Transkript von Episode 95: Migrantische Arbeit – mit Peter Birke

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Peter Birke
Je mehr an der Grenze gehetzt wird, desto schlechter werden die Arbeitsbedingungen.
Da gibt es das wie kommunizierende Röhren. Also was sich diese rassistischen
Politiker denken, ist ja, wenn ich die Leute an der Grenze festhalte,
dann kommen die nicht über die Grenze.
Und außerdem, wenn ich den Arbeiten verbiete, dann arbeiten die nicht.
Und das ist beides falsch.
Also es ist beides so, dass die Leute dann halt irregulär arbeiten und dass
die Verwundbarkeit von Menschen, die dann noch stärker informalisierten und
irregulären Arbeitsverhältnissen sind, dass sie noch größer wird.
Hier ist das neue Berlin.
Leo Schwarz
Hier ist das neue Berlin. Hallo und herzlich willkommen zur 95.
Folge von Das neue Berlin. Mein Name ist Leo Schwarz.
Jan Wetzel
Und ich bin Jan Wetze.
Leo Schwarz
Und gemeinsam mit Gästen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften versuchen
wir hier, die Gesellschaft und Gegenwart zu verstehen.
Ob man sich bei einem Lieferdienst etwas zu essen bestellt oder bei Amazon ein
Paket, ob man ein Taxi fährt oder Angehörige hat, die gepflegt werden,
an vielen Orten des Alltagslebens kann man beobachten, dass der Arbeitsmarkt
nicht nur in oben und unten geteilt ist, sondern auch in Menschen mit und ohne
Migrationsgeschichte.
In bestimmten Tätigkeitsfeldern und Branchen arbeiten sogar ganz überwiegend
Menschen ohne deutschen Pass.
Mit dieser Arbeit wird viel Kapital erwirtschaftet, gesellschaftliche Daseinsvorsorge
bereitgestellt, der Alltag gewährleistet.
Zugleich sind diese Tätigkeitsfelder in der Regel schlechter bezahlt und zeichnen
sich häufig durch widrige Arbeitsbedingungen aus.
Und oft bleibt diese Arbeit unsichtbar, etwa in abgelegenen Werkshallen,
im Dunkel, der Nachtschicht oder in der Grauzone des Arbeitsrechts.
In der heutigen Sendung wollen wir uns diesen unterbelichteten Bereichen der
Arbeitswelt nähern und verstehen, welche gesellschaftlichen Strukturen für sie prägend sind.
Wir sprechen mit Peter Birke. Er forscht unter anderem zu den Zusammenhängen
von Migration, Arbeit und Arbeitskämpfen.
Zuletzt erschien der von ihm mitherausgegebene Sammelband Geteilte Arbeitswelten,
Konflikte um Migration und Arbeit bei Belsiuvental.
2022 veröffentlichte er im Mandelbaum Verlag mit Grenzen aus Glas eine Monografie
über Arbeit, Rassismus und Kämpfe der Migration in Deutschland.
Peter, schön, dass du da bist.
Peter Birke
Hallo.
Leo Schwarz
Es ist ja eine Grunderkenntnis der Arbeitsmarktforschung, dass Arbeitsmärkte
auch nach Migrationshintergrund segmentiert sind.
Die Segmentierung des Arbeitsmarktes ist erstmal relativ unstrittig,
aber was genau bedeutet das, was ist mit Segmentierung gemeint und inwiefern
trifft das auf die deutsche Arbeitsgesellschaft zu?
Peter Birke
Man könnte eigentlich anfangen mit dem Fragmentierungsproblem betrieblicher
Arbeitsmarkte, die eigentlich gespalten sind.
Das ist auch die blaue Linie bei BMW in Leipzig oder so, die einstmals den Unterschied
zwischen dem Gebiet, auf dem sich die Werkvertragsnehmer bewegen und dem Gebiet,
auf dem sich die Stammbewegschaft bewegte, markiert hat.
Weil natürlich fällt diese Frage, wie kommt es, dass es Arbeitsmarktsegmente
gibt, die sehr stark durch neue migrantische Arbeit geprägt sind.
Die fällt ja in die Fragmentierungsgeschichte der letzten 20, 30 Jahre.
Jetzt ist es aber so, dass es in den letzten, sagen wir mal,
10, 15, 20 Jahren, also ungefähr seit dem Jahr 2000, so einen Boom in den letzten Jahren,
Arbeitsmarkt und eine aufwachsende, sagen wir mal, Ökonomie gibt,
die sich vor allen Dingen dadurch speist, dass auch angesichts eines zunehmenden
Arbeitskräftemangels in bestimmten
Bereichen vor allem migrantische Beschäftigte rekrutiert werden.
Und dazu, da hast du ja schon ein paar Beispiele genannt, also Lieferdienste,
das ist ja was sichtbar ist, weil man sich was liefern lässt,
aber auch jetzt, was sie untersucht haben, so die Weichindustrie.
Viele neue Amazon-Betriebe, also es ist sehr signifikant, dass eben die Tendenz
der Segmentierung im eigentlichen Sinne zunimmt.
Im Unterschied zur Fragmentierung meint Segmentierung ja, dass es bestimmte
Bereiche gibt, bestimmte Grenzen,
die bestimmte neu auf den Arbeitsmarkt kommende Menschen erstmal nicht überschreiten,
statistisch gesehen, und auch institutionell gesehen nicht überschreiten können.
Das heißt, es gibt im Grunde genommen so eine Unmöglichkeit,
in andere Bereiche zu gelagen und deswegen nimmt man erst mal das, was man kriegt.
Und die Erstbeschäftigungen vieler neuer Migrantinnen und Migranten sind eben
die genannten Betriebe und mehr.
Dazu gehört sicherlich auch noch ein großer Teil der Altenpflege im Pflegehelferbereich.
Dazu gehören wichtige Bereiche der Care-Arbeit, insbesondere auch die ganz besonders
problematische 24-Stunden-Pflege oder Live-in-Care und so weiter und so weiter.
Und wenn man von Segmentierung spricht, dann ist es ein relativ einfacher Begriff, finde ich.
Aber man müsste ihn natürlich sowohl verräumlichen als auch historisieren,
denn das ist sozusagen ein Element in der Arbeitsmarktordnung und in der Ordnung
betrieblicher Arbeitszeiten, was nicht immer gleich ist, sondern sich permanent verändert.
Das hängt mit Bewegung durch Raum und Zeit, Mobilität zusammen grundsätzlich,
aber auch damit, dass es im Grunde genommen so Migrationsketten gibt.
Also in der 24-Stunden-Pflege in Tschechien ist sozusagen die nächste Schicht
der Migranten beschäftigt, die die ersetzt, die aus Tschechien nach Deutschland kommen und so weiter.
Dieses Care-Chain-Prinzip ist
ein Beispiel für so eine räumlich-zeitliche Ausdehnung von Segmentierung.
Und ich glaube, was jetzt die Arbeitssoziologie, sagen wir mal,
lange nicht empirisch behandelt und theoretisch gefasst hat,
das ist, dass diese Segmentierung auch bedeutet, dass wirklich Arbeitsfelder
entstehen, die eindeutig bestimmten Gruppen zugewiesen sind.
Aber dieses bestimmte Gruppen, das bestimmten Gruppen zuweisen,
das heißt jetzt nicht, dass das also eine bestimmte Nationalität ist oder so,
sondern die Fluide sozusagen sind solche Arbeitsbereiche neuen Migrantinnen zugewiesen.
Das ist sozusagen nicht der, der Punkt ist dann nicht, dass das.
Dass Arbeit dann ein bestimmtes Gesicht hat oder eine bestimmte rassistische
Zuschreibung mit Arbeit verbunden wird, sondern zunächst mal,
dass es immer neu gemacht wird.
Und so würde ich das jetzt grundsätzlich beschreiben.
Leo Schwarz
Migrationshintergrund ist natürlich auch eine sehr breite Zuschreibung erstmal.
Das betrifft ja sowohl Leute, die schon lange Staatsbürger sind,
schon per Geburt Staatsbürger sind und aus der zweiten oder dritten Generation stammen.
Aber es betrifft eben auch Leute, die erst ein paar Jahre in Deutschland leben,
die eventuell einen europäischen Pass haben, Leute, die keinen europäischen Pass haben.
Welche Rolle spielt also die Qualität des konkreten Migrationshintergrundes
für die Wahrscheinlichkeit, in einem bestimmten Segment der Arbeit zu landen?
Peter Birke
Dazu gehören natürlich strukturierte Rahmenungen, wie zum Beispiel jetzt im
Fall der ukrainischen Geflüchteten gab es ja in den letzten zwei Jahren eine
relativ weitgehende Möglichkeit sofort,
den Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen und auch Anspruch auf Sozialleistungen zu haben.
Und da gibt es dann unendliche Differenzierungen.
Es gibt ja 80 verschiedene Aufenthaltstitel, habe ich mal gelesen.
Und entsprechend ist auch sozusagen die Frage, wer kommt hier auf den Arbeitsmarkt
konfiguriert in Abhängigkeit mit juridischen Einschränkungen von sozialen Rechten
und oder juridischen Möglichkeiten soziale Rechte wahrzunehmen.
Wenn man jetzt in die nächste Gruppe geht, dann gibt es, was EU-Migration betrifft,
zu einerseits die Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber andererseits auch in den ersten
Monaten kein Zugang zu Sozialleistungen, was auch eine bestimmte Konfiguration ist.
Und dann gibt es natürlich die Leute immer noch, die unter Arbeitsverbote fallen.
Also Leute, die im Grunde genommen abgeschoben werden sollen und mit dem Stichwort
der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten und so.
Aber in der allgemeinen Tendenz gibt es trotzdem seit 2016 eine sehr starke
Öffnung des Arbeitsmarkts für neue Migrantinnen und Migranten.
Was die Hochqualifizierten betrifft, also das, was deine Frage auch ein bisschen
enthält, oder die zweite, dritte und vierte Generationen.
Na klar, also wir sehen, dass das andere Verhältnisse sind.
Und ich will es mal an der ukrainischen Migration festmachen,
kurz jetzt an dieser Stelle, weil es da besonders deutlich ist.
Diejenigen, etwa 25 Prozent, die sozusagen in Erwerbsarbeit sind,
wobei das kann auch Teilzeitbeschäftigung sein, also prekäre Beschäftigung,
oder diejenigen, die in Erwerbsarbeit sind, da lässt sich eine gewisse Polarisierung beobachten.
In der Tendenz gibt es eine Polarisierung zwischen Leuten, die in relativ hochqualifizierten
Berufen arbeiten auf der einen Seite und dann vielen Leuten,
die im niedrigeren Sektor arbeiten.
Diese Polarisierung, die beobachten wir auch in der zweiten,
dritten Generation von Migrantinnen überhaupt.
Leo Schwarz
Jetzt hast du ja schon so ein bisschen deine oder eure Forschung angesprochen.
Du basierst dein Buch, die Grenzen aus Glas, sowie auch insgesamt deine Arbeit
natürlich auf einem reichhaltigen Schatz von empirischer Forschung.
Ihr habt am SOFI euch unter anderem mit den Branchen der Fleischindustrie,
wie du schon genannt hast, aber auch den Paketdienstleistern beschäftigt.
Vielleicht kannst du nochmal ein bisschen schildern, so im größeren Zusammenhang,
welchen Forschungshintergrund du da hattest, mit welchen Bereichen ihr euch
besonders beschäftigt habt, was da eure Fragestellungen waren und das ist natürlich
auch immer eine Arbeit von mehreren, nicht nur von einer Person.
Peter Birke
Also das SOFI ist Soziologische Forschungsinstitut Göttingen.
Da gibt es seit dem Sommer der Migration 2015 eine größere, sagen wir mal,
Beschäftigung mit diesem Thema.
Und wir haben angefangen mit diesen Themen im Grunde genommen,
also ich bin seit 2012 am Institut und so 2015, 16, 17 haben wir halt,
Im Grunde genommen beobachtet, dass es diese Arbeitsmarktöffnungen gibt,
also der Zugang von Geflüchteten zu Leiharbeit, auch die Erwartung,
dass sozusagen der syrische Arzt, der in der Welcome-Geschichte dann sehr gepusht
wurde als Bild für, die bringen uns das neue Wirtschaftsfonds damit und so weiter.
Also da gab es hohe Erwartungen, auch eine juridische Ausdehnung der Arbeitsmöglichkeiten.
Also Leute, die jahrelang sozusagen im Lager Arbeitsverbot hatten,
also jetzt auch Geflüchtete, die durften plötzlich nicht nur arbeiten,
sondern mussten auch arbeiten.
Es gab eine gewisse Verknüpfung der Arbeitstätigkeit oder der Arbeitstätigkeit
mit so Sachen wie Familienzusammenführung.
Also solche Prozesse gab es.
Und wir haben eigentlich damals gesagt,
wir glauben es nicht ganz relativ schnell, dass sozusagen dieser Durchbruch
da gelingt an der Stelle, wo die Probleme zum Beispiel des deutschen Gesundheitswesens
kurzfristig durch die Migration aus dem Krieg.
Vom Krieg betroffenen Ländern des Nahen Ostens und so weiter behoben werden kann.
Aus mehreren Gründen, aber auch, weil wir dahinter vermutet haben,
dass es ein Problem gibt, nämlich im Grunde genommen die Entnennung von Ausbeutungsverhältnissen.
Also es ist sozusagen ganz stark im Diskurs gewesen am Anfang, so 2016, 17.
Arbeit ist auf jeden Fall gut. Und ich glaube, so eine Nachwirkung,
das sehen wir immer noch. Und wir haben dann die ersten Statistiken halt gesehen.
Da ging es dann darum, dass eben doch die meisten zum Beispiel syrischen Geflüchteten,
dann halt in Leiharbeit oder in bekannten Niedriglohnbereichen landeten.
Und dann haben wir gesagt, das müssten wir uns jetzt mal genauer angucken und
haben eine Untersuchung gemacht.
Es sind schon immer dann so vier oder fünf Leute daran beteiligt,
in unterschiedlicher Form. Die hat sich fünf Branchen vorgenommen,
die unterschiedlich charakteristisch sind für die Beschäftigung von neuen Migrantinnen.
Und dazu auch noch den Bereich der Ausbildung, der ja sehr gefeatured wurde,
auch in dieser Zeit als Modus der Integration in den Arbeitsmarkt und so weiter.
Das mit der Ausbildung war ziemlich schwierig, weil wir kaum,
also das war dann so, in bestimmten großen Unternehmen, mit denen wir im Sofi
seit vielen Jahren Kontakt haben für Betriebsvollstudenten und so weiter,
die sehr stark sozialpartnerschaftlich verfasst sind,
da haben wir dann immer drei Auszubildende
oder so gefunden bei 6.000 Beschäftigten, sage ich jetzt mal.
Also das war statistisch gesehen nicht überzeugend.
Und was wir aber schon gefunden haben, relativ schnell war, in diesen ganzen
anderen Bereichen, und das war dann eben Pflege, Krankenhaus,
Fleischindustrie, Online-Versandhandel, Gebäudereinigung.
In diesen Bereichen haben wir gesehen, dass es eine sehr große neue Beschäftigung
von Migranten und Migranten gibt.
Und es gibt jetzt die beiden Bereiche, die ich untersucht habe,
die zeichnen sich dann eben nicht dadurch aus, dass sie jetzt so systemwichtige
fundamental ökonomische Dienstleistungen bereitstellen,
sondern das sind Bereiche, die boomen total und die sind sozusagen absolut stark
in Wert gesetzt. Also Beispiel Fleischindustrie.
Die Fleischindustrie in Deutschland ist zum EU-Hub Nummer eins gewachsen in
den letzten 20, 25 Jahren.
Online-Versandhandel ist eh klar. Also wenn man sich nur so die Zahlen aus der
Pandemie vergegenwärtigt. Amazon hatte vor der Pandemie etwa 600.000 Beschäftigte
und nach der Pandemie 1,5 Millionen weltweit.
Und die, jetzt kann man spiegeln für Deutschland, da ist das dann sozusagen
von den Ausmaßen her so ähnlich.
Das heißt, wir haben keinesfalls irgendwelche Schatten- und Randbereiche oder
so eine Vorstellung von Sweatshops, die damit verbunden ist,
sondern es sind in der Regel transnationale Großunternehmen,
die auch zum Teil eben mit, also hochprofitabel arbeiten und so weiter und sehr
stark expandieren, die diese neuen Migrantinnen und Migranten einstellen.
In der Fleischindustrie muss man dazu sagen, worauf wir dann gestoßen sind im zweiten Schritt.
Anfang war ja sozusagen dieser Sommer der Migration, Trittstaatenmigration,
worauf wir gestoßen sind, nicht besonders überraschend ist.
Im zweiten Schritt beim Angucken von diesen Arbeitsverhältnissen,
dass ja die meiste Zeit die meisten Leute, die in Deutschland neu auf dem Arbeitsmarkt
und in Betrieb landen, Und das sind halt EU-Migrantinnen.
Der größte Anteil sind jetzt Sondersituationen seit 2022 mit dem Ukraine-Krieg und so weiter.
Aber die meisten sind EU-Migrantinnen in der Tendenz, sodass das ziemlich absurd
wäre, wenn man Arbeitsmarktverhältnisse und Arbeitsverhältnisse neuer Migrantinnen
und Migranten untersuchen wollte.
Dieses Thema dann auszusparen und eben genau in der Fleischindustrie oder auch
in anderen Bereichen Landwirtschaft und so weiter, ist das ja total sichtbar.
Dann haben wir ein zweites Projekt gemacht, allerdings ohne Förderung.
In der Pandemie, weil in den Bereichen, in denen wir waren, also gerade in der
Fleischindustrie gab es diese Masseninfektionsskandale und so weiter und große
Auseinandersetzungen und auch eine Regulierung des Sektors und so,
die wir uns nicht entgehen lassen wollten.
Jetzt, anderthalb Jahren, haben wir ein neues Projekt, das sich eben ausschließlich
mit der Fleischindustrie beschäftigt, aber da, also unter der Überschrift Multiple
Präkarität, nicht nur mit der betrieblichen Situation alleine,
sondern auch mit der ganzen Frage,
also wie kommen die Leute nach Deutschland,
also was für Formen von Mobilität gibt es da,
inwiefern findet Ausbeutung auch schon sozusagen in dem Moment der Mobilisierung
von Arbeitskraft statt, Wie ist es mit der sozialen Infrastruktur in diesen
Städten, die wir da untersuchen, Kindergärten,
Schulen und natürlich Wohnraum.
Also das ist so ein bisschen Neues, Neuausrichtung des Projekts,
weil wir halt als einer der wesentlichen Resultate der ersten beiden Zyklen,
also Refugees at Work von 2017 bis 2020 und auch diese Pandemieuntersuchung
von 2020 bis 2022, haben wir gemerkt, dass man eigentlich den Einsatz migrantischer
Arbeitskraft und auch die Form des Widerstands nicht verstehen kann,
wenn man nicht versteht,
dass es diese multiple Form von Präkarität gibt, die sich auch auf den Stadtraum bezieht.
Leo Schwarz
Du hast jetzt die Fleischindustrie beschrieben und gemeint, das sind vor allem
osteuropäische EU-Ausländer, die dort arbeiten.
Wie ist es im Versandhandel? Ist das nochmal eine ganz andere Gruppe,
die dort primär beschäftigt wird?
Peter Birke
Also in der Fleischindustrie ist es so, das ist ja ein relativ an die Dressorten
sein von zu tötenden Tieren gebundener Tätigkeit.
Es gibt zwar auch immer mehr die Tendenz, dass Schweine über weite Strecken
transportiert werden, um getötet zu werden, aber grundsätzlich ist es natürlich
auch kein Zufall, dass man das eher im Oldenburger Münsterland hat als anderswo,
weil da sozusagen die Infrastruktur da ist, auch die Tiere sozusagen zu liefern.
Das heißt, es gibt eine Allokation von Tieren sozusagen zunächst mal und die
wird begleitet durch einen Bezug auf das Werkvertragsentsendesystem eigentlich
historisch, das es auch vorher schon gab,
das dann aber, nachdem man in Deutschland keine Arbeitskräfte mehr gefunden
hat, so Anfang der 2000er Jahre, so ne?
Ausgeweitet wurde auf ein Rekrutierungsmodell, in dem man halt sozusagen Rekrutierungsketten
hat, die in Rumänien oder in anderen osteuropäischen Ländern anfangen.
Zuerst vor allem in Polen, jetzt vor allem in Rumänien, aber auch in Bulgarien
und so weiter, in verschiedenen Regionen.
Und die die Arbeitskräfte bereitstellen, im Grunde genommen auf Grundlage dieser
Entsendungspraktik und dann später sozialversicherungspflichtig in Unternehmen,
die sozusagen diese Rekrutierung machen.
Und bis heute sozusagen sind diese Rekrutierungswege trotz der vielen Verwerfungen,
die es in dieser Industrie gab, auch eigentlich einigermaßen ununterbrochen
so weitergeführt worden wie seit ungefähr 2000.
Und im Online-Versandhandel ist die Situation anders.
Es ist ein ähnlich expandierender Sektor, gehört natürlich eher zum Dienstleistungsbereich
als zur industriellen Produktion, aber trotzdem sehr stark expandierend.
Und da findet man sozusagen lokale Situationen ganz unabhängig voneinander,
die in der Tendenz dazu führen, dass mehr Geflüchtete, Leute aus Drittstaaten
in diesen Bereichen beschäftigt werden,
auch eine größere Diversität an Staatsbürgerschaften zu beobachten ist.
Aber es gibt sozusagen die alten Online-Versandhandelbetriebe, die
zum Beispiel in den 90ern an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze rekrutiert
haben und da sozusagen die Erwerbslosigkeit von Handwerkern aus Thüringen genutzt
haben, um die für die Arbeit bei Amazon zu gewinnen.
In Matthiersfeld ist so ein Beispiel, da gibt es relativ wenig.
Liegt ja sozusagen in Nordhessen, relativ arme Regionen innerhalb von Hessen
und dann aber auch an der thürischen Grenze.
Also da hast du traditionell sehr viele Leute, Männer und Frauen übrigens,
die aus diesem Bereich kommen, deren Erwerbslosigkeit sozusagen genutzt wurde,
um sie anzuwärmen. Jetzt die neuen Betriebe.
Sind, zumindest bei Amazon, oft angesiedelt da, wo man weiß,
dass man Arbeitskräftepotenzial hat.
Also das ist so wichtig geworden, dass Arbeitskräftepotenziale da sind,
dass Amazon also gezielt sozusagen dort investiert, wo man weiß,
dass irgendwie Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Und das, was sie zum Beispiel in Reda-Wiedenbrück gemacht haben,
das war eindeutig, weil es eine
große osteuropäische Migration in Reda-Wiedenbrück gibt durch Tönnies.
Und da haben die sich im Grunde genommen versucht, dran zu hängen zunächst mal,
indem sie halt ihr mit 3000 Beschäftigten immerhin Versandhandelszentrum dahin gebaut haben.
Oder in Winsen, in der Lue, in der Nähe von Hamburg.
Oder sie gucken sich Flüchtlingslager an, die Dichte von Flüchtlingslagern und
so weiter und rekrutieren dann da.
Aber das ist interessant, weil das nämlich auch gleichzeitig natürlich bedeutet.
Dass eines der größten Probleme dieser Betriebe ist.
Und zwar, da ist es dann jetzt erstmal unabhängig, ob das die kapitalistische
Wirtschaft im engeren Sinne oder im Kern ist oder eben öffentliche Güter,
die produziert werden, in welcher Art und Weise auch immer.
Aber das Kern des Problems ist die permanente hohe Nachfrage nach neuer billiger
Arbeitskraft in Bereichen, in denen Leute, die hier schon ein paar Jahre sind,
und insbesondere ja auch Leute mit deutschem Pass und so weiter,
nicht arbeiten wollen. Das ist eigentlich der Kern der Geschichte.
Wir waren vor kurzem in einem großen Betrieb, in dem wir auch mit dem Management
reden und sind begrüßt worden mit der Aussage, heute Morgen sind 300 Leute nicht zur Arbeit gekommen.
Die Arbeitsmarktsituation ist sozusagen in diesen Bereichen relativ günstig.
Die Fluktuation ist wahnsinnig hoch zum Teil und die permanente Suche nach neuen
Arbeitskräften ist im Grunde genommen eine der Hauptübungen,
die das Management von solchen Unternehmen machen muss.
Jan Wetzel
Kannst du vielleicht nochmal ein Wort dazu sagen, dass man auch die Veränderung versteht?
Wenn man auf Migration historisch blickt in der Bundesrepublik,
dann sind natürlich die sogenannten Gastarbeiter da der wesentliche Bezugspunkt.
Ist da der Unterschied, dass das organisierter war auf eine Weise,
man eben die Leute geholt hat und jetzt so auch eben, wie du das schilderst,
dass im Wahnsinn nicht viele Leute aus unterschiedlichen Kriegen und so weiter
hier und die versucht man irgendwie jetzt zu nutzen.
Und dann ergibt sich eben diese sehr vielfältige Welt der präkarisierten Arbeit,
die vielleicht bei den Gastarbeitern eben ganz anders war.
Vielleicht kannst du da nochmal die groben Unterschiede darstellen.
Peter Birke
Wir haben, ich sage gleich als zweites was zur Geschichte, wir haben jetzt letzte
Woche gerade mit einem sehr klugen Mann gesprochen, der Integrationsbeauftragter
in einer kleinen Stadt ist und der hat uns erzählt,
was er interessant findet, ist, dass in diesen Betrieben, die ich jetzt so beschrieben habe,
dass da immer wieder neue Leute kommen aus unterschiedlichen Gruppen,
also aus unterschiedlichen Staatsbürgerschaften, mit unterschiedlichen Aufenthaltsrechten,
keine Ahnung, EU-Migration, Drittstaatenmigration, Drittstaatenmigration in
Ukraine und so weiter und so weiter, die aber alle immer dieselben Erfahrungen machen.
Also sie machen alle in der Tendenz immer am Anfang dieselbe Ausbeutungserfahrung,
Also überlange Arbeitszeiten, stark gesundheitsschädliche Arbeiten,
die man nicht auf Dauer machen kann eigentlich, ohne daran kaputt zu gehen.
Bis hin zu solchen Sachen wie, dass es einen hohen Grad an Informalisierung ja auch gibt.
Also die Abhängigkeit von solchen Tätigkeiten, um sich hier in irgendeiner Form
sozial zu etablieren, die ist ja so groß, dass wir das immer wieder hören,
dass die Leute Bestechungsgelder praktisch zahlen müssen, um überhaupt Arbeitsverhältnisse zu bekommen.
Also zahlen dann praktisch 1.000 Euro oder so, 800.000 Euro oder auch mehr für
Arbeitsverträge schlicht und ergreifend, für irgendjemand, der ihnen das vermittelt.
Und daraus bildet sich dann so eine differenzierte Kette, in dem oben sozusagen
der auftraggebende Betrieb ist und darunter sozusagen eine Kette von Subs oder
Regretern oder was auch immer, je nachdem, in welchem Bereich man ist,
die dann sozusagen das ausführen.
Und wenn man das jetzt mit dem Gastarbeiterinnenregime vergleicht,
also in der Zeit bis 1973, da gibt es, glaube ich, also große Parallelen einerseits
in vielerlei Hinsicht und andererseits aber auch signifikante Unterschiede.
Das Gastarbeiterregime ist in vielerlei Hinsicht das Vorbild für diese Rekrutierungsmodi,
wie ich sie für die Fleischindustrie beschrieben habe. Also du hast praktisch
Anwerbebüros irgendwo im Ausland.
Nur das Neue im Vergleich zu den 60er Jahren ist,
dass wer diese Anwerbebüros macht, also der deutsche Staat oder irgendein Unternehmen
oder irgendein Vermittler oder so, das ist, glaube ich, wesentlich differenzierter geworden.
Also es gibt in bestimmten rumänischen Städten, gibt es jede Menge solche Serviceleistungen.
Ich bringe mich zur Arbeit nach Deutschland.
Die Kleinbusse fahren ständig praktisch hin und her und so weiter.
Und dieses System, das ist sozusagen auch auf dieser Ebene, dadurch,
dass sozusagen die privaten und.
Und nicht staatlich regulierten Formen da an Bedeutung gewonnen haben,
ist es sehr stark differenziert.
Aber ansonsten ist es relativ gleich, also bis zu der Frage mit der gesundheitlichen
Untersuchung, die oft sehr entwürdigend ist für die Leute,
auch mit so Ausbeutungs- und Übergriffssachen, dass der Pass geklaut wird und
die Leute irgendwie eigentlich nicht raus können oder nicht zurück und so weiter.
Also solche Sachen, die sind sehr stark ausgeprägt, also informalisierte Formen von Ausbeutung.
Und aber wenn man genau hinguckt, gab es das natürlich im Gastarbeiterregime auch.
Es war ja jetzt irgendwie, nicht alle waren bei Thyssen oder bei Ford.
Und selbst da müsste man nochmal genau hingucken, ob es da nicht auch durchaus Parallelen gibt.
Aber der Unterschied zwischen dem Gastarbeiterregime und dem heutigen Kanzlerregime
ist, glaube ich, feierlei.
Also um das mal so irgendwie ein bisschen ins Blaue, können wir ja diskutieren,
vielleicht zusammenzufassen.
Das Erste ist, der Staat an sich spielt eine zentrale Rolle bei der Definition
von Grenzregime und Aufenthaltsrechten, ist aber relativ ohnmächtig bei der
Regulierung dieser Arbeitsverhältnisse.
Das sieht man ganz gut am Arbeitsschutzkontrollgesetz.
Da ist das Schwergewicht immer noch, da gibt es einige einzelne Verbesserungen,
aber letztlich eine richtige Kontrolle über diese Arbeitsmärkte und diese Art
von Verwertung, die ist nicht erwünscht und die wird auch nicht gemacht.
Der zweite Unterschied ist, dass es ein wesentlich größeres Spektrum von Fluchtmigration einfach gibt.
Das heißt, es ist anders als bei der GastarbeiterInnen-Migration.
Die Leute sind schon da. Also sie sind zuerst da und dann werden sie als Arbeitskraft gebraucht.
Das heißt, dieses Moment, das ist natürlich sehr bedeutend geworden.
Und das bedeutet natürlich auch was für bestimmte Konfigurationen von Arbeitsmarktmigration
und Arbeitsprozess. Ja.
Das müsste man dann vielleicht nochmal genauer diskutieren. Der dritte Punkt
ist die Spannung zwischen den Zielgrößen,
Grenzschließung, Migrationsabwehr, so wie jetzt im Moment, auf der einen Seite
und einem Migrationsregime, das gleichzeitig händeringend nach Arbeitskraft sucht.
Also Hubert, du willst ja auch eine Arbeitsteilung, der Staat hat dann mehrere
Köpfe, ein Kopf ist Hubertusai, der fährt dann nach Brasilien und nach Vietnam
und versucht Arbeitskräfte anzudäumen und stellt dann fest,
dass der Ruf Deutschlands auf dem Welterbeitsmarkt gar nicht so gut ist.
Und gleichzeitig gibt es eben den Diskurs, den wir jetzt haben,
also dass irreguläre Migration abgewährt werden muss und so weiter.
Also das Zynische ist, dass man zugleich sozusagen von der irregulären Migration
lebt und sie benutzt, um sozusagen rassistische Diskurse in der bundesdeutschen
Gesellschaft voranzutreiben.
Das ist so. Und es lebt von der Vorstellung, dass an der Grenze Folgendes stattfindet,
die eine Art Auslese zwischen Leuten,
die für den Arbeitsmarkt wichtig sind und Leuten, die nur vor Kriegen und ökologischen
Katastrophen flüchten.
Und für die gibt es sozusagen unterschiedliche Verfahrenswege.
Dass sich das in der Realität von Migrationsprojekten natürlich immer irgendwie
vermischt, das ist in diesen Gedanken völlig abwesend.
Und die Idee, also diese Idee von den Parteien, die jetzt sozusagen ja auch
diese neue Verschaffung des Asylrechts und die abweisenden Grenzen und so weiter,
das, was jetzt gerade gemacht wird, vorantreiben, die Idee von den Parteien ist ja im Prinzip.
Dass du Person X hast, die kommt über die deutsch-österreichische Grenze.
Und an der Grenze verwandelt sich die Person, wenn es gut läuft,
vom Flüchtling oder vom Geflüchteten in eine Arbeitskraft, ja.
Und das ist natürlich absurd.
Also das ist eine absurde Vorstellung, die auch nicht funktionieren kann.
Leo Schwarz
Einer deiner zentralen Begriffe, den du jetzt auch schon mehrmals genannt hast,
ist die multiple Prekarität,
die für dich eine Grundbedingung ist, um überhaupt dieses Ausmaß an Arbeitskraftrekrutierung
zu schaffen, das in diesen Branchen, jetzt in deinem Fall der Fleischindustrie
und dem Versandhandel nötig sind.
Und vielleicht kannst du nochmal, vielleicht auch an einem konkreten Fall oder
an verschiedenen Fällen erläutern, wie sozusagen verschiedene Dimensionen der
Prekarität zusammenwirken.
Was ist mit multipler Prekarität genau gemeint?
Peter Birke
Also wir haben bei Amazon Leute interviewt, die hatten noch einen Aufenthalt
von drei Wochen, aber einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Also das ist sozusagen die Grundproblematik.
Es gibt so einen Film von Ken Loach, der heißt Reigning Stones.
Also stregnende Steine. Es kommt von allen möglichen Ecken, kommen Formen,
in denen man darin gehindert wird, ein gutes Leben zu leben.
Und wenn man eins erreicht hat, nämlich den unbefristeten Arbeitsvertrag,
kommt dann das nächste. Also der nächste Stein wäre dann sozusagen,
der Aufenthalt wird nicht verlängert.
Oder man findet eine Arbeit, aber keine Wohnung.
Oder man findet eine Wohnung, in der man in den schwarzen Schimmel gibt und
die Gesundheit geschädigt wird und so weiter.
Also das bezeichnen wir so als multiple Präkarität grundlegend mit dem Spezifikum,
dass natürlich da auch rechtliche Einschränkungen, mangelnde Rechtsansprüche mit verbunden sind.
In diesem Fall, die einfach mit der Tatsache zu tun haben, dass die Leute den
Status als Migrantinnen und Migranten haben.
Das gibt es also auch so, auch in der soziologischen Diskussion meiner Kollegin
Andrea Hense, die hat zum Beispiel einiges dazu geschrieben.
Oder auch in der allgemeinen Diskussion, da jetzt ja die Präkaritätsdebatte ist.
Der nicht nur von der Diskussion um Migration bestimmt, aber grundsätzlich ist
eben ein beschreibendes Moment, das soll beschreiben, dass diese unterschiedlichen
Faktoren eine große Rolle spielen.
Und anders als in der traditionellen Arbeitssoziologie, wenn man verstehen will,
warum die Arbeiter arbeiten, man das nicht nur so beschreiben kann,
dass es eine intrinsische Motivation gibt, dass sozusagen eine Mischung aus
Repressionen und Incentives am Arbeitsplatz existieren und so weiter,
dass Arbeit auch zu Anerkennung führt, möglicherweise Erwerbsarbeit.
Also das ist nicht das Einzige, was man beschreiben muss, sondern man muss dieses
ganze Setting verstehen eigentlich.
Also warum arbeiten Leute, was weiß ich, in einem Paketdienst auf der letzten
Meile oder in Live-In-Care oder so?
Das kann man, glaube ich, nur verstehen, wenn man die Gesamtsituation von den Leuten betrachtet.
Und das ist natürlich aber auch eine große theoretische Herausforderung eigentlich.
Weil das führt natürlich dazu, dass man begrifflich die Arbeitssoziologie sowohl
verräumlichen als auch verzeitlichen muss.
Also es gibt sozusagen, gab es ja schon immer, seit ein paar Jahren gibt es
ja diesen Begriff der fraktalen Fabrik,
aber es ist mehr als nur fraktaler Fabrik und es ist auch nur mehr als nur Wertschöpfungsketten,
die sozusagen verteilt sein können in Europa oder weltweit, sondern das ist
eine soziale Situation, die sich eben konstituiert aus der Multiplizierung von
Krisenpräkarität, sage ich jetzt mal, an der Stelle.
Und das macht aus unserer Sicht den Begriff der Multiple-Präkarität ganz geeignet,
um etwas zu beschreiben, wobei man schon sagen muss, gleichzeitig,
da müsste auch vielleicht noch ein bisschen analytische Arbeit geleistet werden,
denn zunächst mal ist es natürlich auch nicht mehr als eine Beschreibung.
Also ich beschreibe praktisch diese Steine, diese Grenzen aus Glas,
aber was das sozusagen kapitalismustheoretisch bedeutet,
wie man das auch im Zusammenhang mit dem Begriff der Präkarität,
der in der Arbeitssoziologie ja immer sehr stark mit Dörre und so weiter auf
Beschäftigungsverhältnisse abzielt,
wie man diese Begrifflichkeiten auch so erweitern kann, dass sie einen stärkeren
theoretischen Zugriff auf das, was man da sieht, in unserer Gesellschaft erlauben.
Und da glaube ich, ist eben der Begriff der multiplen Präkarität nur so ein Startpunkt.
Und da müsste man jetzt irgendwie genauer gucken, zum Beispiel,
wie die Frage beantwortet werden kann, wie wird das eigentlich vermittelt?
Also welche Form von Vermittlung und auch, inwiefern gibt es sozusagen auch
fluide Formen von multipler Präkarität, die dann zur Rekonfiguration von Migration
und Arbeit beitragen, was ich auch glaube, sehr wichtig ist.
Leo Schwarz
Mir scheint, dass du ja durchaus auch bemüht bist,
eine kapitalismustheoretische Interpretation irgendwie zu gewinnen und du benutzt
ja auch in deinem Buch einige Begriffe, die jetzt ganz klar kapitalismustheoretisch
sind, ursprüngliche Akkumulation,
Landnahme und dergleichen mehr.
Ja, und mir scheint auch, dass du die multiple Prekarität in irgendeiner Form
als eine Art strukturnotwinnige Bedingungen begreifst, eigentlich damit bestimmte
Prozesse überhaupt funktionieren können.
Trifft das das einigermaßen, wie ich das beschreibe?
Peter Birke
Ja, voll. Also ich meine, wobei, was mir wichtig wäre in dieser Diskussion wäre,
Also ich habe ja in Grenzen aus Glas auch diesen Begriff der Landnahme nochmal
versucht durchzudeklinieren und als Ausgangspunkt zu verwenden, um zu verstehen,
wie diese Arbeitsverhältnisse funktionieren.
Das kann man sich dann nochmal genauer angucken. Es gibt jetzt eine ganz tolle
Untersuchung, demnächst von dem Christian Spernack-Wolfer, der rumänische Bauarbeiter
nach Rumänien begleitet hat und in Deutschland getroffen hat.
Und da sozusagen mit diesem Modus sozialer Veränderung, der mit diesen Migrationsprojekten
zu tun hat, beschäftigt ist.
Aber was mir wichtig ist, ist, dass man diese Begriffe nicht als.
Dass man versucht, diese Begriffe zu historisieren.
Also es würde mir darum gehen, zu begreifen,
dass Multiple Prekarität sozusagen eine Grundform ist, die die Sozialverhältnisse
auf dem Arbeitsmarkt, im Betrieb und im Kapitalismus insgesamt dynamisiert.
Also das, was habe ich vorhin ja beschrieben mit dem Kollegen,
der dann sagt, die Leute, die sind immer neu und erleben aber immer dasselbe.
Also das ist so ein bisschen, was man da sehen kann.
Und wir neigen dazu in der Soziologie ja leider, also sagen wir mal,
ahistorische Typologien zu entwickeln.
Und ich glaube, dass das Feld Migration und Arbeit eines ist,
auf dem man gründlich davon geheilt wird, sozusagen von dieser historischen Betrachtungsweisen.
Das heißt, es gibt immer nicht eine, sondern viele. Es gibt nicht eine multiple
Präkarität, sondern viele.
Es gibt viele Migrationen und so weiter. Aber das ist systemisch.
Das ist ein systemisches Moment von Kapitalakkumulation auf der einen Seite
und auf der anderen Seite auch von den Zollverhältnissen, die sozusagen auf
der Grundlage von den Wertsitzungen entstehen.
Das ist so das, was ich versuche zu diskutieren zumindest.
Leo Schwarz
Was ich mich dabei immer frage, ist also diese allgemeinen Funktionszusammenhänge
der kapitalistischen Ökonomie zu beschreiben.
Das ist natürlich immer instruktiv, aber man hat es ja dann in den konkreten
Fällen oder in der historischen langen
Linie mit einer wahnsinnigen Erscheinungsvielfalt eigentlich zu tun.
Es ist jetzt ja nicht so, dass irgendwie die Politik sagen würde,
wir brauchen jetzt unbedingt ganz viele neue ausländische Arbeitskräfte,
sondern es ist ja irgendwie immer eine seltsame Mischung.
Es gibt teilweise auch Arbeitsverbote, du hast es beschrieben,
es gibt eine Abfolge von Migrationsregimen,
die ganz unterschiedlich eigentlich sind in ihrer, sagen wir mal,
Kompatibilität mit der Verwertung innerhalb bestimmter Kapitalieninteressen.
Also wie bindet man das zusammen?
Also oft hat man ja dann, wenn man so ein funktionalistisches Argument macht,
eigentlich sowas wie so eine Allerklärung, aber letzten Endes ist es ja dann
doch sehr heterogen und was dann sozusagen politisch passiert,
scheint geradezu widersprüchlich zu sein, wenn man sich jetzt Fachkräftemangel
und neunationalistische Töne aus der politischen Mitte gleichzeitig anguckt,
scheint das fast nicht zusammenzupassen, oder?
Peter Birke
Ja, absolut. Und ich will auch nicht sagen, dass sozusagen,
also Kapitalismus ist natürlich immer in Wertsetzung, aber aus dieser abstrakten
Formulierung würde ich nicht ableiten, dass Migration ein notwendiges Moment
von kapitalistischer Ökonomie ist,
also jetzt so im engeren Sinne, sondern da geht es darum, die Frage zu stellen,
wie lassen sich die mit den Migrationen verbundenen Dynamisierungen erklären?
Also es ist eher auch eine Frage oder eine Heuristik als sozusagen ein strukturfunktionistisches
Argument, aber natürlich unter Anerkennung dessen, dass es hier auch um Ausbeutung geht.
Also es geht hier nicht einfach nur um eine Vielfalt von Motiven,
die man haben könnte oder Push- und Pull-Faktoren oder so, die man auch idealisieren
könnte, sondern es gibt auch eine Struktur von Ausbeutung und Herrschaft,
die über diesem Moment von Differenzierung liegt, die Migration eben ausmacht.
Und das wäre mir wichtig zu begreifen, weil
dazu gehören nämlich auch Zentrums-Peripherie-Verhältnisse zum Beispiel.
Also Westeuropa, Osteuropa, globaler Süden, globaler Norden,
das sind wesentliche Momente von Migration natürlich.
Und nicht einfach nur empirisch, sondern auch, das ist zwar nicht einfach nur
empirisch zu fassen, sondern muss auch theoretisch gefasst werden.
Und da drin, würde ich dann sagen, gibt es...
Empirische Beobachtungen, die zeigen, dass die konkrete Aushandlung dessen,
was Migration ist oder sein kann,
dass sie notwendig, glaube ich, auch von solchen unterschiedlichen Zielen und
auch merkwürdigen, skurrilen Zuschreibungen geprägt ist.
Also das, was du jetzt gerade gesagt hast, es gibt einerseits die Nachfrage
nach Arbeitskraft und auch so ein Diskurs, der sagt irgendwie,
wir brauchen eine neue migrantische Arbeitskraft, um den Pflegemaßstand zu beseitigen
und so weiter und so weiter.
Das sind ja wirklich auch drastische Zahlen, die man da sieht,
wenn man sich diese Bereiche genauer anguckt.
Und gleichzeitig gibt es eben im Grunde genommen einen rassistischen Diskurs,
der sagt, der von allen möglichen Formen von Überfremdung und so weiter und
von der Notwendigkeit spricht, die Grenzen dicht zu machen.
Diese Gleichzeitigkeit, die kann man glaube ich nur verstehen,
wenn man sie als Teil einer Dynamik versteht. Also nicht einfach nur als Widerspruch.
Es gibt nicht einerseits den rassistischen Manager, der sagt etwas, was ich.
Polen haben besondere Eigenschaften und deswegen setze ich die hier in meinem Betrieb ein.
Und andere Nationen hätten angeblich andere Eigenschaften.
Also es gibt nicht nur diese Zuschreibung, sondern das ist immer in dieser gesamten Dynamik verortet.
Und auch nicht sozusagen, ich sehe Rassismus und den Wertsetzungen nicht als
systemischen Widerspruch, sondern ich sehe das als Dynamik, die zwei Seiten hat,
die sich gegenseitig dynamisiert und in der es zwar schon Zielkonflikte gibt, natürlich,
auf allen möglichen Ebenen könnten wir uns jetzt nochmal genau darüber unterhalten,
was solche rassistischen Zuschreibungen und so weiter konkret in Betrieb heißen,
aber die trotzdem sozusagen in gewisser Weise miteinander spielen,
um sozusagen ein bestimmtes Migrationsregime zu konfigurieren,
das man dann wiederum beschreiben kann.
Also so würde ich das ungefähr zusammenfassen. Ich würde auch nicht sagen,
dass es Rassismus nur mit Kapitalismus gibt. Das wäre mir schon wichtig.
Rassismus hat schon eine eigene Dynamik von Herrschaftlichkeit,
die im Wesentlichen so zusammengefasst werden kann.
Aus meiner Sicht, dass eine Person, die dazu die Macht hat, sagen kann, du bist so und so.
Ich kenne, obwohl du den Menschen vielleicht noch nie getroffen hast,
ich kenne dich, du bist so und so, du hast diese und jene Eigenschaften,
sozusagen so eine gruppenförmige Zuschreibung von Eigenschaften,
die auch produktiv gemacht werden.
Das heißt, Rassismus ist nicht nur unproduktiv oder so, sondern es ist gerade produktiv.
Und mir geht es jetzt nicht darum zu sagen, das interessiert mich nicht besonders.
Rassismus ist immer Kapitalismus.
Das interessiert mich eigentlich nicht besonders. Aber mir geht es darum zu
verstehen, wie sich eigentlich so rassistische Zuschreibungen,
also auch Herrschaftsförmigkeit von Rassismus und diese herrschaftliche Arbeitsteilung,
wie die sich sozusagen verknüpfen,
um eine bestimmte Produktivität hervorzubringen.
Eher als zu sagen, es gibt da so Strukturelemente, würde es mir darum gehen
zu sagen, es gibt da Dynamiken, die ineinandergreifen und die man sich genauer gucken muss.
Leo Schwarz
Ich würde ganz gerne nochmal zurück zum Arbeitsprozess kommen,
dem Konkreten, den du ja auch immer wieder hervorhebst in deiner Arbeit.
Du hast es schon erwähnt, ganz offensichtlich
in diesen Branchen sind die Arbeitsverhältnisse sehr schlecht,
also ganz überwiegend werden die von all deinen Befragten sehr schlecht beschrieben
und das Interesse daran, diese Arbeit wieder zu verlassen, ist eigentlich bei fast allen gegeben.
Wie kommt das jetzt eigentlich nochmal genau zustande, dass diese Arbeitsverhältnisse
derart schlecht sein können,
also derart viele Arbeitsstunden beispielsweise auch in Verletzungen eigentlich
offensichtlicher Grundregeln des Arbeitsrechts scheint?
Wie ist das zu erklären und vielleicht kannst du auch noch ein bisschen so einen
Einblick geben auch nochmal in konkrete Arbeitsprozesse, ja?
Peter Birke
Also die Arbeit in der Fleischindustrie ist eine Arbeit, die ist in der Regel
durchgetaktet und findet in Fließproduktionen statt, in großen Teilen.
Also das ist ein bisschen unterschiedlich, ob man jetzt in der Schlachtung,
in der Grobzerlegung, Feinzerlegung oder im Bereich der Verpackung ist.
Aber das ist sozusagen, das grundsätzlich ist ein Band läuft durch das ganze
Werk. Und da wird dann hocharbeitszeitlich sozusagen, werden die Tiere auseinandergenommen und dann verarbeitet.
Und das geschieht in einer extrem großen Geschwindigkeit und könnte Taylor wirklich
sehr gut gefallen, glaube ich, wenn man sich das als Arbeitssystem einmal vorstellt.
Und natürlich ist es gleichzeitig so, dass das extrem gesundheitsschädlich ist.
Es gibt diese Kühlschranktemperaturen, die Tiere werden ja runtergekühlt,
wenn man anfängt in diesen Bereichen zu arbeiten.
Es wird mit scharfen Messern gearbeitet, man braucht eine sehr große Konzentration,
aber auch eine sehr große körperliche Anstrengung, um Tiere zu zerlegen in dieser
Massenproduktion von Fleisch.
Und das ist jetzt sozusagen ein Beispiel. Man findet das in unterschiedlichen Formen.
In dem zweiten Fall, den ich untersucht habe, gibt es ein anderes Managementparadigma,
würde ich sagen. Das müsste man sich dann nochmal besonders angucken.
Aber grundsätzlich ist das Arrangement, das die Leute dann haben am Band,
so sie dann länger als ein paar Stunden oder ein paar Tage bleiben,
ist im Grunde genommen zu sagen, wir sind jetzt hier, aber das ist der Einstieg in irgendwas.
Also das ist der Einstieg daran, dass mein Sohn oder meine Tochter studieren
kann in Rumänien, dass sich meiner Mutter irgendwie ein würdiges Leben im Alter
verschaffen kann und so weiter.
Das heißt, die Differenzen in den Preisen und Preisbestimmungen zwischen den
unterschiedlichen Ländern sind in dieser Form von Migration relativ wichtig.
Und das heißt, es gibt dann eigentlich zwei Fragen. Die eine Frage ist,
die du gestellt hast, wie ist es möglich, dass solche Arbeitsverhältnisse existieren,
die mit einer ziemlichen Sicherheit die Leute in einer relativ kurzen Zeit wirklich
kaputt machen körperlich. Das ist ja auch tatsächlich nachgewiesen.
Kann das nicht ohne, also man kann das schon, das ist unterschiedlich,
weil Körper ja unterschiedlich sind.
Aber im Grunde genommen kann man diese gewaltförmigen Arbeitsprozesse nicht
über viele Jahre machen.
Auf der einen Seite und der Tatsache, dass die Leute das aber trotzdem machen.
Und das ist, finde ich, erklärungsbedürftig.
Da gibt es auch wieder bei dem Christian Sperner-Wolfer eine interessante Passage,
finde ich, der schreibt oder setzt so auseinander, dass...
Dass die Arbeiter, mit denen er gesprochen hat aus Rumänien,
ihnen einerseits erzählen, dass es Skravenarbeit ist, was sie da machen,
also jetzt in diesem Wording auch, und andererseits erzählen,
dass sie sich das nicht vorstellen könnten,
um das anders aufzustellen, weil sie das in ihrem Leben für die biografisch
ideale Form der Lösung von Problemen des Überlebens eben sehen.
Und diese beiden Pole gibt es auch in dem Bewusstsein von Migrantinnen und Migranten
selbst. Das ist einerseits zu dem Pol, wir wissen, wir werden ausgebeutet,
andererseits zu dem Pol.
Wir werden aber auf eine Art ausgebeutet, die uns prospektiv möglicherweise
ein besseres Leben ermöglicht.
Das ist teilweise sozusagen auch eine Position, die da vorhanden ist.
Also die eine Frage ist, warum ist das möglich, mit solchen Ausblattungsregimen zu arbeiten?
Das ist natürlich eigentlich eine politisch-ökonomische Frage,
die durch eine Vielfalt von Sozialverhältnissen erklärt werden muss.
Die andere Frage ist, warum lassen Sie das die Leute mit sich machen?
Also was integriert da an der Stelle?
Und man muss sich, glaube ich, bei der Untersuchung von so migrantischen Arbeitsverhältnissen
auch immer klar machen, dass ein wesentliches Moment auch durchaus die Tatsache
ist, dass die Leute, die in diesen Bereichen arbeiten.
Daraufhin gefragt, eben nicht einfach nur sagen, das ist Scheißarbeit und ich
will hier möglichst schnell weg, sondern dass sie auch Lebensprojekte haben,
die sozusagen subjektiven Momenten von Veränderung und von Fortkommen entsprechen,
die auch wichtig sind, um zu erklären, warum die Leute in diesen Ausbeutungsverhältnissen landen.
Und dann gibt es natürlich eine betriebliche Differenzierung.
Also in diesen Betrieben ist es nicht so, dass sie alle gleich scheiße Arbeit machen.
Also ich will jetzt kein konkretes Beispiel an der Stelle nennen, aber es ist durchaus so,
dass die unterschiedlichen Tätigkeiten auch so aufgestellt sind,
dass man mit der Zeit sozusagen dann nicht nur sich an den Arbeitsprozess gewöhnt,
sondern auch eine Art von Unentwerdigkeit,
Qualifizierung in einem bestimmten Maßstab erlebt, der dazu führt,
dass der Arbeitgeber abhängiger ist von dir,
weil bestimmte Leute bestimmte Arbeitsvorgänge einfach verrichten können,
die einfach wahnsinnig nachgefragt sind und die der Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt so nicht kriegt.
Und das wiederum führt auch zu einer Stabilisierung dieser Verhältnisse.
Also die Frage, wie wird Ausbeutung stabilisiert, die ist auch an solche Effekte
gebunden, Also biografische Setzungen von Leuten,
die dann doch einen gewissen Aufstieg oder eine gewisse Perspektive erleben,
selbst in solchen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen.
Und als Bewusstseinsform entsteht dann eben so dieses wilde Bewusstsein,
einerseits Sklave zu sein und andererseits überleben zu wollen,
ja, das sozusagen eine Art Bewusstseinsspaltung hervorbringt.
Aber man muss auch sagen, es gab sehr lange unfreie Arbeit und es gibt immer
noch Sklaverei in so einer Form in unseren Gesellschaften.
Warum erhalten sich solche Arbeitsformen überhaupt so lange?
Und warum sollte es andersrum sein? Das wäre jetzt eine fiese Gegenfrage,
dass im Kapitalismus, sagen wir mal, arbeitszivilisiert wird.
Da gibt es ja auch keinen Grund für.
Jetzt nicht per se, da gibt es nur historisch, aber nicht jetzt im Rahmen von
so einem Strukturfunktionismus oder so.
Jan Wetzel
Du hast schon gesagt, dass natürlich die Leute unterschiedlich antworten.
Das ist natürlich schwer zu quantifizieren, aber kannst du da auch die Bandbreite nehmen?
Also manche haben sozusagen schon auch dieses, Verständnis, das ist ja jetzt
ein Schritt und ich kann vielleicht aufsteigen, ich kann vielleicht mit dem
Geld sozusagen mal woanders stehen in der Zukunft.
Manche sind vielleicht doch mehr
reingedrängt. Also was ist euch da so sozusagen an Antworten begegnet?
Peter Birke
Naja, wir haben in dem ersten Projekt haben wir 230 Interviews geführt oder
so. Also es sind relativ viele unterschiedliche Antworten, die uns da begegnet sind.
Mit Beschäftigten vielleicht ungefähr für die Hälfte und dann das andere war
mit allen möglichen Vermittlern, Management, Gewerkschaften und so weiter.
Aber grundsätzlich zu deiner Frage,
das, was ich ganz faszinierend finde an einem Beispiel, also jetzt so in einem
auch aber sehr verstörenden Sinne, das ist, dass du oft so eine Konfiguration
hast, dass die Leute, die jetzt länger in diesen Bereichen arbeiten,
also es gibt vielfach, das habe ich ja schon erwähnt, Leute,
die nutzen sozusagen die Arbeitsmarktsituation, um ständig woanders hinzukommen,
wenn das irgendwie möglich ist und versuchen das sozusagen als Waffe zu gebrauchen,
auch um die eigenen Arbeitsverhältnisse zu verbessern natürlich.
Wenn man weiß, gegenüber auf der anderen Straßenseite braucht der Arbeitgeber
auch Arbeitskraft, dann kann man damit natürlich handeln.
Und wir haben ja sehr viele Streits auch erlebt in den letzten Jahren,
die im Grunde genommen im Kern auch so eine Verhandlung darstellen.
Aber jetzt Leute, die länger in einem Betrieb bleiben, die wir getroffen haben,
da siehst du dann sowas, was sehr verstörend ist.
Die rechnen nämlich, die fangen an zu rechnen. Also das ist so,
die Frage ist, wie lange kann ich diese Tätigkeit noch machen,
ohne meine Arbeitsgabe zu zerstören?
Das heißt, wann ist der Punkt erreicht, wo ich sozusagen diesen Deal,
Geld für Arbeit, nicht mehr machen kann, weil ich Rheuma habe,
weil ich irgendwie nicht mehr schwerheben kann, weil mein Muskel-Skelettsystem kaputt ist und so.
Und das lässt sich natürlich, das wissen wir von uns selber ja auch, sehr schwer berechnen.
Das heißt, du hast im Grunde genommen so eine Figur in den Diskussionen mit
Leuten, die älter sind. Also wenn du dazu kommst, überhaupt natürlich,
das ist ja auch eine sehr nahe, so eine körperliche Vernutzung bestehende Frage.
Wenn man dazu kommt, dann spielt das eine Rolle. Oder ich kann mich erinnern
an einen Beschäftigten, der dann in so einem Logistikzentrum gearbeitet hatte,
vorher bei einer Fashion Street war und der uns das auch so geschildert hat.
Der ist vorhin jetzt so bei dem letzten Interview, was wir gemacht haben,
so vielleicht Anfang 50.
Und dann fängt dann nicht nur das Rechnen an, sondern auch die Tatsachen spielen eine Rolle.
Und dazu gehört dann eben auch, dass man nicht mehr so kann und dass die Arbeitskraft
dann wiederum auch abgewertet wird, sodass das Problem, also zwischen unfreier
Arbeitsgaberei auf der anderen Seite und Ermächtigung,
Zukunft bilden, Perspektiv an das Denken, was man erreichen möchte,
diese Spannung in den Individuen, das wird so ausgehandelt in den Individuen,
in dem Kontakt zu Partnern, zu den Kindern, in der ganzen sozialen Umgebung, die es da gibt.
Und da gibt es eben ganz stark so dieses Moment von, wenn man die Leute fragt
nach ihrer Zukunft, was machst du in fünf Jahren, dann merkt man das besonders
stark, das ist immer unsere letzte Frage eigentlich.
Tatsächlich merkt man besonders stark, dass die Leute dann sagen,
ja, entweder weiß ich nicht und dann kann man nachfragen, warum nicht.
Das liegt nicht daran, dass die Leute keine Fantasie haben, sondern dass eben
diese Unwirkbarkeiten existieren, die das einfach nicht, das ist,
wie lange funktioniert der Körper in solchen Arbeitsverhältnissen.
Das ist dann die Frage.
Leo Schwarz
Jetzt hast du schon die Streiks erwähnt und auch teilweise gewerkschaftliche Anbindungen.
Wie ist das mit dem Arbeitskampf? Da scheinen ja auch sehr spezielle Bedingungen
gegeben zu sein, vor allem auch durch bestimmte Formen der Informalität vielleicht,
vielleicht auch durch bestimmte Formen der Segregation von Belegschaften.
Wie stellt sich das in diesen beiden Branchen dar? Welche Möglichkeiten gibt es da?
Ich glaube, der wilde Streik als Begriff, der ist mir noch stark in Erinnerung
geblieben aus deiner Ausführung. Wie sieht das da aus?
Peter Birke
Naja, das kann man auch nicht allgemein sagen. Aber ich würde jetzt mittlerweile
sagen, es gibt so zwei Typen.
Also das ist jetzt nur provisorisch und auch aus unserem neuen Projekt so ein
bisschen, wenn wir hören, was in den letzten Jahren so passiert ist,
der Interessenwahrnehmung im Betrieb, wenn es darum geht, dass so eine neue
migrantische Arbeit unter extrem prekären und auch ausbeuterischen Bedingungen eben am Start ist.
Die eine ist, ich bleibe länger und versuche irgendwann Lohnkämpfe zu führen, im Sinne von,
ich versuche sozusagen weg vom Niedrigmindestlohn zu kommen,
um die Erzählung glaubwürdig zu machen, dass ich mir auch wirklich irgendwie
das leisten kann, dass ich in Rumänien das Haus für die Mutter oder sowas fertig
mache Oder den Kindern das Abitur finanzieren und danach das Studium oder so.
Das ist sozusagen das eine Motiv. Da geht es um Lohnkämpfe im Betrieb,
also praktisch um die Aushandlung der Bedingungen der Arbeit,
aber vor allen Dingen der Löhne, die ganz klassisch Massenarbeiter betrifft.
Immer wieder machen, um sozusagen an dieser Stelle weiterzukommen.
Das ist natürlich prinzipiell für Gewerkschaften auch interessant und möglich anzusprechen.
Und wir haben trotzdem, trotz Arbeitsschutzkontrollgesetz und der Abschaffung
der Subunternehmen, die ja sehr stark gewerkschaftsbehindernd gewesen sind,
haben wir in der Fleischindustrie allerdings nicht so einen Prozess gehabt,
in den letzten zwei Jahren,
der gewerkschaftliche Organisation bestärkt hat.
Also große Bemühungen gab es, gibt es auch immer noch, die sind auch wichtig.
Es wurden auch ein paar neue Mitglieder gewonnen, aber der Bereich ist jetzt
nicht tarifiert worden oder so.
Es gibt immer noch, es gibt einen Tarif, aber der ist praktisch,
was die Löhne betrifft, auf den Mindestlohn.
Und diese wilden Streiks jetzt in der Kantine sitzen bleiben und nicht weiterarbeiten und so.
Das sind dann aber oft Versuche innerhalb des Betriebes und in dieser Situation,
bessere Bedingungen herauszuhandeln, jenseits von gewerkschaftlicher Arbeit.
Also da wäre zwar im Prinzip ein Anschluss da über Notarifverträge,
der ist aber oft sehr schwer umzusetzen.
Und bei Amazon sehen wir das ja so ähnlich. Da gibt es seit 2013 im Grunde genommen
den Versuch, gewerkschaftliche Tarifpolitik zu initiieren.
Der ist auch ganz wichtig und viele leihen sich auch vorbildlich und oft durchaus
erfolgreich in so einem betrieblichen Alltag. Aber Tarifverträge gezahlt immer noch nicht.
So, das ist die eine Sache. Die andere Sache ist das, was ich vorhin erzählt
habe mit, wir kommen morgens nicht zur Arbeit.
Das erscheint zunächst mal als individuelles Verhalten, aber es gibt schon in
einzelnen Betrieben, die wir beobachtet haben, so einen relativ stark offenbar
formulierten sozialen Anspruch,
dass aus Gewohnheit sozusagen der Arbeitgeber mich auch am Dienstag dann wieder
anstellen muss, wenn ich am Montag keinen Bock habe, mich der Hölle da auszusetzen,
weil die einfach die Arbeitskräfte brauchen.
Und das produziert so einen zweiten Typ von Arbeitskampf, der einfach auf die
Aneignung von Mobilität setzt.
Also praktisch versucht, im Grunde genommen alle möglichen Formen zu finden,
die gerade mit Mobilität zu tun haben. Das ist sozusagen das ja bei diesem Beispiel,
das ich jetzt eben gegeben habe, dienstags wiederkommen, wäre man dann immer noch in Betrieb.
Aber es gibt natürlich auch sehr viele Beispiele von Leuten,
die dann, keine Ahnung, in Dänemark doppelt so viele Löhne bezahlt wurden als in Deutschland.
Eine Zeit lang in der Flashindustrie sind die Leute dann halt nach Dänemark
gegangen. Das wiederum ist auch sehr schwer zu organisieren von Gewerkschaften.
Da ging es dann um dieses One Big Union. Also es müsste eine Gewerkschaft geben,
die versucht, die ganze Welt dieser migrantischen Arbeit zu begreifen und da einzugreifen.
Das sind aber nicht, unsere Gewerkschaften sind nicht so restrikt.
Aber es ist sehr schwer zu erreichen. Es ist trotzdem natürlich einer der wesentlichen
Momente von Widerstand und Arbeitsverbesserung ist dieses, ich gehe heute nicht
hin, aber ich komme morgen wieder.
Und es ist auch so, dass sich das durchaus als sozialer Anspruch implizit verdichtet.
Und im Übrigen ist es eine große Ähnlichkeit zu Ford in Köln 1973.
Also wenn man sich den Streit von 1973 genauer anguckt, dann gab es einen jahrelangen Usus von Ford,
den Arbeitern zu erlauben, dass sie mehr als die damaligen fünf Wochen oder
was Ferien machen, weil die mussten ja mit dem Auto in die Türkei fahren zum
Teil und haben dann mehr als fünf Wochen gebraucht.
Und der hat die aber immer wegen dem Arbeitskräftemangel immer wieder eingestellt,
wenn die zurückgekommen sind.
Und so ähnlich machen das solche Betriebe wie die jetzt in der Fleischindustrie
oder im anderen Versandhandel zum Teil eben auch.
Also man kommt irgendwie unter Umständen, wenn man nicht wirklich aufgefallen
ist mit gewerkschaftlicher Aktivität oder so, kommt man immer wieder rein.
Und dieses immer wieder reinkommen, das ist auch selbst eine Form der Interessenwahrnehmung.
Jan Wetzel
Du hast jetzt schon gesagt, dass es natürlich für Gewerkschaften schwierig zu
organisiert ist oder daran anzuschließen.
Würdest du auch sagen, also es geht mir zumindest so, dass einfach auch diese
Vorstellung von Interessenswahrnehmung, wie du sie jetzt auch nennst,
auch in so einem normaldeutschen Arbeitsdenken auch einfach nicht stattfindet,
dass das wirklich eine ganz andere Arbeitswelt ist irgendwie?
Peter Birke
Ja, wobei diese Diskussion gibt es in den Gewerkschaften ja mittlerweile auch und zwar ganz massiv.
Ich weiß, dass es in der IG Metall diese Diskussion gibt, bei Verdi in den Migrationsausschüssen
sowieso und bei der NGG vor allem.
Da gibt es natürlich so eine Diskussion, was bedeutet das eigentlich,
wenn wir jetzt hier mit Kolleginnen und Kollegen kommunizieren,
die alle möglichen Probleme haben, die aber stark durchaus abweichen in mancherlei
Hinsicht von dem, was wir so aus anderen Arbeitsverhältnissen kennen.
Also diese typische Betriebsratsarbeit, die davon ausgeht, dass man Arbeitszeiten
reguliert, dass man Qualifikationsstufen reguliert und so, das gibt es in diesen Bereichen gar nicht.
Dafür gibt es das Problem, dass der Kollege vielleicht im Wald pennt,
weil er keine Wohnung hat.
Und da kannst du natürlich als Gewerkschafter sagen, ja, tut mir jetzt leid,
dafür bin ich nicht zuständig, aber dann hast du praktisch schon verloren.
Aber auf der anderen Seite ist natürlich die Diskussion dann schon auch so,
so wie ich sie zumindest mitkriege, dass gewerkschaftliche Kolleginnen und Kollegen,
die jetzt in diesem Bereich arbeiten und zur Migration arbeiten,
dass sie oft sagen, das ist ein wahnsinniges Ressourcenproblem natürlich auch.
Also Beratungsstellen, die ja auch ausgeweitet worden sind,
was weiß ich, faire Mobilität, aber auch Arbeit und Leben, christliche Beratungsstellen,
Diakonie, Caritas und so weiter, die beschäftigen sich ja schon mit diesen Problemen auch.
Aber das zum Kern von Gewerkschaftsarbeit zu machen, ist natürlich wahnsinnig aufwendig.
Und wird wahrscheinlich nicht nur mit hauptamtlichen Strukturen zu bewältigen sein,
sondern braucht man wahrscheinlich eine anders verankerte Selbstorganisation
in den Gewerkschaften selber,
um dann mit dem Kollegen auch sozusagen in den Wald zu gehen und mit ihm gemeinsam
irgendwie eine angemessene Unterkunft zu suchen in der Stadt, sage ich jetzt mal.
Und gleichzeitig ist es eben so, und das ist auch noch ein wichtiger Aspekt,
glaube ich, für Gewerkschaftsarbeit.
Dass das Ankommen als neue Migrantin im Wald oder in der Fleischbude oder bei
Amazon oder in der Pflege oder sowas,
Das ist ja einfach auch von multiplen Problemlagen geprägt, durch die man sich
erstmal durchnavigieren muss.
Und in diesem Navigieren gibt es nicht nur die Gewerkschaften oder Fährmobilität,
die den Leuten helfen, sondern es gibt auch tausend Vermittler,
die sozusagen dann Anträge ausfüllen, Wohnung suchen und so.
Und manche von den Firmen, die das vielleicht besser verstehen jetzt mittlerweile,
die machen sich das zunutze. Also sozusagen auch diese Vermittlungsangebote
zu machen, um sozusagen ihre Arbeitskraft besser zu integrieren und ausbeutbarer zu machen.
Das heißt, selbst wenn ich jetzt sagen würde, ich habe das Konzept,
also Multiplett Rekretät zum Thema von Gewerkschaftsarbeit zu machen,
dann ist es immer noch so, also das finde ich auch richtig und so weiter.
Und ich finde, das, was Faire Mobilität zum Beispiel macht, wurde die also in
Oldenburg, finde ich ganz toll und man es unglaublich vorandringt.
Aber du hast trotzdem das Problem, dass es noch andere Vermittler auf dem Markt
gibt, die sozusagen dasselbe für Geld machen und dann im Grunde genommen Teil
dieser Ausbeutungsstruktur sind.
Also die Leute, die Geld für das Ausstellen von Arbeitsverträgen haben wollen
zum Beispiel. Das ist sozusagen das Gegenbeispiel.
Das heißt, du hast auch in diesem Feld von Organisierung in Multiple Prekarität
das Problem, dass du dich mit dem institutiellen Move da immer auf so einem
Scharnier bewegst, jetzt zwischen Ausbeutung und Ausbildung.
Und Befreiung oder Protest und Widerstand so changiert.
Das heißt, du hast es im Grunde genommen, das ist auch eine andere Situation
als bei, was weiß ich, bei der IG Metall der Arbeit, bei VW in Braunschweig oder so.
Da hast du dann eine andere Situation von Gewerkschaftsarbeit,
die, glaube ich, erst mal verstanden werden muss und die man systematisch durchdringen
muss, um zu verstehen, wie man da mit dieser Problematik richtig umgehen kann.
Jan Wetzel
Ich hätte vielleicht noch eine Frage an der Stelle. Ich glaube,
das schreibst du auch an irgendeiner Stelle, dass man sich eben ein bisschen
davon verabschieden muss, dann das so stark zu unterscheiden.
Einerseits die organisierte Arbeitswelt und diese Arbeitswelt,
die sehr chaotisch aussieht, sondern wie du eben betont hast,
es gibt dann doch überall ganz viel sozusagen Organisation, es gibt diese Vermittler.
Du erwähnst auch natürlich die Sprachkenntnisse, die irgendwie vermittelt werden müssen.
Und auch wenn es natürlich keine, ja, die Leute keine Ausbildung,
dreijährige Ausbildung haben und so weiter, haben sie natürlich viele Sachen
gelernt und sind deswegen natürlich nicht einfach unqualifiziert.
Vielleicht kannst du das nochmal so ein bisschen sagen, wie sich dann aber diese
Art von Qualifikation und Struktur auch und Ausbildung, was natürlich irgendwie
alles informell ist, wie sich das so darstellt.
Peter Birke
Das ist, glaube ich, einer der zentralen Konflikte in den Betrieben tatsächlich.
Um mal auf das Amazon-Beispiel zu gehen, da würde ich ja sagen,
also Amazon, das sind ja alles Pionierbetriebe, müsst ihr euch vorstellen.
Die Betriebe, die existieren erst seit zwei, drei Jahren zum Teil.
Und es gibt ständig neue. Also das mit den 600.000, 1,5 Millionen bedeutet,
es gibt ständig neue Betriebe. Es gibt auch eine Ausdehnung in Richtung letzte Meile.
Die Betriebsfähigkeit ist dann auch relativ unterschiedlich,
aber du bist eigentlich immer in einem Betrieb, der erst seit einer kurzen Zeit
existiert oder oft zumindest.
Und Amazon macht das so, dass sie, die brauchen ja natürlich auch Leute,
die ausbilden, also auch wenn das auf den ersten Blick Arbeit ist,
von denen sie selber das Management denkt, das könnten irgendwie, das könnten,
Leute machen, die überhaupt nichts vorher wissen. Es ist natürlich trotzdem
so, dass bestimmte Fertigkeiten für bestimmte Tätigkeiten in unterschiedlichem
Maße angelernt werden müssen.
Und das und auch die Sprachvermittlung, das macht Amazon über so Orden- und
Ehrenzeichen, nenne ich das jetzt mal.
Also die nennen die Leute zum Senior, Ausbilder oder da gibt es dann so englischsprachige Begriffe.
Und der Clou ist, dass das nie Geld dafür gibt.
Also selbst wenn du Leute so anlernst oder so, kriegst du keinen Cent mehr bei Amazon.
Das heißt, so hast du im Grunde genommen, etablieren die ein Ausbildungssystem
oder ein Anlernsystem eigentlich, muss man genauer sagen, das relativ komplex
ist von unten, ohne dafür zu zahlen.
Also das eignen sich einfach so an, auch die Sprachkenntnisse.
Also dann tun sie Leute zusammen, die unterschiedliche Sprachen und ernennen
Leute praktisch zu Sprachvermittlern, ohne dass sie jemals irgendwie einen Cent dafür sehen.
Das ist aber praktisch in einem Feld, wo es diese Informalität der dauernden
Vermittlungsakte im Betrieb selbst nicht gibt, sondern da gibt es im Betrieb
selbst eine Führungsstruktur,
die nicht davon lebt, dass es sozusagen der Rekruter gleichzeitig dein Vorarbeiter
ist oder so. Also das ist in der Fleischindustrie jetzt dann anders.
Da ist es schon so, dass sich das vermischt.
Also die Leute, die das Recruiting machen und die Leute, die Vorarbeiter tun,
sind immer noch im Grunde genommen
historisch und immer noch miteinander verbunden, was sie darum heißt.
Dass das Anlernen auch über die Leute stattfindet.
Und das heißt wiederum, es konzentriert sich da so ein spezifisches Ausbeutungsverhältnis,
das genau von dieser Struktur lebt.
Aber was wichtig ist jetzt aus meiner Sicht, dass dieser Begriff,
den es in Arbeitssoziologie gibt, einfach arbeiten.
Die Vorstellung, dass man da einfach anfangen könnte zu arbeiten und dann müsste
man nicht irgendwie, nach zwei
Tagen kann man es machen und dann muss man nichts mehr lernen oder so.
Das ist natürlich kompletter Quatsch. Es gibt durchaus Qualifikation in diesen Bereichen.
Und darum gibt es aber einen ständigen Kampf. In der Sphäre von Anerkennung, von allem Möglichen,
auch in der Form, in der zum Beispiel Amazon ja ständig Wettbewerbe veranstaltet,
um die Leute zu motivieren, also zwischen den verschiedenen Floors gibt es einen
dauernden Wettbewerb, zwischen den verschiedenen Distributionszentren gibt es Wettbewerbe,
das ist ja algorithmisch auch gut zu erfassen, die Arbeitsleistung,
die sagen sie jedenfalls, und dann gibt es dann Preise und so.
Also es ist nicht so, dass es in diesen Bereichen einfach so ist.
Du kommst, fängst da an und dann kannst du das und dann arbeitest du 20 Jahre,
ohne jemals was dazuzulernen, sondern gerade diese Frage von Qualifikation jetzt
weitergefasst als gesellschaftliche Definition von Arbeitsrollen,
die ist extrem wichtig sogar in diesem Bereich und muss eben genau angeguckt
werden aus meiner Sicht.
Leo Schwarz
Nun haben wir auch schon im Gespräch angedeutet, dass die Zeichen der politischen
Weltweisheit jetzt nicht unbedingt auf besonders der Humanisierung von migrantischer Arbeit stehen.
Wahrscheinlich werden wir einen Bundestagswahlkampf erleben, der vor allem,
migrationsfeindlich ausgerichtet sein wird und mit allerlei Stereotypen und
Angstbildern arbeiten wird. Nichtsdestotrotz,
Hat ja staatliche Politik, öffentliche Politik ja schon eine wichtige Rolle
innerhalb dieses sozusagen Ensembles,
dieser differenzierten Konfigurationen, die du da beschreibst.
Was wäre denn tatsächlich staatliche Politik, die tatsächlich eine Verbesserung
der Umstände jenseits jetzt von gewerkschaftlicher Arbeit schaffen könnte?
Das ist ja möglicherweise unter Umständen auch gar nicht so einfach,
weil es auch immer in bestimmten Politiken dann auch wieder nicht intendierte
Handlungsfolgen haben oder dann wir natürlich auch ein Konkurrenzsystem von
Branchen in verschiedenen Nationalstaaten haben,
auch ein Konkurrenzsystem zwischen verschiedenen Kommunen und dergleichen mehr.
Also was wäre sozusagen politisch obligat und was könnte man auf die Agenda setzen tatsächlich?
Peter Birke
Vielleicht erstmal grundsätzlich dazu, je mehr an der Grenze gehetzt wird,
desto schlechter werden die Arbeitsbedingungen.
Da gibt es das wie kommunizierende Röhren. Also da wäre ich dann jetzt schon
ein bisschen funktionalistisch. Also was sich diese rassistischen Politiker
denken, ist ja, wenn ich die Leute an der Grenze festhalte, dann kommen die nicht über die Grenze.
Und außerdem, wenn ich den Arbeiten verbiete, dann arbeiten die nicht.
Und das ist beides falsch.
Also es ist beides so, dass die Leute dann halt irregulär arbeiten und dass
die Verwundbarkeit von Menschen, die dann...
Noch stärker informalisierten und irregulären Arbeitsverhältnissen sind,
dass die noch größer wird.
Das ist zunächst mal grundsätzlich andersrum. Das ist natürlich schon so,
dass staatliche Politik sehr stark die Rahmenbedingungen setzt,
in denen solche migrantische Arbeit stattfinden kann.
Allerdings sowohl arbeitsrechtlich, also zum Beispiel finde ich,
dass das Verbot der Subunternehmen in der Fleischindustrie und auch der Leiharbeit
jetzt sogar, das ist ja durchaus spektakulär.
Das ist ja etwas, was im Schaufenster neoliberaler Arbeitspolitik der 90er Jahre
lag und das hat jetzt die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode rausgenommen
und weggeschmissen. Also es ist total spektakulär.
Das ist sozusagen schon etwas, was man machen kann und was natürlich auch was verändert.
Also es gibt auch Veränderungen in den Prozessen, die ich jetzt beschrieben
habe, im Betrieb selbst.
Die Leute sind dann direkt angestellt, die können im Prinzip einen Betriebsrat
wählen, deren Arbeitszeit muss anders kontrolliert werden.
Die kriegen zumindest mal jetzt den Mindestlohn. Also solche Sachen,
das kann man schon regulativ bearbeiten, glaube ich.
Aber also wovor ich es ein bisschen warnen würde, ist so die Vorstellung.
Man kann, die ist auch sehr verbreitet, auch in der Forschung leider,
also auch in der Arbeits- und Migrationsforschung, die sich jetzt ganz eng mit
diesen Themen beschäftigt.
Die Vorstellung, man könnte, die Leute sind selbst sozusagen verletzlich und
das Einzige, was ihnen helfen kann, ist der Staat.
Also so in solchen Formulierungen, das wird oft sozusagen kolportiert und auch
gerade in der Pandemie während der Masseneffektion war das auch so ein Feature,
was man öfters lesen konnte.
Das ist, glaube ich, eine Illusion, weil die staatliche Politik fängt dann an
mit der Regulierung der Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie,
so gut wie es geht. Also habe ich ja gerade gesagt, trinkt auch was und so.
Aber dann muss ja die Grenze bestimmt werden zwischen dem Bereich,
in dem die Arbeitsverhältnisse reguliert sind und dem Bereich,
in dem die alten Ausbeutungsverhältnisse immer noch wirken.
Das ist in diesem Fall die Definition von Schlachtung und Zerlegung.
Und zum Beispiel nachts, wenn
die Leute kommen, die die Maschinen reinigen und die bei irgendwelchen.
Leiharbeitsfirmen oder bei großen Industriereinigungsfirmen arbeiten,
die fallen da nicht unter dieses Gesetz. Also man muss diese Grenze bestimmen.
Das heißt, wenn staatliche Politik da reguliert, dann würde es aus meiner Sicht
nicht ausreichen, einzelne schwarze Schafe zu definieren, sondern man müsste
sich dieses gesamte Feld angucken.
Deswegen ist die Forderung von Verdi im Prinzip bei den Paketdienstleistungen
auf der letzten Meile auch Subunternehmen zu verbieten und bestimmte prekäre
Arbeitsbedingungen zu verbieten, die ist eigentlich richtig.
Aber die ist auch wiederum nur richtig, wenn man das hinkriegt,
dass sich das ausweitet.
Also das Feld grundsätzlich ausweitet von Abschaffung bestimmter prekärer Arbeitsformen.
Das ist jetzt sozusagen bei der Auseinandersetzung der Fleischindustrie so gewesen,
das habe ich ja relativ intensiv beschrieben in Grenzen aus Glas.
Dass man auf diese Grenze gehen musste in bestimmten Bereichen dieses Sektors,
aber die Lobbyverbände und auch die CDU und natürlich die FDP und auch die AfD,
die haben dann sozusagen im Bundestag und auch in der Gesetzesfindung sehr,
sehr stark darauf bestanden,
dass sozusagen so eine Art Containment betrieben wird im Sinne von,
das darf nicht zu weit gehen, das darf sich jetzt nicht auf mehr Bereiche ausdehnen.
Und das ist, glaube ich, aber der Anlass, der entscheidende Punkt.
Also schaffen wir es mit all dem, was wir dazu machen können,
schaffen wir es eigentlich dazu,
dass es gesellschaftlich, schaffen wir es dahin, dass es gesellschaftlich exemplarisch
wird und allgemein sozusagen als positiv angesehen wird,
dass in bestimmten ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen
bestimmte prekäre Beschäftigungsformen einfach untersagt werden.
Es gab ja mal eine Zeit, in der es einfach keine Subs gab und auch keine Leiharbeit in der Form jetzt.
Also das ist ja einfach eine historische Errungenschaft des Neoliberalismus,
die man dann zurückdrängen müsste.
Da wiederum kommt es natürlich auch auf die Kräfteverhältnisse an.
Also es ist ganz schön schwierig, das so zu formulieren.
Und dann kommt halt noch das Aufenthaltsrecht dazu. Also das Aufenthaltsrecht
im unmittelbaren Sinne macht natürlich auch, ich habe vorhin den Kollegen erwähnt,
der noch drei Wochen Aufenthalt hat.
Und im unbefristigen Arbeitsvertrag, dass diese arbeitsvertraglichen Regulierungen,
dass die im Prinzip unwirksam werden.
Weil wenn du rausgeschmissen wirst aus Deutschland nach drei Wochen oder zumindest
ganz prekär nicht weißt, ob du weiterhin in Deutschland bleiben kannst oder
in der EU, dann nützt dir auch der unbefristete Arbeitsvertrag natürlich nicht viel.
Und da wiederum würde ich sagen, ja, aber da geht es dann darum,
dass staatliche Politik eben diese beiden Bereiche umgreifen müsste.
Also man müsste dem Arbeitsministerium sagen, super, dass ihr die prekäre Beschäftigung
abschafft, aber geht doch bitte
mal zum Innenministerium und überzeugt das Innenministerium, dass man,
wenn man Leute so prekär hält, aufenthaltsrechtlich, dass das auch zu einer
Verletzlichkeit in Arbeitssituationen beiträgt und insofern auch anders reguliert werden müsste.
Also im Sinne von einer Legalisierung dann an der Stelle.
Leo Schwarz
Dann sagen wir Peter Böcke, herzlichen Dank für das Gespräch.
Peter Birke
Ja, bitte.
Leo Schwarz
Das war die 95. Folge von Das Neue Berlin. Vielen Dank euch fürs Zuhören.
Empfehlt uns wie immer gerne weiter.
Bis zum nächsten Mal. Macht's gut. Ciao.
Jan Wetzel
Tschüss.