Transkript | Paradoxe politische Redeweisen – mit Astrid Séville und Julian Müller

Astrid Séville

Ich glaube, dass gerade die Grünen damit besonders kämpfen,

weil sie eben angetreten sind als solche anti-autoritären Politiker,

die um solche Entscheidungen wie jetzt zum Beispiel Export von Waffen und so weiter ringen müssen.

Die haben ein besonderes Problem mit diesem apodiktischen Sprechen.

Das heißt, sie brauchen eine andere Immunisierungsstrategie.

In dem von Julian Müller schon angesprochenen Aufsatz damals zum Habeck-Paradox

haben wir das sehr stark gemacht mit Habecks Versuch, über die eigenen Erfahrungen,

die eigenen sozialen Begegnungen sich zu immunisieren.

Also politische Entscheidungen damit zu erklären, auch zu rechtfertigen,

dass man sagt, naja, ich habe das eben erlebt.

Ich habe mit den Fischern gesprochen in Schleswig-Holstein.

Was soll man denen denn entgegenhalten? Ja, ich habe andere Leute gesprochen,

ich habe anderes erlebt. Das macht den politischen Diskurs schon mal schwieriger.

Hier ist das neue Berlin.

Jan Wetzel

Hier ist das neue Berlin. Hallo und herzlich willkommen zur 93.

Folge von Das Neue Berlin. Mein Name ist Jan Wetzel.

Leo Schwarz

Ich bin Leo Schwarz.

Jan Wetzel

Und gemeinsam versuchen wir hier Gegenwart und Gesellschaft zu verstehen.

Wer wahnsinnig genug ist, sich am politischen Diskurs in den sozialen Medien

zu beteiligen, wird das vielleicht schon mal beobachtet haben.

Aktivisten, die sich staatstragend äußern, als wären sie Bundespräsidenten.

Es gibt auch den umgekehrten Fall. Etablierte Medienleute und verbeamtetes Wissenschaftspersonal,

das Revolution fordert. oder auch nur ein subversiver Komiker,

der ganz unironisch Werbung für die deutsche Polizei macht.

Oder doch ironisch? In der politischen Kommunikation scheinen klassische Differenzen

des Affirmativen und des Kritischen, des rhetorisch Gesetzten und des Wilden

oder auch des Flapsigen und Bitterernsten ins Schwimm geraten zu sein.

Dafür haben wir es manchmal mit neuen, verwirrenden Chimären politischer Kommunikation zu tun.

Wir haben heute Astrid Sevy und Julian Müller in der Sendung,

die sich seit Jahren mit dieser neuen kommunikativen Unübersichtlichkeit auseinandersetzt.

Bei Moor-Siebeck ist nun ein kleiner Band von Ihnen erschienen mit dem Titel

Politische Redeweisen, der diese Forschungen gerafft zusammenfasst.

Über Ihren Essay über politische Redeweisen wollen wir heute mit Ihnen reden.

Hallo Frau Seville und hallo Herr Müller.

Julian Müller

Hallo.

Jan Wetzel

Wie sind Sie auf das Thema gestoßen und was ist der Forschungskontext,

ist ja, indem sie gesagt haben, wir müssen das mal doch genauer angucken.

Julian Müller

Ich glaube, Frau Seville und ich saßen beide schon länger an ähnlichen Fragen,

ganz unabhängig voneinander.

Dann haben wir gemerkt, wir beschäftigen uns mit vergleichbaren Themen und es

gab so einen kleinen Zufall.

Es gab ein Preisausschreiben der Zeitschrift Merkur im Jahr 2021,

wo es um eine Bestimmung irgendwie von Robert Habeck ging.

Die Überschrift war das Habeck-Paradox und man sollte irgendwie versuchen,

diese Figur Robert Habeck als eine politische Figur zu erklären und an diesem

Preisausschreiben haben wir teilgenommen,

haben glücklicherweise auch dieses Preisausschreiben gewonnen und haben eigentlich

mit einem ganz kleinen Essay über Robert Habeck begonnen und haben uns so ein

bisschen mit seiner Art der politischen Kommunikation in der Gegenwart auseinandergesetzt

und irgendwie haben wir immer stärker daran, an diesen Fragen weitergearbeitet.

Man muss dazu sagen, ich habe sowieso mich auch in der Vergangenheit mit so

kommunikationstheoretischen, kommunikationssoziologischen Fragen auseinandergesetzt.

Astrid Sivy hat in der Vergangenheit ihre Doktorarbeit über Fragen und Formen

politischer Kommunikation geschrieben.

Also es waren durchaus Themen, die uns auch in der vergangenen Forschung umgetrieben haben.

Und so haben wir aber jetzt mal versucht, so ein bisschen das zu inventarisieren

und dieser Essay, den Sie sehr schön im Übrigen schon eingeleitet und zusammengefasst haben,

weil das sind so diese Fälle, die uns in diesem Essay interessieren,

ist sowas wie der Versuch,

so eine etwas spielerische Inventur so symptomatischer Formen öffentlicher Rede

in der Gegenwart mal anzufertigen und uns so bestimmte,

Formen genauer anzuschauen, die uns gerade ins Auge stechen.

Vielleicht noch ein Zusatz.

Dieses ganze Vorhaben findet statt innerhalb eines Forschungsprojekts,

das Astrid Zivy und ich zusammen mit Christian Kirchmeier leiten.

Es ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das von der Gerda-Hentl-Stiftung

finanziert wird und den Titel trägt Re-Präsentation neue Formen der politischen

Ansprache und Fürsprache.

Wir sind ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Soziologie,

Politikwissenschaft und Literaturwissenschaft und wir spielen mit diesen beiden

Gegensatzpaaren Repräsentation und Präsentation und Ansprache und Fürsprache.

Das heißt, wir interessieren uns eigentlich, wie sich gegenwärtig die Formen

politischer Repräsentation verändern,

wenn die politischen Subjekte immer stärker in der Lage sind,

sich selbst zu präsentieren, also für sich selbst sprechen zu können und gar

keiner repräsentativen Mechanismen, klassischen repräsentativen Mechanismen mehr bedürfen.

Also das ist so ein bisschen so der Rahmen, in dem das ganze Vorhaben steht.

Jan Wetzel

Einleitend ist sozusagen die, oder es wäre die Frage, ist die Gegenwartsdiagnose,

dass man heutzutage kaum mehr politisch kommunizieren kann, ohne gleichzeitig

zu thematisieren, wie man kommuniziert.

Also es gibt so eine Art Selbstreferenz in der politischen Kommunikation und

das Interesse, zum Beispiel auch das Merkur an so Personen wie Habeck,

die das ja explizit machen,

darüber zu sprechen, wie sie eigentlich sprechen, spricht da wiederum auch dafür,

dass man dann auf einer zweiten Ebene dann schon auch darüber wieder sprechen kann.

Ist das eine Gegenwartsdiagnose?

Können Sie das vielleicht ein bisschen ausführen?

Astrid Séville

Ja, wir sind ja ein bisschen vorsichtiger mit diesen großen Gegenwartsdiagnosen.

Also wir versuchen ja auch in der Einleitung stark zu machen,

dass wir jetzt nicht sehr großspurig über ein Phänomen, eine Dynamik,

die ganze Logik der Gesellschaft erklären wollen.

Es ist ja so ein Trend in den Sozialwissenschaften, eine Logik,

eine Dynamik zu hypostasieren als die gesellschaftliche. Also dann wird gesprochen

von der Gesellschaft der Singularitäten, der Externalisierungsgesellschaft,

der Angstgesellschaft und, und, und.

Und wir sind aber ein bisschen vorsichtiger, wollen aber trotzdem diese Beobachtungen

in den Vordergrund rücken, dass dieses.

Dieses Reden über Kommunikation derart zugenommen hat, beziehungsweise so prominent geworden ist.

Und uns interessiert tatsächlich, warum das so ist, auf der einen Seite,

aber auch vor allen Dingen, was man daran erkennen kann.

Also zum einen könnte man ja überlegen, das gibt es auch in der Politikwissenschaft

als Krisendiagnose, dass wir eigentlich eine Verdrängung des genuinen Politischen

haben, dass wir viel mehr darüber sprechen.

Und Sie haben schon gesagt, es ist interessant, Habeck, auch die permanent wiederholte

Forderung, Olaf Scholz als Bundeskanzler müsste besser erklären,

muss sie besser kommunizieren.

Das ist so ein bisschen in den Fokus gerückt, zu Lasten vielleicht einer politischen

Auseinandersetzung oder einer Auseinandersetzung mit politischen Inhalten.

Wahrscheinlich können wir das alle an uns selber ein bisschen beobachten,

dass es uns viel schwerer fällt, über konkrete Details,

einzelne Policies, also politische Entscheidungen zu diskutieren,

als vielmehr über politischen Stil, politische Art und Weise,

sich zu präsentieren, darzustellen, zu inszenieren.

Auf der anderen Seite kann man auch sagen, naja gut, vielleicht ist das so ein

Phänomen, was auf etwas Größeres hindeutet.

Anton Jäger hat diese These der Hyperpolitisierung, Hyperpolitik.

Dass es auch damit zusammenhängt, dass wir so eine Verdrängung des Politischen

haben im Sinne einer Alle sind politisch, aber keiner hat irgendwie mehr so

richtig Interesse an parteilichem Engagement oder Engagement für konkrete Politik.

Aber das deutet ja schon auf eine Verschiebung auch innerhalb der Öffentlichkeit hin.

Und die wollen wir eben auch in den Fokus rücken mit diesem Essay, dass wir sagen.

Diese Kommunikation über Kommunikation hat sich deswegen so ein bisschen in

den Vordergrund gedrängt,

weil diese Frage der politischen Vermittlung eine ganz andere Brisanz hat in

Zeiten von sozialen Medien,

in der wir permanent ja eigentlich auch diese Selbstreferentialität sogar selbst erkennen können.

Also wenn wir permanent darüber sprechen, wie denn politische Vermittlung selber

wieder wirksam ist oder nicht. Also wir haben ja permanent diese Schleifen.

Und ein Beispiel, das bei uns im Essay auch kurz vorkommt, aber an dem man das,

glaube ich, sehr gut erkennen kann, diese Selbstreflektionalität oder diese

Selbstreflektion des politischen Personals über ihre politische Wirkung und

über ihre politische Kommunikation und Vermittlung.

Es ist vielleicht ganz interessant, sich dann diese Kevin-Kühnert-Dokumentation

mal anzuschauen, bei der permanent Kevin Kühnert begleitet wird mit seinem Pressesprecher,

mit seinem Presse-Team, die permanent vor der Kamera, also vor Publikum darüber

nachdenken, wie denn jetzt Kevin Kühnert kommuniziert,

wie er denn wirkt, was es denn bedeutet für sein politisches, öffentliches Image.

Und das, glaube ich, ist schon so ein Symptom, was wir eben mit dieser Beobachtung

nochmal herausarbeiten wollen und eben fragen sollen, was hat das denn dann für Konsequenzen?

Leo Schwarz

Vielleicht würde ich gleich nochmal zurückfragen zu diesem vorsichtig zeitdiagnostischen

Rahmen sozusagen, dieser Analyse der Redeweisen.

Also man kann ja immer die skeptische Gegenfrage stellen, ist irgendwas wirklich neu?

Also kann man das wirklich sagen? Also vor allem, es ist ja jetzt ein eher essayistischer

Text, der so Schlaglichter wirft auf konkrete Fälle.

Aber es geht ja jetzt nicht weder in die quantitative Breite noch ist jetzt

irgendwie sozusagen der historische Vergleich da. Wenn ich jetzt sage,

universelle Subjektivität, das macht doch auch Adorno in der Minima Moralia zum Beispiel.

Oder wenn ich für andere dieser Redefiguren, dieser Redeweisen jetzt frühere

Beispiele finden würde, was ich bestimmt in irgendeiner Weise könnte. Also wie geht man da vor?

Wie rechtfertigt man sozusagen überhaupt etwas Neues darin zu erkennen?

Also gibt es Selbstreflexivität neu in der Politik wirklich oder wird es nur

vielleicht anders medial wiedergegeben?

Also nur nochmal kurz die skeptische Gegenfrage, die natürlich immer kommt.

Julian Müller

Ja, das ist auch eine gute und sehr berechtigte Frage. Wir versuchen da auch

immer sehr vorsichtig zu formulieren.

Man muss natürlich, wenn man so ein Forschungsprojekt oder sowas beantragt,

muss in der Regel neu davorstehen, sonst kriegt man gar keine Mittel bewilligt.

Und das sind dann auch so Zugzwänge der Titel, die man so wählt.

Aber eigentlich wollen wir vermeiden, permanent etwas radikal Neues zu sehen.

Aber wir beschäftigen uns mit Phänomenen der Gegenwart.

Also das ist vielleicht unser Fokus und unsere Einstellung.

Wir würden aber nicht sagen, dass es jetzt einen so radikalen Umbruch gibt,

dass wir von sowas wie einer Revolution sprechen.

Im Gegenteil, wir würden schon sagen, dass viele Phänomene, die wir da in dem

Essay in den Blick nehmen, natürlich auch Vorgeschichten haben,

die man sich genauer anschauen müsste.

Also wenn wir heute sagen, es gibt eine vermehrte Personalisierung oder Intimisierung

von Politik, dann ist das nicht etwas, was heute beginnt, sondern wo wir natürlich

schon Vorläufer finden.

Also ich habe in diesem Semester jetzt mit meinen Studierenden zusammen,

haben wir uns mal die Urlaubsfotos von Helmut Kohl,

die ja hochgradig inszeniert waren, wo die Familie eine große Rolle gespielt

hat, die aber auch ritualisiert und sehr, sehr selten waren, angeschaut.

Natürlich ist das eine Form von Intimisierung von Politik, die den heutigen

Instagram-Profilen gar nicht so unähnlich ist.

Das Gleiche gilt wahrscheinlich für die Polit-Talkshows der 1990er-Jahre,

wo ein ganz neues politisches Sprechen sozusagen sichtbar und hörbar wurde. Wir sind,

Deswegen ganz vorsichtig würden jetzt nicht sagen, dass etwas ganz radikal Neues

passiert ist, aber schon etwas, was man gut beschreiben muss.

Wir würden auch nicht sagen, dass die sozialen Medien per se jetzt alles über

den Haufen geworfen haben oder die klassische Politik ruiniert oder so stark verändert haben.

Auch das wollen wir vermeiden. Wir wollen keinen Mediendeterminismus betreiben

und alles auf Twitter und Facebook und Instagram zurückführen.

Aber es ist natürlich klar, dass diese neuen medialen Bedingungen auch andere

Formen von Politik nach sich ziehen.

Umgekehrt gilt aber auch, dass es Veränderungen der Politik gibt,

die wiederum irgendwie interferieren mit der Art und Weise, wie Politik heute dargestellt wird.

Also das, glaube ich, diese Wechselwirkung, Strukturwandel der Medien auf der

einen Seite, aber auch Strukturwandel der Politik auf der anderen Seite,

ich glaube, das ist das, was uns alle drei in dem Projekt interessiert und wo

auch die unterschiedlichen disziplinären Blicke dann irgendwie darauf treffen.

Astrid Séville

Darf ich da noch mal ganz kurz einhaken, weil Julian das gerade sehr schön gesagt

hat, dass wir uns für die Gegenwart interessieren, ohne mit so einem Appellant

immer so eine Neuheit oder Radikalität der Phänomene zu behaupten.

Ich glaube, unser Argument ist ja schon auch ein doppeltes. Also das hat Julian

Müller gerade auch schon angedeutet. Auf der einen Seite diese Veränderung des

medialen Umfelds von Politik, auf das Politik ja durch, auf diese Veränderung reagiert ja Politik.

Also das, glaube ich, muss man tatsächlich auch ernst nehmen,

was ich eingangs auch sagte, dass politische Akteure vielmehr diese Wirkung

jetzt in einer Schnelligkeit schon beachten und antizipieren müssen.

Das ist ja auch eine unserer Thesen, dass die Antizipation der politischen Wirkung

der eigenen Sätze schon wieder vielleicht zu einer Veränderung dieser Sätze führen kann.

Und auf der anderen Seite, das ist mir auch nochmal wichtig zu betonen,

gucken wir uns ja auch eigentlich eine politische Konstellation an,

in der die politische Mitte, diese sagenumwobene politische Mitte unter Druck geraten ist.

Das ist ja tatsächlich der Fokus dieser Essays, ist ja nicht auf die radikalen,

lauten, hässlichen politischen Ränder.

Uns interessiert eben nicht, wie politische Extreme,

wie die politische Kommunikation der politischen Extreme aussieht,

sondern uns interessiert ja, wie das vermeintlich Normale, Etablierte,

Bürgerliche eben diese Mitte kommuniziert.

Uns interessiert also, wie Akteure sprechen, wie sie sich auch ein bisschen

selbst erzählen, selbst erklären, selbst verteidigen als Arbeiter.

Und das ist, glaube ich, schon nochmal eine Situation, die deswegen Aufmerksamkeit

verdient, weil diese Mitte, wenn man sie denn eben, das haben wir ja auch schon

deutlich gemacht in dem Essay, dass man, glaube ich, immer überlegen muss,

was ist das für ein Begriff,

ist das nicht eine Selbstbehauptung oft, ist diese Mitte überhaupt nicht politisch

so bürgerlich und etabliert, wie man das gerne behaupten möchte.

Aber dass diese Mitte tatsächlich versucht, sich selbst zu erzählen angesichts

der Attacken und der Angriffe auf sie.

Also dass wir uns anschauen, wie nicht nur in diesem veränderten medialen Umfeld,

sondern eben auch im veränderten politischen Umfeld Akteure agieren und sprechen.

Das ist, glaube ich, nochmal ganz wichtig zu betonen, dass diese Gegenwart für

uns zumindest von dieser doppelten Dynamik gekennzeichnet ist.

Jan Wetzel

Das ist glaube ich schon ein ganz guter Ansatzpunkt, eben auf die Mitte auch zu blicken.

Manchmal ist ja tatsächlich, das haben sie ja gerade schon angedeutet,

die Erzählung, wir verteidigen nur, bei uns wollen ja nur die Demokratie erhalten

und die anderen, aber dass es

eben insgesamt so einen Veränderungsprozess gibt, ist glaube ich ganz gut.

Gut, bevor wir so ein bisschen noch auf vielleicht auch die Meta fragen und

so kommen, denke ich, ist es ganz gut, wenn wir so ein bisschen auf die Beispiele eingehen.

Und Herr Müller, Sie haben schon einleitend gesagt, dass Habeck so ein bisschen

der Stein des Anstoßes war.

Seine Kommunikation nennen Sie in dem Buch die staatstragende Flapsigkeit.

Können Sie das ein bisschen ausführen? Was haben Sie da an Habecks Kommunikation entdeckt?

Julian Müller

Ja, Habeck war gewissermaßen der erste Fall, mit dem wir uns beschäftigt haben

und man muss es auch sagen, vielleicht der deutlichste und auch dankbarste,

weil es unglaublich viel Material zu finden gibt,

weil Robert Habeck sehr gerne über seine eigene Art der Kommunikation Auskunft

gibt, die selbst mitreflektiert.

Es gibt ja zahlreiche Sachbücher von ihm, wobei Sachbuch trifft es zum Teil

gar nicht mehr so richtig.

In den letzten beiden, 2021, von hier an anders, eine politische Skizze und

2018 erschienen, wer wir sein könnten.

Das ist im Grunde, wenn man so will, so etwas wie eine Einführung in die politische Sprechakttheorie.

Also ich schlage mal hier gerade das Buch auf. Auch der erste Satz dieses Buchs

heißt Sprache schafft die Welt.

Sie ist nie nur Abbildung von ihr, sondern bringt sie immer auch hervor.

Und das gesamte Buch handelt also davon, gewissermaßen das Instrumentarium offen

zu legen, mit dem Robert Habeck permanent selbst operiert.

Und das hat uns erstmal wahnsinnig interessiert, dass wir hier jemanden haben,

der gewissermaßen einen permanenten Selbstkommentar mitlaufen lässt und so eine

Metakommentierung des eigenen Sprechens und Handelns mitliefert und in Buchform

uns irgendwie preisgibt.

Staatstragende Pflatzigkeit haben wir das deswegen genannt, weil Robert Habeck

aus unserer Sicht ein Meister darin ist, so verschiedene Tonfälle und Registerwechsel

hinzukriegen und so verschiedene Tonfälle irgendwie zu arrangieren.

Also er spricht bisweilen extrem staatstragend in Interviews über die,

Also sehr pathetisch gibt er Auskunft, wie viel ihm die Eidesformel der Amtseid

bedeutet hat, als er den ausgesprochen hat.

Und dann gibt es aber die berühmten flapsigen Ausbrüche von Robert Habeck,

das kriegst du nicht alter im Heute-Journal, die die andere Seite sind.

Und Habeck ist jemand, der bisweilen in einem und demselben Satz beide Register gewissermaßen zieht.

Und...

Das ist irgendwie etwas, was uns sehr beschäftigt hat.

Es gibt bei Robert Habeck eine Formulierung, wie er seinen eigenen Politikstil selbst bezeichnet.

Und zwar beschreibt er, dass er seine Politik als selbstkritisches Kämpfen begreift.

Und für uns war das so eine sehr symptomatische und auch auf gewisse Art und

Weise verräterische Formulierung deswegen, weil darin zwei Dinge zusammenkommen,

die wir üblicherweise auseinanderhalten.

Also auf der einen Seite Selbstkritik, die Fähigkeit, sich selbst zu beobachten,

den eigenen Standpunkt im Blick zu haben, die eigenen Privilegien zu checken

und so weiter und so fort. Und auf der anderen Seite natürlich so etwas wie

die Kampfbereitschaft.

Also wir haben so Entschlossenheit und Selbstkritik. Zwei Dinge,

die wir eigentlich nicht zusammen denken und Robert Habeck bringt die so zusammen.

Und das war vielleicht für uns sowas wie der Aufhänger, sich von Habeck aus

für verschiedene Formen solcher, wir nennen das paradoxe Kopplungen,

zu interessieren, wo so Dinge zusammenkommen,

die wir eigentlich üblicherweise auseinandergehalten haben oder auch auseinanderhalten.

Jan Wetzel

Jetzt kommt ja manchmal die Kritik an diesem Politikstil, dass das auch einfach

eine Immunisierung ist.

Also man macht das, was man sowieso gemacht hätte und schiebt ab oder lässt

die Autoindustrie, ja gut, die Autoindustrie möchte ja umsteigen,

aber lässt die Ölkonzerne gewähren etc.

Aber mit Bauchschmerzen, das ist auch manchmal so eine Formel,

ohne das jetzt politisch einordnen zu wollen, kann man aber natürlich sagen,

Da kann auch eine Art von Immunisierung drinstehen.

Weil man die Kritik, die daran kommt, immer schon vorwegnimmt und reflektiert das macht.

Was aber dann nichts notwendigerweise an den politischen Maßnahmen ändert.

Wäre das nicht auch eine Weise, das zu lesen, das eher instrumentell zu beschreiben?

Astrid Séville

Also erst einmal glaube ich, dass ihre Beobachtung der Immunisierung etwas ist,

was wir durchaus auch versuchen stark zu machen.

Also diese Gleichzeitigkeit der Offenlegung von Gegenargumenten,

möglichen Gegenargumenten oder wie man bei einem der Parteitage der Grünen beobachten

konnte, dass sie mehrfach darauf verwiesen, Annalena Baerbock macht das genauso,

dass es sich um Dilemmata handele.

Man müsse angesichts mehrerer Dilemmata entscheiden.

Das ist auf der einen Seite, glaube ich, erst einmal ein Offenlegen des Ringens

und politische Entscheidungen. Also genau die von Bürgerinnen und Bürgern ja

auch oft angeforderte Transparenz des Entscheidungsprozesses.

Was ist denn eigentlich der Abwägungsprozess?

Aber eben, und das ist genau diese Ambivalenz, diese Gleichzeitigkeit,

dann sicherlich ist das auch eine Immunisierungsstrategie.

Denn etwas, was uns, also Julian Müller und mich, sehr beschäftigt,

ist die Frage, wie eigentlich heute politische Sätze gegen Kritik und vor allem

sehr schnelle Kritik, direkte Kritik eigentlich abgesichert werden können.

Also wie immunisiert man eigentlich den eigenen Standpunkt in einer Zeit.

In der so ein apodiktisches, autoritäres und auch autoritatives Sprechen hochgradig

problematisch geworden ist.

Wir könnten ja sagen, das ist vielleicht ein bisschen überspitzt,

aber eigentlich ist diese anti-autoritäre Geste, diese anti-autoritäre Kontestation

der soziale Normalfall geworden.

Niemand glaubt einfach mehr jemandem, wenn er sagt, das ist so,

weil ich die Autorität in diesem Raum bin. Allein die Offenlegung dessen wäre schon absurd.

Aber ich glaube, dass gerade die Grünen damit besonders kämpfen,

weil sie ihm angetreten sind, als solche anti-autoritären.

Politiker, die um solche Entscheidungen wie jetzt zum Beispiel Export von Waffen

und so weiter ringen müssen, die müssen besonders damit ringen,

die haben ein besonderes Problem mit diesem apodiktischen Sprechen.

Das heißt, sie brauchen eine andere Immunisierungsstrategie.

Und bei Robert Habeck, um das Fallbeispiel nochmal aufzugreifen,

sieht man jetzt eigentlich mehrere.

In dem von Julian Müller schon angesprochenen Aufsatz damals zum Habeck-Paradox

haben wir das sehr stark gemacht mit Habecks Versuch, über die eigenen Erfahrungen,

die eigenen sozialen Begegnungen sich zu immunisieren.

Also politische Entscheidungen damit zu erklären, auch zu rechtfertigen,

dass man sagt, naja, ich habe das eben erlebt, ich habe mit den Fischern gesprochen

in Schleswig-Holstein,

ich kenne jemanden von der LSI oder ich habe mit den Leuten auf der Straße gesprochen,

ich war ja der Draußenminister in Schleswig-Holstein.

Das ist auch eine Immunisierungsstrategie, nämlich indem man einfach auf nicht

generalisierbare Erfahrungen verweist. Was soll man denen denn entgegenhalten?

Ja, ich habe andere Leute gesprochen, ich habe anderes erlebt.

Das macht den politischen Diskurs schon mal schwieriger.

Und jetzt sehen wir eben mit dieser anderen Immunisierungsstrategie,

die Sie gerade ansprachen,

naja, indem ich auf Bauchschmerzen verweise, indem ich sage,

ja, ich ringe ja selber damit, kann ich eigentlich auch wieder das,

was Sie schon sagten, Kritik antizipieren und damit auch so ein bisschen vivilieren

oder sagen, ja, ja, gut, ich habe das ja schon eingepreist in meinen Entscheidungsprozess.

Und das sind aber, glaube ich, schon nochmal andere Immunisierungsstrategien

als jetzt so klassische, konservative oder autoritative, die wir kennen.

Denn ich habe ja meine eigene Doktorarbeit zu dieser Rhetorik des Sachzwangs

und der Alternativlosigkeit verfasst.

Das ist ein ganz anderer Gestus. Aber na klar, vom Mechanismus oder beziehungsweise

von der Konsequenz, vom Effekt dann doch wieder vergleichbar.

Leo Schwarz

Vielleicht hängt es aber auch wirklich stark daran, dass es auch ein Grünen-Politiker ist.

Also die Grünen-Wählerschaft, die ist ja auch überdurchschnittlich akademisch.

Da sind sehr viele Oberstudienräte, Protestanten, Zeitleser,

Feuilletoner, Leute sozusagen,

Bildungsbürger sicherlich enthalten und Habeck entspricht ja auch irgendwie

schön diesem Typus als promovierter Literaturwissenschaftler.

Und gerade er muss dann halt auch irgendwie diesen Nimbus des Intellektuellen,

wie des sozusagen moralisch Integren Außenseiters vielleicht sogar noch irgendwie wie wahren.

Das ist vielleicht aber ein Anspruch an Konsistenz und an moralische wie intellektuelle

Konsistenz, die vielleicht jetzt

böse gesagt vielleicht nicht unbedingt im CSU-Lager so stark die Norm ist.

Aber gut, vielleicht irre ich mich auch.

Julian Müller

Nee, das ist sehr gut beobachtet. Genau das wäre unser Interesse,

so verschiedene Formen der Überzeugungskraft, Persuasivität,

Immunisierung vergleichbar zu machen.

Und da ist das die Strategie, die man jetzt bei Habeck und den Grünen so,

also jetzt ganz prototypisch gesprochen, beobachten kann, natürlich eine ganz

andere als etwa bei der CSU, aber doch vergleichbar.

Und das ist etwas, was uns, glaube ich, extrem beschäftigt.

Und man kann nicht daran vorbeisehen, dass natürlich das Milieu,

auf das die Grünen versuchen anzusprechen,

wir haben uns mit dem Wahlkampf 2021 beschäftigt, eines ist,

dass als hochgradig oder jünger, urbaner und akademischer vorgestellt wird.

Ob es so ist, ist gar nicht die Frage, aber ich glaube, es wird so anders adressiert.

Wir haben uns damals mal in einem Aufsatz das jüngste Grundsatzprogramm der

Grünen angeschaut, weil uns das so interessiert hat.

Wir haben in einem anderen Kontext über Werte und

Wertekommunikation zusammengeforscht und wir haben verglichen das letzte Grundsatzprogramm

der CDU aus dem Jahr 2007 mit dem Titel Freiheit und Sicherheit und haben gegenübergestellt

das Grundsatzprogramm Veränderung schafft Halt der Grünen aus dem Jahr 2020.

Dazwischen liegt viel Zeit. Interessant für uns war, dass natürlich die Parteien

ähnliche Werte adressieren, ähnliche Werte auch in ihrem Programm aufnehmen.

Es geht um Freiheit, es geht um Sicherheit, es geht um Gerechtigkeit.

Das gilt für alle Grundsatzprogramme.

Dass aber die Art und Weise, wie diese Werte miteinander verbunden,

gekoppelt werden, eine ganz andere ist.

Also während in dem CDU-Programm schon ganz klar ausformuliert ist,

dass man für Freiheit und für Sicherheit ist, das auch ableiten kann,

aus einer abendländisch-christlichen Tradition beispielsweise.

War es bei den Grünen ganz anders, nämlich dass die Werte immer miteinander verbunden werden.

Also es galt immer zusammenzusehen, dass man irgendwie sowas wie Technikoptimismus

und die Notwendigkeit des Bewahrens, also Konservatives und Progressives in

einem Satz zusammenbringt.

Dass es darum geht, Kreativität und Ordnung zu verbinden.

Dass es darum geht, Selbstbestimmung und Solidarität in Angriff zu nehmen.

Und vor allem, dass permanent auf die Lernbereitschaft der Gesellschaft,

der Einzelnen und der Partei abgestellt wurde.

Das war etwas, was uns extrem interessiert hat, weil das ein hochgradig voraussetzungsreicher

Text ist, dieses Grundsatzprogramm, der ganz unübersehbar adressiert ist an

ein Publikum, das solche Sätze irgendwie gewohnt ist.

Und das ist solche Sätze gewohnt eben schon aus Seminarkontexten,

würde ich sagen. Also wir kennen all diese Kopplungen und all diese Sätze,

aber in einem Grundsatzprogramm hat es uns doch verwundert.

Und unsere damalige These war, und ich glaube, die trägt immer noch,

die Grünen haben sich sehr stark in diesem Wahlkampf, das gilt vor allem für

Robert Habeck, an Andreas Reckwitz' Studie Gesellschaft der Singularitäten orientiert.

Und es war ganz klar, dass sie versucht haben, die Mitte zu erreichen.

Dass diese Mitte aber eine andere Mitte ist als die Mitte, von der die CDU spricht.

Und wenn es stimmt, dass diese Gesellschaft der Singularitäten sich dadurch

auszeichnet, dass die Einzelnen individueller sein wollen,

ihre Einzigartigkeit unter Beweis

stellen wollen und eben nicht zu einem großen Ganzen gehören wollen,

dann muss man die irgendwie anders adressieren.

Unsere Lesart war eigentlich, die Grünen probieren so etwas wie die paradoxe

Vergemeinschaftung der Singularitäten,

indem sie sehr extrem an die Reflexivität des Einzelnen appellieren und diese

Reflexivität ansprechen, unter anderem durch so etwas wie das Grundsatzprogramm,

aber auch andere Formate.

Das war so ein bisschen damals unsere Lesart.

Und ich glaube, ja, wir würden beide sagen, das ist eine Ansprache an ein besonders

akademisch sozialisiertes Publikum, die sich da niederschlägt.

Astrid Séville

Es gibt diesen Text von Russell Dalton, der ist allerdings schon von 1984,

in der er ja überlegt, was macht das eigentlich mit Parteibindung,

mit Partisanship, also Parteilichkeit auch, wenn es sowas wie eine Bildungsexpansion im Wählermilieu gibt.

Also wenn es immer mehr eine Vertrautheit gibt mit genau diesen Begriffen,

mit Konzepten, die wir eigentlich für sehr akademisch halten.

Und Russell Dalton spricht dann hier von einem Problem oder der Herausforderung

des sophisticated voters. Und ich glaube, das ist genau wie Julian das beschrieben

hat, das haben wir versucht im Libertan-Aufsatz damals zu zeigen,

dass die Grünen versuchen, diesen sophisticated voter zu adressieren.

Und das funktioniert eben über so ein Angebot, die eigenen Werte,

die eigene politische Kommunikation über Diskursivierung des Ganzen nochmal laufen zu lassen.

Also man diskursiviert die eigenen politischen Werte und macht damit nochmal

ein anderes Angebot als jetzt eben autoritative Ableitungen,

wie das damals noch die Union gemacht hat.

Interessant nur so als kleine Nebennotiz in dem Zusammenhang ist natürlich jetzt

auch die Neuausarbeitung des CDU-Grundsatzprogramms, also wie die genau darauf

jetzt auch reagieren oder reagieren müssen.

Jan Wetzel

Ja, also was sich glaube ich geändert hat, wir hatten auch vor einer Weile Wolfgang

Schröder in der Sendung, wir haben da über Gewerkschaften gesprochen,

aber das war auch so eine allgemeine Diagnose, was Großorganisationen angeht,

dass man natürlich trotzdem eine unheimliche Professionalisierung hat, diese Organisation.

Und das glaube ich in den Parteien auch nochmal wichtig ist.

Also auch das habe ich mir notiert.

Ihr Argument ist ja auch, dass sich sozusagen auch in dieser Flapsigkeit und

diesen, ja manchmal so ein bisschen, wo man gar nicht weiß, was das jetzt bedeutete,

von Habeck nie oder auch sozusagen in der Partei, das nie irgendwie bedeutet,

dass es eine Entprofessionalisierung gäbe.

Im Gegenteil, also das heißt, obwohl man eigentlich so ein Auftreten hat,

was man erstmal für so ein bisschen komisch hält oder unpassend und man weiß

nicht so genau, trotzdem ist da eine unheimliche Professionalität verbunden.

Also das heißt, es scheint irgendwie trotzdem auch so zusammenzugehen.

Astrid Séville

Ja, es ist genau diese Gleichzeitigkeit und die ist Teil eines professionellen

politischen Auftretens.

Also deswegen ist das, glaube ich, schon ein bisschen zu kurz gegriffen,

das nur als instrumentell oder strategisch zu begreifen.

Ich glaube, da geht es wirklich auch um das Selbstverständnis des politischen

Akteurs, des Politikers Habeck, der das ja auch, das hat Julian Müller schon

gesagt, in diesen eigenen Büchern, in Interviews, auch in Podcasts selber thematisiert,

wie er denn sich selbst als Politiker begreift.

Und das ist genau dieses Selbstbild, das verbinden zu können,

also staatstragend, pathetisch, ernsthaft, mit Amtsethos und eben flapsig, nahbar,

immer in Kontakt zu sein, das will er zusammendenken und zusammenführen.

Julian Müller

Ja und vielleicht nur als Ergänzung und das ist jetzt mal jetzt nur so eine

These in den Raum gestellt,

vielleicht übernehmen die einzelnen Politiker und Politikerinnen heute in einer

Person etwas, was früher eine viel größere Aufgabenteilung innerhalb der Parteien war.

Also Peter Glott sollte jemand anderen ansprechen und ansprechen können als

andere SPD-Mitglieder.

Und ich glaube, das ist so ein bisschen verschwunden.

Auf der einen Seite sind die doch homogener geworden und ähnlicher,

auch im Auftreten und professioneller, würde ich schon sagen.

Und auf der anderen Seite schaffen die das in ihrer eigenen Person,

diese unterschiedlichen Tonartwechsel durchzuziehen.

Also Habeck macht das quasi als einzelne Person, wofür, weiß ich nicht,

man früher ganz unterschiedliches Personal gebraucht hat.

Astrid Séville

Also er ist Generalsekretär.

Julian Müller

Minister und Parteivorsitzender in einem gewesen. Ja, wenn man so will, ja genau.

Jan Wetzel

Aber will auch trotzdem Philosoph bleiben auf eine Weise.

Julian Müller

Ja, wobei, also das ist sehr interessant,

weil er will natürlich Philosoph bleiben und er spricht in einem Interview eine

Stunde lang über Hannah Arendt und die Lektüre von Sein und Zeit hat ihn in

eine existenzielle Krise geführt und er spricht darüber,

dass Camus für ihn fast täglich noch ein Ratgeber für seine praktische Politik ist.

Er sagt dann aber im nächsten Satz, aber natürlich kann ich über Camus bei Markus Lanz nichts sagen.

Die Leute wollen davon nichts wissen und das ist auch gut so.

Also der will natürlich Philosoph sein und weiß aber gleichzeitig um die Grenzen

seines Philosophen-Daseins, weiß auch, dass wenn irgendwo Philosoph steht,

das immer als Beleidigung gemeint ist.

Und das thematisiert er permanent. Das ist das, was uns interessiert.

Also dass er um diese Fallstricke der öffentlichen Selbst- und Fremddarstellung

permanent weiß und die dann auch noch offenlegt und zum Thema macht.

Also das ist, glaube ich, schon etwas in dieser Art, was man so noch nicht kannte.

Leo Schwarz

Da jetzt gerade vor kurzem gerade nochmal die Klassenfrage aufkam,

wollte ich noch auf einen Aspekt hinweisen,

dass alle Beispiele aus dem Buch sind ja, betreffen ja intellektuelle Leute,

die Bücher schreiben, Leute, die in Feuilletons auftauchen, Politiker,

die natürlich auch in der Regel irgendwie eine akademische Bildung und auch

meistens eine relativ hohe Bildung haben und so.

Also es sind eigentlich im Grunde alles Mitglieder der palabernden Klasse.

Es ist aber ja natürlich auch so, zum Beispiel Linus Westhäuser,

den wir auch schon mal in der Sendung hatten, beschreibt das immer,

es gibt tatsächlich auch eine Moral Economy, eine politische Redeweise,

zum Beispiel der Arbeiterklasse.

Das ist jetzt natürlich auch wieder ein komplizierter Begriff und da will ich

jetzt auch gar nicht so weit darauf eingehen, aber er meint eben,

es gibt gesellschaftliche Gruppen, die nicht im selben Maße dazu gezwungen sind,

sich täglich zu rechtfertigen, sich zu artikulieren, aber auch nicht im selben

Maße dazu unbedingt in der Lage sind, immer eher eine implizite moralische Ökonomie haben,

einen impliziten Gesellschaftsvertrag vertreten, aber eben durch eine gewisse

Sprachlosigkeit auch ausgezeichnet sind.

Das sind aber nichtsdestotrotz Gruppen, die auch trotzdem reden.

Also das wäre zumindest auch ein Bereich der politischen Redeweisen,

die aber in der Betrachtung von der bürgerlich-liberalen Öffentlichkeit wenig auftaucht.

Vielleicht auch, weil sie in einer bestimmten Art und Weise dazu keinen Zugang findet.

Ähm, müsste man das nicht auch immer mitdenken? Also auch wenn man jetzt vorher

die Einschränkung macht, es betrifft jetzt vor allem die Redeweisen der Mitte.

Es sind aber auch die Redeweisen eben der gehobenen, ähm, akademischen Mitte eigentlich.

Und, ähm, die Arbeiterklasse ist ja jetzt nicht irgendwie rechts oder links

per se, sondern die ist tendenziell vielleicht auch in der Mitte teilweise.

Und die würde sozusagen, wenn man das wirklich umfassend machen wollte,

über politische Redeweisen nachdenken, müsste man ja eigentlich auch über die

sprachloseren Redeweisen nachdenken, oder?

Astrid Séville

Ja, das ist sehr klug beobachtet und das stimmt. Aber das ist,

glaube ich, auch unserem analytischen Interesse geschuldet, dass wir das so

fokussiert haben, weil das hat was mit unserem Projekt Repräsentation zu tun.

Immer noch darauf hindeutet, auf diese Umkämpftheit von Repräsentationsansprüchen.

Wer kann denn heute im Namen von jemandem sprechen?

Wer kann denn eigentlich politisch sprechen in der Öffentlichkeit?

Wer ist sichtbar und hörbar?

Und uns interessiert in diesem von der Gerda Henkel Stiftung finanzierten Drittmittelprojekt,

aber auch in den politischen Redeweisen, wie diese umkämpfte Position verhandelt

wird, wie die öffentlich verhandelt wird.

Nehmen wir das Beispiel von Caroline Emcke und Kim de l'Horizon,

die ja auch auftauchen und die genau das thematisieren.

Wie können sie öffentlich sprechen für andere?

Eigentlich lehnen sie das ab und sagen, ich kann das gar nicht.

Ich weiß ja um die Moral Economy der Unsichtbaren oder nicht Hörbaren, Sichtbaren.

Ob es die Arbeiterklasse ist, die anderen Marginalisierten, das kann man ja

vielfach ausbuchstabieren.

Und dann aber zu überlegen, wie kann ich denn trotzdem als eine öffentlich sichtbare,

hörbare, prominente Figur mich einsetzen für ein politisches Anliegen,

ohne jetzt in einem irgendwie überheblichen oder besonders privilegierten Anspruch zu enden,

der vielleicht die anderen nochmal invisibilisiert,

nochmal diskriminiert oder marginalisiert.

Das ist genau das, was uns eben auch in dieser neuen politischen Redeweise interessiert,

diese Frage um Repräsentationsansprüche.

Und insofern ist genau diese Selbsthaushandlung, diese Selbstreflexion dieser

öffentlichen Akteure für uns ein zentrales Fallbeispiel für diese Aushandlung

oder für diese Kontroverse um Repräsentation und Präsentation.

Jan Wetzel

Also es geht um das, also vielleicht auch nochmal aufzugreifen,

um schon, also wir hatten das auch vorhin schon, um der Kontext,

in dem eigentlich diese Autorität entsteht.

Also es gibt auch einen wunderschönen Text, den verlinken wir auf jeden Fall

von Heinrich Popitz zu dem Thema,

wo er auch sagt, dass jetzt jeder kleinste Anlass, der irgendwie in der Kommunikation

ist, kann eigentlich zur Autorität,

zu einem Anlass werden, Autorität zu hinterfragen, der Kommunikation.

Und das wird sozusagen aber in die Kommunikation schon eingebaut,

weil es eben nicht mit einem einfachen Bestehen auf Autorität oder einem Durchsetzen

der Macht stattfinden kann.

Und das Interessante ist, dass es aber eben nicht nur die betrifft,

sozusagen die Konservativen, die Autorität als Autorität auch gut finden,

sondern man erkennt das eben auch für sich selbst, also auch linke Intellektuelle.

Ich glaube, das ist auch gerade bei diesen großen Vätern sozusagen linker,

kritischer Theorie und so, ist das ja meist vollkommen vergessen,

dass das noch ganz andere Kontexte waren, eben wirklich ganz starke autoritäre Gestalten eigentlich.

Auch diese ganze 68er Zeit noch, die zu einer Vorstellung von Intellektualität,

auch linker und kritischer Intellektualität.

Überhaupt gar nicht irgendwie performativ passt von heute.

Das heißt, auch diese Fraktion sozusagen von Leuten, die Meinung äußern und.

Die politisch repräsentieren, betrifft das dann nochmal besonders.

Dann kommen wir nochmal zu einer zweiten Fraktion.

Also auch das kann man vielleicht dazu sagen und das soll auch die Einladung

sein, sich das Buch dann zu besorgen, dass das noch sehr viel mehr dort Fälle

untersucht sind, als wir heute angucken.

Wir machen sozusagen eine kleine Appetizer und Auswahl dafür.

Es gibt einen Fall, den nennen sie erweckten Liberalismus.

Ein Beispiel ist der Ijeoma Mangold von der Zeit, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe,

in der es um diesen Erweckungsmoment, um eben so eine Konversionserfahrung auch

geht. Vielleicht können Sie das ein bisschen ausführen.

Julian Müller

Ja genau, in dem Kapitel beschäftigen wir uns mit dem jüngsten Buch von Ijeoma

Mangold, Die orange Pille, warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist.

Und das ist natürlich auf den ersten Blick mal ein Buch eines Literaturkritikers der Zeit.

Erstmal über Bitcoin, über die Funktionsweise dieser Kryptowährung,

auch über die Eleganz und die technische Infrastruktur und sowas dieser Währung.

Aber es ist vor allem ein Bericht über die persönliche Wandlung von Ijeoma Mangold.

Also durch den Kontakt mit Bitcoin

ist er zu einem anderen geworden und berichtet darüber in diesem Buch.

Und das ist eine ganz interessante Erzählweise, nämlich eine,

würde ich sagen, klassische Konversionsgeschichte.

Und das hat mich sowieso schon länger beschäftigt. also die Erzählung einer

dramatisch existenziellen Umkehr im eigenen Leben.

Und ich glaube, wenn man gerade sich so ein bisschen umhört,

umschaut, nicht nur auf dem Sachbuchmarkt, sondern auch auf YouTube,

in den sozialen Medien, auch im Freundeskreis trifft man ganz viele solcher

Erzählungen, wo es um so eine existenzielle Umkehr im eigenen Leben geht.

Man trinkt nicht mehr, man isst kein Fleisch mehr, man hat den Beruf radikal

gewechselt und seitdem ist man ein anderer geworden. Denn das ist das Kennzeichen

sämtlicher Konversionsgeschichten.

In der Religionssoziologie wird das immer die Dreigliedrigkeit der Konversionsgeschichte genannt.

Also es gibt ein Ereignis, das zu einer Umkehr geführt hat im eigenen Leben.

Und dieses Konversionsereignis trennt ein falsches Leben vor der Konversion

von einem richtigen Leben nach der Konversion.

Und genau so funktioniert dieses Buch von Ijeoma Mangold, seit er...

Verstanden hat, was Bitcoin ist, wobei verstanden ist eigentlich schon das falsche

Verb, ist er ein anderer geworden und er sieht jetzt auch die Welt anders.

Er hat sein Vertrauen in die Regulierungskraft des Staates verloren,

er hat das Vertrauen in sämtliche Institutionen verloren.

Er will auch nicht mehr mit seinen Berliner Freunden, die von Geldpolitik nichts

verstehen, aber auf die Regulierungskraft der EZB hoffen, will er nichts mehr zu tun haben.

Und das hat uns erstmal als Text interessiert, genau wieder im Hinblick auf

solche Immunisierungsstrategien.

Weil wir würden sagen, jemand, der so bekehrt ist, also der so ein offenbartes

Wissen hat, in dem Fall die Funktionsweise von Bitcoin,

der kann mit einer anderen Form von Autorität, mit einer anderen Form von Entschlossenheit

und Dringlichkeit sprechen für sein eigenes Projekt.

Und er ist im Gegenzug auch kaum mehr vom Gegenteil zu überzeugen.

Also das ist wirklich offenbartes Wissen. Bei Ijeoma Mangold,

der ironisiert es hier und da natürlich.

Aber ich glaube, es wird schwer sein, mit ihm in eine Diskussion zu steigen,

weil er von einer anderen Form der Sicherheit ausspricht, als man das üblicherweise gewohnt ist.

Und das ist doch etwas, was uns sehr interessiert. Das gilt für andere Konvertiten auch.

Also ich habe mich länger mit Leuten beschäftigt, die von links nach rechts konvertiert sind.

Jetzt jüngst ging es um Jürgen Elsässer, das wäre auch so ein Fall,

aber es gibt auch ganz andere Fälle dieser Art.

Und durch diese politische Konversion sind die eigentlich nicht mehr empfänglich für Gegenargumente.

Die kennen die andere Seite, die waren selbst Teil der anderen falschen Seite

und sind nicht mehr durch gute Argumente oder so für irgendetwas zu gewinnen.

Und bei Ijeoma Mangold ist natürlich das Interessante da doch der Fall,

dass er sich ja dezidiert als Liberaler bezeichnet.

Und das Liberale und das Offenbarte gewissermaßen, das völlig Abgesicherte,

das widerspricht sich ja eigentlich in der Regel auch.

Das liberale Wissen ist ja eins, das sich immer wieder zur Diskussion stellen

muss, das sich auf dem Markt der Meinungsbildung irgendwie behaupten muss.

Und jetzt kommt Ijeoma Mangold und sagt, nein, seit ich Eitler,

Prustleser, Bitcoin entdeckt habe, bin ich nicht mehr zu überzeugen durch das

Gegenteil. Und diese Art der Erzählung hat uns interessiert.

Eine Erzählung, die in hohem Maße von Wahrhaftigkeit zehrt.

Also es geht weniger um die Wahrheit des Erzählten, als eben um die Wahrhaftigkeit

der Erzählung. Er muss immer wieder seine persönliche Wandlung irgendwie beglaubigen,

muss immer wieder sagen, ich, eitler Ästhetizist, bin nun der Technik verfallen.

Also solche Marker über das biografisch Persönliche sind permanent eigentlich

auf jeder Seite zu finden.

Ja, und das hat uns erstmal als Erzählweise interessiert, weniger als Gegenstand,

sondern als eine bestimmte Form der Erzählung.

Jan Wetzel

Ist dann die Immunisierung darin, dass quasi immer, also gegen Bitcoin kann

man ja eben viel sachlich hervorbringen, aber wenn man mit ihm sprechen würde,

wäre jeder sachliche Angriff kaum zu verwechseln oder kaum zu unterscheiden

von einem persönlichen Angriff.

Das heißt, es wird eigentlich so eine, also Sie haben gesagt,

er ironisiert das zwar auch, aber es wird wie so ein, das Wasser so ein bisschen

trüb gemacht und man weiß gar nicht, wie man sozusagen sachlich dann mit ihm

darüber diskutieren sollte.

Das ist sozusagen so ein bisschen die Strategie, kann man sagen,

oder das, was daraus gewonnen wird. Weil er hätte ja auch ein Sachbuch darüber

schreiben können, so ist es ja auch nicht.

Julian Müller

Genau, also das haben Sie perfekt zusammengefasst. Das ist das Interessante,

es ist auch ein Sachbuch und es ist eben auch kein Sachbuch.

Also es gibt so zwei parallele Bücher, die permanent in diesem Werk nebeneinander

laufen und es geht seitenweise wirklich um die Funktionsweise und die Geschichte von Bitcoin,

um dann wieder einen Absatz, um seine persönliche Begegnung mit Bitcoin zu gehen.

Und wenn man das angriffe, dann wäre das eben ein Angriff auf die Person Juma

Mangold und nicht auf das Phänomen Bitcoin.

Und diese beiden Erzählungen, die in diesem Buch zu finden sind,

die so parallel laufen, das ist etwas, was uns sehr interessiert.

Leo Schwarz

Wir hatten ja jetzt am Anfang auch beschrieben, dass die autoritäre Haltung,

also autoritatives Sprechen als sozusagen Experte oder wie auch immer,

unzeitgemäß geworden ist.

Das ist ja jetzt wieder irgendwie was anderes. Also diese Erweckungsauthentizität,

die behauptet ja gerade irgendwie sowas Autoritatives, aber vielleicht ist nicht

die Autorität des Experten, sondern die Autorität des wahrhaftigen Erlebnisses sozusagen.

Oder wie passt das da rein in dieses Bild? Weil es steht ja eigentlich im Widerspruch

zur staatstragenden Flapsigkeit und auch zum erlebenden Handeln,

würde ich vorsichtig sagen.

Julian Müller

Das ist eine sehr gute Frage. Ich formuliere jetzt mal ganz provokant.

Meine These wäre, es ist kein Zufall, dass in den letzten Jahren ganz viele

männliche Journalisten solche Bekenntnistexte und Konversionstexte geschrieben haben.

Also ich begann mit Jan Fleischhauer, der von gewissermaßen von links nach rechts,

Ulrich Greiner von der Zeit hat dann einen politischen Bekenntnistext,

warum er ein Konservativer jetzt ist, geschrieben.

Rainer Hank von der FAZ hat sowas geschrieben, Matthias Matuszek vom Spiegel.

Und ich glaube, dass dieses Offenlegen der eigenen Wandlung,

einer existenziellen Umkehr im eigenen Leben, es ermöglicht,

auf eine gewisse Art doch wieder autoritativ zu sprechen, in einer Welt,

in der das immer schwieriger wird.

Weil es geht um die eigene höchstpersönliche Geschichte.

Es geht nicht mehr um das bessere Wissen, um die bessere Theorie,

um die bessere Position, die bessere Kritik eines Films, die kritisierbar wäre,

Sondern es geht um die Beglaubigung durch das eigene Leben und durch die eigene existenzielle Umkehr.

Und das ist schwer anzugreifen. Wenn jemand berichtet, seit ich nicht mehr rauche,

bin ich ein anderer Mensch.

Das ist schwer anzugreifen, also mit Argumenten anzugreifen.

Man kann es nur gut finden oder nachvollziehen oder applaudieren oder sowas.

Aber als Tatsache ist es schwer kritisierbar.

Und genauso, glaube ich, funktioniert es auch mit diesen politischen Bekenntnistexten,

die oft als Konversionserzählungen stattfinden.

Und deswegen würde ich genauso sagen, es ist ein Substitut für das autoritative Sprechen.

Also es ist ein Versuch, autoritär in der Öffentlichkeit zu sprechen,

wo es eigentlich schwerer geworden ist, zumal als älterer männlicher Journalist, glaube ich.

Astrid Séville

Vielleicht nur eine kurze Ergänzung. Vielleicht ist es in dem Zusammenhang auch

einfach nochmal wichtig, sich vor Augen zu führen, was denn auch gerade solche

zentralen Modewörter der öffentlichen

Debatte einer liberal-demokratischen Selbstverständigung sind.

Das ist eben darum, nonstop wird gefordert, egal ob man jetzt Handreichungen

für angehende Lehrerinnen und Lehrer anschaut, ob man sich Zeitungsartikel anschaut,

ob man sich populärwissenschaftliche Sachbücher anschaut oder Interviews,

Ob man sich Magazinen anschaut, permanent wird gefordert, wir müssten ambiguitätstolerant werden,

wir müssten Kontingenzbewusstsein haben.

Also alles hochgradig akademische Begriffe, die von dem einzelnen Bürger,

von der einzelnen Bürgerin erfordern und auch das auch als Verhaltenserwartung formulieren,

doch immer die andere Seite mitzubedenken, doch zu wissen, dass der eigene Lebensunentwurf

einer ist in einer liberalen, pluralistischen, demokratischen Gesellschaft.

Und genau das stellt jetzt eben das Problem für bestimmte Sprechweisen dar,

weil man nicht mehr apodiktisch sprechen kann.

Wie soll das denn dann gehen? Wenn ich hier sitze und sage, ich halte das für

richtig, dann muss ich das, oder ich halte etwas für politisch geboten,

dann muss ich das irgendwie rechtfertigen, legitimieren können.

Aber ich kann eben nicht mehr auf die althergebrachte konservative Art und Weise,

konservativ nicht unbedingt parteipolitisch hier bitte verstehen,

kann ich nicht mehr einfach...

Auf Ressourcen von Autorität verweisen, wie wir das vielleicht gewohnt waren.

Und genau wie Julian Müller das herausgearbeitet hat, gibt es jetzt bei Ijoma

Mangold oder den Konvertiten andere Beglaubigungsstrategien als jetzt zum Beispiel

bei Habeck über Flapsigkeit oder Erfahrung.

Mit der Erfahrung könnte man ein bisschen sprechen, über erlebendes Handeln.

Man könnte auch über Ironie als Strategie sprechen.

Also hier gibt es einfach verschiedene Ressourcen, doch noch irgendwie zu mobilisieren

für die Form einer politischen Sprache, die trotzdem firm ist,

aber gleichzeitig Gesprächsbereitschaft signalisiert, Verhandlungsbereitschaft

signalisiert, obwohl man ja eigentlich auch eine Überzeugung hat.

Das sind ja alles Erwartungen und Anforderungen an politisches Sprechen,

die gleichzeitig im Raum stehen.

Jan Wetzel

Das ist, glaube ich, da auch wichtig. Also natürlich hat man einerseits die

Beglaubigung und beansprucht auch die Autorität eben dieser authentischen existenziellen

Erfahrung. Aber natürlich sagt man auch damit, das ist meine Erfahrung.

Das ist ja nicht so, dass Ijeoma Mangold mit niemandem mehr sprechen würde.

Also es ist einfach eine andere Form, das zu beanspruchen, ohne trotzdem wieder

in so eine alte Autorität zu wechseln.

Astrid Séville

Vielleicht nur eine kurze noch Bemerkung zu Mangold. Von mir aus kann ich die auch rausschneiden.

Aber Mangold ist ja interessant, dass er nicht nur dieses Bitcoin-Buch geschrieben

hat, sondern 2020 ein Buch zum inneren Stammtisch.

Und genau das da auch schon reflektiert, dass eigentlich seine politischen Überzeugungen

fast immer Intuition und Ressentiments entspringen.

Dass er zwar der eifrigste Zeitungsleser sei, aber meistens das doch wirklich

ans Eingemachte ginge, was er schwer nur rational artikulieren könne.

Seine wirklich genuinen politischen Überzeugungen. Und davor hat er ja noch

dieses Buch geschrieben, das Deutsche Krokodil, ich glaube so heißt es,

2017, 18 müsste das erschienen sein, 2016 sogar, müsste ich nachschauen.

Und da beglaubigt er eigentlich seine Sprecherposition über Erfahrung,

nämlich über die Erfahrung der eigenen Biografie in Heidelberg,

über seine eigene Kindheit, seine eigene Jugend als doch der deutscheste,

den man sich in Heidelberg vorstellen könne, trotz seiner vermeintlich fremd

erscheinenden Phänotyps in Heidelberg.

Also er hat eigentlich verschiedene Beglaubigungsstrategien in seinem polizistischen

Werk schon ausprobiert.

Jan Wetzel

Das wäre auch eine Frage, die sich auch über die verschiedenen Fälle erstreckt,

welche Rolle da eben diese Konkurrenz spielt.

Also der Büchermarkt ist natürlich vollkommen übersättigt, jetzt auch nicht erst seit gestern.

Es sind überhaupt sehr viele Journalisten in einem Feld, was prekär ist und so weiter.

Das heißt, man kann auch sagen, dass Formen, sozusagen neue Formen des Sprechens

zu finden, die auch irgendwie ...

Ja, sich abheben sozusagen von dem, was im Feld typisch ist,

dass es da einen höheren Konkurrenzdruck sozusagen gibt.

Und sozusagen, wenn jemand so ein Buch schreibt, dann gibt es ja auch die Gespräche

mit dem Verlag und so weiter, da eine Erzählform zu finden.

Kann man auch sagen, dass sozusagen diese Innovation letzten Endes ist das ja,

Innovation von Sprechweisen, dass die auch genau in diesem Feld,

wir haben das vorhin ja schon besprochen, dass es auch eigentlich ein ganz kleines

Feld ist von ganz bestimmten Leuten in Deutschland, die eben davon leben,

Meinungen sozusagen massenmedial zu verbreiten.

Also spielt das da auch sozusagen, was das Feld angeht, so eine Rolle?

Und ist Ijeoma Mangol da sozusagen einfach einer, der sehr innovationsorientiert dann da handelt?

Astrid Séville

Ja, definitiv. Ich glaube, das kann man nicht leugnen. Es gibt so bestimmte

Moden und Konjunkturen für bestimmte Erzählweisen.

Und auf dem Sachbuchmarkt ist das, glaube ich, ganz gut zu beobachten.

Wir nennen unseren Essay ja absichtlich politische Redeweisen.

Das ist eine Anspielung an einen Titel natürlich von Irving Goffman.

Sehr freihändig ist diese Anspielung, aber uns geht es eben um diese Redeweisen.

Es geht um Typen und Formen des öffentlichen Sprechens, der öffentlichen Redeweise.

Und Typen und Formen heißt auch, dass wir uns unterschiedliche Formen anschauen.

Also das Sachbuch ist auch nur eine Form unter anderem.

Es gibt ganz andere Formen, Foren auch, auch ganz unterschiedliche Formen.

Publika, Bühnen und Medien. Und den wollen wir so ein bisschen versuchen,

in dem Essay auch Rechnung zu tragen.

Also das Sachbuch von Nijoma Mangold oder von Robert Habeck ist für uns so interessant

wie ein Selfie von Lars Klingbeil.

Und für die Selbstdarstellung auf Selfies gibt es auch bestimmte Moden und Konjunkturen.

Ist für uns genauso interessant wie der Podcast, den Christian Lindner als amtierender

Minister selbst bespielt als Gastgeber. Ist so interessant für uns wie ein Interview

mit Lars Eidinger oder dieses Corona-Journal von Caroline Ehmke.

Also es gibt sicherlich so Konjunkturen und auch Moden für bestimmte Formate

und wir versuchen zumindest mal so ansatzweise dem Rechnung zu tragen und das

in irgendeiner Form abzubilden,

ohne den Anspruch zu haben, das vollständig erfassen zu können.

Das ist natürlich unmöglich. Aber Sie haben vollkommen recht.

Wir gehen davon aus, dass man in fünf Jahren sein politisches Leben,

seine politische Biografie schon wieder vielleicht auf eine ganz andere Art

und Weise in der Öffentlichkeit erzählt.

Jan Wetzel

Also ich denke nur gerade, es gibt ja auch diesen wunderschönen kleinen Text

von Georg Simmel über die Mode, wo auch schon viele solche Phänomene auch mit

vorkommen, dass er auch sagt, die Mode hat eigentlich so einen,

erzeugt so einen Druck, auch das ganz Abseitige, die Paria-Existenzen,

schreibt er dann, sozusagen zu verwerten.

Wenn ich eben zum Beispiel an so einen Zeitjournalisten denke,

der sich plötzlich mit diesen Bitcoin-Schmuddelkindern und rechtsextremen Amerikanern

sich die aneignet, dann zeichnet sich das ja auch schon durch so einen Druck raus sozusagen.

Das, was am Rande der Gesellschaft und total verrufen ist, doch irgendwie aufzugreifen,

damit man sich abheben kann eben von dem ganzen Rest, der eben diese Vorbehalte hat zum Beispiel.

Bevor wir zu noch einem dritten Beispiel kommen, muss ich trotzdem nochmal fragen,

Herr Müller, Sie haben ja angesprochen, dass die meistens von links nach rechts wechseln.

Gibt es da Gegenbeispiele von Leuten, die ein Erweckungserlebnis haben,

dass Marx doch recht hatte?

Und wenn nicht oder wenn zumindest auch die Erzählungen oder die Wechsel von

links nach rechts typischer sind, gibt es dafür eine Erklärung?

Gibt es da sozusagen in dem, was rechts bedeutet, was links bedeutet,

doch gewisse Voraussetzungen, sodass es wahrscheinlicher wird,

dass eben gerade diese älteren Männer von links nach rechts wechseln?

Astrid Séville

Ja, Sie haben vollkommen recht. Der Fall, bei dem die Konversion von links nach

rechts stattfindet, ist der viel, viel häufigere, zumindest auf dem,

was die Dokumente davon angeht.

Ob es nicht andere Fälle sozusagen gibt, biografische Fälle,

das weiß ich gar nicht, das kann man gar nicht so ermitteln.

Aber das, was wir als literarische und Selbstzeugnisse und literarische Dokumente

haben, da überwiegt schon die Konversion von links nach rechts.

Ich glaube, das hat damit zu tun, das hat mit erzählstrategischen Gründen zu tun.

Das ist einfach die viel besser erzählbare Geschichte, die auch irgendwie für Aufmerksamkeit sorgt.

Sie bricht mit dem Normalbild irgendwie der, was man erwartet.

Die Konversion in das linke Progressive ist auch sehr viel schwerer als radikaler

Bruch zu erzählen, glaube ich, in der Öffentlichkeit.

Also es ist gar nicht so eine gute Geschichte, wenn man so will.

Und das Gegenbeispiel, das wir haben, ist nicht eine Konversionserzählung,

sondern eher der Bericht von Aussteigern.

Das ist aber etwas anderes. Das ist keine Konversion von rechts nach links,

sondern man bricht mit einem Milieu, etwa man war, weiß ich nicht,

Neonazi in der Jugend und ist dann Aussteiger.

Das funktioniert ein bisschen anders als diese Konversionserzählung von links

nach rechts, die ich mir angeschaut habe, ist aber ein interessanter, vergleichbarer Fall.

Jan Wetzel

Hat das auch was sozusagen mit der, ich meine, wenn Sie sagen,

das ist vielleicht auch keine gute

Erzählung, schon auch was mit der Großwetterlage so ein bisschen zu tun?

Also wenn man sagt, man hat doch diese Akzeptanz von diesem Anti-Autoklitären

als so ein Mainstream, könnte man sagen.

Und jetzt aber sozusagen in den letzten Jahren werden doch wieder Sachen sagbar,

die lange nicht auf so eine Weise sagbar sind, dass man dann sozusagen,

also ich habe ja vorhin schon gesagt, dass man als Journalist dann auch immer

gucken muss, wo sind die anderen nächste Woche, in zwei Wochen,

in einem halben Jahr, in zwei Jahren, dass man dann das so ein bisschen erspürt und sagt,

okay, ich nehme jetzt das in Anspruch, weil ich das Gefühl habe,

da gibt es genügend, da gibt es ein Marktpotenzial sozusagen von Leuten,

die sich auch manchmal denken, Ich würde eigentlich auch gern wieder mal nicht

so drauf achten, was ich alles sage und total politisch korrekt sein und die Weise.

Und sobald man dieses Potenzial erspürt, setzt man sich drauf.

Und wenn in dem Fall, ich meine, das sind ja alles große Massenmedien,

wenn die auch sozusagen sagen, ach ja, so wie jemanden brauchen wir noch ein Blatt.

Also fand ich auch interessant, dass Sie gesagt haben, dass es alles jedes Medium

hat sozusagen, jedes große Medienhaus hat einen von denen, von diesen Konvertiten,

dann gibt's da einfach den Markt sozusagen in jeder großen Redaktion für so jemanden.

Astrid Séville

Ja genau, es sind nicht überall natürlich Linke, die zu Rechten werden,

aber ich fand das schon interessant, dass die großen deutschen Tageszeitungen

in ihren Redaktionen doch überall zumindest einen solchen Fall hatten.

Weiß ich nicht, Rainer Hank ist noch ein interessanter paralleler Fall,

hat das Wirtschaftsressort der FAZ und der FAS geleitet.

Der ist kein Rechter geworden, sondern der ist vom Linken geworden zu einem

Wirtschaftsliberalen.

Und er kann natürlich in seinen Texten über Wirtschaftspolitik mit einer Härte

formulieren und mit so einer gewissen Form von Dringlichkeit,

die er immer auch durch seinen persönlichen Weg beglaubigt.

Also das wäre auch so aus meiner Sicht ein interessanter Fall,

der übrigens ganz ähnlich ist zu dem, was ich über die Joma Mangold vorhin gesagt habe.

Jan Wetzel

Dann kommen wir noch zu einem dritten Fall, den Sie idealistischen Konkretismus

nennen. Was kann man dazu sagen?

Astrid Séville

Also in dem Kapitel haben wir versucht, mit Helmut Schelsky einen Blick auf

Fridays for Future und da vor allem auf die prominentesten Gesichter in Deutschland,

nämlich Luisa Neubauer und vielleicht noch ein bisschen Carla Rehms,

Margrethe Thunberg, natürlich dann in Schweden zu werfen und zu verstehen,

welche politische Redeweise bzw.

Welche Form politischen Sprechens wir da beobachten können.

Und unser Anliegen war ja eigentlich mit Schelsky nochmal zu verstehen,

warum die etwas verbinden, was wir auch, das hat Julian eben immer so schön

gesagt, üblicherweise auseinanderhalten würden,

nämlich Idealismus, aber dann eben auch Konkretismus.

Und das will ich kurz vielleicht am Beispiel Luisa Neubauer klar machen.

Also es ist uns völlig klar, dass wir hier nicht über die Jugend sprechen können.

Es gibt ja schon sozialstrukturelle Analysen der Herkunft des Milieus von Fridays

for Future Aktivisten, dass das eigentlich vor allem die großstädtischen Gymnasiasten

waren, die da demonstriert haben.

Aber wenn man sich vielleicht mal Luisa Neubauer noch als prominente Figur,

eben als öffentliche Sprecherin dieser Bewegung anschaut, dann fällt,

oder dann fiel uns eben beiden etwas auf,

dass sie auf der einen Seite sehr pragmatisch ist, sehr sachorientiert meistens

diskutiert, ob man sich ihre Talkshow-Auftritte anguckt, die Gastbeiträge,

ihren Twitter-Account und so weiter, wobei das ist nochmal ein bisschen was Interessantes. Ja.

Dass sie sehr sachorientiert argumentiert, dass sie sehr immer wieder auf Details

verweist und eigentlich doch sehr betont, dass es hier um eine pragmatische

Lösung eines großen Problems gehe, nämlich darum, die Klimakatastrophe abzuwenden.

Aber sie bleibt sehr kühl, sie bleibt nüchtern und sie ist eigentlich keine

Vertreterin einer irgendwie hysterischen Ideologie.

Das wird ihr ja ganz gerne vorgeworfen, aber das passt überhaupt nicht zu ihrem Tonfall.

Und das hat uns eben erinnert an dieses Generationenporträt von Helmut Schelsky,

was er angefertigt hat, über die Jugend, die Nachkriegsjugend nach 1945 in Deutschland.

Schelsky hat sich angeguckt, wie die circa um 1930 Geborenen denn auf diesen

Zusammenbruch des Nationalsozialismus reagiert haben.

Und er sagt, er schrieb dann in den 50er Jahren, dass man etwas beobachten könne,

was Schelsky eben Skepsis nennt.

Also man ist skeptisch gegenüber Ideologien, gegenüber zu großen utopischen Versprechen,

Versprechen gegen irgendwelche naiven Vorstellungen von Politik und dieses Skepsis,

dieses Misstrauen gegenüber eigentlich utopischen Entwürfen,

das erkennen wir eben auch bei dieser Generation, für die Luisa Neubauer spricht.

Sie sind eigentlich auch skeptisch. Sie wollen keine großen Versprechen.

Sie wollen, und das fordert Luisa Neubauer auch immer explizit ein,

eigentlich, dass Politik, ich zitiere sie, ihre Hausaufgaben macht,

dass sie endlich arbeiten. Das sind also sehr pragmatische Ideologie,

skeptische Ideologie, averse Sätze.

Jetzt kombiniert sich das aber, und deswegen eigentlich idealistischer Konkretismus,

jetzt verbindet sich das aber bei Luisa Neubauer und auch bei Fridays for Future

Aktivisten mit einem ganz interessanten Idealismus, nämlich,

dass sie doch noch sehr glaubt an die Machbarkeit, die Gestaltungskraft von Politik.

Also es ist völlig klar für sie, dass sie zu den wichtigen politischen Akteuren

hingehen muss, dass sie mit Olaf Scholz oder beziehungsweise der deutschen Bundesregierung

oder mit der EU oder mit Aktionärsversammlungen sprechen muss,

weil das eben doch die großen Entscheider seien.

Hier ist also noch ein ganz großer Idealismus bei gleichzeitigem Konkretismus

zu beobachten, weil nämlich so eine Gestaltungskraft von Politik immer noch behauptet wird.

Also, dass hier irgendwie noch wirklich etwas gemacht werden kann,

am besten auf deutscher, nationaler oder eben auch europäischer Ebene.

Und wenn dann global, dann müsste man eigentlich Luisa Neubauer und ihren Mitstreiterinnen

und Mitstreitern sagen, da müssen sie vielleicht mit der chinesischen Regierung

sprechen, da müssen sie vielleicht mit der indischen Regierung sprechen.

Aber jetzt noch ein großer idealistischer Glauben eben an die Politik.

Und diese Gleichzeitigkeit wieder herauszuarbeiten. Auf der einen Seite dieses

sachliche, pragmatische, ideologie-skeptische, wie bei Helmut Schelsky.

Aber auf der anderen Seite dieser Idealismus, wir müssen diese Welt retten und

das muss doch die Politik bitte schön machen.

Oder in Hand in Hand Politik und Wirtschaft.

Das haben wir so beobachtet im Kapitel. Das ist wieder ganz interessant,

wenn es um gegenwärtige Redeweisen geht.

Jan Wetzel

Also spannend finde ich daran, dass auch da wieder die Register ja eben so gemischt

werden. Also auch da vielleicht...

Also es wäre so eine Frage, hat sich auch das ja in den politischen Lagern verändert?

Also das heißt, diese so eine große, sehr abstrakte Generalkritik sozusagen

über das System zu machen,

das war ja eben eine linke Sache in den 60ern, 70ern und ist sozusagen jetzt

eher nach rechts gewandert.

Und der große Anti-Autoritismus, der ist jetzt eigentlich so eine rechte Sache.

Gleichzeitig ist dieses, auch die Vorstellung, Politik oder gesellschaftlicher

Fortschritt ist auch dadurch möglich, dass man genau sowas macht.

Auch das ist nach rechts gewandert, sodass man jetzt eher von links das nicht

mehr so richtig sagen kann, wir brauchen jetzt irgendwie die Revolution oder

sowas, zumindest setzt sich das dem Verdacht aus,

dass man es nicht ernst meint und das muss sozusagen jedes Mal,

wenn sozusagen auf die Policy-Ebene sozusagen,

das ist ja das Wichtige da irgendwie Bezug genommen wird, deutlich gemacht werden.

Werden, ist auch darin, das finde ich also gerade bei Neubau auch spannend,

auch wieder eine Form von Professionalität, also gerade auch bei so sehr jungen

Menschen, Anfang 20 oder sowas, die schon extrem professionell auf diese Weise

auftreten, das wundert mich auch immer irgendwie,

also da kann ich auch manchmal nicht so richtig was mit anfangen.

Astrid Séville

Ja, und das ist genau dieses, diese Verwunderung ist, glaube ich, sehr symptomatisch.

Also diese große Ernsthaftigkeit, diese große Professionalität einer sehr,

sehr jungen Aktivistin ist etwas, glaube ich, was die politische Öffentlichkeit

oder auch viele, auch Journalistinnen und Journalisten ja auch ein bisschen verstört.

Dass wir es hier um Helmut Schelskis Formulierung für die skeptische Generation.

Der 1930 geborene zu benutzen, mit so einer Pseudo-Erwachsenheit zu tun haben.

Also die sind viel erwachsener als zum Beispiel bei Markus Lanz die ganzen anderen Gäste.

Und das ist etwas, was auf der einen Seite verwundert, aber auch so ein bisschen

verwirrt und vielleicht auch manchmal zu so einem intergenerationellen Missverstehen führt.

Also das ist ja genau der Punkt, dass Luisa Neubau und ihre Mitstreiter ganz

oft eigentlich keinen Systemumsturz fordern, sondern fordern,

dass das System bitte funktionieren soll. Es soll endlich mal arbeiten.

Das ist also ein sehr affirmativer Gestus, wenn man so will.

Das ist kein revolutionärer Gestus, sondern affirmativ. Und die Empörung ist

also auf der Seite der affirmativen Kräfte und nicht auf der Seite der Revolutionären.

Und das ist schon eine Verschiebung, die sich nicht zwingend mit links und rechts

so einfach verstehen lässt, finde ich zumindest,

aber die, glaube ich, diese Verschiebung deutlich macht, von der es wir am Anfang

ja auch hatten, mit dieser Unübersichtlichkeit,

dass wir manchmal eben das Affirmative an Stellen sehen und das Revolutionäre

an anderen Stellen wir vielleicht eher für reaktionär gehalten haben und dass

wir das jetzt mal so ein bisschen kartografieren müssen.

Jan Wetzel

Warum würde man dann aber Pseudo-Erwachsenheit sagen? Also weil das zum Alter

nicht passt oder weil sozusagen eigentlich Leute, die ganz ganz jung sind,

nicht die Erwachsenen spielen sollten?

Also eigentlich könnte man ja auch sagen, das stimmt ja auch.

Also das heißt, der Ansatzpunkt, der kritische Ansatzpunkt ist ja immer zu sagen,

es gibt diese Verträge, es gibt das, was die Bundesregierung sich alles vorgenommen hat.

Und wenn ich jetzt eben hier der einzige Erwachsene im Raum sein muss,

dann bin ich das. Also warum trotzdem dieses Pseudo?

Astrid Séville

Ich würde sagen, weil das eine Formulierung ist, die wir unmittelbar aus dem

Text von Schelsky übernehmen und wir uns gewundert haben bei der Relektüre von

der skeptischen Generation von Schelsky,

wie viel von den Beschreibungen eigentlich auf diese Jugendbewegung der Gegenwart

irgendwie zutreffen, wie passend bestimmte Formulierungen von Schelsky tatsächlich sind,

wo aber auch der große Unterschied liegt.

Der große Unterschied liegt natürlich darin, dass diese Desillusionierung und

der Bruch mit den großen ideologischen Sätzen einer ist, der mit dem Zusammenbruch

der Vergangenheit zusammenhängt.

Im Fall der skeptischen Generation bei Schelsky im Moment ist es eher so die

Antizipation einer katastrophalen Zukunft.

Also die Zukunft bricht zusammen. Das ist, glaube ich, der große Unterschied

zwischen den beiden Generationen, weil sonst doch Ähnlichkeiten,

wie man die beschreiben könnte.

Und wir greifen einfach an der Stelle auf eine unmittelbare Formulierung von Schelsky zurück.

Leo Schwarz

Eigentlich ist das ja bei den Klimaaktivisten schon einfach auch eine klassische

Form der Bürgerschaftlichkeit, würde ich sagen.

Wir erwarten, dass die Institutionen, die uns hier gegeben sind,

in einer Weise funktionieren, dass sie sich zentrale politische Probleme lösen

können und das fordern wir ein als gleich untergleichen.

Also eigentlich ja auch eine ganz, also ich meine, sagen wir mal,

fast perfekte bürgerschaftliche Art des Engagements, oder?

Astrid Séville

Ja, und wir steigen ja auch bei den Kapitel so ein, dass wir noch mal darauf

verweisen, wie Luisa Neubauer ihre Familiengeschichte erzählt.

Das ist die Erzählung einer klassischen bildungsbürgerlichen Familie,

die am Abendbrot-Tisch diskutiert, die eigentlich permanent die öffentlichen

politischen Belange privat auch thematisiert.

Die eigentlichen Verständnisse der Respublika, der Republik.

Und das ist sehr bürgerlich. Das ist, wenn Sie so wollen, eigentlich bestes

bürgerschaftliches Engagement.

Aber eben von sehr jungen Menschen und deswegen auch Pseudo-Erwachsenheit,

weil sie dann doch mit einem bürgerlichen Gestus auftreten, der dann manchen,

glaube du hast ja immer die Gegenüberstellung, irgendwie auf Kreuzfahrtschiffen

herumschippernden Boomern völlig abgeht.

Also die einen machen Party und die anderen sitzen ernsthaft da und verlangen

eben politische Entscheidungen. Die verlangen ernsthaft gute Policies.

Jan Wetzel

Vielleicht kann man auch, ich glaube auch das erwähnen Sie an irgendeiner Stelle,

dass es überhaupt bei vielen von diesen Formen, und das haben wir ja auch schon

festgestellt, dass es doch viel um Bildungsbürgertum am Ende geht und auch am

Anfang schon festgestellt,

dass sozusagen auf irgendwelchen Facebook-Foren, obwohl auch dort diese Unübersichtlichkeit

irgendwie einen Hintergrund bietet, dass es dann ganz anders aussieht als in

den Formen, die Sie untersuchen.

Dass es da tatsächlich um doch ein Bürgertum geht, was ich irgendwie rekonstruieren

will in ganz unterschiedlichen Formen unter den geänderten Bedingungen.

Und ich meine in dem Fall, wenn sozusagen das ganze Milieu und die eigene Sozialisation

auch da sehr klassisch war, ist natürlich interessant, dass dann sozusagen diese

Sozialisationserfahrung in der Familie, die vor 100 Jahren ja sozusagen gar

nicht anders gewesen wäre,

jetzt aber ganz andere Folgen hat, weil eben diese Bedingungen in der Öffentlichkeit so anders sind.

Astrid Séville

Ja, dem kann ich eigentlich nur zustimmen. Das ist genau die Beobachtung,

die wir teilen würden, glaube ich, dass es hier um eine Aushandlung des Bürgerlichen

geht, in einer Zeit, in der das Bürgerliche, auch genau wie das Konservative,

hochgradig erklärungsbedürftig ist. Also was ist denn bürgerlich heute?

Ich meine, wir kennen aus der Geschichtswissenschaft, wir kennen diese verschiedenen,

und aus der Soziologie, die verschiedenen Begriffsbestimmungen des Bürgerlichen.

Wir wissen, es ist sozialstrukturell, wir können aber auch habituell über Bürgerlichkeit sprechen.

Aber das ist egal, wie man das jetzt definieren will oder beziehungsweise wie

man diesen Begriff umreißen will, gerade darum geht,

das neu auszutarieren, das nochmal neu zu diskutieren unter Bedingung der permanenten

Anfechtung eines bürgerlichen Milieus oder eines bürgerlichen Habitus.

Das ist sehr sichtbar bei diesen Akteuren, die wir da ins Blickfeld rücken.

Insofern kommen natürlich auch wieder soziale Medien ins Blickfeld,

weil wir darüber natürlich sprechen müssen, dass wir hier eigentlich Form einer

nicht gerade bürgerlichen Kommunikation beobachten können, auf die dann manchmal

besonders bürgerlich reagiert wird.

Also da gibt es schon so Wechseldynamiken, die eben der sozialwissenschaftlichen Analyse wert sind.

Jan Wetzel

Also woran mich das auch ein bisschen erinnert, ist halt, was ja auch schon

seit Jahrzehnten sozusagen die Forschung ist, wie sich dann der bürgerliche Geschmack ändert.

Wobei Bourdieu das noch, man sehr klar trennen konnte in 60er Jahren,

was von Bildungsbürgerlicher zurückgesetzt da sehr auf Kunst und diese klassischen

Medienformen sich reduzierender Geschmack ist, der irgendwie doch auch klar

zu unterscheiden war von einem Unterschichtengeschmack.

Und sich das dann in 70ern, 80ern, 90ern ziemlich verändert hat,

weil plötzlich man auch dieses Trickle-up hat und Jugendkulturen aus Unterschichten

plötzlich aufgenommen werden vom Bürgertum und man nicht mehr die klaren Unterscheidungen hat.

Ich glaube, hier sieht man auch in den Beispielen, dass man aber trotzdem nicht

einfach flapsig zum Beispiel werden kann.

Man muss es trotzdem wieder irgendwie anders kombinieren, sozusagen mit den

klassischen bildungsbürgerlichen Formen.

Das zieht sich, glaube ich, auch so ein bisschen durch.

Leo Schwarz

Und die Neubauer und Remsma und so weiter, die kommen ja auch alle aus nicht

nur bildungsbürgerlichen Familien, sondern aus Milliardärskontexten teilweise.

Zumindest, es sind jetzt nicht unbedingt Überraschungen da sozialstruktureller

Art, wer da sprechen darf und wer nicht.

Astrid Séville

Ja.

Julian Müller

Vielleicht nur als Zusatz, aber Sie hatten natürlich vollkommen recht,

wenn wir über neue kommunikative Unübersichtlichkeit oder sowas sprechen,

was natürlich auch eine Anlehnung an diesen berühmten Titel von Jürgen Habermas

ist, dann könnte man natürlich auf die Ränder schauen,

auf Rufeisentheorien und das wurde ja alles gemacht.

Wir selber haben uns ja auch mit solchen Fragen auseinandergesetzt.

Aber ich glaube, Astro Zivil hatte jetzt, glaube ich, auch keine Lust mehr zu

Populismus zu forschen.

Und ich habe mich auch mit so manchen so rechten Autoren auseinandergesetzt in der Vergangenheit.

Und deswegen war, und insofern stimmt es, unsere Fallauswahl ist hochgradig

selektiv, haben wir uns wirklich auf sehr bürgerliche Formen jetzt mal konzentriert,

weil wir an denen auch diese Vermischungen und das Verschwimmen der klaren Grenzen festgestellt haben,

genauso wie man das an den Rändern auch feststellt.

Aber die Ränder haben uns diesmal jetzt tatsächlich sehr viel weniger interessiert.

Das ist vielleicht auch eine eigene biografische Entscheidung gewesen.

Jan Wetzel

Ja, also ich finde das grundsätzlich gut, weil ich, also das war ja wahrscheinlich

auch so eine Folge von dem Hinterfragen von Autoritäten, dass man genau diese,

darauf zu bestehen, dass solche Funktionseliten zum Beispiel eben ihre Meinung

in die Zeitung schreiben,

dass man das irgendwie nicht mehr so richtig darum sich die Frage gedreht hat.

Ich würde ja sagen, dass sozusagen gerade Funktionseliten vollkommen unverändert

eigentlich von den kommunikativen Bedingungen ihre Funktion haben und zum Teil

durch Professionalisierung in vielen gesellschaftlichen Bereichen noch viel

stärker eigentlich auch eine Autorität haben.

Aber weil man eben sich das nicht mehr so sagen kann, so offen oder zumindest

immer das mit einem Kritik, wir haben es ja auch jetzt besprochen,

mit Kritik verbinden muss, ja es sollte eigentlich demokratischer sein,

aber trotzdem gibt es die Eliten, dass man sich vielleicht deswegen auch nicht

so ernsthaft damit beschäftigt hat, wie zum Beispiel Meinungseliten,

wie das eigentlich funktioniert, ohne eben kritisch zu sein.

Also sie sind ja sozusagen, sie machen ja keine Machtkritik,

sondern versuchen zu verstehen, wie das funktioniert.

Julian Müller

Genau, und nur noch dazu gesagt, es gibt natürlich auch sowas wie einen Formwandel

der Eliten und des Elitären.

Also vielleicht gehört heute zu einer angemessenen Auftreten des Elitären in

der Öffentlichkeit, solche Registerwechsel vollziehen zu können.

Und dazu ist, da haben Sie vollkommen recht, auch nicht jeder in der Lage,

weil dafür braucht es bestimmte Ressourcen, diese Register spielen zu können,

sie überhaupt zu kennen und sie dann auch auf eine gewisse Art und Weise glaubhaft

aus dem Ärmel schütteln zu können.

Und genau, das ist etwas, was man sich vielleicht noch viel genauer anschauen

müsste, als wir das bisher getan haben.

Astrid Séville

Naja, wir haben es an einer emblematischen Szene und da kommt wieder Robert

Habeck ins Spiel, der auf dem Handwerkerkongress darauf besteht,

nicht mit seinem Doktortitel angesprochen zu werden.

Also hier ist genau das Spiel eigentlich mit dem Elitären, aber im Sinne von,

ich möchte das jetzt hier nicht,

aber erst einmal auf den Doktortitel überhaupt verzichten zu können,

ist ja der, also es ist eine derartige Machtgeste, wenn man das mal anders kodiert,

die wir uns kaum größer vorstellen können.

Aber es ist eben die Funktionselite, die Eliten, die selber darum wissen,

dass sie nicht mehr einfach klassisch elitär auftreten sollen,

dass das nicht mehr so kodiert wird.

Jan Wetzel

Kommen wir so langsam zum Schluss. Also ich fand das deswegen,

glaube ich, auch gut und deswegen haben wir Sie auch eingeladen,

Weil das eben ja der Versuch ist,

natürlich die Reflexion einmal zwar weiterzutreiben und zu sagen,

es macht noch alles viel komplizierter, aber man hat ja keine Möglichkeit.

Man kann ja jetzt, auch das haben wir ja einleitend gesagt, dass es diese Form von Kritik gibt.

Wir müssen jetzt mal wieder über die Dinge selber reden und zwar über Gesetz

XY oder was auch immer dann genau damit gemeint ist, jetzt über die Fakten zu

sprechen und nicht über die Kommunikation der Fakten.

Letztendlich hat man ja aber keine wirkliche Möglichkeit, dann doch eben darüber

zu sprechen und das haben sie ja gemacht und die Reflexion weiterzuführen.

Würden Sie auch sagen, das ist dann Aufgabe eben von Sozialwissenschaft vielleicht

noch stärker als neue Fakten in die Welt zu bringen sozusagen,

also das haben wir mit Digitalisierung, dass jetzt überall noch mehr Datensätze

ausgewertet werden und man noch mehr Information hat, aber darüber sich Gedanken

zu machen, wie eigentlich diese Informationen in der politischen Diskurs zum Beispiel,

Was daraus gemacht wird, wie die Geschichten funktionieren und so weiter,

dass man da auch eine sozialwissenschaftliche Intelligenz braucht,

um zu verstehen, wie sich diese Formen wandeln.

Kann man das sagen, dass das auch wirklich eine wichtige Aufgabe ist und dass

sie jetzt auch darüber geschrieben haben, bedeutet ja auch, dass sie diese Lücke

so ein bisschen gesehen haben.

Julian Müller

Ich glaube, wir sind da ein bisschen zwiegespalten. Es braucht natürlich immer

eine sozialwissenschaftliche Kompetenz und die Sozialwissenschaften,

die solche Entwicklungen aufmerksam und kritisch beobachten.

Ich glaube, es gehört aber auch dazu, zu dem, was man irgendwie soziologische

Aufklärung nennt, auch zu sowas wie soziologische Abklärung beizutragen.

Denn was wir schon beide sagen würden, ist, wie viel Pseudo-Sozialwissenschaft

man eigentlich im öffentlichen Diskurs im Moment findet.

Und das müsste man eigentlich auch mal kritisch im Blick haben.

Also es ist ja unmöglich eigentlich,

wenn man so arbeitet wie wir und uns ganz viele Podcasts und YouTube-Videos

und Interviews und Selbstzeugnisse und Sachbücher anzuschauen,

auf wie viele Versatzstücke des soziologischen oder sozialwissenschaftlichen

Mann da stößt und zu fragen, was ist das eigentlich für ein Phänomen?

Also warum sprechen jetzt ganz viele PolitikerInnen völlig selbstverständlich

so, wie wir das im akademischen Raum, im Seminarraum gelernt haben?

Welche Begriffe haben eigentlich eine gewisse Form von Eigendynamik im öffentlichen

Diskurs entwickelt, der losgelöst ist von dem, was ursprünglich damit gemeint

war im akademischen Zusammenhang?

Und diese Entwicklung einer zunehmenden Versozialwissenschaftlichung des öffentlichen

Diskurses, aber auch von Politik, ich glaube, das ist etwas,

was wir eher kritisch beobachten würden, aber selbstverständlich mit sozialwissenschaftlichen Mitteln.

Astrid Séville

Ja, dem würde ich gerne beipflichen. Das ist etwas, was Julian Müller und mich

sehr umtreibt, diese Beobachtung, diese Omnipräsenz der sozialwissenschaftlichen

Begriffe, Konzepte, Debatten in der Öffentlichkeit, aber auch eigentlich in allen Zeugnissen.

Julian hat es schon angesprochen, ob man Podcasts, Bücher liest.

Wir haben ja ein Kapitel in diesen Redeweisen, bei dem wir uns Frank-Walter Steinmeier anschauen.

Und auch Frank-Walter Steinmeier und sein Team, also auch seine Redenschreiber,

aber benutzen ganz bewusst sozialwissenschaftliche Konzepte,

Begriffe, um eigentlich politische Rhetorik aufzuwerten.

Also wir haben hier schon eine Popularisierung, wenn man so will,

etwas polemisch gesagt, auch eine Vulgarisierung der Sozialwissenschaften zu politischen Zwecken.

Aber wir haben ja auch etwas, und das kann man natürlich als,

man kann das als Selbstaufklärung einer Gesellschaft vielleicht fassen,

aber irgendwie ist es doch schon sehr verpannt oder auch schon irgendwie irritierend,

dass sich eigentlich heute sehr viele, die haben ja mal einen Spaß gemacht.

Frauenzeitschriften durchgelesen, und dass sich fast alle dortigen Geschichten

sich eigentlich anhand sozialwissenschaftlicher Begriffe oder Erzählmuster erzählen.

Also man findet in selbst so einer Zeitschrift wie der Begriff Brigitte,

findet man eigentlich kein Heft, in dem nicht auf irgendeine Art und Weise eine

soziologische Expertise eingebaut wird.

Und das ist, glaube ich, auch ein Phänomen, genau wie Julian gesagt hat,

dass es auch zu verstehen gilt, das ja auch wieder symptomatisch für etwas ist.

Und da kann man vielleicht sagen, vielleicht sind das auch genau diese Suchbewegungen einer Klinik,

Vielleicht postbürgerlichen Gesellschaft oder einer liberal-demokratischen Gesellschaft,

in der die Funktionseliten mit sich selber hadern und selber nicht so richtig

wissen, wie sie dennoch als Funktionseliten agieren und sprechen sollen.

Und da bedient man sich dann eben der Sozialwissenschaft. Man kann ja sagen,

wir hatten ja zu verschiedenen Beglaubigungsstrategien analysiert.

Also wie kann man seine Position beglaubigen? Wie kann man authentisch sprechen

über mittels Erfahrungen, Offenbarungen, indem man vielleicht auch auf Bauchschmerzen

und das Erleben von Dilemmata und sowas verweist.

Aber man kann natürlich auch die eigene politische Position beglaubigen und

authentifizieren, indem man sie soziologisiert oder versozialwissenschaftlich.

Indem man einfach sagt, naja, aber Experten sagen oder eben wir lesen ja und

und und. Und das machen ja sehr viele Journale, wenn man den Spiegel liest.

Es gibt da Redakteure, die eigentlich nur noch sozialwissenschaftliche Referate

als Zeitschriftenbeiträge formulieren.

Und das ist, glaube ich, etwas, wo wir beide so ein bisschen auch mit einer großen...

Dem Ganzen begegnen. Also auf der einen Seite so eine Popularisierung der eigenen

Fächer, das ist vielleicht manchmal nützlich, weil man dann auch die eigene Anschlussfähigkeit,

nochmal vor Augen geführt bekommt, aber auf der anderen Seite eben auch eine

gefährliche oder riskante Entwicklung, weil das ja auch genau,

wie Julian schon ein bisschen angedeutet hat,

auch eine Simplifizierung oft bedeutet.

Also da wird dann eben aus Habermas werden dann irgendwie so Versatzstücke besseren

Streitens und besseren Sprechens. Damit habe ich mich unter anderem beschäftigt.

Und da kann man schon sagen, na ja, vielleicht hat das auch was ein bisschen

mit unserer Zunft zu tun, mit dem akademischen Betrieb, der sich vielleicht

auch noch mal anders rechtfertigen muss und der permanent diese Expertise versucht,

auch in die Öffentlichkeit zu tragen.

Es gibt eine große Präsenz, eine öffentliche Präsenz, finde ich,

von Sozialwissenschaftlern.

Da wird manchmal, finde ich, falsch geklagt. Und vielleicht sind das auch so

ein bisschen, keine Ahnung, Legitimationsprobleme der Spätuniversität.

Also dass es irgendwie jetzt darum geht, über Wissenschaftskommunikation und

Third Mission uns auch zu rechtfertigen, eben auch als Funktionselite.

Jan Wetzel

Also es wäre, vielleicht können wir das dann so als Schluss nehmen,

doch eher Anliegen, die Grenzen so ein bisschen vielleicht nicht zu wahren,

auch wieder autoritärerweise.

Also dass man eben zum Beispiel genau diese, auch Public Intellectuals und so,

das wieder ganz wichtig groß macht und Wissenschaftskommunikation groß macht.

Das hat ja auch einen Sinn.

Aber trotzdem das nie zu vergessen, dass sich sozusagen der Sinn von diesem

Wissen und das, was dieses Wissen eigentlich ist, natürlich verändert und dass

damit ein Risiko einhergeht und dass man,

wie auch immer man das dann in der Öffentlichkeit wiederum klar macht,

aber zumindest auch für das Fach selbst,

dass das immer wieder auch stark zu machen, dass Wissenschaft nicht sich sozusagen,

also dass da an Wissenschaftlichkeit verloren geht, wenn sie sozusagen aufgelöst

wird in der Öffentlichkeit.

Julian Müller

Ja, ich glaube, so könnte man das schon sagen. Zumindest sollte man solche Entwicklungen

kritisch im Blick haben.

Das heißt, wie gesagt, nicht, dass man sich nicht der öffentlichen Debatte und

auch der Popularisierung von Sozialwissenschaften, dass man das irgendwie umgehen

sollte oder dem aus dem Weg gehen sollte.

Ganz im Gegenteil, aber zumindest solche Entwicklungen sollte man schon,

wenn man Sozialwissenschaft betreibt, mit im Blick haben.

Also das würden wir doch beide, glaube ich, so sagen.

Astrid Séville

Ja, es gibt ja diesen kongenialen Titel von Schelskys, Aussatz 1956,

das Recht auf die Freizeit der Anderen, in der er diese Erzählung oder diese

Anekdote erzählt von David Reisman, der mit Studenten ins Kino geht und ihn

danach eigentlich jeden Hollywood-Film kaputt macht, weil er ihnen dann eben

akademisch etwas über diese Filme erzählt.

Und Schelsky leitet eben davon dann auch ab, dass es diese Ambivalenz,

dass man damit auch die Freizeit der Uninformierten zerstöre.

Und vielleicht müsste man für uns auch so ein bisschen formulieren,

dass es vielleicht auch ein Recht auf die Wissenschaft der anderen gibt.

Also dass es auch Bereiche gibt der Wissenschaft, die ungestört bleiben müssen.

Das ist jetzt ein seltsames Plädoyer, aber ich glaube, es gibt eben beides.

Es gibt das Recht auf die Freizeit der anderen und das Recht auf die Professionalität

oder die Wissenschaft der einen.

Jan Wetzel

Ja, wir könnten vielleicht auch hoffen auf, also gerade die Fraktionen von sehr

öffentlich wirksamen Soziologinnen und Soziologen, auch da vielleicht auf Bücher

hoffen, wo sie das mal reflektieren,

ihre Karriere als politische Berater oder Mitgestalter,

Stichwortgeber und so weiter.

Das fehlt ja auch zum Teil, das glaube ich könnten die auch,

also so viel Reflexionsvermögen hat man ja.

Wir danken Ihnen da diesen Blick vielleicht auch auf diese Prozesse geschärft

zu haben, sowohl als Forschung als auch eben gewisse Selbstreflexion.

Ich sage es nochmal, das Büchlein heißt, und das kann man auch wirklich sagen,

kurzer Band, sehr straff geschrieben, aber trotzdem lesbar.

Also das große Kompliment, da Forschung in so einer Kürze und Würze,

wie man so schön sagt, zugänglich zu machen, heißt Politische Redeweisen,

wie gesagt, bei Moa Siebeck erschienen.

Dann, Frau Seville, Herr Müller, vielen Dank fürs Kommen.

Julian Müller

Wir danken Ihnen.

Astrid Séville

Ja, danke.

Jan Wetzel

Das war die 93. Folge von Das Neue Berlin.

Erfehlt uns wie immer weiter, persönlich und in den sozialen Medien.

Macht's gut, bis zum nächsten Mal. Tschüss.

Leo Schwarz

Ciao.

Transkript von Episode 93: Paradoxe politische Redeweisen – mit Astrid Séville und Julian Müller