kaum rausgekommen, Stalin auch kaum.
Also die sind alle eigentlich sehr stark in ihre Welten eingeschlossene Leute.
Und das gilt für dann diesen ganzen neuen Kaderstamm.
Also eine große Unbekanntheit mit der Welt da draußen. Und da ja alle möglichen neuen Ideen des 20.
Jahrhunderts als bürgerliches Denken verfehlt sind und jemand,
der sie, sagen wir mal, Gen-Theorien oder sowas in der stalinistischen Sowjetunion versucht,
sogar ganz ingenieus zu entwickeln, ja, der kann dann eben im Lager oder auch
im Erschießungskiller landen, weil er ist ist jemand, der das gesunde Denken
unserer proletarischen Massen versorgt.
Und dann gibt es noch das Geheimnis der Selbstzerfleischung der Kommunisten.
Das muss man sagen, ist ein Kriterium oder ein Merkmal,
dass alle diese kommunistischen Parteien, die zur Macht drängen oder an der
Macht gewesen sind oder daran gekommen sind, auch gegenüber zum Beispiel den
faschistischen Bewegungen ausgezeichnet hat.
Also Hitler wäre nicht so schnell auf die Idee gekommen, dass Bormann schon
seit 1918 ein Agent der Briten ist oder so.
Ja, also die innere Kohorte,
sowohl bei Mussolini wie bei den Nazis, bis auf den Röhrenputsch,
aber das war tatsächlich ein Machtanspruch der SA, hat sich nicht zerfleischt,
nicht in dieser paranoiden Weise.
Jetzt kann ich sagen, ja, das ist eben die Paranoia von Stalin oder von Mao
oder so, aber was drückt, oder von Ceaușescu oder was weiß ich,
da können Sie dann fast alle nehmen, aber was drückt diese Paranoia aus?
Sie drückt eben aus, dass man in einer inneren Welt lebt, in der erstens alles
von personalen Beziehungen und Loyalitäten abhängt.
Ja, man braucht eine Machtkohorte und Verrat oder Unzuverlässigkeit oder vielleicht
auch irgendeine eigene Machtambition ist da tödlich gefährlich.
Es sind ja Führerbewegungen.
Also die kommunistischen Bewegungen werden ja alle Führerbewegungen.
An diesem Führer hängen sie alle und zwar auch strukturell, weil nur in diesem
Führer symbolisiert sich, verkörpert sich buchstäblich die Macht der Partei.
Dann hat der Führer aber auch über die Parteimacht und ist voller Misstrauen,
was da um ihn herum passiert.
Aber dieses Misstrauen wird richtig paranoid da,
wo die gesellschaftliche Basis eigentlich völlig schwankend ist,
wo man sich völlig eingeebnet hat, wo man sich auf keine festen Strukturen stützen
und verlassen kann, denn die hat man ja alle eingeebnet.
Dann hat man noch sowas wie das Militär in der Sowjetunion. Ja,
da muss auch das Militär zerschlagen werden.
Tukhachevsky Prozess. Also alle Strukturen sind eigentlich, man muss sie ständig
neu schaffen, aber sie sind auch verdächtig. Also ständiger Personalwechsel.
Man hat sogar von Blutaustausch im großen Terror gesprochen.
Ja, also ins Militär, in den Geheimdienst, in das Industrieministerium,
lauter junge Leute, fast von der Universität weg.
Das sind jetzt Stalins Leute, ja, und die anderen weg damit.
Dann kommt auch noch der wölfische Aufstiegshunger dieser jungen,
wird Vizenzen nannte man, dieser Aufsteiger in der Sowjetunion,
die selber die denunziert hatten, auf deren Plätze sie wollten.
Dann wird das Ganze ein halbes Irrenhaus schon in der Stalin-Zeit.
Und man kann sich eher fragen, wie es überhaupt funktioniert hat.
Es hat auch nicht funktioniert.
Aber dann kommt Hitler und dann kommt der Zweite Weltkrieg.
Und dann kommen die faschistischen Angriffe, die faschistischen Weltreichsgründungsversuche,
und die sind es, die eigentlich in deren Spuren dann die zweite Welle dieser
kommunistischen Neugründungen und einer kommunistischen Weltbewegung entsteht,
wenn ich jetzt mal etwas vorgreife.
Schon wieder ist es ein zweiter.
Weltkrieg, der die eigentliche Entwicklungsbasis schafft, die Voraussetzung,
damit wieder relativ kleine kommunistische Parteien jetzt zum Teil an der Spitze
nationaler Befreiungsbewegung oder antifaschistischer Widerstandsbewegung dann
tatsächlich im Krieg oder nach dem Krieg nach der Macht greifen können.
Plus die nach Berlin vordringende Rote Armee. Das ist natürlich das Entscheidende.
Und die bis in die Manchurei vordringende Rote Armee.
Das schafft von vornherein eine ungeheure eurasische Machtspanne,
die es ja so vorher nie gegeben hatte.
Es entsteht also der Umriss eines Superimperiums, muss man fast sagen,
in Gestalt dieser Sowjetunion.
Jan Wetzel
Wenn man jetzt nochmal auf den Autoritarismus und auf die Theorien Lenins und
der Parteitheorien blickt, wie würde man das sozusagen mit dem 19.
Jahrhundert im Hintergrund sehen? sind da doch Elemente, die eine gewisse Konsequenz
auch einer bestimmten Seite der kommunistischen Ideen des 19.
Jahrhunderts dann weitertragen.
Man kann sicherlich nicht sagen, das war alles angelegt. Das wäre,
glaube ich, falsch, weil das dann doch die historische Koinzidenz natürlich ist.
Aber ist es sozusagen eine vollständige Abkehr von dem, was im 19.
Jahrhundert da war, sozusagen eine bloße instrumentelle Umdeutung?
Wie würde man das beschreiben?
Gerd Koenen
Erstes Mal würde ich gar nicht so sehr von Theorien sprechen,
gab es natürlich auch, aber ich würde von Doktrinen sprechen.
Das sind Doktrinen eigentlich.
Und diese Doktrinen sind ein Mix.
Ich habe vorhin schon, natürlich gibt es diesen Fundus des klassischen Sozialismus
und Marxismus, aber Lenin fügt ganz eigene neue Doktrinen hinzu und die werden eigentlich wichtig.
Also der Marxist, der Leninismus ist schon, und er enthält ganz viele Elemente,
zum Beispiel würde ich sagen, eines Sozialdarwinismus, also auch andere Einflüsse aus dem 19.
Jahrhundert heraus spielen eine Rolle. Es ist ein neuer Mix.
Und dann kommen auch noch mal neue Einflüsse im Stalinismus.
Der Stalinismus kreiert ja eigentlich den Marxismus-Leninismus,
ML, Diamant, Pistomat und so weiter.
Das ist eine Schöpfung der Stalin-Ära, Mao Zedong kreiert den Kontext eines
sinisierten Marxismus,
wie er das nennt, oder richtiger gesagt der Mao Zedong-Ideen,
ein ganz eigener Gedankenkosmos und Kosmos von Doktrinen.
Das ist ein neuer Mix, aber das sollte uns auch nicht überraschen,
weil die parallel entstehenden faschistischen Bewegungen sind zum Beispiel auch so ein neuer Mix.
Ja, da können Sie natürlich so wie Ernst Nollte das in seinem Faschismusbuch
am Anfang mal gemacht hat bis jetzt ins 19.
Jahrhundert, wo, was weiß ich, der Action Francaise und so weiter gehen.
Aber Mussolini zum Beispiel kommt ja von der äußersten Linken, von den Syndikalisten,
nimmt dann alle möglichen Elemente einer Weltkriegsschützengraben- Ideologie
auf, dass das der Kern der neuen Männer, der neuen Männer ist,
die das neue Regime bilden werden und macht einen neuen Mix.
Hitler macht wieder einen neuen Mix aus alten völkischen Antisemitismus und
allen möglichen Dingen, die in der Zeit liegen.
Also diese Dinge werden dort immer eingebacken und eingeschmolzen und insofern
entsteht da ein neuer Mix, aber und der wird kodifiziert.
Und dann ist das eben der harte Kern der Indoktrination, natürlich auch der
Selbstlegitimation und der Ausstrahlung. Das muss man eben sagen.
Anders als die faschistische Bewegung, die ja sehr auf sich selbst konzentriert waren,
wir sind die größten, Italien, Deutschland, wir sind überhaupt die größten,
Japan und so weiter, die haben vielleicht Leute, die taktischerweise da auch
an ihren Projekten mitwirken.
Aber sie haben in dem Sinne können sie fast keine Ausstrahlung über sich hinaus, im genügenden Sinne.
Da waren die kommunistischen Bewegungen anders insofern,
als sie natürlich auch immer diese humanistische Selbstberufung hatten,
ja, zum Höchsten der Menschheit, ein Porno gestrebt und so weiter und ach,
das internationale Proletariat und die verdammten dieser Erde und so weiter,
das war propagandistisch machtvoll. Es war aber auch.
Die in der Stalin-Ära geschaffene Matrix einer sozial-ökonomischen Entwicklung so ganz von unten her,
aus der Rohmasse des Volkes, mit bloßen Händen schafft man die Grundlagenindustrien
und dann schafft man die Konsumindustrien und dann schafft man die großen Verbindungswege und so weiter.
Das war ein bestimmtes Entwicklungsmodell. Das schien auch tatsächlich in Teilen
der dann entstehenden dritten Welt zum Beispiel anschlussfähig.
Leo Schwarz
Sie beschreiben ja den Kommunismus des 20.
Jahrhunderts als eine Art Sequenz, wenn ich Sie da richtig in Erinnerung habe.
Das heißt also, dass bestimmte Ereignisse und Entwicklungen gewissermaßen notwendige
Bedingungen sind für die nächsten Schritte.
Und in diesem Sinne meinen sie, kann man auch von einer kommunistischen Weltbewegung
vielleicht wirklich reden?
In dem Sinne, dass es Mao nicht gegeben hätte ohne Lenin beispielsweise und
dass es die weiteren sozusagen in der ganzen zweiten Phase der kommunistischen
Staatenbildungen so nicht gegeben hätte ohne den Leninismus.
Es entsteht da dann nochmal, also sicherlich, es sind grundverschiedene Länder,
es sind verschiedene kulturelle und soziologische, demografische Situationen
in diesen verschiedenen Ländern.
Aber sind auch diese Regime, überwiegt die Verwandtheit innerhalb dieser Regime
mit Blick auf Paranoia, auf Massengewalt, auf einen brutalen,
rücksichtslosen gesellschaftlichen Gestaltungswillen?
Oder gibt es auch, sagen wir mal, ein Spektrum von kommunistischen oder auch
dann sozialistischen Ländern wieder, die man dann nochmal in einem ganz anderen Licht sehen müsste?
Gerd Koenen
Naja, also erstens mal nicht der Kommunismus siegt dort und da und da,
sondern es sind ganz bestimmte Länder in ganz bestimmten Situationen,
hängt mit Weltkriegen zusammen.
Es sind die beiden großen kollabierenden Vielvölkerreiche, das russländische
und das chinesische Reich, in denen dann Kommunisten zur Macht kommen.
Teilweise haben sie auch, nehmen sie Ho Chi Minh, selber Reichsgründungspläne.
Ho Chi Minh will ein Indochina schaffen. Tito will eine Sowjetunion des Balkans schaffen.
Ja, also sie haben alle so ihre Projekte, die aus einem ganz bestimmten nationalen
oder kulturellen Kontext heraus entstehen.
Wenn ich sage.
Ohne die Sowjetunion hätte es diese Volksrepublik China nicht gegeben und ohne
die Volksrepublik China hätte es noch andere Gründungen in Asien so nicht gegeben.
Dann ist das tatsächlich so eine historisch sich vorzeugende Geschichte von
Bedingungen ganz machtmäßiger Art.
Also tatsächlich musste dieser große der historische Sieg der Sowjetunion passieren,
damit sich diese sozialistische Weltlager und die Vorallchina konstituieren konnten.
Dass die sich dann wieder völlig auseinanderdividiert haben,
ist dann die nächste Geschichte.
Man müsste eines noch sagen. Ich habe gesagt, die Sowjetunion liefert eine Art
Matrix für einen scheinbar nicht kapitalistischen Entwicklungsweg.
Also so in Abschwächung übernehmen ja auch Führer der dritten Welt,
die nicht keine Kommunisten sind, teilweise das, NASA oder können sie nennen,
wenn sie wollen, hat eine gewisse Attraktivität.
Was die Kommunisten angeht, ist aber auch noch etwas anderes,
nämlich diese kommunistische Internationale, die ja dann 43 aufgelöst wird an
sich, dann werden sie alle in ihre Länder entlassen und sie alle sollen auch
die Gefahren ihrer nationalen Unabhängigkeit erheben.
Ein sehr kluger Schachzug insofern, als erstens diese alte Internationale nie
große Erfolge erzielt hat. Also es ist eine einzige Geschichte von Opfergängen.
Sie ist Stalin hoch verdächtig geworden. Also er rottet ja im Grunde die sich
dann in Moskau versammeln oder so reihenweise aus.
Ja, also Stalin zerschlägt ja eigentlich schon diese Internationalen.
Aber in diesem Fegefeuer, also auch der inneren Säuberung, entsteht ein Personenkern,
aus dem die ganzen künftigen Führer hervorgehen.
Tito, Ho Chi Minh und so weiter. Oder auch an Moskauer Akademien für die Studenten
an den Hochschulen, eben der internationale.
Also ich sage, in diesem Kriegefeuer dieser eigentlich gescheiterten Kommunistinternationale
entsteht ein Kern von harten neuen Gründern von neuen kommunistischen Parteien
oder auch Befreiungsbewegungen,
die dann auch die neuen Staatsgründer werden, dieser neuen neuen kommunistischen Weltbewegung.
Als kommunistische Weltbewegung stellt sie sich fast nur in diesem kurzen Moment
nach 1949, Anfang der 50er Jahre, dar und dann fangen ganz früh eben schon die Zerwürfnisse an.
Also Rivalitäten auch einfach zwischen China und der Sowjetunion,
aber auch beispielsweise, auch.
Historisch, ein ungeheures Ereignis zwischen den vietnamesischen und den kambodjanischen
Kommunisten, die eigentlich in einer Partei sind, zwangsweise,
aber die Kambodschaner wollen nicht nur Klienten der übermächtigen Vietnamesen sein.
Also sie fangen an sich zu separieren, sie fangen sich an mit eigenen Theorien aufzuladen.
Was aber, daran kann man auch gerade
sehen, was dann die Form doktrinärer Zerwürfnisse oder Schismen angeht.
Große Spaltung zwischen Sowjetunion und China, 60er Jahre Austausch von Briefen
über alle möglichen doktrinären Fragen und so weiter.
Revisionismusvorwürfe, Sozialfaschismus, also es geht dann sehr weit in den
gegenseitigen doktrinären Auseinandersetzungen, aber dahinter stehen ganz reale
Differenzen und Ambitionen von den Kommunisten in verschiedenen Ländern.
Also wenn ich sagen würde, es sind alles letztlich nationalkommunistische Bewegungen,
wäre das eher zu wenig, weil national sind sie auch,
aber sie haben große Ambitionen, sie haben Gründerambitionen,
sie wollen über die Grenzen ihres jeweiligen Imperiums hinaus,
sie haben Weltansprüche, aber die sind eben russisch geprägt,
sowjetisch, russisch, chinesisch, vietnamesisch und so weiter,
albanisch, also alle fühlen sich als ein Leuchtfeuer einer Weltrevolution und so.
Also da sind dann eben doch sehr kulturell, sagen wir mal, jeweils spezifisch
kodierte Größenfantasien und Machtansprüche, die dann auch miteinander konfligieren.
Also der Weltkommunismus geht auch in einer Serie von roten Kriegen,
könnte man sagen, unter.
Also nicht nur die Sowjetunion und China standen am Rande eines großen Krieges
1969, sondern Vietnam fällt nach Kambodscha ein.
China fällt nach Vietnam ein, 1979, 1980, erteilt eine blutige Lektion.
Die Eritreer gegen das neu installierte,
also alle sind da Revolutionäre, alle sind rot, was überhaupt nicht heißt,
dass sie nicht eben auch Kriege fanatischster Art gegeneinander führen können.
Das kommt nicht einfach aus der Ideologie, sondern die Eritreer sind Eritreer
und die anderen sind Amharen, die ein großes Reich wieder kommunistisch zusammenfügen
wollen, der Feldwebel Heile Mengistu Maria oder so.
Und die Vietnamesen haben große Ansprüche auf ein Nebenreich,
neben China, das sich auch gegen China behaupten kann.
Die Koreaner haben wieder ihre eigenen großen Ansprüche auf die Kim-Dynastie.
Ja, also es wachsen alle möglichen Formationen aus diesen kommunistischen Bewegungen
und Revolutionen heraus, die dann in sehr verschiedene Richtungen streben und
auch sehr konflikthaft sind.
Aus westlicher Sicht war das immer noch so der große Weltkommunismus.
Und das war so eine Zwangsidee, kann man sagen, des Westens,
dass da irgendwo so eine rote Flut da draußen ist und so weiter.
Das war amerikanische Paranoia hauptsächlich.
Die Wirklichkeit sah eigentlich ganz anders aus und dann sitzt plötzlich Nixon
1972 in Peking und postet sich mit Chuen Lai zu und plötzlich sind die Karten
wieder ganz anders gemischt.
Also hat man eigentlich ein Spiel dreier großer Wächter.
Damals schon gar nicht die zweigeteilte Welt, sondern eher schon eine dreigeteilte Welt.
Leo Schwarz
Ich würde noch gern zum Ende unseres Gesprächs auf ein,
zwei Aspekte, ja auch sozusagen, ich sag mal Lehren, vielleicht aus dieser Geschichte,
die wir ja nur sehr kursorisch streifen konnten, eingehen.
In ihrer Beschreibung finde ich das ganz augenscheinlich, also das zumindest,
wenn man jetzt auf die kommunistischen Regime des 20.
Jahrhunderts blickt und diese Menge an Theorien,
an Sammelbänden von großen kommunistischen Theoretikern und von,
wie Sie so sagen, katechistischen Beschwörungen der kommunistischen oder sozialistischen Theorie denkt,
die sie an einer Stelle auch autosuggestive Selbstbeschwörungen nennen,
an anderer Stelle in ihrem Buch über die 68er-Bewegung schreiben sie auch,
dass da eigentlich Theorie eher so einen Stellenwert hatte,
von eher einer Metapher für ein Lebens- und Weltgefühl gewesen sei und weniger
irgendwie tatsächlich ein echtes Interesse am Welterkennen oder zumindest irgendwie
an der Wirklichkeit vorbeigegangen ist. immer.
Zugleich hat das ganze 20. Jahrhundert ja auch so eine Unmenge an Bildern,
Filmen, Romanen, also einer künstlerischen Imagination geschaffen,
die ja sich ja auch genau dieser Idee von Weltkommunismus verschrieben hat.
Und also mit all dem sozusagen im Hintergrund, diesen ganzen Bildern,
diesem gerechten Zorn sozusagen über die Welt und diesen ganzen Theorien,
wie kann kann man sich da eigentlich noch ...
Orientieren muss man sozusagen den den pathos des gerechten und
der welterklärung insgesamt heutzutage ja
nur noch mit größter vorsicht genießen und sind das sind das dinge auf die man
eigentlich auch verzichten kann also können wir müsste man jetzt auch skeptisch
sein wenn man heinrich heine über die schlesischen weber liest oder werthold
brecht über die über das Unrecht des Arbeitsverhältnisses oder so.
Ist das alles irgendwie veraltet, verfault, verdächtig?
Können wir daran noch anschließen? Wie orientiert man sich in diesem Kosmos?
Gerd Koenen
Die Motive, die diese sozialistischen Bewegungen aus dem 19.
Jahrhundert heraus getragen haben, waren Emanzipationsmotive.
Und vieles, was auch in die kommunistischen Bewegungen im Anspruch nach oder
der Hoffnung nach eingeflossen ist, trägt auch diesen Charakter.
Auch vieles, was künstlerisch und theoretisch eingeflossen ist,
war auch teilweise innovativ,
war auch teilweise, wenn Sie 68 zitieren,
dann ist das ja eigentlich die Phase der Re-Pluralisierung dessen,
was man aus diesem Theoriefundus geschöpft hat, auch im Westen,
die Euro-Kommunisten oder sowas, also die ganze kommunistische Weltbewegung,
wenn man sie mal so nennen wollte, geht ja in die verschiedenste Richtung.
Sie lädt sich ja mit neuen Theorie-Elementen, das tut sie aber vor allem im
Westen Also ich würde mal sagen,
einen originären Marxismus hat man ja eigentlich sowieso erst in den 50er,
60er Jahren theoretisch, also rein den Texten nach, zu Gesicht bekommen,
Entfremdungsbegriff oder sowas
gab es ja früher im klassischen Marxismus-Leninismus überhaupt nicht.
Und lädt sich und verbindet sich mit psychoanalytischen Theorien,
mit allen möglichen modernen Theorien.
Und das im Kern, wie ich ja auch stark betone,
Richtige, dieses ursprünglichen magischen Impulses, verknüpft sich dann mit
allen möglichen anderen zu neuen Formen, die große Teile des geistigen Lebens
und der Kultur bis heute inspirieren.
Und das ist auch gut so und in Ordnung so.
Was ich sehen muss, ist, dass die real existierende kommunistische Bewegung
sozusagen eine einschränkende,
eine abschreckende soziale Praxis und auch einschränkende Ideengebäude entwickelt
haben, dass sie fixiert darauf waren,
eben das, was sie dachten in einem festen Kanon, das tut Xi Jinping heute in
China wieder, aber China ist eine hochentwickelte, plurale, vielseitig gebildete Gesellschaft.
Also wir erleben jetzt, wenn man mal auf das heutige China bringt,
ein bedrückendes Experiment, wie versucht wird,
aus einer pluralen, vielseitig informierten, weltläufigen Gesellschaft wieder
eine Mutation, so würde ich das jetzt wieder mal sagen, zu unterziehen,
geistig, politisch und mental.
Das ist das Beängstigende. Insofern ist dieser totalitäre Anspruch des Zugriffs
auf die den Menschen, der ist ein beklemmendes Erbe, gerade auch der kommunistischen Bewegung.
Stärker, würde ich fast sagen, als der faschistischen Bewegung,
als der Spuk vorbei war mit dem Faschismus, die Kriege verloren,
dann hat man sich neu erfunden und dann waren es wieder die Japaner,
die Italiener und die Deutschen und so weiter.
Die Länder, die ganz durch eine lange, lange kommunistische Erfahrung gegangen mit Terror,
mit Indoktrination, haben es sehr viel schwerer,
sich daraus zu lösen und vieles,
was aus diesem Ideenfundus von 150 Jahren gekommen ist, aus dem kann man neu
schöpfen, man muss aber heute neu ansetzen. Und für mich gehört es...
In diesem Ganzen mich an den Marxischen Gedanken,
Modellen oder Denkweisen orientieren gerade dazu, dass man nicht jetzt die ganz
andere Gesellschaft entwirft, so in die blaue Luft rein, sondern dass man von
den Potenzialen des Bestehten ausgeht.
Und dann ist die große schwierige Frage, ja, die, wie man, alles ist da, ja.
Es sind auch die Potenziale eigentlich da,
um ein ganz anderes, befriedigendes Leben zu führen, ein erfüllteres,
ein, ja, auch mehr mit Selbstbetätigung, Selbstbestimmung verbundenes Leben, das ist alles da, ja.
Insofern ist man sehr wohl auch bei alten Eigentumsfragen.
Man ist aber vor allem auch bei Machtfragen, man ist bei demokratischen Fragen,
denn die große Macht der großen Tech-Konzerne, wenn wir die mal nehmen,
ist ja auch politische Macht.
Es kann niemand gegen sie an, aber in China verbindet sich der Rest kommunistischer
Macht mit all diesen Potenzialen,
die Menschen besser zu kennen, als sie sich selber kennen, bis in die Ritzen
hinein, alles zu erfassen, bis hin zum Genpool und so weiter,
ja, und dort Mutanten zu züchten.
Das ist die bedrückende Seite. Die befreiende Seite wäre, dass man diese Potenziale,
die alle da sind, ja, weil man eine Politik entwickelt, die das schafft.
Und jetzt das vielleicht dazu, manchmal geht mir der Begriff des Datenkommunismus durch den Kopf.
Ich meine, wir wissen heute alles über alle so ungefähr. Das ist ja eine eines
Teils beklemmende Situation, aber sie hat ja auch was Großartiges.
Wir wissen auch alles, was da draußen gedacht wird. Wir stehen ja in einem ungeheuren Datenstrom.
Jetzt wird ja auch immer gesagt, wem gehören die Daten? Das ist jetzt die Schlüsselfrage.
Warum eigentlich gehören sie denen, die sie sammeln und damit ich weiß nicht was zu machen?
Smarte Cities zu bauen oder sowas, die wie Waben, in die wir reingepresst werden sollen, aussehen.
Sondern es sind unsere eigenen Potenziale und um ein soziales Netzwerk zu betreiben,
um eine Suchmaschine zu betreiben, braucht es keine großen Megakonzerne.
Das sind gesellschaftliche Aufgaben, die sind technologisch ziemlich einfach.
Gesellschaften können sich selbst vernetzen, sie können sich untereinander vernetzen,
sie können ihre Suchmaschinen bilden nach anderen Kriterien auch als der Werbung,
die dann wieder den großen Konzern finanziert.
Also alle die Instrumente sind da. Und das ist eigentlich die Frage,
wie man eine politische Fantasie entwickelt oder auch eine praktische Politik,
die den Menschen in all ihren Ängsten irgendwie auch etwas an die Hand gibt,
an dem sie sich was vorstellen können.
Ja, wo dieser objektive Prozess der Vergesellschaftung und die Globalisierung
ist nichts anderes als eine Vergesellschaftung der Welt in einem objektiven Sinne,
wie dieser Prozess konstruktiv, ungiftig, entgiftend und befreiend gestaltet werden könnte.
Da sind unheimlich viele Brücken dazwischen, aber man muss von heute aus denken
und von dem aus, was ist, das ist eigentlich die Marx'sche Haltung.
Naja, jetzt komme ich hier als der totale Marx-Apologie draus.
Das ist überhaupt nicht der Punkt. Es geht eigentlich um die Haltung.
Dabei mehr als um die Resultate, die im Buch gestehen sind. Marx hat nur Fragmente
hinterlassen, aus denen man alles Mögliche herausnimmt. Er hat keine Lehre, er hat nichts davon.
Also wenn Lenin sich im Jahr 1913 hinstellte und sagte,
der Marxismus ist allmächtig, weil er wahr ist, dann könnte nichts,
nichts falscher sein und vermessener und ein Weg in den Abgrund.
Leo Schwarz
Das war die 86. Folge von Das neue Berlin. Vielen Dank euch,
wie immer, fürs Zuhören. Empfehlt uns gerne weiter online und offline.
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Episoden-Beschreibung. Und ja, bis zum nächsten Mal. Macht's gut, ciao. Tschüss.