Transkript von Episode 87: Die Alternativlosigkeit der Partei – mit Jasmin Siri

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Jasmin Siri
Die Leute wählen jemanden, der sagt, ich werde eine Politik machen,
die irgendwie den Klimawandel auffällt.
Und dann kann die Person das nicht, weil so eine moderne Gesellschaft nicht
gebaut ist. Nur ein Diktator kann es. Nicht mal der kann das wahrscheinlich.
Auch der Diktator kann es nicht.
Aber glaubwürdig lässt sich das in einer Demokratie nicht so vertreten,
nicht in einer komplexen Gesellschaft.
Das führt zur Enttäuschung. Ich denke aber, das erst mal anzuerkennen,
diese Gleichzeitigkeit von so viel unterschiedlichem Und wie kompliziert es
eigentlich ist, ist für mich ein schwieriger, aber mindestens ein realistischer
Weg, um zu Lösungen zu kommen.
Jan Wetzel
Hallo und herzlich willkommen zur 87. Folge von Das neue Berlin.
Mein Name ist Herrn Wetzel und ich bin Leo Schwarz und gemeinsam versuchen wir
hier, Gesellschaft und Gegenwart zu verstehen.
Denkt man an die Krise der Demokratie im Jahre 2023, denkt man an sinkende Wahlbeteiligung,
an abnehmendes Vertrauen oder antidemokratische Einstellungen in der Bevölkerung.
Ganz oben jedoch steht der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien.
In vielen westlichen Nationen verschieben sie derzeit die Koordinaten des politischen
Geschehens. Aber was auffällt? Auch wenn sie die von ihnen sogenannten Altparteien
herausfordern, auch wenn sie behaupten, dem reinen Volkswillen zu seinem Recht
zu verhelfen, Parteien bleiben sie doch.
Überhaupt scheint es, trotz der Enttäuschung über die parteiliche Demokratie,
trotz der Suche nach direktdemokratischen Alternativen in den letzten Jahrzehnten,
dass sie bis auf weiteres Alternativ bloß bleiben, die Parteien.
Grund genug also einmal zu fragen, was hat es mit diesen Parteien auf sich?
Dazu haben wir heute Jasmin Siri zu Gast. Sie ist Soziologin an der LMU München,
hat 2012 ein Buch zur Soziologie der Parteien veröffentlicht Und zuletzt auch
ein Sammelband zum Thema, zusammen mit Jenny Prichtzin, die wir auch schon hier
in der Sendung hatten. Hallo, Jasmin Siri.
Jasmin Siri
Hallo, grüß euch. Schön, dass ich eingeladen bin.
Jan Wetzel
In euren Büchern macht ihr deutlich, dass es diese Soziologie der Parteien braucht,
weil es sie in der Form noch nicht gibt. Es gibt natürlich ganz viel Parteienforschung,
vor allem in der Politikwissenschaft.
Ihr sagt aber, es braucht eben auch die Soziologie im Unterschied dazu. Warum?
Jasmin Siri
Ja, vielleicht nicht unbedingt im Unterschied, aber ergänzend dazu.
Also wofür wir argumentieren, dass eine soziologische Perspektive auf Parteien
nochmal was anderes zeigen kann als eine,
keine Ahnung, vergleichend politikwissenschaftliche oder eine,
die sich ganz auf zum Beispiel das Moment der Wahl konzentriert.
Das heißt jetzt nicht, dass wir das doof finden oder nicht lesen oder so,
aber wir sind eben Soziologinnen, Jenny Brichtziner und ich,
und uns ist schon aufgefallen, dass die eigene Disziplin, und das ist jetzt
also viel weniger Kritik an Politikwissenschaft, weil sie Politikwissenschaft
macht als an der eigenen Disziplin, dass sie sich da sehr zurückhält.
Also wir haben eigentlich in der Soziologie nach der Gründungszeit der Disziplin
der Politikwissenschaft ganz viel überlassen.
Und insofern stimmt das auch nicht ganz. Es ist nicht ganz so sozusagen,
dass es die noch nicht gibt, sondern eher vielleicht nicht mehr gibt.
Also es gab mal eine ganz starke Parteiensoziologie.
Also mein Lieblingsautor ist der Mosey Jakoklewitsch-Ostrogorsky,
der große Bücher über Parteien geschrieben hat, da dezidiert soziologisch gearbeitet
hat, mit ganz vielen verschiedenen Materialien, qualitativ und quantitativ gearbeitet hat.
Und das wurde dann von Max Weber aufgenommen, von Robert Michels,
der sicher einigen im Begriff ist, aufgenommen.
Und danach fädelt das so aus, bis so spätestens zu den 60er Jahren.
Und dann gibt es eigentlich nur noch wenige Kolleginnen und Kollegen aus meiner
Disziplin, der Soziologie, die sich damit, sage ich mal, systematisch als empirischem
Gegenstand auch auseinandergesetzt haben. Es wurde der Politik Wissenschaft
überlassen, die das auch dankbar angenommen hat, die aber eben anders draufschaut.
Also ich würde immer sagen, die soziologische Perspektive ist eben eine andere
und damit auch eine gute Ergänzung, wenn man verstehen will,
was Parteien sind und vielleicht auch, was so die Problemlagen moderner Parteiorganisationen sind.
Jan Wetzel
Wo liegt da im Kern der Unterschied? Du sprichst in den Texten auch von Kontingenzwissenschaften,
also Soziologie als Kontingenzwissenschaft.
Ist das so der Unterschied zur Politikwissenschaft und was bedeutet das?
Jasmin Siri
Also ich glaube, dass die Jenny diesen Begriff hingeschrieben hat,
als wir seinerzeit den Text zusammengeschrieben haben. Ich stehe aber auch mit dahinter.
Also Fame geht an Jenny.
Kontingenzwissenschaft bedeutet, dass wir in der Soziologie sehr systematisch
versuchen, das Normale für nicht unbedingt normal zu halten oder das Alltägliche zu hinterfragen.
Und das bedeutet, dass man soziologisch von einem anderen Standpunkt aus anfängt zu forschen.
Man würde sich Sachen angucken, nicht nur Sachen angucken, die zum Beispiel
ein Problem darstellen. Also Beispiel Krise der Parteien.
Ja, also man würde nicht sagen, ich gucke jetzt mal auf die Krise der Parteien,
sondern man würde sagen, ich gucke mal, warum es überhaupt plausibel ist,
in einer modernen Gesellschaft diese Parteienkrise anzunehmen.
Und dann könnte man noch den Spin machen zu sagen, ich gucke mir jetzt auch
noch an, was bringt es denn von der Krise der Parteien auszugehen?
Ist es vielleicht sogar funktional oder ist das dialektisch oder oder oder?
Also sozusagen das Alltägliche ein Stück weit zu hinterfragen und sich auch
dann vielleicht, sag ich jetzt mal, für das Langweilige zu interessieren,
für das, was eigentlich ja nicht erklärt werden muss.
Also immer dann, wenn es so ist. Ja, das ist ja klar, das war irgendwie immer so.
Dann spitzt die Soziologin die Ohren und sagt, Mal gucken, was ich da sehen
kann mit verschiedensten theoretischen Perspektiven natürlich,
die man da ranlegen kann.
Und was vielleicht auch eine Differenz ist, es gibt natürlich auch in der Politikwissenschaft
theoretische Perspektiven, aber wenn ich jetzt mal so an die Parteienforschung
denke, dann ist sie sehr empirisch und ich zähle mich ja da ein Stück weit auch dazu.
Ich habe auch an empirischen Studien ja mitgewirkt, konnte immer zu schlecht
rechnen, um jetzt irgendwie bei der Gläs oder so zu arbeiten,
aber ich habe das immer so sehr interessiert gelesen.
Aber es ist natürlich nah an der Empirie, auch nah am Wahlgeschehen,
nah an sozusagen der Aktualität.
Und auch da kann die Soziologie eben noch mal anders gucken und sagen,
ich gucke soziologisch-historisch.
Und ich habe mir ja auch eben angeguckt, Parteien, in meiner Dissertation,
Parteien seit ihrer Gründungsphase.
Das machen natürlich politikwissenschaftliche Kollegen, gerade Quantitative eher nicht.
Und dann ist die Frage, was sieht man vielleicht anderes? Sieht man vielleicht
zum Beispiel Ähnlichkeiten, sieht man spezielle historische Herangehensweisen?
Die Nähe zum Feld ist etwas geringer, würde ich sagen, als in der politikwissenschaftlichen
Parteienforschung, wobei man das eben auch nicht so verallgemeinern darf.
Es gibt natürlich immer Leute, die da ein bisschen ausscheren.
Aber gerade in den letzten vielleicht so 25 Jahren ist es auch so,
dass die Parteienforschung sehr quantitativ orientiert ist und da super Sachen macht.
Also z.B. mit Thorsten Faas mit seinen Studien oder auch am WZB sind einige
Leute, die da sehr, sehr spannende Sachen machen, aber es fehlt dann eben ein
bisschen was. Also es fehlt zum Beispiel die Perspektive auf Prozessbeschreibungen.
Es fehlt die Perspektive der Mitglieder, die darüber hinausgeht sozusagen,
was man erheben kann mit einem quantitativen Datenset.
Jan Wetzel
Ist es dann quasi auch eine methodische Frage, also dass man eben vielleicht
weniger quantitativ, vielleicht auch weniger an so was wie Wahlergebnissen hängt?
Also kann man das auch sagen oder ist das doch eigentlich so ein bisschen quer durch die Disziplin?
Jasmin Siri
Also ich finde, es ist quer durch. Also ich kann mir nicht vorstellen,
das sage ich auch immer den Studis, ich kann mir nicht vorstellen,
wie man Parteienforschung machen will, ohne dass man sich für quantitative Daten interessiert.
Also zum Beispiel die German Longitude Election Study ist so spannend und es
ist so, so viel ist da drin, ja, dass du dich, wenn du dich wirklich für Parteien
interessierst, kannst du nicht
sagen, nein, ich mache das jetzt hier mit Interviews. Also das nicht.
Aber ich würde eben schon argumentieren, dass man auch anders gucken kann.
Und das ist auch interessant, zum Beispiel, ich bleibe jetzt mal bei Wahlen,
zu fragen, was ist soziologisch die Funktion von Wahlen?
Also nicht im Sinne von für die Demokratie, sondern in einem größeren,
sage ich mal, Makro-Setting eben, dass man zum Beispiel sagt,
was macht denn die Wahl mit der Demokratie?
Und dann kommt man eben, das habe ich in meiner Diss damals beschrieben in diesem
Parteienbuch, dann kommt man eben darauf, dass die, wenn man zum Beispiel aus
einer Organisationsperspektive guckt, die Organisation in Bewegung bringt.
Dass Wahlkämpfe nicht zuletzt dafür da sind, die Parteien in Bewegung zu bringen.
Dass zum Beispiel das Plakatieren nicht unbedingt dazu da sein muss,
dass Leute die Kandidaten sehen, sondern dass Parteimitglieder miteinander interagieren,
miteinander was unternehmen sozusagen.
Und wenn es auch natürlich Arbeit ist, die nicht unbedingt jedem und jeder immer Spaß macht.
Genau, und man könnte dann darüber hinaus sagen, okay, was macht die Wahl?
Sie unterbricht den politischen Rhythmus.
Sie ist aber auch ein Marker im politischen Rhythmus, weil sozusagen der ganze
politische Betrieb sich auf diese Wahl oder auf Wahlen plural hin orientieren kann.
Das hat zum Beispiel Konsequenzen dafür, wie ich es auch dann beschreiben kann,
dass mal zu viele Wahlen stattfinden oder zu wenige Wahlen stattfinden.
Also zum Beispiel, weil man nicht mehr in den Alltagsbetrieb reinkommt,
weil man dauer Wahl Wahl kämpft und so. Also das sind alles total spannende Sachen.
Und die Soziologie hat da eben ein Instrumentarium, in dem sie zum Beispiel
die Wahl anguckt wie ein gesellschaftliches Moment, wie alle anderen auch.
Oder Parteien anguckt als Organisationen, wie alle anderen auch.
Das sind so Gedankenexperimente, die eben sehr fruchtbar sind.
Wenn ich sage, was ist denn der Unterschied zwischen Universität und Partei
und aus einer soziologischen Perspektive, also zum Beispiel,
wenn man mit dem Soziologen Niklas Luhmann guckt, sieht man eben,
das sind alles Organisationen, in denen Entscheidungen gefällt werden.
Und wenn ich diese Breite annehme und dann wieder reinzoome,
komme ich eben zu anderen Sichtweisen auf die Parteien, als wenn ich sie sozusagen
als exzeptionelles Hauptproblem meines Schaffens und Wirkens begreife.
Leo Schwarz
In deiner oder in eurer Einleitung beschreibst du ja auch eben dieses lang anhaltende
soziologische Desinteresse,
eher so ein Interesse an, ja ich weiß nicht, neuen sozialen Bewegungen beispielsweise
und anderen sozusagen Formen, politischen Formen jenseits der Parteien.
Gleichzeitig muss man ja schon anerkennen irgendwie, dass die Partei immer noch
einfach die fundamentale und zentrale Organisation ist, die in unserer Gesellschaft
Politik vermittelt, oder?
Also an der Partei kommt man unmöglich vorbei, wenn man Politik machen will,
wenn man wirklich sozusagen im politischen Feld oder System irgendetwas verändern möchte,
dann ist ja die Partei eigentlich nach wie vor unumstößlich im Zentrum der politischen
Gesellschaft sozusagen.
Also wie entsteht dieses Desinteresse dann zu erklären,
dieses komische Gefühl, dass die Partei an Relevanz verloren haben könnte für
das Politische und das Politische vielleicht auch in anderen Bereichen sich abspielt und abläuft.
Ist das ein soziologisches Missverständnis gewesen oder lag es einfach daran,
dass man meinte, da gibt es nichts mehr Neues herauszufinden,
man weiß das schon alles?
Jasmin Siri
Das kann sein. Also es kann sein, dass manche Leute gesagt haben,
das hat doch Max Weber beschrieben, brauche ich mich nicht mehr mit beschäftigen, das ist möglich.
Ich glaube, was noch wichtiger ist, ist eine starke,
aber das ist jetzt meine sehr, also es ist nichts, was ich jetzt so besonders bevorscht hätte,
aber meine Wahrnehmung damals, also ich habe diese Diss angefangen,
mir zu überlegen, so Ende der 2000er Jahre Und da war die Literatur in der politischen Soziologie,
also einer Teildisziplin soziologischen Denkens, irgendwie ganz stark auf soziale
Bewegungen fokussiert, was ja spannend ist und auch da, ne, ist spannend.
Aber es gab zum Beispiel mehr Texte über Demonstrationsgeschehen als interaktives
Moment als über Parteien.
Und ich habe dann erst mal gesucht, gesucht, gesucht, weil ich dachte,
ich bin einfach zu doof, ich recherchiere nicht richtig.
Und dann irgendwann wurde mir das aber auch dann von älteren Kollegen und Kolleginnen
bestätigt, dass ich da schon einen Punkt habe und habe dann eben mich da auch
so reingearbeitet, woran das liegen kann.
Und also einer der Gründe meines Erachtens ist, dass Leute eben gerne das beforschen,
was sie interessiert, ist bei mir jetzt auch so.
Ich habe mich immer für Parteien interessiert und wollte die auch beforschen,
war damit aber ziemlich alleine. Das war dann auch so, wenn ich erzählt habe,
was ich in meiner Diss mache, haben Leute wirklich, sage ich mal,
fassungslos den Kopf geschüttelt teilweise.
Dass ich mich mit sowas beschäftige und nicht mit irgendwie,
i don't know, Körper und Foucault oder ja, also eben sozialen Bewegungen oder
der Umweltbewegung oder oder oder.
Also ich glaube, das ist also und das ist ja auch legitim, sich mit dem zu beschäftigen,
wofür man sich selbst interessiert.
Und es hat eben viele Soziologinnen und Soziologen nicht so interessiert, auch nicht alle.
Also zum Beispiel Elmar Wiesendahl ist Soziologe, der ist aber sozusagen,
inzwischen wird er in die Politikwissenschaft eingemeinert, aber also auch das ist dann, man.
Kommt dann sehr wurde 90er, 80er, 90er-Jahre schon so nen...
Beschreibungen gab, wie beispielsweise von Ulrich Beck, der auch mal hier in
München war, der geschrieben hat, ja, wir sind also jetzt sozusagen weit weg
von den Parteien und das wird sich irgendwie erledigen und es werden irgendwie
andere Lösungen kommen.
Und diese, sag ich mal, diese zeitdiagnostischen Beschreibungen waren für viele
plausibel, weil eben die Parteien so altbacken, so komisch, so strange,
so, sag ich mal, aus der Zeit gefallen, erschienen sind.
Und ich habe daneben, dadurch, dass ich eben da auch sehr viel systemtheoretisch
gearbeitet habe, mich immer gefragt, ja, was ist denn dann das Äquivalent?
Also was kommt denn dann?
Also ich habe nie mir vorstellen können, rein praktisch, dass wir ein großes
Bundesrepublik-Deutschlands-Plenum haben, in dem wir dann direkt demokratisch
irgendwelche Sachen entscheiden.
Wenn man wirklich sich jemals mit Verfahren beschäftigt hat,
weiß man, das geht nicht. Das ging schon hier an der Uni, nicht bei einem Unistreik
haben wir das schon kaum hingekriegt. und wir waren irgendwie 1.500 Leute, so.
Also das, also auch zum Beispiel direktdemokratische Ideale waren ganz stark
sozusagen auch zurecht verbreitet in den 90er, frühen 2000er Jahren.
Das war aber eben sehr, sehr weit weg von einer Beschreibung einer empirischen Möglichkeit.
Also auch da, also wurde sozusagen das, was man gerne hätte von Politik stark
übertragen auf das, wie man und was man bevorscht.
Also es gab dann ganz viel Forschung eben dazu, wie funktioniert direkt demokratisches Verfahren.
Ja, wie kann man das gut machen und so weiter. Genau,
aber sozusagen die Lösung für eine relativ einfache Komplexitätsreduktion von
Demokratie und eine Teilhabe,
da gab es nie wirklich, aus meiner Sicht, nie wirklich Alternativvorschläge,
die ich für umsetzbar gehalten habe.
Und deshalb fand ich es auch immer nötig, sich mit Parteien weiter zu beschäftigen,
weil ich eben gesagt habe, na ja, Aber es ist schon sinnvoll,
da auch soziologisch draufzugucken.
Was sollte eine Soziologin auch anderes sagen?
Leo Schwarz
Es gab ja auch keine Parteien, die daran gearbeitet haben, sich selbst abzuschaffen
oder irgendwie das, keine Ahnung, die Verfassungsgrundlagen und insgesamt das
demokratische Prozedere grundsätzlich zu ändern.
Außer vielleicht jetzt, okay, wir haben Piratenpartei, kommen wir vielleicht noch drauf und so.
Aber es gab ja jetzt keine politische handfeste Bemühung darum,
Partei das parteien system zu überwinden in den neunziger jahren oder das ist
so ist auch eine rein soziologische idee gewesen oder.
Jasmin Siri
Nee also es gab gar nicht es gab in der philosophie irgendwie das manifest der
nicht wähler es gab irgendwie es gab eine ganze literatur die irgendwie so so
sage ich mal so eine földer literatur die sich darauf.
Kapriziert hat, also sozusagen so old school Richard-David-prächtig und dann
gab es aber auch natürlich einen starken Diskurs zu Korruption,
zu verschiedenen Skandalen, die irgendwie da stattgefunden haben.
Und ich habe das auch in meinem Buch, also in meiner Diss,
also in dem alten Buch sozusagen, beschrieben, dass irgendwie die Krise der
Parteien, die konstatiert ist, so alt ist wie die Parteien selbst,
also in dem Moment, wo im deutschen Sprachraum erstmals Parteien gegründet werden,
kommt sofort dieser Diskurs.
Das ist nicht so, es war mal okay und demokratischer und dann kommt das irgendwann
100 Jahre später. Nein, das war nicht so, sondern es hat von Anfang an diesen
Diskurs zu Parteien begleitet, dass man sagt, das ist nicht demokratisch, da sind zu viele Lehrer.
Also beispielsweise ganz süß bei Weber so beschrieben,
dass irgendwie ja sozusagen der freischaffende oder heute Freiberufler da gar nicht mitmachen kann,
weil der muss ja arbeiten, während der Lehrer und der Staatsangestellte irgendwie
da sitzen und bis abends picheln und über Politik reden können und so weiter und so fort.
Und wenn man das aber sozusagen ernst nimmt, dass das also offensichtlich eine
stabile Form ist, dann kann man sich eben fragen, wozu dient die Krise der Parteien dann?
Also, wenn sie stabil ist, wenn sie irgendwie immer, immer reaktualisiert wird
und dann kann man eben sich fragen, ob das vielleicht ein stabilisierendes Moment hat.
Was natürlich auch bedeuten würde, dass schöne Worte über die Parteienkrise
nichts ändern, sondern man sich da andere Lösungen suchen müsste,
um was zu ändern, als nur, ich sage jetzt mal, nur es zu kritisieren.
Das war für mich, also gerade als ich jünger war, schon ein großes Ergebnis,
weil ich natürlich auch sehr kritisch sein wollte und oder war und ja und dann gelernt habe,
aber auch durch die Lektüre von anderen Theoretikern, also wie Theodor Adorno
oder Bacuse gelernt habe, dass nur kritisch sprechen nicht kritisch wirkt.
Also zumindest nicht an dem Ort, den man avisiert, vielleicht irgendwie in einem
Freundeskreis oder in einer Diskussion, aber nicht unbedingt darüber hinaus.
Jan Wetzel
Es ist der Krisendiskurs natürlich nach wie vor aktuell. Ich bin auch natürlich
nicht umsonst damit eingestiegen.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass so ein bisschen eine euphorische Stimmung
von, man hat jetzt neue Verfahren und man braucht vielleicht diese Demokratie,
diese Parteien gar nicht mehr, dass das so ein bisschen vorbei ist.
Würdest du das teilen? Und vielleicht auch, die Piraten wurden schon genannt,
das ist für mich schon so ein Moment, weil das war der Versuch.
Die hatten richtig Prozente für eine Weile.
Die haben diese tatsächlich wie ihr eigenes System entwickelt.
Mit dem Gedanken, das ist gar keine klassische Partei mehr.
Aber das ist natürlich krachend gescheitert. Innerhalb weniger Jahre war das
vielleicht auch so ein Moment, wo man dieses, was ja auch mit sehr positiven
Erwartungen gefüllt war, jetzt kommt diese Partei.
Wir haben 20 Jahre darüber gesprochen, dass man es anders macht,
und die probieren das jetzt wirklich aus. Fall bezogen, aber kann man das vielleicht
schon als so einen Moment beschreiben?
Jasmin Siri
Also ich finde es gar nicht unplausibel als Parteienforscherin über einzelne
Parteien zu reden, weil immer wenn eine neue Partei kommt, sind wir alle ganz
aufgeregt und fangen an, Daten zu erheben.
Ich war auch damals dann gleich bei den Piraten, als die sich in München war
ich da, gegründet haben und bin da auch gleich hin marschiert, um mir das anzugucken.
Genau, also ich habe auch mal mit Paula Willer, glaube ich, einen Text geschrieben
in dem Buch von Christoph Biber über die Piraten, das hieß glaube ich unter
Piraten, Christoph Biber war einer der Ersten, der wirklich sehr intensiv gearbeitet
hat, so wie wir halt so ein bisschen.
Also ich glaube schon, dass die Piraten ein Moment waren, wo sich was verändert
hat, natürlich nur in einer sehr kleinen Bubble. Also das muss man schon auch
immer in Rechnung stellen, wie viele Leute interessieren sich wirklich für Parteipolitik.
Das ist nicht die Mehrzahl der Menschen in diesem Land. Aber sozusagen innerhalb
der Gruppe, die sich dafür interessiert hat, war das ein spannendes,
ein ganz anderes, ein ganz neues Angebot. Man hat vieles erst mal gar nicht verstanden.
Also auch da ist die soziologische Perspektive, da autoethnografisch reinzugehen,
total hilfreich. Deshalb PolitikwissenschaftlerInnen können das auch machen,
aber passiert halt öfter mal nicht.
Also dass man zum Beispiel mit so ethnografischen Methoden da reingeht.
Also wenn ich jetzt so zusammenfassen sollte, was was ich damals so geschrieben
habe zu den Piraten, dann sind die meines Erachtens daran gescheitert,
dass sie zu transparent sein wollten.
Also die Piraten haben ja sozusagen ihre, also sie haben öffentlich getagt,
ich muss mal gucken, ob ich das überhaupt noch alles zusammenbringe,
aber sie haben öffentlich getagt, also gesellschaftsöffentlich getagt,
man konnte da immer reinmarschieren und also zum Beispiel auch als Soziologe
zuhören und sie haben das dann auch noch gestreamt.
Sehr oder zumindest meistens und sie haben auch noch ihr Wiki gehabt,
in dem jeder jedem mitarbeiten konnte. Wobei das hat sich dann,
glaube ich, damals auch mal geändert, wer dann wie Zugriffsrechte hatte,
aber es gab also eine sehr offene Haltung.
Und ja, das produziert natürlich auch Konflikte und das macht eben das entscheidend.
Ich habe vorhin von Luhmann und der Organisationssoziologie schon gesprochen.
Organisationen bestehen eigentlich aus Entscheidungen und haben auch die Aufgabe
sozusagen Komplexität für das System, in dem sie lokalisiert sind,
irgendwie zu reduzieren.
Und da war es schon so, dass sie sehr viel Komplexität aufgebaut haben,
die sie dann nicht mehr abbauen konnten.
Dazu kam noch, dass sie einen Anspruch hatten, basisdemokratisch zu arbeiten
und es ganz viele Konflikte darüber gab, ob sich jemand zu sehr in den Forderungen
grundgestellt hätte oder auch nicht.
Und auch, man muss ja überlegen, so eine Parteiorganisation,
die ist ja, die entscheidet ja nicht, was die Umwelt mit ihr macht,
sondern es gibt zum Beispiel Journalisten und Journalistinnen.
Journalisten und Journalistinnen wollen am liebsten immer mit derselben Person
sprechen. Die wollen wo anrufen und da ist der Hansi dran und der Hansi beantwortet
jetzt vier Fragen. So, die wollen vielleicht auch noch, dass der Hansi ganz
gut ausschaut und man ihnen eine Talkshow setzen kann.
Ja, und damit, also sozusagen diese Restriktionszwänge, ja, also die Selektionszwänge
des Außen haben, das war für die Piraten ganz, ganz schwierig und dann gab es
sehr viele Konflikte, die dann wiederum öffentlich wurden.
Und was passiert, wenn Parteien Konflikte haben? Politische Gegner hüpfen drauf
und sagen, guck mal hier, Den können wir nicht vertrauen, die streiten ja die ganze Zeit.
Also da ist sehr, sehr vieles an Konflikten passiert,
die dann nicht mehr so gut beruhigt werden konnten, dass man noch irgendwie
als Wahlalternative länger sichtbar war.
Das war schon so. Und es gab natürlich, was es auch noch gab,
war es vielleicht so eine, das ist jetzt so eine meiner Erinnerungen,
auch eine sehr, sag ich mal, diskriminierende Berichterstattung über die Piraten.
Also es gab zwar sehr viel Berichterstattung über die Piraten,
was ja erstmal gut ist, wenn man neu ist, aber es ging schon auch oft darum,
dass die Männer nicht normschön aussehen.
Also vor allem die Männer, dass die Nerds sind, dass das nicht,
sage ich mal jetzt in der Sprache von Butler, keine begehrenswerten Geschöpfe sind.
Das gab es schon auch noch, also das war auch noch ein kleinerer Punkt,
der dazu beigetragen hat. Ja, jetzt habe ich die erste Hälfte deiner Frage nicht
beantwortet, weil ich es schon wieder vergessen habe.
Jan Wetzel
Die Frage war, ob man das vielleicht doch auch als Moment interpretieren kann,
wo man gesehen hat, so ein Experiment, wir haben es jetzt probiert und es ist
erst mal gescheitert und das wird jetzt auch erst mal jemand,
also nicht demnächst noch mal jemand probieren, grundsätzlich sozusagen politische
Repräsentationen anders zu organisieren.
Jasmin Siri
Naja gut, sie haben ja schon sozusagen nicht jetzt die Systemfrage gestellt.
Also sie haben schon versucht, die politische Repräsentation anders zu organisieren,
waren aber, wurden dann letztlich eben darauf hingewiesen, dass sie eben jetzt
um Bestimmungen des Wahlrechts zum Beispiel auch nicht drumherum kommen.
Oder, keine Ahnung, für Deutschland die 5-Prozent-Hürde oder die Art und Weise
der Listenaufstellung.
Was sie aber schon gemacht haben, sie haben viele inspiriert.
Also es gab schon in der Zeit, wo die Piraten dann dieses Experiment begonnen
haben, gab es schon viele junge Leute bei anderen Parteien, die gesagt haben,
das wollen wir jetzt aber auch. Wir wollen auch mal mitentscheiden.
Wir wollen auch mal dies und das.
Also es hat schon auch viel Inspiration freigesetzt, denke ich,
in anderen Parteiorganisationen.
Jan Wetzel
Also ich sehe, wir müssen noch mal jemanden einladen, der da ein bisschen über
die Langzeitfolgen der Piraten.
Sprechen kann, das ist sicherlich auch noch mal interessant.
Es ist ja doch fast historisch jetzt schon im Rückblick.
Jetzt hast du schon angedeutet, dass man oder dass du insbesondere auf Parteien
eben als Organisation blickst. Du hast schon gesagt, es geht um die Entscheidungen.
Wie würde man denn Parteien gerade mit diesen ...
Also, wenn man sie als Organisation beschreibt, wie würde man sie beschreiben?
Als dann allgemein Organisation und dann aber als eine bestimmte Organisation im politischen System.
Jasmin Siri
Genau, also mit dem Instrumentarium, mit dem ich da arbeite,
kann man jede Organisation sich angucken. Das ist egal, ob eine Uni,
eine Kirche, ein Krankenhaus.
Und man würde eben sagen, es gibt eben so spezielle Zwecke, die sich aus dem
Feld, in dem die Organisation verankert ist, ergeben. Bei der Uni wäre das Bildung,
bei der Partei ist das natürlich Politik.
Und dann würde man sich angucken, wie funktioniert sozusagen aus einer soziologischen
Perspektive das politische.
Und mit der Perspektive, die ich da gewählt habe, das ist die systemtheoretische,
würde man sagen, na ja, also letztendlich kannst du in der Politik alles auf
den Code Macht haben, keine Macht haben, zurückrechnen.
Also jede Kommunikation im politischen System muss sich dahingegen bewähren,
wie sie sich in diesem Machtcode verordnet.
Man könnte auch jetzt vereinfacht sagen, den meisten Menschen,
die sich im politischen Feld bewegen, geht es um Macht.
Macht kann man dann in der Demokratie irgendwie auch als Entscheidungsmacht
zum Beispiel begreifen,
das muss nicht jetzt Macht im Sinne von Herrschaft sein, also ich will Menschen
beherrschen, aber man würde eben schon mal sagen, das macht ja was mit den Kommunikationen,
die in diesem System stattfinden, dass es letztendlich um Macht geht.
Und da kommt schon die erste große Parteienkritik, die sind alle machthungrig, ja was denn sonst?
Also wie soll denn zum Beispiel ein Markus Söder anders sein als machtbewusst,
wenn er die Aufgabe hat, die Macht für den schönen Freistaat,
in dem ich lebe, zu repräsentieren?
Oder auch, man würde sehen, dass zum Beispiel linke Parteien,
die in sich Macht kritisieren,
also ich meine, es gab immer wieder innerhalb der linken Parteien, Parteien,
die eigentlich nicht an die Macht wollten, die dann aber immer sozusagen mit
dieser Paradoxie leben mussten, dass sie was kritisieren, ohne zu sagen,
wir wollen es besser machen und damit natürlich auch nicht sozusagen elektorale
Höchsterfolge erreichen konnten.
Also es war innerhalb der Linkspartei oder noch PDS gab es solche Debatten ja sehr häufig,
aber auch früher noch bei den Grünen und man würde dann eben gucken,
wo sind denn diese Organisationen, wie alle anderen auch, also zum Beispiel
es gibt eine Mitgliedschaft, es gibt Bedingungen für diese Mitgliedschaft, erfüllt sein müssen.
Also zum Beispiel, dass du nicht in einer anderen Partei sein darfst.
Was sind denn die Erfolgskriterien von so einer Organisation?
Aber jetzt nicht Erfolg im Sinne von irgendwie Nachfrage auf dem Wählermarkt,
sondern vielleicht im Sinne auch dessen, wie so eine Organisation in sich funktioniert.
Ja, also man würde zum Beispiel eben dann viel weniger über konkrete Themen
in einem Wahlkampf reden, als darüber, wie so ein Wahlkampf funktioniert und
wann der auch als erfolgreich, sage ich mal, gelesen oder verstanden wird.
Und das ist eigentlich gar nicht so weit von der Wahrnehmung der politischen
Praxis, weil zum Beispiel, ich weiß nicht, ob ihr Matthias Machnik noch kennt,
das ist jetzt auch schon älterer Herr, aber Matthias Machnik war ein großer Wahlkämpfer der SPD.
Der hat gesagt, irgendwie, dass Strategie ist, wenn es geklappt hat.
Es gibt total viele Bücher über politische Strategie und ich habe ja auch mit
diesen Kontexten zu tun,
sage auch so Wörter wie Strategie, aber er hat eigentlich sehr deutlich gemacht,
dass du eigentlich diese Planung des politischen Prozesses, dass die halt immer
eine hinterher, eine Symbolisierung ist, die du hinterher vornimmst,
wenn du eben so erfolgreich warst.
Jan Wetzel
Ich glaube noch wichtig und du hast ja auch vorhin schon gesagt,
wo es bei den Piraten um die Journalisten geht, ist natürlich auch der Blick auf die Umwelten.
Also das hat mir auch in euren Texten immer noch sehr gut gefallen, dass man,
und das fehlt auch oft in den Debatten sowohl über Parteien als auch habe ich
das Gefühl in politikwissenschaftlichen Debatten, dass ja nie sozusagen das,
was in so einer Partei passiert, einfach isoliert passiert, sondern immer eigentlich
in Reaktion auf etwas, was passiert.
Also entweder was aus dem Recht kommt, dass bestimmte Sachen illegal sind,
über die man gerade so spricht. Oder man weiß das nicht. Oder die Journalisten haben was gemacht.
Oder was auch immer, jetzt kommen die sozialen Medien dazu.
Wie kannst du da noch ein bisschen zu diesem Blick was sagen,
zu diesen Wechselwirkungen oder wie man daran geht? Weil gleichzeitig kann man
ja auch sagen, dass es dann so unendlich kompliziert mit diesen ganzen Wechselwirkungen.
Man weiß gar nicht, wie man das machen soll.
Jasmin Siri
Nee, genau, das ist unendlich kompliziert und ich würde aber sagen,
das muss man so anerkennen, dass es so kompliziert ist und das heißt zum Beispiel,
dass ich nicht zu irgendwelchen super einfachen Antworten komme, das stimmt.
Also soziologische Texte oder sage ich mal gute soziologische Texte über Parteien
werden nicht sagen, wenn ihr das macht, dann reformieren wir das Parteien-System
und das Problem ist gelöst.
Das ist aber glaube ich bei allen guten Texten so, auch über die Soziologie hinaus.
Also genau, darum geht es, die Komplexität anzuerkennen,
in der so ein empirisches Datum wie Parteien sich befinden, wo Leute drin sind,
die auch noch an vielen anderen Orten in Gesellschaft integriert sind,
in Familien, an Arbeitsplätzen, in Kirchen und so weiter.
Ja, und dann eben auch zu sehen,
dass diese Form der Organisation eine historisch gewachsene Form ist,
die sich irgendwie im Laufe der Entstehung von Arbeitsteilung,
Hashtag Dürkheim, irgendwie eingespielt hat und die ganz viel,
sage ich mal, Komplexität reduzieren und den Menschen das Leben einfacher machen kann.
Ich möchte nicht im ganzen Haus leben, wo ich irgendwie alle Dinge des täglichen
Lebens selber herstellen muss.
Aber, und das ist bei Max Weber schon beschrieben und bei vielen anderen,
sozusagen der ersten Generation der Soziologinnen und Soziologen,
aber Organisationen sind nicht für Menschen gemacht.
Und das ist schon echt ein großer Teil dessen zu verstehen, warum Parteien frustrieren können.
Parteien sind nicht für die Menschen da.
Ja, die reden zwar viel über die Menschen, für die Menschen ist sozusagen das,
was jeder Politiker, jede Politikerin sagen muss, aber alle Organisationen,
auch nicht die Schule und auch nicht die Kirche, sind für die Menschen gemacht.
Soll heißen, Menschen werden immer ein Stück weit unglücklich sein,
weil sie zugerichtet werden auf eine Mitgliedschaftsrolle.
Ich erinnere, ich weiß nicht, wie ihr Schule fandet, aber ich weiß noch genau,
dass ich mich da nicht in meiner ganzen Individualität gesehen habe gesehen, gefühlt habe.
Sondern es ging halt darum, um das Erreichen bestimmter Ziele innerhalb dieser Organisation.
Es gibt viele Menschen, die gläubig sind, die sich nicht mehr so wohl fühlen in den Kirchen,
weil sie auch da das Gefühl haben, es geht gar nicht so sehr um meinen Glauben
oder meine Beziehung zu Gott, sondern um andere gute Gründe,
die dann die Organisation für sich sieht.
Also die Organisation entwickelt ein Eigenleben und sie ist einfach evolutionär
aus ihrer sozusagen Logik, warum sie mal entstanden hin, ist nicht darauf ausgerichtet,
Menschen happy zu machen.
Und das gilt eben nicht nur für die Parteien, sondern auch für Unternehmen und
für Kirchen, Krankenhäuser, whatever.
Leo Schwarz
Du diagnostizierst ja, dass Parteien
auf verschiedenen Ebenen tatsächlich systematisch enttäuschen müssen.
Sowohl was ihre Zielsetzungen angeht, als auch was ihre Transparenz angeht,
als auch was ihre Kontrolle über ihre Mitglieder angeht.
Also sowohl ihre Einheitlichkeit als auch ihre Vielstimmigkeit werden ihr dauerhaft
zum Problem, sowohl immanent als auch im Kontakt mit verschiedenen Umwelten.
Das habt ihr ja sehr schön entfaltet. Und ich finde, das ist sozusagen ja eigentlich
der Kern der soziologischen Aufklärung,
die man über Parteien leisten kann, welche systematischen Gründe es dafür gibt,
wieso Parteien dermaßen für alle eine Qual und Enttäuschung sind.
Und es aber auch sein müssen, und das nicht unbedingt dafür steht,
dass sie nicht so funktionieren, wie sie eigentlich müssten.
Jasmin Siri
Ja, auf jeden Fall. Also ich meine, eines der Argumente, das in der Kritik an
Parteien immer wieder vorkommt, ist irgendwie, die streiten so viel.
Jetzt muss man sich mal überlegen, wie soll denn Konflikt in einer demokratischen
Gesellschaft organisiert werden, abseits von Streitigkeiten.
Da ist natürlich auch der deutsche Diskurs nochmal ganz spezifischer,
weil der besonders wenig dem Streit abgewinnen kann.
Wenn man in der angelsächsischen, auch in die Literatur guckt,
wenn man mal David Hume liest oder so, da wird das ein bisschen positiver gesehen,
mit dem debattieren und mit dem sich auseinandersetzen.
Es wird auch ein bisschen pragmatischer gesehen, aber sozusagen,
da gibt es einfach Ansprüche, die sozusagen mit der Wirklichkeit auch des Politischen
irgendwie konfligieren, auf die natürlich aber Parteien irgendwie eingehen müssen.
Weil es ist schon so, also kannst du an Wahlen sehen, wenn irgendwie zu viel
gestritten wird in Anführungszeichen, dann kann das zu einem Wahlmisserfolg führen.
Also man kann schon so ein bisschen so das so zuspitzen und sagen,
nicht in der Krise sind nur die Parteien in nicht demokratischen System.
Ja, also in dem Moment, wo du irgendwie eine Medienlandschaft hast,
so eine kritische Öffentlichkeit, was auch immer das unter digitalen Bedingungen
bedeuten möge, weiß ich auch nicht so genau.
Aber solange du sowas hast, wirst du immer Konflikt, Dissens und Kritik zu hören kriegen.
Und man würde ja jetzt sagen, aus einer demokratietheoretischen Perspektive ist das auch gut so,
weil eben sozusagen die Länder, in denen es keine Kritik gibt oder in denen
es diese Kritik nicht gibt, eben keine sind, in denen es die Möglichkeiten von
demokratischer Kritik oder von demokratischen Diskursen gibt.
Systematisch enttäuschen müssen die Parteien aber eben auch,
weil sie nicht die Macht haben, die sozusagen ihnen diskursiv unterstellt wird.
Damit meine ich, Parteien sind also als Organisation des Politischen dafür da,
Personal zu selektieren, das irgendwie in Wahlen antritt und danach MTH einnimmt.
So, also es geht irgendwie da um das Politische und das Politische ist dafür
da, Macht zu symbolisieren.
Nun ist es aber eben in der modernen Gesellschaft so, dass es neben sozusagen
der politischen Logik eben auch noch viele andere gibt, zum Beispiel die Logik der Wirtschaft.
Und wir wissen ja aus eigener Anschauung, dass es eben nicht so ist,
dass ich als Politik sagen kann, ich entscheide jetzt.
Ab jetzt sind wir klimafreundlich und dann stellt sich die Wirtschaft sofort
um und macht das und sagt, ja wohl Politik, gerne Politik, ab jetzt sind wir klimafreundlich, so.
Und das ist halt auch eine systematische Enttäuschung. Die Leute wählen jemanden,
der sagt, ich werde eine Politik machen, die irgendwie den Klimawandel aufhält
und dann kann die Person das nicht.
Weil so eine moderne Gesellschaft nicht gebaut ist. Nur ein Diktator kann das,
nicht mal der kann das wahrscheinlich, auch der Diktator kann es nicht.
Aber glaubwürdig lässt sich das in einer Demokratie nicht so vertreten,
nicht in einer komplexen Gesellschaft.
Das führt zur Enttäuschung. Ich denke aber, das erstmal anzuerkennen,
diese Gleichzeitigkeit von so viel unterschiedlichem und wie kompliziert es
eigentlich ist, ist für mich ein schwieriger, aber mindestens ein realistischer
Weg, um zu Lösungen zu kommen.
Wobei das dann eben ja Lösungenchen sind wahrscheinlich und eben nicht die große drübergeschmissene,
I don't know, ja, Strategie, mit der man irgendwie Problemlagen einer modernen
Gesellschaft lösen kann.
Jan Wetzel
Gehört dann so eine Art Zynismus, den natürlich alle großen Organisationen auch kennen.
In dem Fall vielleicht auch ein Zynismus von Wählern, selbst wenn sie eigentlich
dem Systemvertrauen trotzdem irgendwie sagen, Na ja, ich glaube da jetzt nicht
wirklich daran, was die sagen. Gehört das dann auch einfach dazu in so einer Distanz?
Kann man auch da sagen, dass das jetzt erst mal für sich genommen gar kein Krisenphänomen ist?
Jasmin Siri
Ich weiß gar nicht, ob es Zynismus ist. Also was auf jeden Fall nur begrenzt
weiterhelft, ist ein Idealismus, der zu sehr an sich selber glaubt.
Also wenn ich sozusagen Gesellschaft verändern möchte, dann passiert noch überhaupt
nichts, weil ich tolle Ideale habe.
Das ist konsequenzenlos gesellschaftlich und es ist eine komplette Überschätzung eines,
also und das habe ich an mir selber erlebt, weil ich auch sehr idealistisch
war oder auch immer noch bin,
aber sozusagen man muss sozusagen, also eine Erfahrung vielleicht des Lebens
in der Moderne sollte sein, des politischen Lebens in der Moderne sollte sein,
dass man sozusagen aus schönen Sätzen noch keine bessere Politik weckt.
Dass das eben keine Pfadlogik ist. Und das ist was, was eben dann dazu führen
kann, sich stärker, sage ich mal, inhaltlich auch mit Problemlagen auseinanderzusetzen.
Also Beispiel, aktuelles Beispiel, es gibt dann diese Menschen,
die also irgendwie in Talkshows darüber reden, wenn man nur dies oder jenes
tun könnte, dann wäre quasi Frieden im Nahen Osten.
Und das kommt dann sehr idealistisch daher. Es ist aber eigentlich nur unlauter.
Und es ist auch nicht ehrlich.
Da werde ich dann zynisch, wenn ich sowas höre, weil ich mir denke,
das verspricht sozusagen eine Komplexitätsreduktion, die uns nicht hilft,
eine Demokratie zu organisieren.
Ich meine das jetzt normativ. Ich meine das jetzt wirklich normativ.
Und man müsste eigentlich den Leuten beibringen, wie sie mit dieser Komplexität
besser umgehen können. Weil natürlich, du hast die Populisten vorhin,
oder ihr habt die Populisten vorhin angesprochen, die reagieren natürlich auf
diese Komplexität und auf die große Unzufriedenheit mit dieser Komplexität.
Also das ist schon so, da ist schon was dran.
Genau, ich habe aber den Eindruck, dass sozusagen jetzt, wenn man überhaupt
von sowas wie der aktuellen jungen Generation sprechen kann,
finde ich immer schwierig.
Also beim Generationenbegriff, da gibt es auch ganz viel Literatur in der Soziologie,
was das denn bedeuten kann.
Aber ich glaube sozusagen, diese Politikverdrossenheit und ich meine,
dass die Zahlen auch becken, die Studien dazu,
die findet nicht unbedingt bei den Jüngeren statt und das ist immer so meine kleinere Hoffnung,
die ich dann habe, dass das so vielleicht auch ein allgemeines Überfordertsein
mit Gesellschaft ist, dass diese Unzufriedenheiten dann.
Zum schwingen bringt auch in solchen umfragen weil
du kannst es ja nicht so so klar trennen also sagen wenn wenn menschen ängstlich
sind und dafür gibt es gute gründe weil kriege stattfinden weil irgendwie eine
inflation stattfindet und so weiter dann hat das ja vielleicht auch so so side
effects auf umfragen zu politischem vertrauen beispielsweise.
Leo Schwarz
Andererseits es sind ja natürlich auch Parteien, also in ihrer Programmatik
müssen sie ja trotzdem auch irgendwie eine kulturell normative Konstruktionsleistung vollbringen.
Sie müssen an tatsächlich ja irgendwie einen Werte- oder Normhorizont anschließen
und der steht natürlich auch permanent zur Diskussion.
Und natürlich sind auch Talkshows und natürlich sind auch soziale Bewegungen
ja Umwelten von Parteien und der Politik oder sagen wir mal des politischen Systems enger gefasst.
Insofern ist es ja nun auch nicht ganz unerheblich, wofür wir protestieren,
wofür sozusagen, worüber in Talkshows gestritten wird, im Guten wie im Schlechten.
Es werden ja auch komplette Pseudoprobleme seit Jahren behandelt,
könnte man sagen, jetzt als Außenstehender.
Insofern würde ich sagen, diese Komplexitätsformel, die steht ja auch immer
so ein bisschen im Verdacht,
dann auch zu viel Kind mit dem Bade auszugießen,
weil man ja dann sozusagen sagt, ja okay, akzeptiert die Komplexität,
embrace it, dass alles so kompliziert ist und dass es deshalb keinen sozialen
Fortschritt gibt, wird, dass es deshalb keine angemessene Adressierung der ökologischen
Katastrophe gibt und so.
Also man muss ja, man muss das ja schon irgendwie auch trotzdem sagen,
irgendwie gibt es ja dann doch einen Zusammenhang zwischen diesen,
diesen Bereichen und auch tatsächlich sowas wie moralischer Diskussion von politischen
Zielstellungen, die Parteien ja auch immer wieder leisten müssen,
nicht wahr? Wie würdest du das sagen?
Jasmin Siri
Da hast du total recht. Point taken. Wenn ich sozusagen jetzt gesprochen habe
über sozusagen das Anerkennen von Komplexität,
dann spreche ich natürlich zu Leuten, die irgendwie damit, keine Ahnung,
beruflich, intellektuell irgendwie ihr Leben verbringen wollen.
Ja, also ich spreche sozusagen auch so ein bisschen zu mir selber oder zu meinen Studis oder genau.
Das auf jeden Fall.
Das war jetzt sozusagen an die Seite der, sag ich mal, Profis so ein bisschen
gerichtet, in Bezug auf die Frage, wie sich eine Gesellschaft befrieden lässt.
Da sehe ich das auch anders, weil man natürlich nicht die gesamte Komplexität
der Gesellschaft irgendwie auf die Leute schütten kann und dann denken kann,
dass sie damit irgendwie happy sind und man auch eben anerkennen muss.
Ich habe leider vergessen, welcher Wahlphilosoph das geschrieben hat,
aber es hat mal jemand aufgeschrieben, dass die Leute auch ein Recht haben,
sich nicht so sehr dafür zu interessieren, was wir da politisch diskutieren.
Und ich fand das sehr, sehr plausibel. Also auch ein Recht auf Nichtwissen und
auf Desinteresse am politischen Prozess.
Es stimmt, also gerade die neuere Umweltbewegung, da, finde ich,
hat man das sehr schön und deutlich gesehen, wie auf einmal an allen Ecken und
Enden Klimaaktivismus in den etablierten Parteien gewachsen ist.
Also das hat mich manchmal so ein bisschen zum Lächeln gebracht,
also gerade auch bei der Sozialdemokratie, wie das dann so euphorisch aufgegriffen wurde, das stimmt.
Die Frage ist aber eben immer, oder für mich, für mich persönlich,
ist die Frage immer, wie transportiere ich das in eine politische Entscheidung?
Und da sehe ich eben, dass der Protest so wichtig, so funktional,
so manchmal auch vielleicht so befriedigend, der sein kann,
an so eine Grenze stößt, wenn es in die Übersetzung, in das konkrete politische Entscheiden geht.
Da finde ich jetzt schon interessant, wie es jetzt so mit den Grünen so weitergehen
wird, die ja aus einer Protestbewegung sich geformt haben.
Und fast alle Parteien, also alle linken Parteien, haben sich mal aus einer
Protestbewegung geformt. Aber da ist wirklich die spannende Frage,
wie das sozusagen umsetzbar ist. Es funktioniert zuletzt nicht so supi, aber ja.
Also, das ist eine sehr, sehr komplexe Vermittlungssituation,
die da stattfindet und die muss aber eben auch stattfinden.
Und ich finde, manche Protestbewegungen machen sich darüber zu wenig Gedanken,
was ihr gutes Recht ist. Aber wenn man sozusagen über den Erfolg von solchen
Strategien nachdenken möchte, ist es eben ein wichtiger Faktor.
Leo Schwarz
Ja, an den Grünen kann man das ja eigentlich perfekt exemplifizieren,
die Frustration, die die Parteien-Demokratie mit sich bringt.
Also durch die Professionalisierung, durch die typischen Prozesse von,
okay, wir müssen jetzt hier doch irgendwie Regierungen bilden,
wir müssen Wahlprogramme, wir müssen Koalitionsverträge schmieden,
entstehen genau diese elendigen Kompromisse, die jeder sozusagen jetzt erst
mal Grünenwähler früher abgelehnt hätte.
Und in der Professionalisierung entstehen natürlich auch genau diese Typen von Berufspolitikern,
die in jeder Talkshow ihren Leierkasten abspielen und sich nicht mehr auf sozusagen
intimere Gespräche einlassen, an denen man abprallt.
Und genau dieses Phänomen ist ja eigentlich perfekt an den Grünen abzulesen.
Und es ist aber trotzdem ja eben genau diese, ich will versuchen,
nur deinen Punkt noch mal zu wiederholen, genau dieser notwendige Prozess,
um in dieser Art der politischen Organisation irgendwie tatsächlich Macht auch zu entfalten.
Jan Wetzel
Was an der Frage auch nochmal wichtig ist oder an der Behandlung dessen,
ist glaube ich auch dieses Durchhaltevermögen.
Also ich war bei einer Veranstaltung von Fridays for Future,
das ist mir wirklich dann im Kopf geblieben,
also eine Podiumsdiskussion, Und da sagte eben einer,
die waren ja auch Schüler und Schülerinnen quasi,
natürlich sehr junge Menschen, sie war so enttäuscht und langsam verzweifelt,
dass sie jetzt seit über einem Jahr protestieren und das noch immer noch nicht
erledigt ist, sozusagen das Thema, was natürlich einmal so ein bisschen tragisch
ist, weil man wirklich gemerkt hat, wie sehr das sie mitgenommen hat.
Gleichzeitig kann man natürlich sagen, gerade wenn wir an die Grünen denken,
da gibt es Leute, die machen das seit 40 Jahren und mehr.
Also da ist ein Jahr ist da überhaupt gar nicht sozusagen in der Politik.
Jetzt kann man natürlich sagen, das sind eben junge Menschen,
da ist ein Jahr dann verdammt lang, gerade wenn man da so involviert ist.
Aber gleichzeitig sind das auch ganz, ganz, ganz lange Prozesse,
die sozusagen, wenn die einmal komplett durch die Gesellschaft gegangen sind,
sind 100 Jahre ganz schnell rum.
Also da kriegt man vielleicht auch so einen anderen Blick und kann eben,
Wenn man selber da drin ist und sich immer wieder emotional reingebt.
Das ist wichtig, das macht jedes Parteimitglied.
Selbst wenn man weiß, das funktioniert nicht so, muss man sich bei jedem Wahlkampf
selbst täuschen und viel reingeben.
Und dann aber langfristig nicht einfach auszubrennen.
Wenn man fragt, was kann das auf so einen Sinn haben, darüber nachzudenken,
ist das für mich etwas, was hilft.
Jasmin Siri
Ja, total. Also ich denke auch, also wenn man überlegt, Frauenwahlrecht,
wie lange das gedauert hat, irgendwie das, aber auch in anderen Feldern.
Ich meine, in der katholischen Kirchen kämpfen Frauen immer noch darum,
dass sie irgendwie sozusagen ins Priesteramt dürfen, in, ja,
also Bildungsaufstieg.
Also es gibt so viele dieser Geschichten, die eben so langwierig sind.
Und ich finde, es ist aber sinnvoll, auch um selber, also da geht es mir eher
um so eine eigene Ethik, also um selber nicht so enttäuscht zu sein,
zu wissen, wie wenig man bewegen kann als einzelne Person.
Also da, sage ich mal, demütig zu sein, um eine religiöse Chiffre zu benutzen.
Und ich erinnere mich noch sehr gut, dass es mir da sehr ähnlich ging in dem
Alter, wie die Person, die du beschrieben hast. Bei mir war das große Thema
Rassismus, Antifaschismus und ich war fertig mit der Welt, weil es immer weiter ging.
Und mir hat schon so eine historisierende Perspektive darauf geholfen,
zu sehen, dass das halt nicht erreicht werden kann.
Und zwar jetzt nicht im Sinne von Zynismus, gar nicht zynisch,
aber im Sinne von, man muss da am Ball bleiben.
Und das dauert und das ist irgendwie ein harter Kampf.
Und das ist nicht einfach. Es ist ein politischer Kampf. Der macht nicht nur
Spaß, der ist nicht nur schön.
Der ist sogar ganz oft nicht schön. Und das ist sozusagen sowas,
was ich finde, da geht es jetzt vielleicht eher um politische Bildung,
also dass man eigentlich den Leuten so was an die Hand geben muss,
um da auch durchzuhalten, sage ich mal in so Kontexten.
Genauso in so Kontexten wie Social Media und Politik, Umgang mit Hate Speech und so weiter.
Da geht es ja dann auch um so ganz persönliche, also nicht um gesellschaftliche
Coping-Strategien, weil Gesellschaft kommt damit ganz gut klar,
Aber so persönliche Coping-Strategien, um sozusagen ...
Politisch aktiv bleiben zu können. Gibt es natürlich im Aktivismus seit 100
Jahren irgendwie so Gruppen oder Gesprächskontexte, in denen das erfolgen kann.
Aber ich glaube, das ist sozusagen auch die andere Seite der Individualisierung,
ist, dass wir uns eben, wir Menschen sozusagen, uns so wichtig nehmen und dann
sozusagen aus der Formulierung einer persönlichen Haltung zu etwas heraus,
die wir dann stolz sind, erwarten, Konsequenzen zu hören und zu spüren.
Und das ist halt in einer Demokratie echt unwahrscheinlich.
Ich wünsche mir da manchmal, dass wir da mehr von den USA lernen,
also in einem sehr kleinen, eingrenzten Bereich.
Ich war gerade wieder da und ich war froh, als ich wieder weg war,
weil schon die soziale Ungleichheit schreit dir die ganze Zeit also fürchterlich ins Gesicht,
aber was da ja schon es gibt, ist sozusagen ein Aktivismus, der von sich selber
weiß, dass er mit anderen Themen konkurriert.
Also wo man einfach zum Beispiel weiß, ich muss nicht enttäuscht sein,
wenn mein Thema gerade nicht das ist, was alle interessiert,
sondern ich muss dranbleiben und versuchen, Punkte zu finden im Diskurs,
wo ich mit meinem Thema einsteigen kann.
Also das, ja, und aber auch dann eine gewisse Professionalisierung.
Jetzt meine ich nicht, dass wir alle große Charity-Events oder so machen sollen,
aber sozusagen, ja, Formen finden, in denen das lebbar ist, ohne dass man daran
verzweifelt. Das fände ich schon gut.
Jan Wetzel
Eine Sache, die mir bei den Texten aufgefallen ist, dass es ja doch meistens,
und jetzt hast du auch schon gesagt, das gilt für die Demokratie,
irgendwie so um die Parteien in den liberalen Systemen geht, die man kennt.
Man kann natürlich, und ich weiß nicht inwiefern das in anderen Disziplinen
stattfindet, natürlich auch
dann Parteienforschung von sozusagen nicht demokratischen Parteien machen.
Die wahrscheinlich wichtigste Partei der Welt ist ja gerade die Kommunistische
Partei Chinas, die sicherlich auch ein eigener interessanter Gegenstand ist.
Auch wenn man den sicherlich sehr schwer erforschen kann nur.
Inwiefern gilt sozusagen diese Fragestellung dann für diese Parteien,
wie wir sie hierzulande kennen?
Oder kann man da nicht auch noch eine vergleichende Perspektive bringen?
Oder wie würde man das zuschneiden, so ein bisschen den Gegenstand?
Jasmin Siri
Genau, also kann man auf jeden Fall. Ich finde schon, dass sozusagen diese Systemtheorie,
mit der ich arbeite, sage ich mal, einen westeuropäischen Ethnozentrismus drin
hat irgendwie, den man dann rausschreiben müsste erst mal.
Also ich finde, da muss man sich auch ehrlich machen, das ist keine postkoloniale
Theorie, sondern sie ist natürlich sehr stark inspiriert auch von der Idee der
Entstehung europäischer Verfassungsstaaten.
Also das, was ich da mache, mache ich auch tatsächlich nur an den deutschen Parteien.
Natürlich, weil das auch meine Empirie war, weil ich irgendwie diese Parteientwicklung
nachvollziehen wollte und da kannst du halt nicht mehr als acht oder neun Parteienfamilien
reinnehmen, sonst wird es wirklich unerträglich groß oder nicht mehr bearbeitbar.
Aber man kann natürlich schon sich angucken, wie zum Beispiel eine nichtdemokratische
Partei anders organisiert ist als eine demokratische Partei und dann kommt man,
aber das habe ich tatsächlich, also zum Beispiel China, da habe ich zu wenig Einblick.
Man muss dann schon sich in die, und das habe ich ja auch gemacht.
Man muss sich in die Dokumente zur Parteientstehung ganz stark vertiefen und
die auch als empirisches Material lesen.
Man müsste es also quasi erstmal für jede Partei, für jede Parteienfamilie historisch
einzeln machen. Und das ist nicht so weit entfernt von dem, was vergleichende
Parteienforschung macht.
Und dann müsste man eben gucken, wo sind sozusagen die organisatorischen Besonderheiten.
Also eine Sache, die ich jetzt aus der Literatur erinnere, auch da kann ich
leider keine Quelle angeben,
weil es so lange her ist, dass ich es gelesen habe, ist, dass die kommunistischen
Parteien sozusagen der Satellitenstaaten des Ostblocks dann oft sozusagen die
Konflikte im Inneren aufgelöst haben.
Also dass es sozusagen dann eben gewisse Gruppen gab, die sich also bis hin
zu körperlichen Angriffen oder eben versucht haben,
sich gegenseitig über den Tisch zu ziehen, weil es eben nicht sozusagen in einer
Debatte, in einer breiten Debatte auflösbar war.
Also zu sagen, dass der Konflikt dann an anderen Stellen eben aufploppt oder
eben wie wir das ja auch vielfach erlebt haben in der Konstruktion von Feindbildern,
also sozusagen eigene Geschlossenheit gegen, also erreichen durch sozusagen
das Feindbild von außen.
Jan Wetzel
Kann man vielleicht verweisen auf die letzte Sendung mit Gerd Köhn,
wo es auch so ein bisschen um die Selbstverfleischung von Parteien ging,
die eigentlich immer eine Gefahr war.
Jasmin Siri
Also ich meine, das ist ja schon so, dass das natürlich immer sein kann,
dass das, also das sozusagen so eine Perspektive, wie ich sie auch fange,
heißt nicht, dass das Ganze funktioniert, immer stabil bleibt und weitergeht,
sondern es gibt immer sozusagen die Möglichkeit einer Implosion.
Also ich habe das noch nicht so oft so empirisch beobachtet,
aber ich hatte zum Beispiel, ich habe ganz stark auch die republikanische Partei
beobachtet in der Trump-Zeit und dazu auch gearbeitet und da hattest du schon
immer wieder das Gefühl sozusagen, dass da was implodiert.
Und dann aber wieder ist es eben sehr schwer, und das noch zu dem Punkt zum Vergleich,
es zu vergleichen oder als deutsche Parteienforscherin auf diese ganz,
ganz andere Parteienformationen zu schauen, also die so anders und viel weniger
organisiert ist beispielsweise, in der es ganz andere Einflussfaktoren gibt,
die für uns aber auch nicht auf den ersten Blick sichtbar sind und so weiter.
Also wenn man vergleicht, da muss man sehr, sehr genau reingehen.
Aber ich finde so zum Beispiel bei den Republikanern kann man sehen,
das ist eine Partei, die nicht mehr funktional arbeitet.
Also würde ich jetzt mal so behaupten, sondern das ist an vielen Stellen dysfunktional
geworden und zuletzt hat man es, finde ich, ganz toll beobachten können bei
der Speaker-Absetzung und den darauf folgenden Versuchen von einer der Wahl eines neuen Speakers.
Was ja eine echt wichtige Funktion ist in dem System.
Jan Wetzel
Ja gut, ich meine mit Macron und so weiter ist ja das französische Parteiensystem
eigentlich auch zusammengebrochen.
Beziehungsweise ohne das Zusammenbrechen hätte er niemals Präsident werden können.
Vielleicht kommen wir da auch sozusagen, die Zeit ist ja ein bisschen vorangeschritten,
dann nochmal auf diese krisenhaften Erscheinungen.
Ich bin eingestiegen sozusagen mit den Rechtspopulisten in Deutschland,
eben die AfD, wo man sich ja auch derzeit so ein bisschen fragt,
treten die wirklich dazu an, das demokratische System zu zerstören.
Oder, was man ja auch bei anderen populistischen Parteien in Europa gesehen hat,
ist dann, sogar wenn sie an die Macht kommen, das ist ja zumindest in Deutschland
auf der Bundesebene noch nicht wahrscheinlich,
auf Landesebene ist das durchaus möglich, werden sie dann doch irgendwie diszipliniert
oder disziplinieren sich auf eine Weise selbst, weil sie dann tatsächlich irgendwie,
ja, Macht übernehmen müssen.
Was sie dann politisch umsetzen, davon mal ganz abgehalten. keine Kraft mehr,
wenn sie in Regierungsverantwortung sind, die jetzt systematisch eben die Demokratie zerstören.
Muss man, wenn man jetzt so eine Parteiensoziologie macht, da auch tatsächlich
unterscheiden und sich fragen, das sind dann andere Parteien,
wenn sie eben zum Beispiel tatsächlich auf die Zerstörung des Systems und gar
nicht mehr auf die Parteienkonkurrenz sich konzentrieren?
Jasmin Siri
Auf jeden Fall. Also ich habe da in der Aus-Politik-und-Zeit-Geschichte mal was geschrieben.
Der Text heißt, glaube ich, von der Partei zur Bewegung. Und da ging es wirklich um die Frage,
inwiefern sind manche der zum Beispiel populistischen oder auch der extremistischen
rechten Parteien überhaupt noch Parteien in dem Sinne,
wie ich sie zum Beispiel beschreibe, aber auch viele andere,
was es schon gibt und was es immer gab.
Also auch jetzt, wenn man an die frühe Arbeiterbewegung denkt,
ist ein Prozess der Zivilisierung und Disziplinierung durch Parteien.
Das haben manche, wie Lenin, haben das beschrieben als auch ein Ziel von Parteiarbeit.
Aber es gibt schon auch so einen Such der Verfahren und eine Art Sozialisation.
Man muss es nicht so Disziplinierung, klingt so streng, aber es ist eine Sozialisation
in die Verfahren, die dazu führt,
dass einem diese Verfahren auch was zu bedeuten beginnen, sage ich mal.
Also zum Beispiel der gute Umgang mit Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss,
dass man da eine gute Zeit haben möchte.
Und dann, also davon kann man schon ausgeben.
Und ich würde jetzt auch nicht sagen, dass nur weil jemand in der AfD ist,
er oder sie nicht solche Gefühle verspüren kann irgendwie.
Aber was es natürlich auch gibt, sind diese, sag ich mal, disruptiv-destruktiven
Bewegungen. Und es gibt genug Leute in der AfD, die eine solche Programmatik
verfolgen. Ich meine das nicht irgendwie politisch, sondern also ganz sachlich.
Wenn man sich anguckt, was am IFS und an anderen Orten geschrieben wird,
dann ist das natürlich, ist es aber, setzt das...
An bei der Idee, dass man diesen Staat, so wie er besteht, abschaffen möchte.
Ich denke da auch an Herrn Bannon in den USA, Stephen Bannon,
wenn Sie seine Schriften oder wenn ihr seine Schriften mal lest,
da geht es genau darum. Also es geht um Destruktion und um Zerstörung,
weil man irgendwie so mystisch die Idee hat, dass daraus was Besseres kommt,
wenn man es erst mal alles kaputt gemacht hat.
Und das ist nur erfolgreich in einem Kontext, wo sozusagen die Organisation
ganz, ganz wenig organisiert ist, sage ich jetzt.
Also in einem stark organisierten Kontext geht das nicht.
Und deshalb konnte Bannon und Trump, dass auch diese gemeinsame Arbeit hat nur
funktionieren können unter dieser Prämisse, dass da eigentlich niemand irgendwas
organisiert und dass es eigentlich überhaupt keine innerparteilichen Diskussionen gibt.
Es gibt dann halt irgendwelche Feierveranstaltungen, wo man Reden hält und danach
wird irgendwie geklatscht, aber es gibt gar nicht sozusagen dieses Votum oder
nur an wenigen Stellen, die dann nicht so entscheidend sind,
Und das ist die demokratische Wutung und die demokratische Debatte auch innerparteilich.
Und dazu gibt es eine große Literatur aus den 90er-Jahren von Karls Mötte und
anderen, die ja beschrieben haben, wie labil was ist, wenn man eine Führungsperson nach vorne stellt.
Und mit der AfD haben wir halt ein sehr komisches Mischphänomen,
weil wir haben einerseits sehr klare,
extreme Rechte, die auch in sich geschlossen ist und ein Stück weit auch in
sich geschlossen arbeitet,
aber natürlich auf dem Karteiapparat großen Einfluss hat und dann natürlich
auch andere Leute, die in irgendwelchen regionalen Kontexten sozusagen versuchen,
irgendwie Politik zu machen im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Und aber dass das labil ist, das, ja, glaube ich, erschließt sich ohne,
dass ich das jetzt weiterhin erkläre.
Was vielleicht wichtig ist, ist das, aber das ist auch so eine Binse aus der Wahlforschung.
Ein Wahlerfolg heißt ja noch nicht, dass die Leute das in Politik umsetzen können.
Nur weil da jetzt irgendwie mehr Leute sitzen in einer Partei,
ist das noch nicht, dass da irgendwas sich aus deren Kraft heraus ändern wird.
Eher vielleicht diskursiv, weil andere Gruppen, die um Wählerinnen und Wähler
konkurrieren, Angst haben, dass es bei ihnen jetzt nicht mehr so funktioniert.
Also das ganze jetzt irgendwie mit mehr Abschieben und besser Abschieben,
das Besser-Abschieben-Gesetz oder wie es heißt, ich hab's vergessen.
Das hieß so ähnlich wie Gute-Kita-Gesetz.
Jan Wetzel
Ich habe es auch nicht genau im Kopf, aber genau sowas.
Jasmin Siri
Es heißt nicht besser abschieben, aber so ähnlich. Genau,
also das sind natürlich dann so Reaktionen auf elektorale Erfolge,
aber eine Partei, die desorganisiert ist,
hat es sehr viel schwerer, sozusagen im parlamentarischen Betrieb dann erfolgreich zu sein,
der ja wieder ein ganz anderer Kontext ist, nach ganz anderen Regeln funktioniert
und wo zum Beispiel die gute Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen anderer
Fraktionen relevant ist, um eigene Themen nach vorne zu bringen.
Jan Wetzel
Kann man trotzdem sagen, das ist zumindest das, was ich immer mal gehört habe,
dass es schon prinzipielle...
Die Krise des parlamentarischen Systems in dem Fall vor allem mit sich gebracht hat.
Dass die Zusammenarbeit unter den Parteien im Parlament und ja auch sozusagen
über Regierung und Opposition mit auf der Arbeitsebene,
dass das schwieriger geworden ist, wenn man tatsächlich so eine Partei hat,
wo sich eigentlich das restliche Spektrum abgrenzt.
Und damit eine gewisse Vertrauensebene. Ich meine, das wäre natürlich auch eher
eine empirische Frage, wie das in Parlamenten funktioniert.
Zwischen der einen Partei und dem Rest so ein bisschen stattfindet.
Und man nicht mehr davon ausgeht,
dass zumindest ein Basiskonsens über die Parteien hinweg besteht,
was die Grundlage, die Arbeitsgrundlage auch dessen angeht, was in den Parteien stattfindet.
Jasmin Siri
Ich glaube schon, dass es schwieriger oder auch emotional schwieriger ist,
wo zu arbeiten, wo Leute sind, die die Demokratie abschaffen wollen.
Ich stelle mir das schwierig vor und ich weiß auch aus Gesprächen mit politisch
Tätigen, dass es schwierig ist. Auf der anderen Seite habe ich so das Gefühl,
und jetzt weiß ich aber, da habe ich zu wenig Einblick. Es gibt ja ein paar
Studien jetzt auch dazu, da müsste man jetzt mal genauer reingucken, was die so rausfinden.
Aber ich glaube schon, dass es eigentlich gar nicht so schwierig ist,
für Profis im parlamentarischen Betrieb sozusagen Absprachen miteinander zu treffen.
Das wird dann ja auch von Land zu Land oder von Ort zu Ort weitergegeben,
solche Papers, in denen expliziert wird, wie man zum Beispiel verhindern kann,
dass, i don't know, sensible Infos über, ja,
ich spinne mir jetzt was zusammen, ich erfinde jetzt ein Beispiel,
also das Beispiel, ich habe irgendwie Personen, die irgendwie vor Neo-Nazi-Angriffen
geschützt werden müssen und ich will nicht, dass deren Wohnadressen irgendwie rausgehen.
Da gibt es schon, glaube ich, Lösungen, die die Menschen in der Verwaltung oder
auch in der Parlamentsverwaltung finden.
Ich habe manchmal das Gefühl gehabt, aber auch das ist sehr anecdotal,
dass das dazu führt, dass auch die anderen Parteien wieder mehr miteinander
zusammenarbeiten, also auch einen positiven Effekt, weil man sozusagen sieht,
okay, da sind wir jetzt alle nicht mehr dabei.
Das finden wir irgendwie alle nicht in Ordnung, Menschen das Recht zum Leben
abzusprechen, weil sie irgendwie am falschen Ort oder mit der falschen Hautfarbe
geboren sind oder oder oder.
Das kann ja auch sozusagen dann, ja das ist so dialektisch, wo es dann welchen
Effekt hat. Aber ich glaube schon, dass es sozusagen für viele Leute so eine sehr,
schwierig auszuhaltende Situation ist, wobei ich vermute, dass eben die Zeit,
also die letzten 30 Jahre eben auch als sehr friedlich erlebt wurden,
vielleicht auch friedlicher als sie mal waren.
Also ich erinnere mich noch ganz gut an Herrn Gauweiler und seine Forderung,
Homosexuelle in Lager zu stecken, damit sie nicht die Bevölkerung mit Aids anstecken und so.
Genau, also auch das eben auch auf der Folie von da,
darüber haben wir jetzt heute nicht so viel geredet, aber es hat viel damit zu tun,
also was es mit uns macht, dass wir eben unsere Nachrichten aus einer Medien,
aus einer sehr polykontextualen Medienwelt auch bekommen, mit Verkürzungen,
mit irgendwie Zuspitzungen, mit Betonungen spezifischer Thematiken und so weiter.
Leo Schwarz
Jetzt haben wir ja bisher vor allem so ein bisschen Apologie der Partei als
sozialer Form betrieben,
wie ich denke auch zu Recht, weil man natürlich schon wirklich erstmal die Struktur
dieser Organisation wirklich begreifen muss,
um zu verstehen, wo es notwendigerweise irgendwie immer hapert und wo es problematisch wird.
Nichtsdestotrotz gibt es für dich eigentlich auch Perspektiven,
wie man diese Organisation verbessern könnte, wie man vielleicht auch die demokratischen
Institutionen erweitern, verbessern könnte.
Ansätze von demokratischer Innovation auch.
In letzter Zeit wurde auch wieder viel über BürgerInnenräte gesprochen,
die ja nicht dasselbe sind, wie einfach irgendwelche Volksentscheide zu machen,
sondern auch wirklich zu versuchen, Also eben noch mal deliberative Austauschmomente
auch unter Bürgern herzustellen.
Da gibt es Ansätze auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Eine andere Frage,
die wir jetzt auch nicht besprochen haben, der Einfluss von Interessenvertretungen
auf Parteien, Lobbyregister und dergleichen, wo ja auch wieder dieser Transparenzeinfluss auftaucht.
Also gibt es sozusagen Bausteine auch demokratischer Innovation,
die trotz aller, sagen wir mal, organisationalen Realismus für dich vielversprechend
erscheinen als Parteienforscherin?
Jasmin Siri
Also was ich schon, also ich finde, also gut, die Bürgerinnenräte sind jetzt
natürlich nicht, das hat jetzt natürlich mit Parteien nicht so viel zu tun,
aber ich finde, das ist eine, auf jeden Fall eine sehr spannende Initiative,
die ja auch wissenschaftlich begleitet wurde.
Ich habe jetzt die Begleitforschung noch nicht gelesen, aber das wäre tatsächlich was.
Wo ich mir zumindest, was zumindest mal was anderes ist und wo ich das Gefühl
habe, dass es eventuell viele Menschen ansprechen könnte.
Ich bin mir null sicher, wie weit das auch aus der Politik-Bubble rausstrahlt,
aber ich finde, es ist auf jeden Fall sehr, sehr ehrenwert und eine gute Idee erst mal.
Bei den demokratischen Innovationen, ich meine, es gibt vieles,
worüber man, worüber ich auch schon mal mit anderen nachgedacht habe.
Also der liebe Kollege Thorsten Faas, auch in Berlin, diskutiert immer wieder
die Frage einer Wahlpflicht an.
Das ist ein Thema, das auf jeden Fall mal spannend ist und über das man reden
kann. Dann gibt es die Fragen sowas wie Primaries, Vorwahlen.
Ich fand das mal eine richtig gute Idee. Dann kam Trump. Ich bin mir nicht mehr sicher.
Aber natürlich ist schon die Frage, auch da muss man mit dem deutschen Parteienrecht
ein bisschen gucken, aber man kann da so ein bisschen rumtricksen.
Dann lässt man vielleicht die Leute da draußen mitentscheiden.
Dann sagen andere zu Recht, nee, das ist nicht demokratisch.
Dann sollen die in die Partei eintreten.
Dann dürfen sie auch mitentscheiden, wie er vorne steht. Also es ist dann halt
auch immer gleich sofort so eine riesige demokratietheoretische Debatte.
Was ich schon wichtig fand oder finde, ist, dass die Parteien für sich anerkennen,
das haben sie inzwischen, glaube ich, eigentlich fast alle getan.
Ich sage jetzt nicht, wer nicht, Dass es nicht mehr selbstverständlich ist für junge Leute,
auch wenn sie super politisch sind, in die Parteien zu kommen und dass sie da
was tun müssen für und dass sie da auch Angebote schaffen müssen und ich glaube schon,
dass sowas wie, dass man nicht die Ortsvereinsdebatten immer um 19 Uhr am Freitag
macht, sondern dass man an junge Eltern denkt, dass man an Menschen denkt,
die vielleicht pendeln, dass man andere Formate auch anbietet.
Und das ist, glaube ich, schon weithin.
Irgendwie plausibel geworden für die Parteien. Also das sind so Reförmchen,
aber ich glaube, das macht viel aus, wenn man Menschen ansprechen will,
weil sehr häufig eben gerade auch Studis,
die umziehen, also tatsächlich das BAMA-System hat sich ganz viel verändert
in der Parteiarbeit, weil viele Studierende eher in Parteien engagiert sind
und wenn die dann aber nach zwei Jahren schon wieder umziehen,
dann haben die ja eigentlich schon wieder eine völlig neue Bezugsgruppe.
Und also auch da kann man eben überlegen, was macht man mit denen?
Also sind die dann halt raus, weil sie studieren jetzt und können nicht mehr
Parteiarbeit machen oder findet man andere Möglichkeiten für die?
Leo Schwarz
Hattest du noch was zu den Interessenvertretungen gegenüber der Politik zufällig?
Also Lobbyismus und sowas? Also es muss auch nicht, aber...
Jasmin Siri
Ich denke schon, dass um Vertrauen sozusagen zu stärken der Bürgerinnen und
Bürger gegenüber den Institutionen, es eigentlich unerlässlich ist zu wissen,
wer bekommt von wem Geld.
Ich meine, wir erinnern uns an die Parteispendenaffären in den 1990er-Jahren,
aber eben auch an so ein bisschen weichere Fragen. Wer arbeitet mit wem wo zusammen?
Und ich finde eigentlich schon, dass jeder und jede, der die Politik macht,
es gut zu Gesicht stehen würde, das irgendwie sichtbar zu machen.
Im Moment ist das nur...
Selten bei Leuten, die sehr sensibel sind für das Thema der Fall.
Es ist ja eben auch dann, das ist so ein bisschen so wieder diese US-Geschichte.
Es ist ja total normal, dass wir alle irgendwie Freunde haben,
dass wir alle irgendwie Kontakte haben, dass wir mal vorher wo gearbeitet haben
oder auch bei einer Stiftung gefördert wurden oder oder.
Und wenn es sozusagen normaler wäre, das von sich auch zu sagen,
ohne dass da gleich irgendwie ein Ideal von Unbeflecktheit beschmutzt würde,
dann würde man sozusagen auch die echte Korruption vielleicht einfach sehen können.
Weil nicht alles, was Kontext ist oder Verbindung ist, ja gleich schmutzig oder Korruption.
Aber es ist einfach auch demokratisch, wenn jeder wissen kann, wo jemand hingehört.
Und nicht nur die Person, die total gute Kontakte hat, sich total auskennt,
genau jeden irgendwo in Berlin kennt oder so. Das ist auch eine Frage von Demokratie, die Transparenz.
Jan Wetzel
Es ist noch mal eine sehr allgemeine Frage, aber du würdest nicht sagen,
das ist auch manchmal ein Eindruck, wenn das so kritisiert wird,
dass Parteien eben so verknöchert sind oder sowas.
Das ist sicherlich sozusagen strukturell, ist das so? Jede Organisation hat
da immer mit zu kämpfen. Aber mein Eindruck, und das gilt für das politische
System insgesamt oder für politische Institutionen, von Verknöcherungen sehe
ich eigentlich selten was.
Von Überforderungen natürlich und von einem gewissen Konservatismus und so weiter.
Aber so eine richtige, wie so eine systemische Zwang, sich immer gegen den Wandel
zu wehren und deswegen so den Kontakt zur Wirklichkeit verloren zu haben,
das sehe ich eigentlich insgesamt selten.
Das ist schon, also das ist jetzt natürlich auch mein absolut selektiver Eindruck.
Aber dass man doch auch Innovationen zumindest offen ist. aber natürlich auch
nicht die, wenn die nicht funktionieren, natürlich auch schnell Erfahrungen
macht und dann skeptischer wird.
Das ist ja alles da, aber das spricht ja eigentlich auch für eine grundsätzliche
Innovationsfähigkeit.
Jasmin Siri
Ja, ich gebe dir total recht. Also ich denke, dass Parteien in diesem Kontext
wirklich dasselbe Problem haben wie alle anderen Parteien auch.
Jetzt bin ich wieder bei dem Bild vom Anfang, weil Ehrenamt hat ein Problem.
Und halt nicht nur in Parteien, sondern auch auf dem Fußballplatz.
Wenn ihr Kinder habt, die Fußball spielen wollen, wisst ihr,
es gibt super wenig Trainer in der Kirche, all around.
In Vereinen, auch abseits. Also es gibt sozusagen ein Problem mit dem Ehrenamt
und natürlich ist das Parteien- und das Vereins- und,
Entschuldigung, das Vereins- und Verbandsrecht, das irgendwie auch ziemlich
nah am Parteienrecht gebaut ist, ist natürlich irgendwie knöchern.
Du musst Geschäftsordnung haben, du musst irgendwie abstimmen,
du musst irgendwie auf eine gewisse Art und Weise deine Versammlung abhalten und das kommt Leuten,
die damit nichts zu tun haben, erst mal komisch vor, ist aber eben auch Teil
dieser demokratischen Form und ich glaube schon,
dass es sozusagen, also wenn man jetzt überlegen würde, was würde denn den Parteien
helfen, dann glaube ich ein guter Gemeinschaftskunde, Schrägstrich Politikunterricht
an Schulen, ja, das wäre eigentlich das Essentielle.
Eine gute Demokratieerziehung, auch eine Medienerziehung, Also ich weiß,
dass das jetzt extrem basal ist, so ein bisschen wie wenn ich sage,
du schickst die Kinder früh in die Kita, aber es stimmt einfach.
Also sozusagen, man muss, also wenn es in diesen Parteien nicht immer nur cool
ist und wenn es nicht immer nur Spaß macht, dann muss den Leuten klar sein, dass es wichtig ist.
Dann müssen sie das tatsächlich aus einem Idealismus heraus tun,
dass sie sich am Abend da hinsetzen und nicht in den coolen Club gehen, ja.
Und ich glaube, das ist tatsächlich was, was mit politischer Bildung,
aber auch gerade mit schulischer Bildung zu tun hat.
Und das ist tatsächlich was, was mir so ein bisschen Angst macht,
dass es immer wieder Stimmen im politischen Kontext gibt, die sagen,
eigentlich wäre es nur wichtig, dass die Leute Mathe lernen oder,
I don't know, Physik und Deutsch.
Ich sehe das nicht so. Also ich finde es total wichtig, dass die Leute was über
die Fragilität der Demokratie auch lernen.
Dass sie wissen, das bleibt nicht immer so, wenn wir nichts tun,
sondern es kann dann auch anders sein.
Soziologisch der Gesellschaft ist das egal, ob sie demokratisch organisiert
ist oder nicht, aber uns Einzelnen dann vielleicht eben doch nicht.
Jan Wetzel
Noch eine letzte Frage. Wir sind eingestiegen mit deiner Forschung auch und
dem Sammelband, den ihr jetzt da frisch heraus oder noch relativ frisch rausgegeben habt.
Jetzt hast du gesagt, es ist vielleicht auch eine soziologische Aufgabe, das mitzubeschreiben.
Siehst du da, dass das jetzt ankommt oder seid ihr da doch die ersten?
Also im Sammelband waren ja auch ein paar mehr Leute sozusagen,
die ihr versammeln konntet.
Ist das noch ein kleiner Haufen oder ist da vielleicht auch jetzt,
wenn man jetzt auf den politischen Kontext insgesamt blickt,
auch vielleicht so eine Art Verantwortung, soziologisch das auch stärker zu
thematisieren und ernsthafter zu thematisieren.
So ein Wandel oder ist das ja noch eher so ein Randphänomen?
Jasmin Siri
Also ich habe schon das Gefühl, dass sozusagen, ich weiß es nicht,
die Parteienforschung ist halt eben nur ein kleiner Bereich und das ist ja auch
legitim, wenn sich andere Leute mit etwas anderem lieber beschäftigen wollen.
Aber ich habe schon so das Gefühl, dass es immer ein großer Vorteil ist,
wenn man sich für Sachthemen interessiert.
Und es gibt schon auch außerhalb sozusagen der soziologischen Community ja irgendwie
einfach viele Menschen, die zu Parteien irgendwie arbeiten, aus verschiedenen
Disziplinen und in denen man sozusagen dann Themen und Debatten weitertragen kann.
Innerhalb der Soziologie, na ja, also es gibt schon viele Menschen,
die sich dafür interessieren.
Ich glaube aber auch, dass sozusagen die...
Politikwissenschaft einfach sozusagen als Expertin für die Parteilichkeit irgendwie
auch eben natürlich näher gebaut ist an den Erwartungen von Medien,
weil Politikwissenschaftler oder ein Teil der Politikwissenschaft dann eben
auch schon fast wie so eine Selbstbeschreibung von Politik funktioniert.
Aber ich glaube, es ist total wichtig, dass man sich über Verfahren,
demokratische Verfahren auch soziologische Gedanken macht, weil man eben dabei
helfen kann, so ein paar Enttäuschungen vielleicht abzuschwächen oder vielleicht sogar zu verhindern.
Und ich glaube, dass das eine gute Sache ist, ganz abgesehen davon,
dass es immer gut ist, wenn du sozusagen verschiedene Formen von Daten miteinander verbinden kannst.
Und da würde es auch zum Beispiel sinnvoll sein, so was zu haben wie so eine,
ja, I don't know, Ethnopsychanalyse von Parteilichkeit, oder von politischem Kampf.
Also und da gibt es natürlich schon vieles, nur das wurde nie systematisch auf die Parteien bezogen.
Jan Wetzel
Dann nehmen wir das mal als Schlusswort und vielleicht als Appell,
wenn euch das Thema interessiert, da auch selber reinzugehen.
Vielleicht bleibt ja hier jemand hängen. Vielen Dank, Jasmin Sirif, für die Auskünfte.
Jasmin Siri
Ja, vielen Dank euch.
Jan Wetzel
Ich sage es nochmal, Soziologie der Parteien heißt der letzte Sammelband,
gibt einen guten Einblick und Überblick in den Gegenstand.
Hier bitten wir euch, die Folge zu teilen, wenn euch die gefallen hat,
wie immer in den sozialen Netzwerken oder auch offline in den sozialen Netzwerken.
Wir können auch hinweisen auf Folge 61 mit Jenny Brichtzin.
Ist so ein bisschen die Schwesternfolge, weil es da um die Parlamente geht,
die ja einer der wichtigsten Kontexte der Parteien sind, auch das unbedingt anhören.
Ansonsten, wie gesagt, fehlt uns weiter. Wir hören uns in der nächsten Folge
von Das neue Berlin. Tschüss!