Transkript von Episode 90: Das Thüringen-Projekt – mit Marie Müller-Elmau und Hannah Beck

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Marie Müller-Elmau
Im Rahmen von der Wissenschaftsfreiheit wäre es in Deutschland ganz klar verfassungswidrig,
dass wenn eine Ministerin sozusagen konkrete Vorgaben dazu machen würde,
was an Unis erforscht werden soll.
Was nicht verfassungswidrig ist, ist aber Wissenschaft den Geldhahn abzudrehen
und damit zu versuchen, gewisse Forschungsrichtungen auszutrocknen.
Hier ist das neue Berlin.
Jan Wetzel
Hier ist das neue Berlin. Hallo und herzlich willkommen zur 90.
Folge von Das Neue Berlin. Mein Name ist Jan Wetzel.
Leo Schwarz
Und ich bin Leo Schwarz.
Jan Wetzel
Und gemeinsam versuchen wir hier Gegenwart und Gesellschaft zu verstehen.
Demokratie ist für uns meistens ein organisierter Streit der Ideen und ihrer
Umsetzung in die Wirklichkeit.
Doch gerade die modernen Verfassungsdemokratien sind, wenn man so will,
sehr komplizierte Maschinen, die außerdem regeln, wer in diesem Streit was,
wann, warum, wie darf und was nicht.
Nun haben wir in diesem Jahr Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen.
Damit in drei Ländern, in denen mit der AfD eine Partei hohe Zustimmung erhalten
könnte, die von dieser Maschine nicht so viel hält.
Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen setzt sich deswegen derzeit mit der Frage
auseinander, welche Option die AfD je nach Wahlerfolg hätte,
den Lauf dieser Maschine zu stören, sie für ihre Zwecke umzubauen,
ja ganze Teile zu ersetzen und zwar ohne geltendes Recht zu brechen.
Wir haben heute zwei Wissenschaftlerinnen aus diesem Thüringen-Projekt in der
Sendung, Marie Müller-Elmau und Hanna Beck, herzlich willkommen.
Hannah Beck
Hallo, danke für die Einladung.
Jan Wetzel
Schön, dass ihr da seid. Thüringen-Projekt habe ich jetzt schon gesagt,
Thüringen ist da der Aufhänger.
Was ist das für ein Projekt und wie seid ihr da drin gelandet?
Marie Müller-Elmau
Das Thüringen-Projekt ist ein Forschungsprojekt vom Verfassungsblog,
der letztendlich eine Diskursplattform ist für Verfassungsrecht und Politik
und schon seit den 2010er Jahren ganz intensiv verfolgt,
was in Ungarn und dann auch in Polen passiert ist, also wie dort eben mit formal
legalistischen Mitteln Demokratie und Rechtsstaat unterminiert wurden.
Und Max Steinbeiß hat schon im Jahr 2019 sozusagen das generelle Grundvertrauen,
das in Deutschland in Institutionen und Verfassung besteht, hinterfragt und
ein Szenario für die Bundesebene entwickelt mit dem Titel der Volkskanzler.
Wo er eben für die Bundesebene einmal durchspielt, was passieren würde und könnte,
wenn ein autoritär-populistischer Kanzler an der Macht ist.
Und ich habe mich im Studium tatsächlich im Rahmen meines Projekts mit diesem
Essay damals schon beschäftigt und wusste auch, dass es Überlegungen gibt,
dieses Szenario weiter für die Landesebene zu denken.
Und genau, bin so darüber beim Thüringen-Projekt gelandet. und wir recherchieren
jetzt eben, was dieses Szenario auf Landesebene bedeuten würde.
Hannah Beck
Genau, wir gucken uns konkret an, was passiert, wenn eine autoritär-populistische
Partei, und den Begriff können wir nachher vielleicht nochmal erklären,
staatliche Machtmittel in die Hand bekommt und machen da eine Szenarioanalyse.
Ich bin tatsächlich nicht Juristin, ich halte so ein bisschen die interdisziplinäre
Fahne hoch beim Verfassungsblock, beziehungsweise beim Thüringen-Projekt, muss man sagen.
Ich habe Ethnologie und Politikwissenschaft studiert und mich im Studium schon
mit den Einstellungen von WählerInnen der AfD auseinandergesetzt in Sachsen,
da habe ich eine Feldforschung gemacht und ich habe mir die transnationalen
Netzwerke der Identitären Bewegung angeschaut in meinem Master und bin über
diesen inhaltlichen Schwerpunkt beim Verfassungsblock gelandet.
Jan Wetzel
Verfassungsblog ist ja ein selbstorganisiertes Projekt, kriegt jetzt keine staatlichen
Mittel, könnt ihr dazu noch was sagen und natürlich auch zu dem Projekt.
Also spannend finde ich daran, dass es ja offensichtlich ein wissenschaftliches
Forschungsprojekt ist auf eine Weise,
sozusagen das Recht da durchzusehen und eben solche Szenarien zu entwerfen,
aber das eben nicht im Wissenschaftssystem selber passiert.
Macht das dort niemand? Ist das vielleicht auch ein Forschungsvorgehen, was unüblich ist?
Also für alle, die jetzt eben nicht aus der Rechtswissenschaft kommen,
vielleicht könnte da einen Eindruck geben, wie jetzt sich dieses Projekt in
der wissenschaftlichen Landschaft darstellt.
Marie Müller-Elmau
Also vielleicht erst nochmal zu diesem Aspekt von Selbstorganisation und Finanzierung.
Das Thüringen-Projekt finanziert sich eben auch maßgeblich über eine Crowdfunding-Kampagne,
die wir letzten Sommer gestartet haben und die gewissermaßen korreliert hat
mit der Wahl von Sesselmann zum Landrat.
Und deshalb ja entsprechende politische und mediale Aufmerksamkeit bekommen hat.
Und der Verfassungsblock versteht sich sozusagen auch allgemein als Vermittlerinstitution
zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft und macht damit eine Beziehung auf,
die allgemein in der Rechtswissenschaft nicht so besteht Und die auch das Thüringen-Projekt
sozusagen von klassischer rechtswissenschaftlicher Forschung,
wie sie in Lehrstühlen stattfindet, differenziert.
Also ich glaube, ein ganz entscheidender Punkt ist eben, dass wir uns nicht
einfach nur abstrakt mit Normen auseinandersetzen und Kommentare und Aufsätze
dazu lesen, sondern dass wir ganz konkret auch Menschen befragen,
die von diesen Normen betroffen sind und sie anwenden und damit Recht in eine
Beziehung zur Wirklichkeit setzen.
Was weder im Studium noch in der rechtswissenschaftlichen Forschung weit verbreitet ist.
Genau, das ist gewissermaßen eine Lücke, in die das Thüringen-Projekt in der
rechtswissenschaftlichen Forschung stößt.
Hannah Beck
Auch in der Politikwissenschaft gibt es tatsächlich wenig WissenschaftlerInnen,
die sich mit Szenarioanalyse beschäftigen.
Und für diese Szenarioanalyse ist eben diese empirische Arbeit aber elementarer Bestandteil,
weil man ohne eben mit Fachleuten zu sprechen aus Wissenschaft und aus der Politik
und aus zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht die Plausibilität von Szenarien abklopfen kann.
Also man braucht diese Gespräche mit Leuten, wie jetzt die Ethnologin sagen
würde, im Feld, um zu verstehen, wie Szenarien funktionieren können,
welche Szenarien besonders wichtig und relevant sind in den nächsten Monaten oder Jahren.
Marie Müller-Elmau
Genau, ich glaube, das ist auch noch ein ganz entscheidender Punkt für die Rechtswissenschaft,
dass Rechtswissenschaft vor allem mit bereits Gegebenem arbeitet,
also entweder zurückguckt oder eben diskutiert, was gerade passiert,
aber nicht so sehr in Erwägung zieht, was passieren könnte.
Und dass das auch ein Ansatz ist,
den das Thüringen-Projekt sozusagen neu aufstellt und der so den innovativen
Aspekt davon irgendwie auch ausmacht,
dass man recht sozusagen eine Art von Stresstest aussetzt und Erzählungen für
die Zukunft entwickelt.
Hannah Beck
Das ist total interessant, weil man ja jetzt durch diesen Fokus von zum Beispiel
journalistischen Projekten und zivilgesellschaftlichen Projekten auf diese Frage,
was wäre, wenn, sieht, dass die Menschen im Prinzip gefühlt darauf gewartet
haben, dass jemand diese Forschung anstrengt.
Also jetzt ein Beispiel ist zum Beispiel die Buchmesse in Leipzig,
wo es auch eine Veranstaltung geben wird.
Was wäre, wenn jetzt zum Beispiel ein AfD-Politiker in Thüringen regiert?
Jan Wetzel
Also es ist auch ein Weggehen, so verstehe ich das, eben von den Rechtstexten
und von sozusagen Überlieferungen, wie die zu verstehen sind.
Marie Müller-Elmau
Also ein Weggehen würde ich nicht sagen, weil das natürlich unser Ausgangspunkt
ist und wir schon auch diese klassische rechtswissenschaftliche Recherche machen
natürlich, um sozusagen erstmal zu verstehen,
was Voraussetzungen und Hintergedanken von gewissen Normen sind.
Aber wir beschränken es eben nicht darauf, sondern gehen eben noch diesen Schritt
weiter und beziehen diese Beziehung zwischen Recht und seinen AnwenderInnen.
Hannah Beck
Der Punkt ist ja, dass die autoritärpopulistischen Akteure das Recht nutzen,
um die Rechte von allen anderen demokratischen Akteuren einzuschränken.
Also die agieren formal legalistisch.
Sie brauchen diese Maschinerie, die ihr eben schon angesprochen habt,
um ihre Ziele zu erreichen.
Und deswegen müssen wir uns die Normen auch ganz genau anschauen.
Jan Wetzel
Dazu noch die Frage, wie groß ist der Wissensstand in der Wissenschaft?
Schließt ihr da wo an und könnt das erweitern? Oder ist es tatsächlich auch
so ein blinder Fleck, weil einfach bisher die BRD nicht vor so einem Problem stand?
Marie Müller-Elmau
Also ich glaube, was eben so dieses Phänomen des Verfassungsmissbrauchs angeht
und das instrumentelle Verhältnis zum Recht angeht, ist die deutsche Rechtswissenschaft
im Vergleich zur internationalen noch wesentlich hinterher.
Also gerade in der US-amerikanischen Rechtswissenschaft wurde relativ viel schon
dazu geforscht und Begriffsarbeit geleistet. In Deutschland ist das nicht der Fall.
Wie du sagst, zum einen liegt das sicherlich daran, dass in der Geschichte des
Grundgesetzes sozusagen noch keine konkrete Erfahrung mit autoritärem Populismus vorhanden ist.
Ich glaube aber, ein anderer Aspekt, auf den wir sicherlich später auch noch zu sprechen kommen,
ist, dass auch unter RechtswissenschaftlerInnen, glaube ich,
ein gewisses Vertrauen in die Resilienz von Verfassung und Rechtsordnung entgegengebracht
wird und man im Studium auch gewissermaßen so erzogen wird.
Der Begriff des Missbrauchs wird in der Verfassung im Artikel 18 Grundgesetz
erwähnt. Es gibt aber kaum Forschung dazu, was das überhaupt konkret bedeuten soll.
Und andere Instrumente der wehrhaften Demokratie nehmen diesen instrumentellen,
diesen Missbrauchscharakter eigentlich gar nicht in sich auf.
Das heißt, genau, ich denke, das ist zum einen der Grund, warum sich damit noch
kaum auseinandergesetzt wurde.
Jan Wetzel
Ja, kommen wir sicherlich auch noch drauf, aber dieses, also auch das finde
ich schon spannend, weil man denkt ja oder kriegt auch manchmal den Eindruck,
dass das alles sehr gut aufeinander abgestimmt ist und nur ab und zu gibt es
dann so Streitfragen, aber das ist eigentlich doch die Grundlage von der formalen Rechtsordnung,
auch ganz viel eben dieses Vertrauen, was du schon genannt hast und sozusagen
Konventionen, die nirgendwo so genau stehen,
auf die man sich irgendwie verlässt und offenbar auch so sozialisiert wird im
Recht, das ist da glaube ich ganz spannend.
Da kommen wir sicherlich noch drauf.
Jetzt habt ihr schon den Begriff der autoritär-populistischen Parteien genommen.
Was versteht ihr darunter?
Hannah Beck
Eine autoritär-populistische Partei ist eine Partei, die ihre demokratischen
Rechte, die sie bekommt durch Wahlen zum Beispiel, nutzt, um die demokratischen
Rechte von den anderen demokratischen Akteuren abzubauen.
Das klingt jetzt erstmal komplizierter, glaube ich, als es eigentlich ist.
Wir sprechen eigentlich auch lieber von autoritärpopulistischen Strategien,
weil es eben nicht nur Parteien gibt, die diese autoritärpopulistischen Strategien anwenden.
Und was uns auch immer ganz wichtig ist zu sagen, ist, dass es nicht nur eine
autoritärpopulistische Partei gibt. Also wir sprechen auch...
Wir versuchen das nicht auf die AfD zu beschränken, oder wir beschränken unsere
Forschung nicht auf die AfD, sondern uns ist wichtig zu sagen,
es gibt auch andere AkteurInnen, die eben autoritär-populistische Strategien nutzen.
Und in Italien sehen wir zum Beispiel, dass zwei autoritär-populistische Parteien gleichzeitig agieren.
Marie Müller-Elmau
Also ich glaube auch nochmal zum Begriff greift sozusagen
das populistische Element Ich meine gewissermaßen die klassische Definition
von Jan-Werner Müller von Populismus auf und eben diese Gegenüberstellung oder
Setzung eines homogenen nationalen Volkes.
Und das autoritäre Element bedeutet sozusagen,
dass diese Parteien, wie wir es schon erwähnt haben, Recht setzen und sozusagen
den Anspruch erheben, mit Recht auch Recht zu haben.
Also, genau, Recht einfach zu
setzen und sich hinter diesem Instrument gewissermaßen auch zu verstecken.
Also, genau, ihre Maßnahmen im Pluralismus des Rechts, würde man sagen, zu verstecken suchen.
Und aus diesen beiden Elementen, oder
diese beiden Elemente machen eben autoritär-populistische Parteien aus.
Hannah Beck
Genau, vielleicht nochmal zum Populismusbegriff, weil der ja auch ziemlich contestet
ist in der Wissenschaft.
PopulistInnen konstruieren nach Jan Werner Müller zum Beispiel der Kassmüde
ein als homogen verstandenes Volk einer Elite gegenüber.
Und sagen, dass die Elite das Volk im Prinzip unterdrückt.
Und wichtig ist eben, dass dieses Volk homogen konstruiert ist.
Das heißt, es gibt einen Volkswillen und die PopulistInnen sagen eben von sich,
dass sie die einzige Partei sind, die diesen Volkswillen im Parlament repräsentieren.
Jan Wetzel
Kennt man ja von Gauland, dieses wir holen uns den Staat zurück,
der sozusagen unterwandert wurde und der das dann auch legitimiert,
dass man es sozusagen einmal durchkehrt in der staatlichen Ordnung.
Jetzt habt ihr schon gesagt, dass es ja europäische Länder gibt,
in denen das schon länger ist, die Geschichte.
Wie gut ist das vergleichbar? Also Marie, du hast schon gesagt,
dass Max Steinbeiß sozusagen schon auch mit Blick auf Polen,
Ungarn und so weiter da länger sich Gedanken macht.
Ist das auch ein Ansatz, sich das anzugucken oder sind dann doch ziemlich schnell
die Verfassungen so unterschiedlich, dass das gar nicht so weit führt? Ja, absolut.
Marie Müller-Elmau
Also Ausgangspunkt unserer Recherchen sind in der Regel erst mal vergleichende
Forschungen, also dass wir uns erst mal angucken, was in Polen oder in Ungarn vor sich ging.
Eine Wissenschaftlerin aus den USA, Kim Schäppele, hat auch nachverfolgt,
inwiefern sozusagen Orban bei Putin abgeguckt hat und bei Erdogan abgeguckt
hat und die Peace wiederum sich Strategien verfolgt.
Von Orban ausgeliehen hat. Aber sie betont eben auch, dass es zwei gemeinsame
Strategien gibt und auch zwei gemeinsame Ziele.
Also die Institutionen, die zuerst angegriffen werden, sind in diesen Fällen alle dieselben.
Also zuerst trifft es die Justiz, dann trifft es die Medien,
dann trifft es die Zivilgesellschaft.
Aber dass man dabei natürlich nicht verkennen darf, dass diese Parteien zum
einen sehr unterschiedlich sind,
dass sie unter unterschiedlichen Ausgangsbedingungen arbeiten und sozusagen
den Prozess anstoßen und dass natürlich auch Verfassungen Unterschiede haben.
Genau, ich glaube, für Deutschland gilt das genauso.
Also wir können nicht jede Maßnahme aus Polen oder Ungarn eins zu eins übersetzen,
aber es gibt durchaus Beispiele, wo man sieht, dass es doch möglich ist.
Also um ein konkretes Beispiel zu nennen, im Rahmen von der Wissenschaftsfreiheit
wäre es in Deutschland ganz klar verfassungswidrig, dass wenn eine Ministerin
sozusagen konkrete Vorgaben dazu machen würde, was an Unis erforscht werden soll,
was nicht verfassungswidrig ist, ist aber Wissenschaft den Geldhahn abzudrehen
und damit zu versuchen, gewisse Forschungsrichtungen auszutrocknen und auch
diese prekäre finanzielle Lage von Universitäten,
die dadurch entsteht, als Vorwand zu nutzen,
um gewisse Ämter einzuführen und dadurch sozusagen staatliche Kontrolle auf
den universitären Bereich zu verstärken und auszuweiten.
Und das ist zum Beispiel wiederum eine Strategie oder eine Vorgehensweise,
die auch in Ungarn genauso passiert ist.
Ich glaube, man muss da differenzieren. Nicht alles lässt sich genauso übertragen,
aber die Strategien und Ziele sind eben doch dieselben.
Hannah Beck
Ja, ich glaube, man kann zusammenfassend sagen, wie Marie gerade gesagt hat,
Strategie und Ziele gleichen sich oft, aber in Umsetzung und Effektivität unterscheiden sie sich.
Also während Orban eben die Verfassung in Ungarn relativ einfach ändern konnte,
haben wir ja die zwei Dritte Mehrheit in Thüringen und auch auf Bundesebene,
um eben die Verfassung ändern zu können, braucht es eben eine Supermariotie.
Jurität im Parlament. Und damit schiebt man sozusagen einer einfachen Mehrheit da den Riegel vor.
Das heißt, auch wenn die AfD in Thüringen eine einfache Mehrheit bekommen würde
jetzt bei den nächsten Wahlen, könnte sie nicht einfach die Verfassung ändern.
Wobei sie dann andere Instrumente hat, die sie nutzen kann, um eben Sand ins
Getriebe der parlamentarischen Institutionen zu streuen.
Marie Müller-Elmau
Genau. Und vielleicht da noch zu sagen, Orban hatte eben diese Zweidrittelmehrheit
am Anfang und konnte eben die Verfassung damit auch umschreiben.
Und dieses Szenario ist jetzt vielleicht in unserem Fall, wenn wir jetzt von
der konkreten Situation ausgehen, noch nicht ganz so wahrscheinlich.
Genau, was ich mit diesen unterschiedlichen Ausgangsbedingungen meinte,
von denen diese Länder auch ausgehen.
Jan Wetzel
Polen ist dann natürlich, könnte ich mir vorstellen, gerade ein Leerfall,
weil dort ja vieles von dem, was die PiS gemacht hat, jetzt rückgängig gemacht wird.
Ich habe da mich jetzt noch gar nicht belesen, aber das ist ja jetzt auch eine
Kunst, das erstmal im Detail sich anzugucken, was da rückgängig zu machen ist und was nicht.
Marie Müller-Elmau
Ja, total. Genau. Und das würde eben auch Polen nochmal von Ungarn unterscheiden,
dass in Ungarn eigentlich kaum mehr denkbar ist, dass die Regierung abgewählt wird.
Jan Wetzel
Warum heißt das Thüringen-Projekt? Ist das auf das Bundesland konzentriert oder ist das der Aufhänger?
Hannah Beck
Also wir mussten uns im Prinzip für ein Land entscheiden, weil es unterschiedliche
Normen in den unterschiedlichen Ländern gibt.
Und wenn man dann so eine Szenarioanalyse anstrengt und sich konkrete Normen
anguckt, dann kann man eben das, wenn man das wirklich intensiv und gründlich
machen will, das nicht bei mehreren Bundesländern gleichzeitig machen,
beziehungsweise hatten wir da auch einfach nicht die Kapazitäten.
Und Thüringen ist eben eines der Länder, in denen jetzt in diesem Jahr im Herbst
die Landtagswahlen stattfinden und in denen die Umfragewerte für eine autoritär-populistische
Partei, die AfD, sehr hoch sind, Tendenz weiter steigend.
Trotz Korrektivrecherche kriegt die AfD mehr Mitgliedsanträge.
Das ist auch eine interessante Frage.
Genau, und...
Dann gab es in Thüringen ja schon eine Regierungskrise 2020,
die im Prinzip, im Prinzip hat da eine autoritär-populistische Partei schon
mal an die Tür der Staatskanzlei geklopft.
Und eigentlich war das auch ein erstes Szenario, was wir uns dann angeschaut haben.
Jan Wetzel
Da unterscheiden sich also die Landesverfassungen so sehr. Ich habe jetzt auch
in der Vorbereitung gedacht, dass mir das auch gar nicht so klar ist.
Also gerade, man kennt natürlich immer noch so Grundgesetz und Artikel 1 und
diese ganzen Sachen, aber was schon in so einer Landesverfassung steht und wie
die sich entscheiden, da ist man eigentlich schon blank.
Er sagt jetzt, die sind aber eben doch so unterschiedlich, dass man,
wenn man da wirklich sinnvoll was sagen will, muss man sich entscheiden und
muss dann diese Landesverfassung eigentlich ganz gut kennen.
Marie Müller-Elmau
Ja genau, also Landesverfassungen genau unterscheiden sich auch im Detail.
Ich würde schon so weit gehen zu sagen, dass sich das im weitesten sozusagen vom Sinngehalt deckt.
Aber wo vor allem Unterschiede liegen, sind Details.
Also Verfassungen sind ja wie so erstmal so eine Art Grunddokument und relativ
abstrakt und dann wird in einfachen Gesetzen konkretisiert, was in der Verfassung
steht und das wird in einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt.
Also zum Beispiel, wenn man über die Kündigung vom Medienstaatsvertrag nachdenkt,
dann ist es in Thüringen so, dass der Ministerpräsident oder die Ministerpräsidentin
das komplett im Alleingang bewerkstelligen kann, indem er oder sie einfach eine Unterschrift setzt.
Und in anderen Bundesländern ist es wenigstens erforderlich,
dass sich ein Ministerpräsident, eine Ministerpräsidentin mit dem Kabinett abstimmt.
Also das wäre zum Beispiel ein kleiner Unterschied, der zwischen den Bundesländern besteht.
Das ändert natürlich erstmal nichts an den Grundstrukturen und ich glaube eben,
gerade dann, wenn man sich den instrumentellen Charakter oder die instrumentelle
Vorgehensweise solcher Parteien vor Augen hält,
dann merkt man, dass man auch unabhängig von konkreten Details relativ schnell
zu diesen Möglichkeiten kommt.
Also dass die Möglichkeiten in den unterschiedlichen Bundesländern doch relativ ähnlich sind.
Hannah Beck
Genau, und die Plausibilität der Szenarien und die Relevanz unterscheidet sich dann voneinander.
Also es ist natürlich auch von der politischen Lage abhängig und vom Kontext,
welches Szenario zu welchem Zeitpunkt relevant wird.
Also dass die AfD zum Beispiel jetzt in Thüringen möglicherweise eine Sperrminorität bekommt, ist…,
Ist vielleicht in anderen Bundesländern eben nicht so und dadurch hätten wir
uns vielleicht nicht mit diesem Szenario so eingehend beschäftigt,
wenn wir uns Schleswig-Holstein angeguckt hätten, wo die AfD gar nicht im Landtag sitzt.
Jan Wetzel
Jetzt habt ihr verschiedene Szenarien schon angesprochen und zu denen wollen
wir ja dann auch so langsam kommen.
Was versteht ihr unter Szenarien? Setzt ihr da eben oder setzt ihr da den Willen
eben zum Beispiel so einer Partei,
in diesem Bereich will sie sozusagen die Macht übernehmen und das demokratische
System unterhöhlen und dann verfolgt man so die Hebel oder wie genau geht ihr da vor ganz konkret?
Hannah Beck
Pretty much, genauso wie du es gerade beschrieben hast.
Wobei es auch immer, also natürlich müssen wir uns in einer gewissen Art und
Weise diese Brille aufsetzen und schauen,
wie würde jetzt ein autoritärer Populist auf diese Norm schauen,
zum Beispiel auf das Wahlrecht, welche Hebel gibt es da im einfachen Gesetz,
in der Wahlordnung, aber auch in der Verfassung.
Aber der erste Schritt, wie wir schon gesagt haben, ist immer erstmal in den
internationalen Vergleich zu schauen und da zu schauen, was ist passiert und
dann ableitend zu gucken,
könnte das auch so passieren in Thüringen und dann schauen wir weiter und schauen
uns eben die Normen dazu an und dann sprechen wir mit Fachleuten und klopfen
die Szenarien eben auf ihre Plausibilitäten ab.
Ich habe sehr viel zu Parlamentsrecht zum Beispiel recherchiert und da habe
ich natürlich auch mit PolitikerInnen gesprochen und mit Leuten aus der Landtagsverwaltung,
aus dem Justizministerium zum Beispiel.
Ja, ein Szenario ist im Prinzip eine Aneinanderkettung von Umständen,
die am Ende zu einem bestimmten Ergebnis führt und wir schauen uns dann sozusagen die Reihe an,
die vor dem Ergebnis Demokratie ist unterhöhlt stattfindet.
Und das mal so abstrakt.
Jan Wetzel
Ja, ich meine, das Szenario ist ja dann auch aus anderen Risikoanalysen.
Also in Fukushima, es muss ein Erdbeben kommen und es muss dann noch die Welle
kommen und dann muss einer da nicht aufgepasst haben.
Und ich glaube, das kann man schon verstehen.
Das heißt, welche Ebene ihr euch auch anguckt.
Wir haben ja schon die ersten AfD-Landräte,
und natürlich die Wahlerfolge. Aber auf welcher Ebene man dann genau sich anguckt,
das ist sozusagen von dem Szenario abhängig, auf welcher Rechtsebene und in
welcher Konstellation eigentlich was entschieden wird oder entstehen kann.
Marie Müller-Elmau
Genau, also die Ausgangsbedingungen sind auch unterschiedlich.
Also es gibt eine Person im Team, die sich ganz spezifisch mit der kommunalen Ebene beschäftigt.
Und die übrigen von uns beschäftigen sich eigentlich vorwiegend mit der Landesebene.
Also fragen eben, was auf Ebene einer Landesregierung potenziell möglich wäre.
Aber wir setzen eben auch schon vorher an, zum Beispiel mit der Sperrminorität,
also diese ein Drittel mehr halt im Landtag und setzen damit unterschiedliche
Ausgangsbedingungen und prüfen dann von da aus.
Was sozusagen die folgenden Schritte wären.
Jan Wetzel
Vielleicht fangen wir damit an, die Sperrminorität, deswegen spannend,
weil sie eben noch keine Machtbeteiligung, keine direkte Voraussetzung,
vielleicht kannst du das ein bisschen ausführen.
Hannah Beck
Die Sperrminorität wird für die AfD ein Mittel sein, um bestimmte parlamentarische
Prozesse zu obstruieren.
Das heißt, ohne die AfD, wenn sie tatsächlich ein Drittel der Sitze im Landtag
bekommt, wäre es dann nicht mehr möglich, die Verfassung zu ändern.
Wäre es dann nicht mehr möglich, RichterInnen in den Verfassungsgerichtshof zu wählen.
Wäre es nicht mehr möglich, den Richterwahlausschuss zu wählen.
Wäre es nicht mehr möglich, die Parlamentarische Kontrollkommission zu wählen.
Das heißt, die AfD hat so eine Art Veto eigentlich, dass sie gezielt einsetzen
kann, um bestimmte Prozesse zu blockieren.
Wenn wir uns den Verfassungsgerichtshof mal näher anschauen,
der wird in der nächsten Legislatur, soll der im Prinzip vollständig neu besetzt werden.
Und die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs in Thüringen werden mit einer
Zweidrittelmehrheit gewählt.
Und wenn eben sich die AfD dazu entscheidet, jede einzelne Wahl zu blockieren,
dann bleiben die alten RichterInnen erstmal im Amt, aber eben nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Und man muss bedenken, der Verfassungsgerichtshof verliert dann deutlich an
seiner demokratischen Legitimität, was wiederum die AfD gut nutzen kann,
um zu zeigen, hey, das, was der Verfassungsgerichtshof hier entschieden hat,
Das ist eigentlich überhaupt nicht legitim.
Die RichterInnen hätten eigentlich schon längst aus dem Amt gehen müssen.
Das sehen wir auch immer wieder, dass die AfD eben ihren Narrativ von der nicht
funktionierenden Demokratie und von den Eliten, die Demokratie eigentlich gar nicht so ausfüllen,
wie sie es eigentlich tun sollten, immer wieder benutzen kann.
Kann, egal in welche Richtung, egal wie sie handelt, selbst wenn sie sozusagen
der Auslöser der Krise ist, kann sie diese Krise für sich dann beanspruchen.
Dann in diesem Szenario tatsächlich eine Möglichkeit, dieser Blockade zu entgehen,
das Verfassungsgerichtshof.
Also in seltenen Fällen finden wir praktisch wie Pflaster, die man auf die Lücken
in der Verfassung kleben könnte, ohne große demokratische Kosten.
Weil das Problem ist, dass die Verfassung ja absichtlich nicht wasserdicht gestaltet ist.
Und man muss immer schauen, wenn man dann versucht, Gesetze zu finden oder mögliche
Verfassungsänderungen zu entwickeln,
die eben zum Beispiel so Blockadesituationen verhindern, dass man nicht selbst
ins Autoritäre rutscht.
Weil man will ja zum Beispiel jetzt nicht die Zweidrittelmehrheit absenken,
nur weil die AfD diese Veto-Position für sich beansprucht.
Weil dadurch würde man ja ein wichtiges demokratisches Instrument außer Kraft setzen.
Also diese Zweidrittelmehrheit für den Verfassungsgerichtshof ist sehr wichtig,
weil das dazu führt, dass eben die RichterInnen eine hohe demokratische Legitimität haben,
weil sich viele Parteien oder viele Abgeordnete auf sie einigen müssen und dadurch
eben auch eine hohe Legitimität in der Gesellschaft haben.
Leo Schwarz
Diese Strategien der Obstruktion, die sind ja jetzt auch unter demokratischen
Parteien nicht vollständig unbekannt, je nachdem in welchem politischen System man jetzt sich bewegt.
Aber wenn man zum Beispiel an die USA denkt, da ist es ja sehr typisch,
dass das zum Oppositionshandeln gehört, dass man sagt, okay,
wir lassen das jetzt einfach nicht durchkommen, wenn wir es verhindern können.
Oder wir machen sogar so eine Ermüdungsrede, damit es nicht zum Beschluss kommt
oder sowas. Da gibt es natürlich auch je nach Parlament unterschiedliche Möglichkeiten.
Kann man denn eine klare Linie ziehen, welche Obstruktionsstrategien,
sage ich mal, auch noch im Rahmen demokratischer Kultur einzuordnen sind und
welche jetzt eher schon, naja, eben antidemokratisch-autoritäre Züge tragen?
Hannah Beck
Ich würde sagen, dass man da je nach Ziel unterscheiden kann.
Also ich würde sagen, dass die demokratischen Parteien nicht das Ziel haben,
die Demokratie per se abzuschaffen, die autoritären PopulistInnen aber schon.
Und da überschreiten sie eine Linie. Wobei es bei der Obstruktion eben tatsächlich
sehr schwer ist festzustellen, wo fängt Obstruktion an, wo hört sozusagen das
rechtmäßige Ausnutzen von parlamentarischen Minderheitsrechten auf.
Da gibt es auch in der Rechtswissenschaft keine eindeutigen Antworten.
Marie Müller-Elmau
Genau, also ich glaube, diese Frage von der Abgrenzung zwischen dem Gebrauch
eines Rechts und seinem Missbrauch ist auch einfach wissenschaftlich noch weitgehend ungeklärt.
Und es ist ja letztendlich eine rechtsphilosophische und rechtstheoretische
Frage, mit der man sich mal auseinandersetzen müsste.
Das heißt, genau, ich glaube, was eben konkret diesen Missbrauchscharakter ausmacht,
ist bisher noch schwer auszubuchstabieren.
Leo Schwarz
Es ist ja so, also klar, als irgendwie Demokraten interessiert an demokratischer
Kultur ist man daran interessiert, dass es diesen Ethos der Abgeordneten gibt,
die sich irgendwie auch im Sinne der Tradition so verhalten,
dass Regierungshandeln möglich bleibt.
Das Ganze ändert sich natürlich aber, wenn man erstmal eine autoritär-populistische
Partei in der Regierung hat,
in der Landesregierung und deren antidemokratische Politik abschwächen möchte.
Dann sind natürlich die Instrumente der Obstruktion ja letzten Endes theoretisch
auch interessant für Demokraten.
Also das ist ja, ich würde sogar sagen, es ist sogar demokratische Pflicht,
alles was sozusagen nicht juristisch illegal ist, zu tun, um das Fortschreiten
des populistischen Projekts zu sabotieren.
Das klingt natürlich erstmal ziemlich stark, aber ich würde sagen,
das ist nur konsequent und unter den Annahmen sozusagen, unter denen ihr auch
arbeitet, auch geboten und dann ändert sich ja sozusagen komplett die Perspektive.
Wenn man vorher entschieden hat, okay, wir brauchen weniger als eine Zweidrittelmehrheit,
um die Verfassung zu ändern,
wendet sich das jetzt in das Gegenteil, dass die Rechtspopulisten eben eine
geringere Zahl von Abgeordneten brauchen, um die Verfassung zu verändern und dergleichen mehr.
Also ich sage nur, dass teilweise sind die Strategien ändern sich sobald eben
von Opposition in Regierung gewechselt wird, oder?
Marie Müller-Elmau
Total. Du würdest ja dann sozusagen gerade dahin argumentieren,
dass sich der legitime Gebrauch eines Rechts von seinem Missbrauch durch seine
Zielrichtung unterscheidet.
Also kommt es ja schlussendlich eben darauf an, Demokratie zu erhalten.
Und ich glaube, was darin eben gewissermaßen problematisch ist,
ist, dass man dadurch auch wieder ein Kriterium aufstellt, was seinerseits missbrauchsunfällig
und abstrakt ist und man diesen Zyklus sozusagen nicht zu einem Ende führt.
Aber genau, ich glaube, sozusagen vom Status quo ausgehend ist das,
as far as we can get, also ist über diesen Begriff einfach noch nicht viel mehr bekannt.
Aber ja, und der andere Aspekt, den du angesprochen hast, dass sich natürlich
Strategien demnach unterscheiden, ob man in der Regierung oder in der Opposition sitzt.
Das ist total klar. Also insofern muss man sich, glaube ich,
auch klar machen, dass die Strategien von autoritären Populisten auch widersprüchlich
sind und sozusagen nicht immer einfach zu definieren ist.
Und das ist vielleicht auch eine Herausforderung, die sich manchmal bei der
Entwicklung von Szenarien stellt.
Wenn wir zum Beispiel jetzt nochmal über Wissenschaft sprechen,
macht man sich eine Institution zu eigen oder versucht man sie abzuschaffen?
Wenn sie einem im Weg steht und man sie selber noch nicht regiert,
ist natürlich eher die Intention, die Institution abzuschaffen.
Aber wenn man darin einen Platz hat, will man sie natürlich erhalten und für sich zu nutzen wissen.
Und das sind letztendlich eigentlich zwei widersprüchliche Entwicklungen.
Und genau, ich glaube, man muss sich klar machen, dass diese Widersprüche den
Strategien autoritärer Populisten auch inhärent sind.
Hannah Beck
Die Frage ist ja auch, wie viele Möglichkeiten haben die demokratischen Parteien
überhaupt zu obstruieren, wenn eine autoritär-populistische Partei in der Regierung sitzt.
Weil dann hat die autoritär-populistische Partei die Mehrheit.
Und ich bin mir unsicher, das wäre sozusagen das Szenario umgekehrt gedacht.
Damit haben wir uns jetzt noch nicht so intensiv beschäftigt.
Wir gucken uns ja eher die Handlungsoptionen in den anderen Szenarien an,
die die demokratischen Parteien haben oder demokratische Akteure allgemein auch
in der Zivilgesellschaft und in der Verwaltung zum Beispiel.
Das ist eine gute Frage, inwieweit Obstruktion da überhaupt noch möglich wäre.
Ein Beispiel wäre, dass es einen autoritärpopulistischen Landtagsdirektor gibt
oder einen autoritärpopulistischen Justizminister,
der bestimmte Weisungen nach unten gibt und die Beamten könnten dann gewissermaßen
obstruieren, indem sie remonstrieren.
Aber das hat im Prinzip erstmal keine Auswirkungen auf die politische Realität.
Das wird dann den Akten beigelegt und dann muss man die Weisung trotzdem ausführen.
Leo Schwarz
Naja, es gäbe halt diese Sperrminorität zum Beispiel, über die wir ja gesprochen haben.
Die würde ja dann umgedreht auch gelten. Auch man könnte dieses so Sabotage
durch Anfragen und dergleichen mehr einfach Prozesse aufhalten,
sodass die Beschlussfähigkeit des Parlamentes eben verlangsamt oder ganz sabotiert wird.
Das sind ja alles Möglichkeiten, die umgekehrt, also wenn sie bestehen,
dann bestehen sie auch umgekehrt dann für die demokratische Opposition.
Hannah Beck
Da ist dann die Frage, was man den Bürgerinnen und Bürgern zumuten möchte,
weil wenn das Parlament nicht mehr funktioniert,
kein Haushalt mehr vergeben werden kann, können auch keine Projekte mehr gefördert
werden, zivilgesellschaftliche Projekte, auch Projekte, die die AfD zum Beispiel
nicht abschaffen möchte, würden dann nicht mehr gefördert werden.
Wollen die demokratischen Parteien, dass der Verfassungsgerichtshof beschlussunfähig
wird, auch wenn da drei Leute von der AfD drin sitzen?
Ich glaube nicht. Das ist auch der große Unterschied.
Leo Schwarz
Das heißt, die Populisten sind da insofern auch strategisch besser aufgestellt,
als dass ihnen sozusagen die handlungsunfähige Institution in die Hände spielen.
Das ist sozusagen die These.
Aber das ist ja irgendwie auch eine Frage der medialen Darstellung dessen,
was da politisch vor sich geht.
Das ist ja auch was.
Jan Wetzel
Was man auch klären kann. Aber wir haben ja ihre eigenen Medien.
Leo Schwarz
Stimmt, das ist nochmal ein anderes Thema.
Jan Wetzel
Aber, also, und dann können wir auch mal tatsächlich noch zu anderen Institutionen kommen.
Solche Fälle wie, das wisst ihr sicherlich besser, dass die Geschäftsordnungen
geändert wurden, um, ich glaube, irgendwelche Parlamentenältesten,
jetzt weiß ich leider nicht mehr so gut Bescheid, aber da kann ich mich erinnern,
da gab es schon genau diese Debatten.
Dürfen jetzt demokratische Parteien sozusagen willkürlich gegen eine Partei
die Geschäftsordnung ändern,
die, wenn ich das so verstehe, kein geltendes Recht ist, sondern tatsächlich
eher vielleicht in einem Zwischenfeld, also jetzt nicht sozusagen reine Konvention,
ist ja schon formell, aber solche Fälle gab es ja schon, dass man sagt,
man nutzt jetzt solche Winkelzüge, wenn man es mal böse ausdrücken will,
um dieser Partei da Steine in den Weg zu legen.
Dass das aber kontrovers diskutiert wurde, fand ich auch richtig in gewisser Weise.
Hannah Beck
Deswegen ist es ja so schwierig, Lösungen zu finden, in denen man nicht selbst
ins Autoritäre kippt und praktisch Lex AfD umsetzt.
Also es gibt solche Lösungen, bei denen man zum Beispiel Blockadesituationen
verhindern kann und so weiter, indem man zum Beispiel den Parlamentsältesten
zum Dienstältesten macht und nicht zum in Jahren Ältesten.
Jan Wetzel
Genau.
Hannah Beck
Das war das Beispiel aus dem Bundesebene. Genau, da könnte man schon darüber
streiten, ob das jetzt Lex AfD ist oder nicht.
Es gibt aber tatsächlich bestimmte Rechtsunsicherheiten oder...
Einfallstore in der Verfassung, die man noch schließen könnte.
Ein gutes Beispiel ist eigentlich die konsultative Volksbefragung.
Das ist ganz klar ein Instrument autoritär-populistischer Regierungen.
Orban mit seinen nationalen Konsultationen bedient sich dessen sehr,
sehr gern und nutzt die Ergebnisse dieser Umfragen, die aber durch Suggestivfragen
und durch Falschinformationen im Prinzip das Ergebnis lenken.
Er nutzt diese Ergebnisse dieser Umfragen, um seine völkisch-rechte,
autoritär-populistische Politik zu legitimieren, demokratisch auch über Ländergrenzen hinweg.
Und es ist in Thüringen zum Beispiel so, dass die konsultative Volksbefragung
im Verfassungstext gar nicht auftaucht.
Man könnte sie aber durch eine Verfassungsänderung ausschließen.
Also man könnte ausschließen, dass dieses Instrument top down,
also von Regierung eingesetzt nach unten, benutzt werden kann,
um ihre Politik zu legitimieren, ohne dass eine Willensbildung des Volkes dabei
stattfindet, was ja bei direktdemokratischen Instrumenten praktisch von unten
nach oben eingesetzt der Fall wäre.
Also man könnte sozusagen konsultative Volksbefragung ausschließen ohne die
direktdemokratischen Instrumente, die sehr wichtig sind für die Willensbildung
der Gesellschaft ausschließen.
Jan Wetzel
Dann kommen wir vielleicht noch zu anderen Institutionen. Wir waren jetzt lange beim Parlament.
Marie, du hast dich mit Schule, auch
mit Universität oder überhaupt dem Bildungsbereich auseinandergesetzt.
Der ist, würde ich jetzt erstmal denken, natürlich besonders kritisch,
weil wir da natürlich in Deutschland eine große Verfügungsmacht der Länder darüber haben.
Das zeigt sich da auch, dass da ganz schnell ganz viel passieren könnte.
Marie Müller-Elmau
Ja, also genau. Ich glaube, man muss da auf jeden Fall nochmal differenzieren
zwischen Schulen und Universitäten und Hochschulen, weil die ganz unterschiedlich,
also in ganz unterschiedlichem Maße sozusagen in den Staat eingegliedert beziehungsweise
von ihm unabhängig sind.
Also Universitäten und Hochschulen wird verfassungsrechtlich eine akademische
Selbstverwaltung zuerkannt, was bei Schulen eben nicht der Fall ist.
Und genau, wo das Bildungsministerium also letztendlich bis nach unten hin durchregieren
und Vorgaben machen kann.
Gerade auch im Schulbereich ist es wirklich interessant, weil verfassungsrechtlich
wahnsinnig wenig vorgegeben wird,
was eben zum einen wieder die, oder dem zum einen eben die praktische Überlegung
zugrunde liegt, dass man Bildung nicht im Detail ausbuchstabieren und regeln kann.
Und das hat auch irgendwo seine Richtigkeit, um auch gesellschaftlichem Wandel
gerecht werden zu können.
Aber andererseits führt das zu dem Ergebnis, dass Bildungsrecht ganz stark exekutiv geprägt ist.
Also kaum eine legislative Rückbindung stattfindet und das Ministerium sehr
viel für sich allein entscheiden kann.
Was eben auch zur Folge hat, dass...
Dass nicht notwendig Gesetze erlassen werden müssen, um was im Bildungsbereich zu ändern,
sondern das Ministerium zum Beispiel Rechtsverordnung oder Verwaltungsvorschriften
erlässt, die wiederum nicht einem ähnlichen öffentlichen Prozess ausgesetzt
sind wie Gesetze, also wo auch eben nicht eine entsprechende Debatte in der Regel folgt.
Das heißt, das Ministerium zentriert da wahnsinnig viel Steuerungskraft auf sich.
Und Konsequenz davon ist auch wiederum, dass es sehr wenig subjektive Rechte
gibt, also dass sehr wenig einplagbar ist.
Weil man eben dem Ministerium der Exekutive so viel Spielräume zuspricht und
auch das Bundesverfassungsgericht der Exekutive hier so viel Spielräume zuspricht,
bedeutet das eben sozusagen im Umkehrschluss, dass die einzelne Bürgerin nicht viel einklagen kann.
Das heißt, es gibt keinen Anspruch darauf, Schule auf die eine oder andere Art
und Weise zu gestalten und gewissermaßen existieren eigentlich nur äußere Grenzen
von dem, was nicht möglich ist, also wie etwa Holocaust-Leugnung.
Das wäre eine klare Grenze, die man aus der Verfassung ableiten könnte.
Aber ansonsten besteht da eben wahnsinnig viel Spielraum und ist es deshalb auch so ein...
Das ist ein anfälliger Bereich für autoritäre Populisten. Im Wissenschaftsbereich
ist das ein bisschen anders und da ist eigentlich auch...
Jan Wetzel
Vielleicht können wir kurz bei der Schule bleiben. Wie gehst du dann vor?
Man würde dann auf Basis des politischen Weltbildes sich fragen,
was würden die gerne im Unterricht verankern in den Lehrplänen und wie machen
die das dann? Oder was für Möglichkeiten haben die dann?
Marie Müller-Elmau
Genau, ich frage mich erstmal inhaltlich, was ist für eine solche Partei interessant.
Ich meine, wenn man sich da jetzt konkret die AfD anguckt, dann gibt es ja schon
auch ziemlich viele Äußerungen von AfD-PolitikerInnen dazu, was sie gerne in
der Schule gelernt haben würden und was nicht.
Und natürlich ist auch Geschichtsrevisionismus da ein großes Thema,
zu welchem Grad man den Nationalsozialismus in der Schule thematisieren will
oder patriotischere Geschichtserzählungen fördern möchte.
Aber auch der Sexualkundeunterricht ist natürlich ganz wesentlich,
weil das wie so auch eine Diskursmöglichkeit eröffnet über Geschlecht und seine
Konstruktionen und sozusagen Familienbildern,
die der AfD nicht entsprechen würden.
Und dieses Ansetzen an Lehrplänen sozusagen, ja ein niedrigschwelligeres oder
fast leichteres Mittel für eine solche Partei darstellt, als jetzt zum Beispiel
in den USA ein Don't-Say-Gay-Gesetz zu erlassen, könnte man einfach versuchen,
überhaupt die Diskussionen, die Gespräche über solche Themen an Schulen zu minimieren,
indem man eben gewisse Fächer streicht.
Jan Wetzel
Und das geht, also man könnte als Regierung einfach einen Lehrplan nach eigenem Gusto schreiben.
Marie Müller-Elmau
Genau, also es gibt gewisse Bildungsstandards, die sozusagen einheitlich vorgegeben
werden, aber die betreffen Fächer wie Mathe, Deutsch oder Englisch,
was in der Regel nicht im gleichen Maße politisierbare Fächer sind.
Wie jetzt andere. Und dann gibt es eben auf verfassungsrechtlicher Ebene sogenannte
Erziehungsziele, die vorgeben, wie der Staat Kinder zu erziehen hat.
Das sind aber total abstrakte und unterschiedlich operationalisierbare Begriffe.
Also da steht dann sowas wie irgendwie, wir erziehen sie zur Erachtung der Menschenwürde
und zur Völkerverständigung, aber auch zur Heimatliebe.
Und das können natürlich unterschiedliche Akteure ganz divers interpretieren und umsetzen.
Und solange eben diese äußeren Grenzen nicht verletzt werden,
kann ein Ministerium das für sich gestalten, wie es will.
Und da das eben auch wiederum, also auch die Gestaltung oder der Erlass von
Lehrplänen ein exekutives Verfahren ist, zentriert sich da wiederum seine Macht.
Leo Schwarz
Und was könnte man da jetzt genau präventiv noch dran verändern?
Also könnte man das ein bisschen aus der Hand der Exekutive noch nehmen oder
ist das eh relativ schwer zu verändern?
Also ist das einfach ein Szenario, wo man auch nicht viel machen kann?
Marie Müller-Elmau
Ja, tatsächlich. Also ich glaube, weil das eben, wie ich vorhin schon meinte,
wie so ein Grundgedanke ist vom Schulrecht oder so die Grundstruktur vom Schulrecht,
wie es jetzt schon gehandhabt wird, dass es eben so stark über die Exekutive läuft,
ist da wenig änderbar.
Und ich glaube, also Schulen sind irgendwie so ein ganz interessantes Szenario,
weil da eben dieser missbräuchliche Charakter oder der Unterschied der Perspektive,
der sich ergibt, wenn man dort mit einem missbräuchlichen Blick drauf guckt,
eben ganz besonders klar macht, dass nur bestehende Strukturen genutzt werden
müssen und gar nicht so viel geändert werden muss.
Also dass eben jetzt Schule schon einfach ganz stark in den Staat eingegliedert
ist und dass erstmal so ein Schönwetter, also so ein Schönwetterumstand ist,
der dann eben nicht so zu stören scheint,
aber wenn man sich vor Augen führt, dass das jemand anderes regelt,
ja einem durchaus auch irgendwie absurd vorkommt, dass das da tatsächlich so
leicht exekutiv steuerbar ist.
Hannah Beck
Es gibt ein paar Präventivmaßnahmen für so informelle...
Diese Einschüchterung von LehrerInnen zum Beispiel mit dem Szenario hast du
dich ja auch auseinandergesetzt.
Marie Müller-Elmau
Es ist nicht so, als gäbe es überhaupt keine subjektiven Rechte im Schulbereich.
Und ich glaube, der Fokus muss dann eben darauf liegen, das Bewusstsein dafür,
insbesondere bei LehrerInnen zu stärken.
Also wenn es darum geht, dass ein Bildungsministerium versuchen würde,
LehrerInnen einzuschüchtern, indem es Disziplinarverfahren androht,
weil sie vermeintlich gegen das sogenannte Neutralitätsgebot verstoßen.
Oder auch einfach über den Kommunikationskanal zwischen Ministerien und Schulleitungen
Mails verschickt, die irgendwie daran erinnern sollen, dass man sich im Unterricht
politisch neutral zu äußern hat.
Da kann es, glaube ich, helfen oder kann es auf jeden Fall helfen,
LehrerInnen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und ihnen sozusagen zu verdeutlichen,
was ihre Rechte sind und dass Neutralität eben nicht politische Sterilität bedeutet.
Aber auf die Schulinhalte bezogen ist es relativ schwer, da was zu ändern.
Ich glaube, der einzige Aspekt, der da noch relevant wird, ist,
dass LehrerInnen natürlich, sobald die Tür zu ist zu ihrem Klassenzimmer,
theoretisch machen können, was sie wollen.
Also, dass einfach die praktischen Kontrollmöglichkeiten, inwiefern LehrerInnen
dann auch das umsetzen, was eine solche Partei vorgibt, begrenzt sind.
Was ich dem zu widersetzen.
Hannah Beck
Wenn man tatsächlich in so einem hierarchisch aufgebauten Schulsystem arbeitet,
ist dann vielleicht auch etwas schwerer, vor allen Dingen, wenn sich der Ton
in der Gesellschaft ändert.
Also das ist ja auch ein wichtiger Aspekt der Szenarioanalyse,
den man eigentlich immer mit einbeziehen muss.
Wie geht es der Gesellschaft? Welche Möglichkeiten hat sie, Diskurs sich noch frei zu äußern?
Also wir kennen jetzt schon Beispiele aus Sonneberg, in denen sich Menschen
nicht mehr trauen, bestimmte Sachen zu sagen, weil sie Angst haben,
dann von extrem rechten Menschen stark eingeschüchtert oder auch verfolgt zu werden.
Und diesen in Anführungszeichen vorpolitischen Raum, wie das zum Beispiel Martin
Sellner, der Identitäre, nennt, zu besetzen, ist eben auch eine Aufgabe,
die sich die neue Rechte selbst gesetzt hat.
Und in einigen Fällen scheint es jetzt schon zu funktionieren.
Das ist uns auch immer wichtig zu sagen, dass diese Szenarien,
die wir untersuchen, teilweise jetzt schon sozusagen angefangen haben oder eingesetzt haben.
Und das ist ein gradueller Verlauf. Also man kann jetzt nicht sagen,
hier beginnt jetzt sozusagen der Anfang vom Ende, sondern das ist oft schwer
zu erkennen, wo es eigentlich losgeht. Ja.
Jan Wetzel
Kann man da auch noch was zu den Ebenen, also wir waren jetzt bei der Lehrerschaft
und quasi beim Ministerium.
Es gibt natürlich da noch verschiedene Ebenen dazwischen und es gibt ja vor
allem die Ministerien selber, die ja nicht von heute auf morgen dann ausgetauscht werden im Personal.
Kann man da auch schon auf eine Forschung zurückgreifen, was passiert,
also ich kenne das in der historischen Verwaltungsforschung wie eigentlich das
Dritte Reich sich sozusagen etablieren konnte über die Verwaltung oder sich
zum Teil ja auch nicht etabliert hat und deswegen so,
Parallelrechtszonen geschaffen hat und die alte Rechtsordnung oder die alte
Ministerialbürokratie weitergearbeitet hat und so weiter also sehr merkwürdig
und auch schwierig zu verstehen,
aber könnt ihr da irgendwie Irgendwie sozusagen in den Szenarien das auch so
ein bisschen mit abschätzen?
Oder ist das dann, weil das ist ja dann keine Rechtsebene mehr in dem Sinne,
sondern tatsächlich ja so die Verwaltungsfrage und auch informelle Fragen,
wo das dann einfach weit darüber hinausgeht, was ihr dort machen könnt.
Marie Müller-Elmau
Ja, total. Also ich glaube, aus den Gesprächen, die wir bisher mit der Verwaltung geführt haben,
konnten wir eigentlich ableiten, dass sie selbst die Verwaltung für relativ
resilient erachten und durchaus darauf bestehen,
dass eben ein Bildungsminister, also ja auch rein praktische Grenzen hat,
also ein Bildungsminister kann
rein zeitlich gesehen nicht alles selber umsetzen, was er sich vornimmt,
sondern ist auf Arbeitsteilung angewiesen Und dass sie da ihre Autonomie noch
relativ stark verteidigen und auch noch so wahrnehmen.
Aber genau, das ist gewissermaßen ja eine schwer zu vorhersehende Frage.
Also wie Hannah sagt, wir gehen schon davon aus, dass sich damit auch im Klima ändert.
Aber ja, das jetzt in der Breite zu erforschen würde wahrscheinlich irgendwie
genau nochmal ein separates Forschungsprojekt erfordern.
Hannah Beck
Also wo man so ein bisschen unterscheiden kann, wären so Hard Factors und Soft
Factors, also so harte Faktoren wie zum Beispiel dann,
dass eine autoritär-populistische Regierung bestimmte Normen ändert und aber
softe Faktoren, dass sie eben durch Einschüchterung und die bestehenden Hierarchien versucht,
das Handeln von Verwaltungsmitarbeitenden zu lenken.
Und das hat man ja auch in der Geschichte zum Beispiel gesehen,
dass das funktioniert und das ist auch ein interessanter Punkt,
weil man tatsächlich auch, oder man kann, man muss nicht unbedingt nur ins Ausland gucken,
um bestimmte empirische Anhaltspunkte für Szenarien zu finden,
man kann auch in die Vergangenheit schauen.
Und da kann man auch ganz besonders in die deutsche Vergangenheit schauen, gerade nach Thüringen.
Marie Müller-Elmau
Und ich glaube, dass sozusagen auf rechtlicher Ebene im Verwaltungsbereich es
schon so ist, dass theoretisch gesehen ein Minister eben Weisungen machen kann.
Und es auch da wieder Konventionen interessant werden, weil bisher Konventionen
im Ministerium eher so sind, dass es sozusagen von einer Ebene auf die andere
weitergereicht wird und es irgendwie noch so sehr viele Zwischenschritte gibt.
Aber das ist eine Konvention und nicht eine rechtliche Notwendigkeit.
Also ein Minister könnte auch direkt sozusagen auf der untersten Ebene anrufen
und sagen, ich mache das jetzt einfach selber und sage, was zu tun ist und spare mir die Zeit.
Da ist eben, wie ich vorhin meinte, genau, ist es glaube ich vor allem eine
Ressourcenfrage und eine praktische
Frage, inwiefern sich das überall dann effektiv durchsetzen lässt.
Jan Wetzel
Ich kenne das halt aus der, also ich habe mich da nie wirklich eingelesen,
aber weiß auf jeden Fall,
dass es da eine Debatte gibt in der verwaltungsrechtlichen und historisch verwaltungsrechtlichen
Forschung, inwiefern man sozusagen
identifizieren kann, dass es auch eine politisierte Verwaltung gibt,
die sozusagen Hand in Hand irgendwie mit der Politik arbeitet.
Und dann die Frage, also findet man das sozusagen auch in der Geschichte solche Fälle?
Und dann ist die Frage, ist das nicht auch wünschenswert in einer Demokratie,
dass auch wenn natürlich Verwaltung und Politik getrennt sind und das ja auch
sozusagen rechtsstaatliches Prinzip ist, so ein demokratisches Grundbewusstsein auch der Verwaltung,
was dann eben vielleicht jetzt ist die Frage, ob man das schon politisiert nennen
kann, aber inwiefern man nicht auch sowas wünschenswert ist oder auch finden
kann und vielleicht auch damit rechnen kann. Das ist so viel so.
Hannah Beck
Das haben uns die Verwaltungsmitarbeitenden auch gespiegelt.
Also die haben ein großes Vertrauen und eine große Hochachtung vor unserer Demokratie
und vor der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Und das kann sich natürlich auch ändern, wenn Verwaltungen anders besetzt werden.
Also in Thüringen sehen wir zum Beispiel eine große Pensionierungswelle in den
nächsten Jahren auf uns zukommen und gerade in der Landtagsverwaltung ist es
so, dass wenn es tatsächlich eine autoritärpopulistische Landtagspräsidentin geben würde,
die dann auch den Landtagsdirektor ohne Angaben von Gründen entlassen und neu
besetzen kann, die dann auch die Personalhoheit über die Verwaltung hat,
die könnte die Verwaltung dann die frei werdenden Stellen durch diese Pensionierungswelle
neu besetzen und natürlich auch die Ausschreibungen im Prinzip anpassen an die
Menschen, die sie besitzen.
In die Verwaltung hineinbekommen möchte.
Wobei das natürlich nur bis zu einem bestimmten Punkt möglich ist,
aber wir sehen halt gleichzeitig, dass es oft nicht genug Menschen gibt,
die nach Thüringen gehen wollen oder in diesen Strukturen arbeiten wollen.
Und dadurch wird es vielleicht auch leichter werden, diese Stellen eben tendenziös zu besetzen.
Marie Müller-Elmau
Ja, und vielleicht mir fällt gerade auch noch ein ganz interessantes,
aktuelles Beispiel ein zu dieser Frage von Resilienz von Verwaltung.
Und zwar Bayern und diese Luftreinhaltungspläne. Ich weiß nicht,
ob ihr davon was mitbekommen habt.
Das war auch eine Recherche der SZ, die jetzt auch gerade noch mal in der SZ
relativ groß diskutiert wurde, wo es darum ging, dass Verwaltungsmitarbeitende
selber sozusagen darauf gepocht haben,
diese Luftreinhaltungspläne einzuhalten und Fahrverbote zu verhängen.
Und die Regierung wiederum sich geweigert hat, das umzusetzen.
Und dadurch eine Konfliktlage, ein Spannungsfeld zwischen MinisterialbeamtInnen
und der Regierung entstanden ist, die sogar zu einem gerichtlichen Verfahren geführt hat.
Genau, das wäre wie so ein Positivbeispiel auch der Resilienz der Verwaltung,
die, wie Hannah sagt, Recht und Gesetz umsetzen möchte und Recht und Gesetz
achtet und eine Regierung, die es nicht tut,
genau, zeigt, dass es durchaus möglich ist, dass MinisterialbeamtInnen sich
da gegen Entstellung bringen.
Hannah Beck
Dafür müssen sie halt auch sensibilisiert sein für diese Szenarien und erstmal
erkennen, dass gerade ein Minister zum Beispiel, obwohl er rechtmäßige Weisungen
nach unten gibt, im Prinzip nicht im Geiste der Verfassung handelt.
Und das versuchen wir auch mit dem Thüringen-Projekt zu erreichen,
eben Menschen aus Verwaltung, aus der ZW-Gesellschaft, Lehrerinnen und Lehrer,
Referendarinnen und Referendare zu sensibilisieren für diese Szenarien,
dass man die überhaupt erstmal erkennt.
Jan Wetzel
Da sollte man auf jeden Fall gleich noch eingehen. Jetzt muss ich nochmal nach
der Wissenschaft fragen.
Wir sind ja hier doch auch sehr wissenschaftsnah und eigentlich wäre das dann die Kernfrage.
Du hast schon angedeutet, dass es da nicht ganz so einfach ist,
was ja eben eine Wissenschaftsfreiheit gibt und auch eine eigene Verwaltung.
Trotzdem, was wären da die Möglichkeiten?
Marie Müller-Elmau
Die Möglichkeiten sind da relativ eingeschränkt, weil es vor allem einfach schon
eine sehr ausgefeilte Judikatur vom Bundesverfassungsgericht gibt,
die sozusagen alle möglichen Resilienzfaktoren einbaut.
Also es gibt zum Beispiel eine Rechtsprechung, die sagt, wenn man innerhalb
einer Universität einem bestimmten Organ mehr Macht zuschreibt und es mit mehr
Kompetenzen ausstattet,
dann muss man im Gegenzug dazu seine Abwählbarkeit garantieren und anderen Organen
Einflussmöglichkeiten geben.
Also es muss eine Art Ausbalancierung stattfinden.
Jan Wetzel
Judikatur, nur zur Nachfrage, ist sozusagen die Auslegung, die Rechtsprechung,
sozusagen Gesamtheit der Interpretation dessen, was an Recht da ist,
sodass man weiß, was Sache ist.
Marie Müller-Elmau
Genau, genau. Also in der Verfassung steht ja nur sowas wie die Wissenschaft
ist frei und was das dann aber konkret bedeutet und was daraus abgeleitet wird,
das entscheidet unter anderem das Bundesverfassungsgericht und die Wissenschaftsfreiheit ist ein Feld,
in dem das Bundesverfassungsgericht schon wahnsinnig oft Urteile gefällt hat
eben zu dem Begriff der Wissenschaftsfreiheit und was das in seiner praktischen
Ausgestaltung bedeutet.
Und wo es eben auch schon relativ viele Resilienzmechanismen eingebaut hat,
die den Wissenschaftsbereich weniger anfällig machen als andere.
Aber ein großer Aspekt ist natürlich, wie ich es vorhin auch kurz schon angedeutet
habe, die Finanzierung.
Also es gibt kein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf den Bestand einer bestimmten Fakultät.
Das heißt, wenn sich ein Wissenschaftsministerium jetzt dazu entscheiden würde,
die Gelder für Universitäten zu kürzen,
dann hätte das auf lange Sicht gesehen unausweichlich Folgen für die Profilbildung
von Universitäten, weil sie eben anfangen müssten, Stellen zu streichen.
In Thüringen war das schon mal so, dass die CDU zur Bedingung ihrer Zustimmung
zum Haushalt gemacht hat, dass es globale Minderausgaben gibt,
also dass sozusagen alle Ministerien Gelder einsparen müssen und das hat damals
vor allem auch das Wissenschaftsministerium betroffen und die Konsequenz davon
war, dass plötzlich 400 Stellen nicht mehr finanzierbar waren.
Genau, das bedeutet, dass Professuren damit auf lange Sicht auf ein gewisses
Minimum zurechtgestutzt werden können und das trifft natürlich erst mal vulnerable
Studiengänge wie jetzt Geistes- und Sozialwissenschaften, das war auch in Thüringen so,
dass der Studiengang für Geschlechtergeschichte,
plötzlich nicht mehr besetzt werden konnte, wobei man da dazu sagen muss,
dass die Professoren sozusagen.
In Rente gegangen ist und damit der Platz frei war, aber eben aus Sparmaßnahmen
erwogen wurde, diese Stelle jetzt nicht weiter zu besetzen.
Da gibt es auch nichts, was man verfassungsrechtlich sozusagen dagegen in Stellung
bringen könnte, weil es kein Existenzrecht an einzelnen Fakultäten oder eines
einzelnen Studiengangs gibt.
Leo Schwarz
Aber wer entscheidet, welche Institute geschlossen werden, das entscheidet ja
dann nicht die Regierung, oder? Also die können nur die Mittel kürzen und die
Uni kann sagen, wir machen jetzt hier nur noch kritische Sozialwissenschaften.
Also das wäre zumindest rein theoretisch denkbar, auch wenn es nicht realitätsnah ist.
Marie Müller-Elmau
Genau, das Wissenschaftsministerium könnte nicht vorgeben, welche Institute
geschlossen werden müssen, sondern das läge sozusagen bei den Hochschulleitungen,
diese Verteilungsentscheidung.
Aber genau, und das ist sicherlich auch ein langfristigerer Prozess,
der jetzt eben nicht über Nacht stattfinden wird,
aber ist durchaus nicht ausgeschlossen und ist eben, wie gesagt,
in Ungarn war auch Finanzierung ein Mittel, mit dem die Regierung versucht hat,
auf Universitäten Einfluss zu nehmen.
Und dann ist ganz interessant, dass im Wissenschaftsbereich,
also dass es eben schon verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist,
dass eine Ministerin da irgendwie konkrete Vorgaben macht, was jetzt erforscht
werden soll oder nicht. und dass das Ministerium wenig Gestaltungsmacht hat.
Es gibt aber Möglichkeiten, sich Verhinderungsmacht einzuräumen,
wo wir wieder beim Thema Veto-Positionen und Obstruktionen von Prozessen wären.
Also in Thüringen ist es zum Beispiel so, dass das Hochschulgesetz 2018 geändert
wurde und damit auch das Letztentscheidungsrecht des Ministeriums bei Berufungsentscheidungen abgeschafft wurde.
Das könnte man aber auch einfach wieder, also dafür müsste man das Gesetz ändern,
aber das könnte man durchaus wieder einführen.
Und damit hätte ein Ministerium wiederum eine Veto-Position inne,
könnte Berufungsverhandlungen aus Eis legen, in die Länge ziehen,
Kandidaten schlecht behandeln und diesen Prozess obstruieren und hat eben dadurch
auch immer ein gewisses Erpressungsverhalten.
Instrument inne. Und genau, ich glaube, das ist ein Beispiel davon,
inwiefern Verhinderungsmacht dann sozusagen sich auch in Gestaltungsmacht wandeln kann.
Das heißt, im Wissenschaftsbereich ist es durchaus subtiler und besteht es eben
nicht in direkter Gestaltungsmacht, weil es eben diese ausgefeilte Rechtsprechung
gibt, weil es eben dieses Recht auf akademische Selbstverwaltung gibt,
weil ProfessorInnen laut Bundesverfassungsgericht wesentlich mitbestimmen müssen,
was den universitären Bereich angeht.
Aber es gibt eben kleine Stellschrauben und kleine Möglichkeiten,
mit denen das Ministerium versuchen könnte, Einfluss zu nehmen.
Und ich glaube, einen Aspekt, den auch viele fürchten,
der aber nicht so sehr staatlich angebunden ist und deswegen vielleicht auch
wiederum schwerer klar vorherzusehen ist oder in Grenzen nur berechenbar ist,
ist eben auch wieder die Veränderung eines Diskursklimas und Einschüchterung
von einzelnen Professoren in Berufung auf die Wissenschaftsreihe.
Zu versuchen, andere Meinungen einzuschränken oder zu unterdrücken und dabei
seine eigene Normativität zu leugnen.
Aber genau, ich glaube, das ist eben nicht so ein stark staatlich gesteuerter
Prozess, das ist sicherlich oder wäre sicherlich etwas, was auch an Normalisierung...
Oder wo eine Regierung, also wenn es eine autoritär-populistische Regierung
gäbe, auch Normalisierung vorantreiben könnte und auch eine gewisse Legitimität
sozusagen ausstrahlen würde,
die da denke ich auch zur Enthemmung führen könnte oder einfach so den Anschein
erweckt, dass gewisse Dinge salonfähiger sind oder so.
Aber es ist jetzt keine Entwicklung, die konkret vom Staat gesteuert werden kann.
Jan Wetzel
Ich meine andere, ich kenne das aus Dresden, wo ich studiert habe, da war das ja schon vor.
10, 20 Jahren Problem, dass das für die Uni dort schon länger ein Thema ist,
weil die kriegen dann natürlich, gerade wenn dort irgendwelche Ausschreitungen waren, von,
möglichen Kandidaten, die international sich dort bewerben, dann doch manchmal
gesagt, naja, ich habe das jetzt mitbekommen,
wofür Dresden in der internationalen Presse, da ist ab und zu mal die New York
Times dabei, die über sowas auch berichtet und wenn sich das rumspricht,
dann kriegt man natürlich nicht die Leute und dann dann entsprechend entwickelt
sich dann auch die Angestellten-Schaft.
Selbst wenn die Stellen besetzt werden, fehlen dann halt bestimmte Leute,
die sagen, sowas tue ich mir nicht an, Lott.
Marie Müller-Elmau
Absolut, genau. Ich glaube, auch dieser Braindrain, also dieser Attraktivitätsverlust
von einem Studienstandort ist ganz entscheidend, auch für Studierende.
Und wenn man zum Beispiel an Ziel- und Leistungsvereinbarung denkt,
was ja sozusagen Abmachungen sind zwischen dem Ministerium und einzelnen Universitäten
dazu, was sie erreichen müssen an quantitativen Vorgaben, um wiederum Geld zu bekommen,
dann knüpft das ja zum Beispiel auch an so Sachen an, wie viel Drittmittel wurden
eingeworben oder wie viel AbsolventInnenzahlen gibt es in gewissen Studiengängen.
Und auch da lässt sich so eine Art von Abwärtsspirale sozusagen in Gang setzen.
Wenn die Attraktivität des Studienortes abnimmt, dann wollen vielleicht weniger
Menschen in Thüringen Soziologie studieren oder so.
Und dann wird es auch zunehmend schwieriger für die Unis, diesen quantitativen
Vorgaben der Ziel- und Leistungsvereinbarung gerecht zu werden,
was sich wiederum auf ihre Finanzierung auswirkt und so weiter.
Hannah Beck
Es gibt auch positive Beispiele mittlerweile schon, dass ReferendarInnen zum Beispiel sagen,
wir suchen jetzt aktiv nach Stellen in Thüringen, weil wir eben nicht Neurechten,
Extremrechten das Feld überlassen wollen.
Also es gibt schon, das würde ich auch als Teil vom zivilen Verfassungsschutz begreifen im Prinzip,
schon Menschen, die da überlegen, tatsächlich deswegen sich stellen in eben,
ich sag mal in Anführungszeichen, vielleicht unbeliebteren, ländlicheren Räumen zu suchen,
die eben von diesem Braindrain besonders betroffen sind.
Jan Wetzel
Ich kenne jemanden, kann ich hier vielleicht mal grüßen, der in die Provinz
von Sachsen-Anhalt als Denkmalschütze gegangen ist. Dort ist halt auch genau das Problem.
Das ist glaube ich auch sozusagen weisungsbefugt und kann natürlich gerade was
Erinnerungspolitik und so weiter angeht, da auch einen Einfluss haben.
Aber das ist eine E11-Stelle, was ich interessant finde für Masterabsolventen
und da bewirbt sich natürlich auch niemand.
Also das habe ich dann auch gedacht, gerade dieses in der Breite,
also wo die einfach niemanden finden, der qualifiziert ist, dass man das natürlich
systematisch auch machen kann und sagen kann, du gehst dorthin,
also wenn man eben Leute hat, die politisch motiviert sind und nicht fachlich.
Hannah Beck
Und das Problem verstärkt sich
eben, wenn bereits extreme Rechte in diesen Positionen vertreten sind.
Weil dann wollen Leute, die tatsächlich an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
festhalten und dafür kämpfen, ja nicht an diese Orte gehen, weil sie dann da
fürchten müssen, eingeschüchtert zu werden und schlecht behandelt zu werden.
Jan Wetzel
Jetzt hast du den Begriff schon genannt, ziviler Verfassungsschutz,
darüber habt ihr auch geschrieben.
Ist das eine Zusammenfassung von dem, was wir besprochen haben oder was versteht ihr darunter?
Marie Müller-Elmau
Genau, also ich glaube, es geht eben auch von der Grundannahme aus,
dass es total legitim und auch erforderlich ist, repressive Mittel wie etwa
ein Parteienverbot im Umgang mit autoritärpopulistischen Parteien zu diskutieren.
Dass wir aber der Überzeugung sind, dass Recht auch gewisse Grenzen im Umgang
mit autoritär-populistischen Parteien hat.
Also das hat zum einen damit zu tun, dass der Einsatz solcher repressiven Mittel
eine gewisse Zeit lang dauert und auf jeden Fall jetzt eben nicht vor den Wahlen
im Herbst da große Ergebnisse rumkommen werden.
Zum anderen hat es damit zu tun, dass, wie wir auch schon mehrmals angedeutet haben,
diese Instrumente der sogenannten wehrhaften Demokratie, wie sie die Verfassung
vorsieht, auch ihre Grenzen haben,
insofern sie diesen Missbrauchsgedanken und die instrumentelle Beziehung zu
Recht nicht mit einbeziehen, weil sie eben davon ausgehen, dass man gegen die
Verfassung arbeitet und nicht, dass man mit ihr arbeitet.
Und schlagen deshalb vor, sozusagen als Ergänzung zu diesen repressiven Mitteln
zivilen Verfassungsschutz zu betreiben und damit den Schutz von Demokratie und
Rechtsstaat nicht allein auf Gerichte und Behörden zu überlagern.
Was zum einen hoffentlich dabei helfen kann, dass zivile Gesellschaft sich weiter
verantwortlich fühlt und sich sozusagen nicht aus ihrer Verantwortung stiehlt,
indem sie denkt, das lösen schon andere für sie.
Und zum anderen eben ganz konkret dadurch funktionieren soll,
dass Antizipation gefördert wird in der Zivilgesellschaft.
Was eben auch deshalb funktioniert, weil autoritäre Populisten inkrementell
vorgehen und das einzelne Schritte sind, die sich vollziehen und nicht alles auf einen Schlag kommt.
Das heißt, wir hoffen, dass wir Zivilgesellschaft für diese Schachzüge sensibilisieren
können, damit klar wird, dass es sich dabei nicht um eine irgendwie entlegene
juristisch-technische Handlung hält,
sondern um einen Schritt, der für Demokratie und Rechtsstaat eine Gefahr darstellen kann.
Und genau, sozusagen die Bedeutung und Tragweite von diesen Schachzügen zu vermitteln.
In Israel, das ist so ein bisschen so das Beispiel,
auf das wir da zurückgreifen, weil es in Israel eben so war,
dass Rechtswissenschaftler in Altersheime gefahren sind, zu Leuten nach Hause
gefahren sind, sie wiederum in ihre eigene Wohnzimmer eingeladen haben,
um darüber aufzuklären, was so eine Justizreform eigentlich konkret bedeutet,
was die Regierung davor hat und was das für Konsequenzen hat.
Und damit auch dazu beigetragen hat, Zivilgesellschaft zu mobilisieren,
was sich dann eben zum einen darin äußern kann, dass sie protestiert und dass
sie diesen Institutionen den Rücken stärkt durch Protest.
Aber sich natürlich nicht nur auf Protest beschränkt, sondern auch bedeuten
kann, sich zu vernetzen, zu forschen, zu publizieren, diese Art von selbstorganisierter
Wissenschaft voranzutreiben, die wir zum Beispiel machen.
Und genau, dadurch wachsam bleibt und immer antizipiert, wenn der nächste Schritt
kommt und im entscheidenden Moment eben handeln kann.
Hannah Beck
Ich finde den zivilen Verfassungsschutz auf zwei Ebenen besonders interessant.
Auf der einen Ebene haben Bürgerinnen und Bürger gerade auf Landesebene auch
viele Möglichkeiten, sich selbst in Politik einzubringen, oft aber kein Bewusstsein dafür.
Also es gibt ja die Möglichkeit, Einwohneranträge zu stellen,
Bürgerbegehren anzustrengen und so weiter.
Da gibt es viele Möglichkeiten, die aber noch sehr wenig genutzt werden,
obwohl die Hürden für diese Mittel sehr niedrig sind.
Also die wurden durch ein Bürgerbegehren selbst gesenkt, was auch interessant ist.
Genau, und das ist, finde ich, auch Teil von zivilem Verfassungsschutz oder kann zumindest sein.
Auf der anderen Ebene gibt es natürlich die Möglichkeit ...
Dass Bürgerinnen und Bürger, wenn zum Beispiel Grundrechte eingeschränkt werden
durch eine autoritär-populistische Regierung, sie klagen können dagegen.
Und aufzuklären, wann Klagen möglich sind, was sie dafür brauchen,
wer sie dabei unterstützen kann, wie viel das Ganze kostet, ob sie das Geld
zurückkriegen und so weiter.
Also dieser ganze Prozess darüber zu informieren und die Bürgerinnen und Bürger
darüber aufzuklären, wie können sie
sich wehren, zum Beispiel wenn Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird.
Das ist auch Teil vom zivilen Verfassungsschutz.
Jan Wetzel
Anna, du hast gesagt, ihr habt natürlich auch Kontakt mit den Leuten vor Ort,
die vielleicht auch in den Ministerien oder auf kommunaler Ebene oder wo auch immer betroffen sind.
Vielleicht ist das noch ein guter Schwenk zum Schluss hin.
Was habt ihr da für einen Eindruck gewonnen? Sind die schon Teil des zivilen Verfassungsschutzes?
Ist da vielleicht auch ein Umdenken in den letzten Jahren?
Ist das vielleicht auch abhängig von den politischen Einstellungen der Leute
selbst? Das ist ja auch keine homogene Masse.
Was sind da so eure Eindrücke bisher?
Hannah Beck
Also es ist abhängig davon, mit wem man spricht. Es gibt Bürgerinnen und Bürger
zum Beispiel in zivilgesellschaftlichen Organisationen, in Demokratieprojekten,
die das Thema doll auf dem Schirm haben.
Jan Wetzel
Die laden euch dann ein für Projekte, oder?
Hannah Beck
Genau, wir werden eingeladen. Teilweise haben wir aber auch zum Beispiel erstmal...
Sozusagen Anfragen gestellt, um uns mit den Leuten zu unterhalten,
die zum Beispiel von bestimmten Szenarien betroffen sind.
Und die hatten dann tatsächlich auch schon Szenarien durchdacht.
Also denen ist sehr bewusst, dass zum Beispiel von ihrem Bestehen abhängig ist,
ob sie finanziell gefördert werden oder nicht und was im Haushalt beschlossen
wird und so weiter und was dann eine autoritär-populistische Regierung alles anstellen könnte.
Bei den Politikerinnen und Politikern, also wir haben natürlich auch mit Leuten
aus dem Parlament gesprochen und aus der Landtagsverwaltung, würde ich sagen,
ist noch Luft nach oben bei der Sensibilisierung für Szenarien,
was aber auch, denke ich, stark damit zusammenhängt, dass eben Politikerinnen
und Politiker einen harten Job haben.
Ich finde es auch immer wichtig zu sagen, das ist ja kein Pappenstil,
Tag ein, Tag aus sich mit politischen Themen zu beschäftigen,
Entscheidungen zu treffen, neue Gesetze zu machen und so weiter.
Die haben ein Tagespensum, wenn man mal ein Praktikum zum Beispiel im Landesparlament
oder im Bundestag gemacht hat, dann weiß man das.
Die haben oft die Tagespolitik vor Augen und denken nicht so weit in die Zukunft.
Haben aber, wenn sie demokratisch agieren und wir sprechen ja mit den demokratischen
Abgeordneten, das gleiche Ziel, sie wollen die Demokratie erhalten.
Und unser Ziel ist es dann sozusagen diese beiden Schienen, auf denen wir uns
bewegen, also einmal tagespolitisches Geschäft und dann unser Blick in die Zukunft
zusammenzubringen, um eben diese Sensibilisierung voranzutreiben.
Ich würde sagen, in der Verwaltung haben, wie schon angesprochen,
die Leute ein starkes Vertrauen daran, dass die demokratischen Institutionen
funktionieren und teilweise fällt es den Menschen auch schwer,
sich auf die Szenarien einzulassen.
Also da herrscht dann teilweise Unglaube oder die brauchen einfach eine Weile,
um sich auf so ein Szenario einzulassen.
Weil es ist natürlich auch schwierig sich oder man möchte sich vielleicht,
wenn man in dem Kontext arbeitet, auch nicht unbedingt vorstellen,
dass dann an der Spitze ein Minister setzt, der Weisungen gibt,
die man eigentlich nicht umsetzen möchte.
Das ist auch total verständlich. Aber ich glaube, da können wir auch noch mehr machen. Genau.
Marie, du hast viel auch schon mit LehrerInnen und ReferendarInnen,
glaube ich, auch gesprochen. Was ist da dein Eindruck gewesen?
Marie Müller-Elmau
Ja genau, ich habe vor allem mit LehrerInnen gesprochen und da war es auch sehr durchmischt.
Also zum Teil entsteht irgendwie aus diesen Veranstaltungen ein großer Vernetzungswille
und so eine Art von Aufbruchsstimmung, sich jetzt noch vorzubereiten und sich
zusammenzutun und zu organisieren.
Und in anderen Teilen ist schon auch einfach eine gewisse Ohnmacht zu verzeichnen,
wenn man Menschen mit diesen Szenarien konfrontiert.
Und ich glaube, da ist es eben ganz wichtig, auch auf diese Konstruktivität
irgendwie noch so einzugehen.
Also eben, wie Hannah gesagt hat, darüber aufzuklären, was für Rechte es gibt,
was für Möglichkeiten es gibt, in solchen Szenarien zu handeln.
Und genau, damit hatte ich irgendwie mit einer aufbauenden...
Also etwas Aufbauendes irgendwie noch zu vermitteln, nachdem man relativ,
also diese Szenarien haben natürlich auch was in gewissen Maßen Destruktives
für sich, weil sie so eine Art Ablauf der Geschichte erzählen,
der einem erstmal das Gefühl vermitteln kann,
man ist dem ausgeliefert und kann erstmal nicht so viel anrichten und das ist natürlich nicht so.
Hannah Beck
In der Wissenschaft ist es tatsächlich auch interessant, weil ich da von einigen
WissenschaftlerInnen immer noch gespiegelt bekomme, ja, wenn in Thüringen Höcke
regiert, dann muss das das Boot der Demokratie schon aushalten.
Damit trägt man aber den Diskurs und die Diskussion auf dem Rücken derer aus,
die sich in den Bundesländern schon seit Jahren für die Demokratie engagieren
und die dann sehr darunter leiden würden,
wenn so ein autoritär-populistischer Politiker in der Spitze der Landesregierung sitzt.
Und teilweise gibt es auch den Vorwurf, dass das Thüringen-Projekt zum Beispiel
Angst sät oder dass wir im Prinzip eine Hysterie in die Debatte hineintragen.
Aber wir haben uns jetzt mit über 120 Fachleuten aus Wissenschaft und Verwaltung
und Zivilgesellschaft und so weiter getroffen und gesprochen.
Ich komme selbst aus Thüringen, ich wurde in Eisenach geboren.
Ich kenne den Kontext, ich bin mit Rechtsextremisten zur Schule gegangen.
Wenn uns irgendjemand gesagt hätte, guckt euch mal andere Szenarien an,
das ist schon alles nicht so schlimm,
dann würden wir unser Wissen vielleicht auch anders in die Gesellschaft hineintragen,
aber haben sie nicht und die Szenarien sind dringlich und ja,
also Hysterie sagt ja, dass man sozusagen übertreibt in einer bestimmten Art
und Weise und diese Übertreibung haben wir nicht gespiegelt bekommen.
Leo Schwarz
Was wäre denn das Best-Case-Szenario jetzt noch vor der Wahl?
Also sagen wir mal, Eura und die Arbeit anderer resoniert jetzt derart in der Politik.
Was könnte man denn jetzt noch reißen politisch auf den letzten Metern?
Sagen wir mal, die demokratischen Parteien haben jetzt einen Einsinn und wollen
jetzt alles noch darauf einrichten, dass sie resiliente Institutionen nach der
Wahl haben, welche Ergebnisse auch wollen.
Gäbe es da sozusagen low-hanging fruits oder dergleichen, die man jetzt noch angehen könnte?
Hannah Beck
Ja, gibt es. Man könnte zum Beispiel, wie ich eben erwähnt habe,
die konsultative Volksbefragung in der Verfassung ausschließen.
Man könnte ein Auffanggremium schaffen oder eine Auffanglösung für dieses Blockadeszenario
des Verfassungsgerichtshofs.
Also falls eben Menschen nicht hineingewählt werden,
weil die AfD ihren Veto ausnutzt und den Prozess der Wahl der RichterInnen blockiert,
könnte man dafür sorgen, dass, also ein Beispiel ist, dass der Verfassungsgerichtshof
dann praktisch selber Vorschläge macht,
die dann vom Parlament mit einfacher Mehrheit gewählt werden.
Aber nur im Fall einer Blockade.
Es gibt die Möglichkeit, bestimmte politische Beamte aus dieser Kategorie rauszunehmen,
sodass sie nicht einfach ersetzt werden können von der neuen Regierung.
Das ist zum Beispiel beim Präsidenten der Polizei so und beim Verfassungsschutzpräsidenten.
Auch der Landtagsdirektor kann ja einfach ausgetauscht werden, das könnte man ändern.
Also es gibt Low Hanging Fruit und man könnte dafür sorgen, dass das Parlament
einer Kündigung des Rundfunkstaatsvertrags zustimmen muss.
Es gibt Low Hanging Fruit, dafür braucht es allerdings, um das umzusetzen,
braucht es oft Verfassungsänderungen.
Und da müssen sich jetzt die demokratischen Parteien ganz klar zusammentun und
diese Verfassungsänderungen umsetzen.
Jan Wetzel
Aber das funktioniert noch nicht so.
Hannah Beck
Wenn man sich die politische Situation in Thüringen ansieht,
ja, ich möchte nicht sagen, ich bin pessimistisch, aber ich bin auch nicht optimistisch.
Und es wäre natürlich schön, wenn das jetzt noch vor den Wahlen gelingt,
weil man weiß eben nicht, was nach den Wahlen noch gelingt.
Und wie gesagt, mit ihrer Sperrminorität könnte die AfD jegliche Verfassungsänderung verhindern.
Das heißt, wenn Verfassungsänderungen, dann bitte jetzt.
Jan Wetzel
Dann kommen wir zum Schluss vielleicht noch eine Frage, wenn du sonst nicht hast, Leo.
Ihr seid jetzt bis zum Herbst angestellt, auch nach den Wahlen.
Das ist ja auch sozusagen der Sinn dieses Projektes, erst mal eben so eine Art
Assessment zu machen, um es mal neudeutsch auszudrücken.
Natürlich hängt alles davon ab, wie die Wahlen ausgehen.
Aber schon die Überlegung, das vielleicht auch zu verstetigen.
Man braucht ja auch sozusagen eine dauerhafte Beobachtung und die Szenarien
ändern sich ja natürlich live, je nachdem was dann eben so eine Partei machen
kann, auch abhängig natürlich davon, wie viel Prozent sie dann haben.
Also wie geht es sozusagen weiter mit dem Projekt, ohne das jetzt schon wissen zu können natürlich?
Marie Müller-Elmau
Ja genau, also die Idee ist auf jeden Fall das Projekt über die Wahlen hinaus
auch vorzuführen, also auch in Thüringen.
Weil eben wie du sagst, diese Szenarien sich auch einfach stetig weiterentwickeln
und enorm vielfältig sind und es bestimmt auch noch Zeit braucht,
die sozusagen in ihrer Gänze zu Ende zu recherchieren.
Und dann aber natürlich auch die Sensibilisierungsarbeit weiter wichtig ist,
weil uns ja auch mit dem Projekt ganz wichtig ist zu vermitteln,
dass es jetzt nicht nur auf diesen einen Moment, diese einen Landtagswahl mit
dieser einen Bedrohung durch die AfD ankommt, sondern dass das Strategien und Schachzüge sind,
die über diesen Anlass hinausgehen und die über diesen Anlass hinaus wichtig
sind und die eben auch von anderen Parteien ausgehen können und so weiter.
Und eben um diesen Blick nicht dafür zu verlieren, dass es sich mit dieser Landtagswahl
sozusagen nicht erledigt hat,
ist es total wichtig, da auch weiter in der Zivilgesellschaft Sensibilisierungsarbeit
zu leisten, also Öffentlichkeitsarbeit zu leisten, diese Workshops durchzuführen,
die wir jetzt schon organisieren und so weiter. Und darüber hinaus?
Hannah Beck
Also die Auswirkungen der Bundesebene auf die Länderebene, dann haben wir auch noch das Europarecht.
Das Recht ist so vielfältig und so viele Ebenen sind da miteinander verzahnt
und das ist noch lange nicht ausrecherchiert und da gibt es eben noch viel zu tun.
Wir wollen die Rechtswissenschaft weiter mobilisieren, wir wollen auch interdisziplinäre
Forschung weiter betreiben.
Genau, da machen wir weiter.
Jan Wetzel
Danke fürs Kommen, Marie und Hanna. Danke für die Antworten.
Das war, glaube ich, ein guter Einblick und bereitet vielleicht besser vor auch
auf das, was uns da im Herbst erwartet.
Das war die 90. Folge von Das Neue Berlin.
Wie immer der Hinweis, empfehlt uns gern weiter, online oder offline.
Ich sage es nochmal, das Thüringen-Projekt hieß das. Das Crowdfunding läuft,
glaube ich, auch parallel noch weiter.
Also auch da ist Möglichkeit, das finanziell zu unterstützen.
Das war's. Macht's gut. Bis zur nächsten Folge von Das Neue Berlin. Tschüss.
Leo Schwarz
Ciao. Ciao.
Hannah Beck
Danke euch.