Transkript von Episode 96: Sparen ohne Sinn – mit Philippa Sigl-Glöckner über die Schuldenbremse

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Jan Wetzel
Hi, bevor es mit der Folge losgeht, eine kurze Info vorab.
Wir haben das Gespräch am 7. Oktober aufgezeichnet, also vor dem Ende der Ampelregierung.
Diese ist über den Streit um den Staatshaushalt und seine Finanzierung geplatzt,
genau darüber reden wir in der Folge.
Die hat an Aktualität aber natürlich nichts verloren, wahrscheinlich im Gegenteil. Viel Spaß.
Philippa Sigl-Glöckner
Es wird immer gesagt, es muss jetzt gespart werden und es kommen immer die gleichen
Sachen auf den Tisch. Das heißt immer, Investitionen dürfen wir auf keinen Fall
kürzen, Subventionen will eigentlich immer jeder kürzen und dann Sozialausgaben
kommt ein bisschen drauf an.
Wenn jede Partei ungefähr die gleiche Finanzpolitik macht, dann werden sie große
Veränderungen ja kaum machen können in der Gesellschaft, weil sie das Gleiche
machen wie ihre Vorgänger.
Und das ist für mich schon ein bisschen eine Erklärung, wieso es großen Verdruss
bei manchen Menschen gibt, weil die Politik eben am Ende die großen Versprechen,
mit denen sie antritt zu Wahlen, nicht einlösen kann und zwar recht unabhängig
von der Parteifarbe und dann sagt man am Ende, okay,
dann bringen es vielleicht all diese demokratischen Mitte-Parteien nicht mehr so.
Hier ist das neue Berlin.
Jan Wetzel
Hier ist das neue Berlin. Hallo und herzlich willkommen zur 96.
Folge von Das Neue Berlin. Mein Name ist Herrn Wetze.
Leo Schwarz
Und ich bin Leo Schwarz.
Jan Wetzel
Und gemeinsam versuchen wir hier, Gegenwart und Gesellschaft zu verstehen.
Gewaltige Aufgaben stehen in den kommenden Jahrzehnten für Deutschland an.
Investitionen in die Infrastruktur, ob in Verkehr oder Bildung,
den grünen Umbau der Wirtschaft, die Digitalisierung, die Liste ist lang.
Sämtliche Wirtschaftsinstitute, aber auch Verbände, sogar der IWF sind sich
einig, dass Deutschland erheblich mehr investieren muss, um all das zu schaffen.
Allein das Geld ist scheinbar nicht da.
Der Staatshaushalt soll ausgeglichen sein, die Schuldenbremse muss eingehalten
werden. Aber was steckt eigentlich hinter dieser Selbstsabotage und wie geht es anders?
Dem ist Philippa Siegel-Glöckner in ihrem neuen Buch nachgegangen.
Sie ist Ökonomin und Gründungsdirektorin des Dezernats Zukunft,
einem Think Tank zu Staatsfinanzen.
Dort sind wir heute auch zu Gast und werden mal unserem Namen wieder ein bisschen
gerecht, auch in Berlin unterwegs zu sein.
Über ihr neues Buch, Gutes Geld, in dem sie ihr Denken darstellt,
wollen wir nun sprechen. Hallo Philippa.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, herzlichen Dank, dass ich da sein darf.
Jan Wetzel
Ja, vielen Dank, dass wir auch hier zu Gast sein dürfen. Was ich eben nicht
erwähnt habe, du kandidierst jetzt frisch für den Bundestag und für die nächste
Bundestagswahl ist das Buch auch so ein bisschen dein... Hallo und herzlich
willkommen zur Bundestag und für die Pilotpolitik.
Philippa Sigl-Glöckner
Das Buch...
Das zeigt schon, wieso ich Politik machen möchte, weil es, glaube ich,
ziemlich genau beschreibt, was ich für falsch halte und was man ändern sollte.
Um eine vollständige politische Programmatik zu haben, braucht es aber natürlich
ein bisschen mehr als Kritik an Schuldenregeln.
Jan Wetzel
Das Buch ist, glaube ich, deswegen auch so ansprechend und deswegen haben wir
auch gedacht, wir müssen dich unbedingt einladen, weil es sehr unterschiedliche
Ebenen miteinander verbindet.
Das verbindet einmal so ein philosophisches Denken, dann natürlich ein ökonomisches
Denken, aber dann auch wie so eine Spurensuche eben in den Tiefen der Finanzbürokratie.
Und wir haben heute den Anspruch, das auch so ein bisschen aufzudröseln.
Fangen wir mit den Grundlagen an. Du sprichst davon, dass eigentlich sozusagen
dein politisch-philosophischer Ansatz Freiheit als Nichtbeherrschung ist.
Kannst du das ein bisschen ausführen?
Philippa Sigl-Glöckner
Für mich hat das politische Denken oder was ich dachte, dass wir in der Welt
alle wollen sollten, angefangen mit diesem Freiheitsgedanken.
Das fand ich so als junge Erwachsene ziemlich nachvollziehbar, dass man da hin möchte.
Gerade wenn man ein freiheitsliebender junger Mensch ist, dann hält man das
für ein gutes politisches Ziel.
Dann hatte ich aber im Studium sehr große Herausforderungen,
damit diesen Freiheitsbegriff sinnvoll auszufüllen.
Gerade wenn man jetzt nicht über Situationen in Entwicklungsländern nachdenkt,
da ist es irgendwie ziemlich klar.
Also genug zu essen, vernünftige Gesundheitsversorgung und Schulbildung.
Ist ziemlich eindeutig freiheitsbefördernd, sondern wenn man über die Situation
bei uns nachdenkt, dann ist es ein bisschen komplizierter.
Und dann, wenn man sich einfach konkret vorstellt, Leute im Alltag,
was schränkt die eigentlich ein?
Dann ist es ja nicht unbedingt, dass es nicht theoretisch ein Bildungssystem
gibt, das ihnen kostenfrei zur Verfügung steht, sondern dann sind es irgendwie andere Faktoren.
Und wenn man dann mal ganz banal in den Alltag zurückgeht, ist es meistens eigentlich
so, dass die Leute ein Problem haben mit entweder, dass sie nicht genug Geld
verdienen oder dass die Wohnung zu teuer ist oder dass sie keinen guten Job
finden oder überhaupt keine Wohnung finden.
Und dann habe ich darüber nachgedacht, okay, gibt es nicht irgendein Freiheitskonzept,
das versucht diese Machtpositionen in der Gesellschaft, weil das ist ja ungefähr,
also der eine hat ganz viele Wohnungen, der andere kriegt keine,
der eine hat Jobs anzubieten, der andere kriegt keine.
Ein Freiheitskonzept, das das abbildet.
Und dann bin ich bei Philipp Petit gelandet, der dieses Konzept der Freiheit
als Nichtbeherrschung aufmacht und sagt, Freiheit ist eben, wenn dich kein anderer kontrollieren kann.
Und dann dachte ich mir das erste Mal, ah, das passt ziemlich gut zu der Situation,
die man eigentlich am intuitivsten im Kopf hat, wenn wir über unsere Gesellschaft hier nachdenken.
Jan Wetzel
Also Ungleichheit als Ausübung von ökonomischer Macht eigentlich im Kern.
Philippa Sigl-Glöckner
Genau, aber ich fand es auch da spannend, weil ich mir auch mit dem Ungleichheitsbegriff
immer schwer getan habe, weil Ungleichheit von was und wieso ist das so ein Problem?
Problem, aber wenn du es so siehst, ja, du bist unter der Knute des anderen,
dann verstehen wir alle intuitiv ziemlich gut, wieso es ein Problem ist.
Und deswegen fand ich diese Zusammenbringung des materiellen Begriffs und des
Freiheitsbegriffs sehr elegant und sehr gut auf das passend,
was Menschen tatsächlich ausmacht.
Leo Schwarz
Es gibt ja da diese ganz klassische Unterscheidung von negativer und positiver
Freiheit von Isaiah Berlin.
Das klingt jetzt erstmal, Freiheit als Nichtbeherrschung heißt eigentlich ja
vor allem Abwesenheit von Zwang und nicht unbedingt Freiheit zu, oder?
Philippa Sigl-Glöckner
Es ist schon noch mehr, weil...
Dieses Konzept von negativer und positiver Freiheit geht meiner Ansicht nach
einfach gar nicht darauf ein, worüber in diesem Freiheitskonzept gesprochen
wird, weil es ist ja einfach negative Freiheit, die Freiheit unter der Brücke
zu sitzen, niemand hält dich davon ab,
spart dieses komplette Machtfeld komplett aus. Aber genauso positive Freiheit,
weil es auch nur aufs Individuum geht und sagt, hast du irgendwie die Schulbildung,
um vernünftig lesen zu können.
Also was mir da fehlte, war eben dieses gesellschaftliche Konzept oder das Verhältnis
zwischen dir und mir, was meiner Ansicht nach heute sehr viel unsere Handlungsoptionen bestimmt.
Und deswegen ist es, glaube ich, nicht zureichend. Es gibt aber Leute,
die argumentieren, dass man von dem einen zum anderen Konzept kommen kann.
Vielleicht letzter Gedanke dazu. Ich glaube, viele dieser Konzepte kann man
die eine oder andere Richtung ziehen.
Die Frage ist, welches ist eine gute Linse, um die Welt heute anzugucken und sagt ihr viel.
Also was auch immer in Frage gestellt wird, ob das nicht vielleicht sogar das
Gleiche ist, ist eben Sens Ansatz von Freiheit zu Fähigkeiten,
die man erwirbt. Und wenn man bei Zen genauer reinguckt, dann kann man mit seinem
Konzept eigentlich fast alles erklären, weil es ein sehr flexibler Baukasten ist.
Aber die Frage ist, hilft dir sein Ansatz, um rauszufinden, was hier schiefläuft?
Da finde ich eben, dass dieser Fokus auf Macht ein bisschen mehr hilft,
als auf alle möglichen Fähigkeiten, die man erwerben kann oder nicht.
Jan Wetzel
Wenn man sozusagen vom philosophischen Weggehen in die wirtschaftliche Realität,
dann ist glaube ich schon der Kern und das heißt glaube ich auch das erste Kapitel
von dem Buch, it's the jobs stupid,
also die Jobs und die Arbeit stehen im Zentrum.
Ich würde sagen, das ist natürlich überhaupt gerade ein Shift in der Debatte.
Man hatte lange Zeit, wo man auch über das bedingungslose Grundeinkommen und
sowas diskutiert hat und gesagt hat, Und eigentlich, also zumindest aus linker Seite,
ist diese Erwerbsarbeit, es sollte nicht mehr das sein, über das sozusagen alles
diskutiert wird und laufen muss an sozusagen Verteilung.
Du sagst jetzt doch, es sind die Jobs und um die muss es gehen. Warum?
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, wenn man dann von diesem Freiheitskonzept ausgeht und sagt,
wir sollten versuchen zu verhindern, dass der eine den anderen kontrollieren kann,
dann kommt man ziemlich schnell bei Jobs raus, weil es die Art ist,
wie du selbst für dein Erwerbseinkommen sorgen, für dein Einkommen sorgen kannst,
ohne dass du von jemand anderem abhängig bist.
Also wenn es ein Grundeinkommen gibt, dann bist du ja vom Staat abhängig, dass er es dir austeilt.
Ziemlich ordentliche Abhängigkeit. Wenn du selbst es dir erwerben kannst,
auch über einen Marktmechanismus, der nicht vom Staat kontrolliert ist,
dann ist es meiner Ansicht nach sehr viel besser zur Machtreduktion. Und das ist das eine.
Und dann das andere ist, und da bin ich sicher aus gutem Grund Sozialdemokratin, dass ich schon glaube,
dass Arbeit unter den richtigen Umständen und wenn sie so dem entspricht,
wie wir als Menschen sind, wir sind soziale Wesen zum Beispiel,
die meisten von uns wollen gerne einen wie auch immer gearteten Sinn im Leben verfolgen,
dass Arbeit für uns Menschen nicht so schlecht ist und uns durchaus hilft,
ein sinnstiftendes, erfüllendes Leben. zu führen.
Jan Wetzel
Wir hatten jetzt in der letzten Sendung über die Arbeitsbedingungen von Migranten
gesprochen, wo das auch, also da war ein bisschen die Kritik,
dass auch da gesagt wird, die Arbeit ist die Integration und deswegen sollen
diese Leute auch in die Jobs kommen.
Die Kritik war, dass es aber natürlich meistens dann um Arbeit,
um jeden Preis geht und die Bedingungen natürlich miserabel sind,
die Leute da verheizt werden.
Darum geht es ja bei dir, aber nicht.
Philippa Sigl-Glöckner
Ganz im Gegenteil, also was ich versuche aufzuzeichnen im Buch ist, zu sagen,
also wir müssen nochmal ein bisschen schärfen, wo wir eigentlich hinwollen,
was ist unser Ziel und einfach nur Wirtschaftswachstum ist ein bisschen zu wenig
oder einfach nur Jobs ist ein bisschen zu wenig,
sondern ist es dann gut, wenn jeder vom eigenen Job gut leben kann,
das ist das eine und das andere ist, wenn man den eben auch gerne und halbwegs freiwillig macht.
Also wenn ich den nur unter Zwang mache, weil ich sonst nichts zu fressen habe
morgen und keinen anderen bekomme, dann hat das wahrscheinlich wenig mit Freiheit zu tun.
Deswegen wäre das genau eine Stelle, wo, wenn man nach dem Raster durchgeht,
sagen würde, das ist noch nicht gut, da müssen wir besser werden.
Jan Wetzel
Also es geht nicht um Jobs, sondern um gute Jobs.
Philippa Sigl-Glöckner
Es geht um gute Jobs und um Jobs, von denen man nicht einseitig abhängig ist.
Ich glaube, das ist echt nochmal ein zweites Element, was einen Riesenunterschied
macht, weil selbst wenn du deinen Job gerne machst, wenn du weißt,
du brauchst unbedingt diesen einen Job und ansonsten wird es ganz schrecklich,
wenn du morgen rausgeschmissen hast, keine Chance,
baut es einen unglaublichen Druck auf und deswegen sind, glaube ich,
diese Symmetrien, man kann woanders einen Job finden, man kann sich halbwegs
mit seinem Arbeitgeber auf Augenhöhe in die Augen gucken, das ist echt wichtig.
Jan Wetzel
Ja, wir gucken mal, wie wir sozusagen zu der Schuldenbremse kommen.
Das kann man nämlich dazu sagen, es ist ein gut geschriebenes Buch,
leicht verständlich geschrieben, aber ab und zu merkt man dann auch,
dass das auch trotzdem alles sehr kompliziert ist.
Also das müssen wir mal gucken, aber das im Gespräch hinkriegen.
So das Kernelement, warum es auch um die Jobs geht und ich versuche sozusagen
in meinen Worten erstmal zu beschreiben und auch das machst du immer wieder deutlich,
dass dieses Druckmittel im Arbeitsmarkt die Arbeitslosigkeit ist,
von der Marx natürlich bekanntermaßen sagt, dass sie eigentlich unvermeidlich ist.
Jetzt ist dein Grundgedanke, dass sie nicht nur sozusagen vermeidlich ist,
sondern dass sie notwendig ist in dem aktuellen ökonomischen Denken.
Vielleicht kannst du das so ein bisschen entfalten.
Philippa Sigl-Glöckner
Also da muss man, glaube ich, einen Schritt zurückgehen, ein bisschen die Theorie
dahinter erklären Und dann kommt man zu dem aktuellen Rahmen raus und sieht,
wieso der echt problematisch ist, wenn man denkt, dass Arbeit eine gute Sache
ist und eine Chance auf Arbeit für alle eine gute Sache ist.
Vielleicht erstmal zu, wie Finanzpolitik oder wie das überhaupt da reinkommt,
wie das alles zusammenhängt.
Die eine Sache ist ja, ob ich selbst für einen Job gut ausgerüstet bin und Bildung habe.
Die andere Sache ist, ob es einfach Jobs in der Wirtschaft gibt.
Und wie viele Jobs es in der Wirtschaft gibt, hängt ein bisschen davon ab,
wie viel Geld in der Wirtschaft rumfließt.
Wollen wir alle gerade viel kaufen, dann gibt es wahrscheinlich viele Jobs, wollen wir alle sparen.
Dann gibt es eher wenige Jobs, weil die Unternehmen niemand brauchen, der für sie arbeitet.
Und das ist ein ziemlich entscheidender Mechanismus.
So und jetzt gab es in der Geschichte unterschiedliche politische Herangehenweisen,
wie man gesagt hat, dass man mit diesem Mechanismus umgeht.
Und nach Keynes zufolge hat man mal gesagt, ah, das ist ja eigentlich super,
weil der Staat kann, indem er dafür sorgt, dass genug Geld in der Wirtschaft
unterwegs ist, dafür sorgen, dass wir Vollbeschäftigung haben,
dass es eben Jobs für alle gibt.
Eigentlich sehr schön, lasst uns das machen. So, dann hat man nicht so gute
Erfahrungen mit Inflation gemacht, wobei es, glaube ich, wichtig ist zu betonen,
dass das in Deutschland eigentlich weniger das Problem war.
Reden wir eher über die USA und über Großbritannien.
Und hat gemerkt,
Wenn Beschäftigte eine sehr starke Position im Arbeitsmarkt haben,
das kam gar nicht alleine durch die Finanzpolitik, sondern auch noch durch Gewerkschaften
etc., dann können die ja ihre Löhne sehr gut hoch verhandeln,
weil sie eben keine Sorge haben, dass sie arbeitslos werden und kriegen wahrscheinlich
sogar Lohnabschlüsse hin, die über der Inflation liegen.
So und wenn die Löhne die ganze Zeit hochgehen, dann führt das dazu,
dass die Kosten der Unternehmen hochgehen,
dann erhöhen die wieder die Preise, dann sind die Beschäftigten wieder unzufrieden
mit ihren Löhnen und verhandeln die hoch und dann kommt es zu dieser in Deutschland
berühmt berüchtigten Lohnpreisspirale.
Jan Wetzel
Auch dann die Überhitzung, wird dann auch mal gesagt.
Philippa Sigl-Glöckner
Genau, das ist die Überhitzung der Wirtschaft und diese Idee,
dass man eine fortlaufende Inflation hat.
Das ist eine Gefahr, kann eine Gefahr sein in bestimmten Konstellationen.
Das Interessante ist, dass sie in der deutschen Geschichte fast keine Rolle gespielt hat.
Aber wir trotzdem unsere Finanzpolitik so ausgerichtet haben,
dass sie vor allem dazu da ist, diese Lohnpreisspirale zu verhindern.
Jetzt sagt man nämlich, okay, wir wollen das nicht haben, also brauchen wir
immer einen gewissen Sockel an Arbeitslosigkeit.
Weil dann der Beschäftigte in
seiner Lohnverhandlung etwas zurückhaltender auftritt, weil er immer weiß,
er hat ja die Arbeitslosen im Hintergrund und wenn er zu viel fordert,
dann wird er rausgeworfen, wird durch eine billigere Arbeitskraft ersetzt.
Eigentlich ein ziemlich schreckliches Bild, dass es diesen Druck der Elenden
im Hintergrund braucht und das ist tatsächlich mit der Schuldenbremse,
die die deutsche Finanzpolitik heute reguliert,
in eine Verfassungsregel gegossen worden.
Die Schuldenbremse sagt, die Bundesregierung muss anfangen zu sparen,
wenn eben ein gewisser Sockel an Arbeitslosigkeit unterschritten wurde,
weil es dann Inflationsgefahr gibt.
Und ich finde, wenn man sowas macht, dann braucht man einen sehr guten Grund
dafür. Da muss man wirklich wissen, dass es unter diesem Sockel ein großes Problem
gibt, muss wissenschaftlich alles gut belegt sein, dass das tatsächlich das
ist, auf das wir unsere Finanzpolitik ausrichten wollen.
Und da kommen wir sicher gleich noch ein bisschen drauf.
Das kann man so einfach nicht sagen.
Jan Wetzel
Auch das war nochmal so eine Erkenntnis oder wäre jetzt auch die Frage,
das steht dort auch im Gesetz, weil in der politischen Kommunikation sagt natürlich
niemand, wir brauchen diese Arbeitslosen, weil dann ist man natürlich geliefert
als Partei oder es ist doch letzten Endes die Grundlage?
Philippa Sigl-Glöckner
Also das ist wirklich spannend, das ist nicht nur so, dass die Politik es nicht
sagt, sondern mein Eindruck ist, dass sie es großen Teils nicht weiß.
Da hatte ich schon ganz absurde Situationen mit Politikerinnen und Politikern,
indem man sagt, du stehst hier für die Schuldenbremse und gleichzeitig sagst du gute Jobs.
Ist das nicht ein bisschen bigott, weil das einfach unmöglich ist damit?
Das wissen die gar nicht. Die Schuldenbremse wurde zwei neunmal verabschiedet
und wie dann genau die Rechenmechaniken da drinnen funktionieren,
das hat keiner so ganz genau auf dem Schirm.
Es steht nicht im Grundgesetz drin, dass wir Arbeitslose brauchen,
sollte man schon dazu sagen.
Es ist der Mechanismus im Grundgesetz angelegt und dann werden diese weiteren
Regeln ausdifferenziert in einem einfachen Gesetz, in der Verordnung und in Excel-Spreadsheets.
Allerdings ist schwer zu sehen, wie es anders gehen sollte, weil es sonst auch
noch anderen Logiken, die in der Schuldenbremse angelegt sind, widersprechen würde.
Also so wie die Schuldenbremse 2.9 verabschiedet wurde, war das ganz klar beabsichtigt
und steht bis heute da drin.
Leo Schwarz
Du zitierst ja auch die industrielle Reservearmee von Marx.
Im Grunde ist das ja dann eine Festschreibung, eine gewollte industrielle Reservearmee, buchstäblich.
Philippa Sigl-Glöckner
Es ist total faszinierend, weil Marx hat dieses sehr negative Bild des Kapitalismus.
Wir haben es heute eigentlich abgelegt und sagen, Kapitalismus ist gut,
aber wir schreiben Marx negatives Bild.
Wir brauchen immer diese industrielle Reservearmee, die schreiben wir da fix rein. Also zutiefst.
Eigentlich ziemlich skurril.
Jan Wetzel
So ein bisschen ist es natürlich auch, also auch das war, gerade natürlich,
wenn man nicht Wirtschaft studiert hat, war das nochmal so eine Erkenntnis,
dass das natürlich auch letzten Endes die Zusammenhänge sind,
die natürlich in der ökonomischen Theorie diskutiert werden.
Also das, was du sagst, was den Politikern nicht klar ist, dass wenn es um Sparen
geht, dann geht es eben um Arbeitslosigkeit.
Also weil sozusagen über die Arbeitslosigkeit eben die Wirtschaft letzten Endes
an der Stelle gesteuert wird.
Und da ist sozusagen überall so Versatzstücke von ökonomischer Theorie auch drin.
Aber würdest du auch sagen, dass das so ein undurchsichtiges Mischmasch auch
ist von eben von ökonomischen Ideen, die dann auch zum Teil wieder ihr Eigenleben entwickeln?
Und also ich hatte, um den Hintergrund vielleicht noch zu sagen,
beim Lesen jetzt nicht den Eindruck, was man ja auch manchmal von einer linken Kritik hört,
dass da diese Theorie sozusagen über allem steht und alle sozusagen blind dieser
Theorie folgen, sondern es ist eigentlich sehr kompliziert, weil an bestimmten
Momenten, wo politisch Sachen entschieden wurden,
da kann dann so eine ökonomische Theorie wirken, manchmal auch nur ein einzelnes Paper.
Aber an manchen Stellen ist aber dann auch ganz eindeutig eine politische Eigenlogik,
die dann mit der Theorie gar nichts mehr zu tun hat.
Und auch darauf kommen wir ja sicherlich noch drauf. Heute sagt kein Ökonom
mehr eigentlich, was die Schuldenbremse vorschreibt.
Also vielleicht kannst du allgemein so ein bisschen was zu diesem Verhältnis
von ökonomischer Theorie und diesen politischen Prozessen sagen.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, vielen Dank für die sehr spannende Frage.
Das war tatsächlich, glaube ich, eine der Fragen, zu der ich am meisten Erkenntnisfortschritt
im Lauf des Schreibens gemacht habe, weil tatsächlich das immer gesagt wird.
Wir haben ja diese neoliberale Theorie, die da oben steht und die ganz schreckliche
Dinge sagt und die wurde damit ins Gesetz gegossen und damit ist irgendwie der
Sieg der Bösen besiegelt.
Und deswegen ist auch klar, dass die das nie aufheben wollen,
weil hier das Kapital will die Arbeiterseite runterdrücken.
Und wenn man sich so die Geschichte der Schuldenregeln anguckt,
also Schuldenbremse im Spezifischen, aber dann gibt es ja noch weitere aus Europa.
Dann hat sich das für mich wirklich nicht bestätigt, dass es so gelaufen ist
oder dass der zentrale Treiber ist, sondern wie du sagst, die Theorie wird in
bestimmten historischen Momenten genutzt, um Dinge zu rechtfertigen.
Aber oft gibt es da auch ganz abstruse Verquickungen, dass man eine Theorie nutzt,
deren ursprünglichen Zweck und auch legitimen Gebrauchsraum man eigentlich aufgegeben
hat, die total entfremdet ist, die man dann in Formeln nochmal in was anderes
übersetzt und am Ende weiß keiner mehr, was wie zusammengehört.
Und es ergibt eigentlich in sich schon gar keinen Sinn mehr.
Was viel, viel stärker ist als die Theorie, sind politische Dynamiken.
Also du hast eigentlich immer das Problem, sobald Schuldenregeln anfangen,
gesetzt zu werden, dass ein Minister eine alte Schuldenregel nicht einhalten kann.
Dann braucht er eine neue, um trotzdem in der Öffentlichkeit so auszusehen, als würde er gut sparen.
Dann gibt es irgendwelche Werte, die mal in den Raum geworfen wurden.
Dann gibt es eine politische Verhandlung und dann wird eine Zahl aus dem Hut gezogen.
Das sind eigentlich die Dynamiken, die am Ende bestimmen, wie diese Regeln ausgucken.
Also ich bin heute sehr skeptisch, wenn man sagt, das ist alles Theorie getrieben
und glaube, es ist viel mehr politische Eigendynamik.
Was auch ein Grund ist, wieso ich Schuldenregeln eigentlich noch gefährlicher finde.
Jetzt als bevor ich das Buch geschrieben habe, weil sie diese Eigendynamik entwickeln,
die sich komplett loslöst von allen Begründungen.
Jan Wetzel
Also vielleicht kommen wir da jetzt auch drauf. Was waren sozusagen die Situationen,
die dann zu dem geführt haben, was heute ist?
Weil auch das machst du gut im Buch, da diese verschiedenen Momente nochmal aufzuzeichnen.
Es ist natürlich gerade, wenn man ein bisschen jünger ist, auch interessant,
weil man dann bei manchen Sachen weiß, okay, da war ich noch gar nicht geboren
oder war ein kleines Kind.
Bei manchen Sachen, die dann so vor zehn Jahren gelaufen sind ungefähr oder
zehn, zwölf, dreizehn Jahren, da hat man das eigentlich schon mitbekommen,
aber sieht natürlich nicht die historische Tragweite dessen.
Hat vielleicht auch damals niemand gesehen, aber man merkt auch,
es ist auch einfach nochmal ein bisschen Gesellschaftsgeschichte, Geschichte der BRD,
die du da aufschreibst und die dann am Ende eben zu dieser, wie du schon gesagt
hast, eigentlich einer Situation geführt hat, wo das alles in Kraft ist und
unheimlich wirksam ist, aber niemand genau weiß, wie es eigentlich entstanden ist.
Genau, vielleicht können wir da sozusagen so ein paar von den historischen Momenten
nochmal darauf eingehen, insbesondere wie diese 3% und diese 60% und so weiter entstanden sind.
Ich weiß nicht, ob es da so einen Punkt gibt, wo man anfangen kann,
an dem dieses Problem von Schulden politisch virulent wird.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, da kann man, glaube ich, ganz gut anfangen bei dem Beginn der europäischen
Verhandlungen zu Maastricht.
Vielleicht muss man sogar noch mal einen Schritt weiter in der Geschichte zurückgehen,
weil dieses Thema Schulden in Deutschland ja nicht neu ist.
Also Schulden wurden schon lange schlecht gefunden, auch sozialdemokratische
Finanzminister fanden Schulden blöd.
Aber man merkt, dass mit der Einführung der europäischen Schuldenregeln Anfang
der 90er Jahre sich die Dynamik komplett verändert.
Das ist spannend. Also vorher redet man darüber, dass Schulden ganz schlecht
sind und am Ende macht trotzdem jeder, was er will.
Also die von Kohl geführte schwarz-gelbe Regierung nutzt am Ende Spielräume,
finanzielle Spielräume, die sie hat, nicht um Schulden abzubauen,
sondern um Steuern zu senken.
Also da ist eigentlich, ja jeder sagt immer, Schulden sind ganz schlimm und
dann am Ende machen sie politisch, was sie eigentlich vorhaben.
Jan Wetzel
Und das ist glaube ich dann auch noch wichtig, weil es eben dann um die europäische Integration geht.
Man kann auch sagen, dass einfach, wenn man jetzt über Europa spricht,
auch jedes Land das einfach irgendwie gemacht hat mit seiner eigenen Geschichte,
was so die Rolle der Zentralbanken angeht und so weiter.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, also ich denke schon, dass es da eine engere Verknüpfung gab,
als das zumindest mir so vorher bewusst war oder als jemand,
der auch 1990 geboren ist,
weil diese Wechselkurse der einzelnen Länder irgendwie vernünftig im Verhältnis
zu halten, ganz schön schwierig war.
Also da ist ganz schön viel Koordination davor passiert.
Wenn wir uns das so vorstellen, als gäbe es Anfang der 90er Jahre so eine Klippe,
vorher gab es keine Koordination und danach ganz viel, das ist glaube ich überzeichnet.
Aber klar, Länder hatten da souveräne Politik, jeder hat das ein bisschen gemacht,
wie er wollte und dann hat man versucht, in einem so relativ abstrusen Gremium zu arbeiten.
Von dem ich vorher noch nicht wahnsinnig viel gehört habe. Der Währungsausschuss
hat man versucht, das in Europa zu ordnen und klar zu kommen.
Jan Wetzel
Also im Vorfeld der Verhandlungen dann oder 1990 war das dann?
Philippa Sigl-Glöckner
Genau, bis dahin. Und dann kommt die Einführung der Gemeinschaftswährung,
die für Deutschland ja ein Riesenschritt war und durch Kohl sehr stark vorangetrieben
wurde, der dann auch immer wieder gebetsmühlenartig sagen musste, wieso das gut ist.
Das war wirklich interessant, weil ich glaube, das war ein politisches Projekt,
wo er auch durchaus gegen Ökonomen argumentiert hat und gesagt hat,
das ist jetzt einfach richtig, das machen wir.
Und im Zuge dieser bevorstehenden Währungsunion gibt es dann Gespräche zu Schuldenregeln,
die man braucht. Und das ist an sich auch richtig.
Also wenn man eine gemeinsame Währung hat, sich zu vereinbaren,
wie man mit der umgeht und wenn man Staatsschulden ausgibt, ist das nicht so
ganz anders, wie wenn man Geld druckt.
Das hat durchaus eine Berechtigung.
Nur dann wird es spannend, weil die Frage ist, auf welche Regeln einigt man sich denn?
Und das sind dann hoch dekorierte Technokraten, die da zusammensitzen im Raum
und man denkt sich, die denken sich irgendwas ganz Kluges aus.
Am Ende kommen zwei Zahlen raus.
Ein 3% Defizit, also jährliche Neuverschuldung darf nicht über 3% liegen.
Wobei man da auch gleich wieder zwei Sternchen dran machen kann,
weil die Formulierung viel komplizierter ist. und die Schuldenquote,
Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung dürfen nicht über 60 Prozent liegen.
Die Geschichte der drei Prozent ist mittlerweile recht bekannt durch einen FATS-Artikel.
Super witzig, weil zeigt eigentlich, wie solche Regeln zustande kommen.
Mitterrand hatte zu viele Versprechen abgegeben im Wahlkampf.
Ihm ist irgendwann klar geworden, das kann er nicht erfüllen.
Und dann hat er seine Fachbeamten in Frankreich instruiert, ihm bitte eine Regel
aufzuschreiben, die irgendwie plausibel wirkt.
War am Ende alles zu kompliziert. Dann haben sie gesagt, 2% Defizit ist zu schwierig,
4% sieht zu lasch aus, machen wir mal 3%.
So kam die französische Fiskalregel zustande und dann hat Trichet das nach Europa
mitgenommen, hat es da vorgeschlagen und interessanterweise war es dann gar
nicht so einfach das durchzukriegen, weil die Engländer,
konservative Regierung, die gerade Thatcher abgelegt hat.
Ganz stark dagegen waren, weil sie gesagt haben, viel zu streng.
3% Defizit, wer heute die deutsche Debatte mitbekommt, hat den Eindruck,
3% Defizit ist das Ende der Welt, fanden die Engländer damals nicht mitgeber.
Und dann gibt es noch diese 60% Schuldenquote, die ich noch spannender fand,
weil wir heute in der deutschen Debatte, glaube ich, merken, wie wichtig die ist.
Jeder Finanzminister sagt in jeder Pressekonferenz, wo er im Verhältnis zu diesen 60% steht.
Da habe ich tatsächlich sehr, sehr lange gesucht in den Protokollen,
um überhaupt zu finden, wo die herkamen.
Und eigentlich findet man immer nur Aussagen zu, wieso die Schuldenquote an
sich nicht sinnvoll ist und dass man sowieso keine einheitliche Zahl draufsetzen kann.
Und dann kommt irgendwann aus so einem Nebengremium diese Zahl raus und man
sagt aber auch eigentlich, wir können die nur abgeben, wenn wir wissen,
dass sie eine vorläufige Zahl ist und dass sie nicht so hart binden wird.
Weil eigentlich sagt sie nichts aus.
Jan Wetzel
Das wäre auch die Frage, wie ihr euch da auf die Spur begeben habt.
Also im Buch kann man das auch so ein bisschen nachvollziehen,
dass das wirklich so eine Spurensuche war.
Das ist jetzt eine blöde Frage, aber wie fühlt man sich da auch?
Also wenn man da wirklich auf die Spuren geht und dann irgendwann merkt,
das hat sich eigentlich niemand so richtig überlegt.
Sondern das ist wirklich, ich meine solche Sitzungen können ja dann auch lange gehen.
Man kennt das auch, dass manchmal aus einer Sitzung was entsteht plötzlich in
der Nacht, wo vorher niemand dran gedacht hat. Also es ist jetzt nicht total
ungewöhnlich, dass sowas passiert, aber wenn das sowas folgenschweres ist,
ist es natürlich merkwürdig.
Verliert man dann erstmal so ein bisschen den Glauben an das System?
Philippa Sigl-Glöckner
Also weil solche Entscheidungen irgendwie mal zustande kommen und sich verselbstständigen,
das ist glaube ich der Grund, wieso ich den Job mache, den ich mache und wieso
ich glaube, dass man was besser machen kann. Das ist ja die Upside des Ganzen.
Man muss gar nicht der schlauste, intelligenteste Mensch der Welt sein oder
die einmalige Idee haben, sondern wenn man rausfindet, wo solche Sachen schiefgegangen
sind und die korrigieren kann, dann ist das ein recht leichter Hebel zur Veränderung.
Trotzdem ist es natürlich so, wenn man sich die Protokolle von damals durchliest
und die Protokolle zu den Maastricht-Verhandlungen sind letzten Herbst rausgekommen,
deswegen war das auch wirklich ein spannender Zeitpunkt, um die anzugucken,
dann fällt man schon ein bisschen vom Stuhl.
Ich bin davon ausgegangen, dass Deutschland sehr stark vertreten hat,
dass wir diese Schuldenquote haben sollen, weil es sehr gut,
da kommen wir zu deiner früheren Frage zur Theorie zurück,
sehr gut zur dominanten Theorie in Deutschland gepasst hat, dem Ordoliberalismus,
dass man sagt, begrenzter Staat, wir wollen eben die Hände binden.
Da gibt es nichts besseres dafür, als mit einer Schuldenregel festlegen,
dass der Staat nicht größer als X sein darf.
Deswegen hatte das für mich alles sehr schön zusammengepasst und dann war es
schon spannend zu sehen in den Protokollen, dass es wenig diskutiert wurde, das Thema.
Die drei Prozent wurden viel mehr diskutiert, weil die ein viel akuteres Problem
waren für einzelne Staaten. Die Schuldenquote war nur für Italien ein Problem.
Wie leichtfertig man darüber hinweggegangen ist. Wenn man dann aber ins Gesetz
guckt, dann denkt man sich auch, war vielleicht gar nicht so schlimm,
weil da gar keine so harte Zahl drin steht, sondern das ist dann erst,
was im historischen Prozess über die Jahre später gekommen ist.
Und da sieht man diese Eigendynamiken und wo man wirklich ansetzen kann,
wenn man sich eben diesen Dynamiken entgegenstellt.
Jan Wetzel
Vielleicht können wir dir auch zumindest noch so ein paar wenige Stationen auch
da nochmal drauf eingehen.
Du hast über die Dynamiken gesprochen, ich fand auch die Situation gut,
die du schilderst, also in welchen Situationen meistens, wenn man jetzt auf
Deutschland blickt natürlich, ja eine bestimmte Schuldenpolitik und eben die Opposition,
die versucht irgendwie Raum gut zu machen und bei der nächsten Wahl dann sich
vielleicht aufzustellen.
Und dass es eigentlich immer sozusagen irgendwo zwischen Regierung und Opposition
dann so ein Spielball geworden ist und man kann das halt irgendwie verkaufen als Opposition.
Hier die Regierung verschuldet sich und zerstört unser Land dadurch auf die nächsten Jahrzehnte.
Also das funktioniert einfach gut und als Opposition kann man das vielleicht
auch immer gut aufgreifen erstmal. Und du machst dann auch so eine interessante
Parallele zwischen Theo Weigel und Christian Lindner.
Kannst du das vielleicht nochmal ein bisschen erzählen, was so diese Situation,
also natürlich im Wesentlichen dann zum Regierungswechsel Schröder,
Rot-Grün, die erste Regierung und dann vielleicht in der aktuellen Situation.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, es ist wirklich interessant, weil so wie viel von der Theorie losgelöst ist,
ist es dann auch von den Parteifarben losgelöst, was die Einstellung einzelner
Parteien zur Schuldenpolitik ist und die SPD verlegt sich eben in den 90er Jahren sehr stark darauf.
Theo Weigel vorzuwerfen, dass er zu viele Schulden macht.
In den 90er Jahren ist eine Situation, in der es sehr schwer ist,
ohne Schulden klarzukommen, weil Theo Weigel die Einheit zu bewältigen hat.
Zum einen müssen viele Menschen in die Sozialsysteme aufgenommen werden,
dann muss ganz viel Infrastruktur aufgebaut werden, das ist wirklich ziemlich
eindrücklich geschildert im Berichten des Sachverständigenrats.
Und dann gibt es natürlich noch die ganzen Ostunternehmen, die dann in der Treuhand
gebündelt werden von denen, wo man am Anfang glaube ich davon ausgegangen ist,
dass da doch noch einiges Werthaltiges auf den Bilanzen ist.
Und dann kommt man langsam auf den Trichter, dass da vielleicht nicht mehr so viel drin steckt.
Und deswegen ist es finanzpolitisch eine sehr, sehr große Herausforderung.
Wenn man sich ungefähr anguckt, wie viel Geld für die Einheit aufgewandt wurde,
dann waren das damals so ungefähr 100 Milliarden Mark,
was nicht ganz anders ist als heute 100 Milliarden Euro.
Und da sind wir ungefähr in der Größenordnung, wenn wir angucken,
was seit 2019 passiert ist.
Das letzte Jahr, glaube ich, wo jeder sagen konnte, hier im Land irgendwie alles
normal, keine besonders großen Herausforderungen.
Wir hatten keine Pandemie, keine Pandemieschäden.
Wir hatten keinen Krieg.
Klimaschutzbemühungen waren auch noch wesentlich langsamer, weil wir jetzt erst
gemerkt haben, wie nah diese Ziele sind.
Also wenn man das so als Baseline nimmt, dann haben wir heute einen strukturellen
Mehrbedarf von ungefähr 100 Milliarden Euro.
Das ist so eine ganz spannende Parallele und.
Dann guckt man sich an, wie die Finanzminister versucht haben,
das hinzukriegen und wie die Opposition reagiert hat.
Und bei Theo Weigel hat die SPD eigentlich jeden Tag ihm auf den Kopf gehauen,
dass er zu viel Geld ausgibt und dass er jetzt endlich mal sparen muss und dass
er das Geld nicht unter Kontrolle hat.
Und Weigel hat schon Schulden aufgenommen. Der Schuldenstand ist schnell gestiegen
in der Zeit, aber meiner Ansicht nach unzureichend.
Also die wirtschaftliche Trennlinie zwischen Ost und West sieht man heute immer noch.
Viel an Infrastruktur wurde damals nicht so aufgebaut und es sind einfach sehr,
sehr viele Arbeitsplätze verloren gegangen.
Ist heute ganz leicht zu sagen, war damals wahrscheinlich sehr schwer zu machen,
aber ich glaube, es war schon klar, dass man mit angezogener Handbremse gefahren
ist, weil man eben die drei Prozent nicht überschreiten wollte und die 60 Prozent
nicht überschreiten wollte.
Und so ähnlich war es für mich mit Christian Lindner, der schon Geld in die
Hand genommen hat, aber eben nie ausreichend, um der momentanen Lage gerecht zu werden.
Jetzt sind wir ja nochmal ein halbes Jahr, nachdem ich das Buch ungefähr fertig geschrieben habe.
Ich würde sagen, das hat sich noch sehr stark verstärkt, weil er ja komplett
auf einen Sparkurs eingedreht ist.
Und da kann man noch so lange von nominalen Rekordinvestitionen reden,
aber er tut einfach nicht das, was notwendig ist.
Die Bundesregierung tut nicht das, was notwendig ist für dieses Land und das ist,
was so schmerzhaft ist, dass das so auseinander klafft und wenn man sich dann
anguckt, wieso, dann eben, weil man diese Regeln hat, die ziemlich arbiträr
sind und die aber als zentraler Referenzpunkt für nachhaltige Finanzen genommen werden sollen.
Leo Schwarz
Durchaus willkürlichen und historisch zufällig gewordenen Regeln ist natürlich
jetzt auch erstmal eine grundlegende, auch kontroverse Frage,
was ist eigentlich ein Staatshaushalt und wie funktioniert der eigentlich?
Es gibt ja diese berühmte Metapher der schwäbischen Hausfrau,
auch ein bisschen frauenfeindlich wahrscheinlich, aber im Grunde ist das Schöne
an diesem Schuldenverständnis ja eigentlich, dass es so nah am Common Sense
ist, so wie sich ein Haushalt eben Verschuldung vorstellt.
Und jetzt haben wir ja auch schon viele Jahre in den USA diese Modern Monetary Theory Debatten.
Wir haben in Deutschland auch einige Vertreter, Aaron Saath zum Beispiel oder Maurice Hölfkin,
die jetzt auf unterschiedliche Weise auch ganz anders wieder über Staatshaushalte
sprechen und auch einfach den Status von Schulden ganz anders theoretisieren.
Vielleicht kannst du nochmal sagen, was ist für dich eigentlich,
also wo würdest du dich da vielleicht auch in diesem Debattenfeld einordnen
und wie verstehst du Staatsschulden?
Sind die in der Logik der schwäbischen Hausfrau zu verstehen?
Philippa Sigl-Glöckner
Die schwäbische Hausfrau sollte, glaube ich, mal schnell irgendwie durch die
Kauffrau ersetzt werden.
Leo Schwarz
Genau, die schwäbische Kauffrau, gerne.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, das wäre, das ist gar nicht so ein schlechtes Bild, weil,
kurze Klammer, eine Sache, die mich echt immer ärgert, ist, dass dieser Gegensatz
aufgemacht wird zwischen sorgfältig sparsam mit dem Geld umgehen und investieren
und Schulden aufnehmen, wenn es sinnvoll ist.
Und das ist kein Gegensatz, du solltest beides tun als Staat.
Und deswegen ist ein bisschen Schwäbisch immer genau nachgucken,
ob es Sinn macht und aber dann Staatsschulden aufnehmen,
wenn es was Wichtiges zu tun gibt oder wenn die Wirtschaft befeuert werden soll,
wäre das das Richtige.
Wie verorte ich mich im Vergleich zu sowas wie Modern Monetary Theory oder was
ist meine Grundlage zu Staatsverschuldung?
Ich teile die grundsätzliche Erkenntnis, aber das ist auch wie gesagt eine faktische
Erkenntnis und gar nicht jetzt so groß von Theorie aufgeladen,
dass ein Staat, der sich in der eigenen Währung verschuldet,
nicht pleite gehen kann.
Das ist jetzt echt relativ kompliziert auf Europa zu übersetzen und auf Deutschland,
weil die Frage ist, haben wir eine eigene Währung oder nicht.
Ich würde sagen, Deutschland ist ziemlich nah dran an der eigenen Währung,
weil die Eurozone von uns abhängt.
Aber das teile ich mit jemandem wie Maurice, deswegen habe ich da auch nicht so riesengroße Angst.
Wo es, denke ich, etwas komplizierter ist, ist, wir können beim Geld und bei
der Verschuldung und wie wir damit umgehen, nicht so einfach von Institutionen abstrahieren.
Also in Modern Monetary Theory wird oft die Zentralbank und das Finanzministerium
wird in eins geworfen oder man differenziert nicht zwischen den Institutionen und sagt,
wir machen einfach das so als Staat, wie es optimal ist, mit dem Geld umzugehen.
Und das ist, glaube ich, schon ein bisschen komplizierter.
Um jetzt vielleicht das nur an einem Beispiel festzumachen.
Wenn wir sagen, okay, wenn es gerade ein Problem gibt, die Wirtschaft schwach
ist, dann druckt der Staat einfach Geld und gibt zum Beispiel damit Leuten Jobs.
Dann ist das an sich wahrscheinlich eine sinnvolle Therapie oder kann eine sinnvolle Therapie sein.
Das Problem ist, wie verhinderst du das in Situationen, wo das eigentlich nicht
geeignet ist, also wo genug Nachfrage in der Wirtschaft ist,
aber eine Regierung gerne mehr Geld ausgeben möchte, wie verhinderst du es da?
Und deswegen ist es, glaube ich, schon ein bisschen wichtiger,
über die Institutionen nachzudenken.
Es ist auch wichtig, über Staatsschuldenmärkte nachzudenken.
Die sind für jedes Land unterschiedlich. Also deswegen, ich unterscheide mich
glaube ich da nicht so in der Grunddiagnose, aber dann in der Ausführung doch.
Und vielleicht ein letztes bei Modern Monetary Theory ist ja die politische
Konsequenz des Ganzen, dass man eine Arbeitsgarantie einführt.
Also wenn die Wirtschaft gerade nicht genug Jobs anbietet, dann macht das der Staat.
Und das finde ich nicht eine so gelungene Antwort,
weil ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass der Staat sich in seiner Wirtschaftspolitik
tatsächlich darauf konzentriert, eine Wirtschaft hervorzubringen,
die viele gute Jobs anbietet.
Ich glaube nicht, dass es so toll ist, wenn die alle beim Start sind oder wenn
im Start einfach egal ist, was die Unternehmen machen und das kann er mit der
Jobgarantie natürlich relativ einfach machen, kann sagen, wieso,
im Zweifel ist es wurscht, wenn die Unternehmen nichts anbieten,
machen wir es halt. Das ist, glaube ich, zu einfach.
Jan Wetzel
Also es ist doch ein bisschen noch stärker die Erkenntnis, dass es eben ein
positives Verständnis auch von einer wirtschaftlichen Eigendynamik,
die im besten Fall auch sozusagen den meisten Leuten die Jobs gibt und man eigentlich
eher den Rahmen schafft durch das Geld.
Aber das Geld auch mehr ein Mittel ist sozusagen, was man klug einsetzen muss
und aber auf der anderen Seite trotzdem sozusagen die Selbstkontrolle des Staates
wichtig bleibt sozusagen.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, also ich sehe den Markt nicht als grundsätzlich so negativ,
sondern die Frage ist, ob wir ihn so gestalten, wie wir ihn eigentlich haben wollen und,
Das Geld ist das zentrale Instrument und der Markt für Geld ist ja so der ursprünglichste
Markt von allen, wo auch klar wird, dass es nicht alles vom Himmel fällt,
weil wenn wir mal gucken, wie der Markt für Geld aufgesetzt ist,
wie Geld in die Welt kommt, da hat ja an jedem Millimeter der Staat seine Finger drin.
Also das meiste Geld wird über Banken und Bankkredite in die Wirtschaft gebracht
und das ist ein 100% reguliertes Geschäft.
Und deswegen muss man sich sehr viel mehr, glaube ich, über Marktdesign Gedanken
machen, über eben auch das Design von Geld.
Deswegen denke ich, dass sehr viel mehr Handlungsfähigkeit beim Staat da ist, als wir es ausmachen.
Aber ich sehe grundsätzlich andere Mechanismen als die direkte Zuteilung über
den Staat nicht als schlecht an, sondern als gut, um eben eine gewisse Machtverteilung
hinzubekommen. Und ein Markt ist auch gut für manche Dinge, also funktioniert
einfach besser als direkte staatliche Zuteilung.
Jan Wetzel
Kommen wir vielleicht nochmal zu den, also wie diese Regeln genau funktionieren oder wer sie wie nutzt.
Eine Erkenntnis fand ich auch noch interessant, die hast du auch schon so ein
bisschen anklingen lassen, dass natürlich unter der politischen Realität man
doch immer wieder diese Regeln umgehen muss.
Und die an den Stellen, wo es geht, in den Momenten dann doch so in eine Richtung
interpretiert, dass man einfach politische Aufgaben erfüllen kann.
Also das ist ja so eine merkwürdige Kombination.
Einerseits ist man so, unterwirft man sich dem, aber gleichzeitig weiß man auch,
wenn es nicht anders geht, das Sondervermögen ist jetzt in Deutschland das letzte
Beispiel, kann man dann doch Wege finden.
Und dann hat man eben diese schizophrenische Situation, dass man eigentlich
beides weiß Und dann irgendwie sich da so durchwurschtelt.
Auch unter Theo Weigel hast du da Beispiel, wo er schon gesagt hat,
was es dann durch die Interpretation, auch diese Konjunkturelemente und so weiter angeht.
Also kannst du das vielleicht ein bisschen ausführen, wie sozusagen die Realität
an der Schuldenbremse aussieht vor dem Hintergrund von politischen Problemen,
wo dann auch da meistens quer durch die Parteien klar ist, jetzt können wir das nicht einhalten.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, was wirklich spannend ist, dass diese Auswege,
Immer die gleichen sind. Also wenn man heute versuchen wollte,
gut zu verstehen oder vorherzusagen, was wahrscheinlich als nächstes gezogen
wird im Register, dann kann man sich die Geschichte angucken,
das wiederholt sich alles.
Jetzt hatten wir ja zum Beispiel in letzter Zeit so ein bisschen die Fragestellung,
ob die Bundesregierung sich gewisse Dinge zu positiv prognostiziert hat.
Also da ging es glaube ich vor allem ums Wachstumspaket und das war ein Klassiker
aus den 90er Jahren, dass man zu positive Prognosen gemacht hat,
die man dann revidieren musste.
Ein anderer Klassiker ist, dass man Nachtragshaushalte macht,
also dass man einfach gewisse Ausgaben zu niedrig ansetzt und dann den nachbessert
und das also teils drei, vier Mal im Jahr.
Also das kommt sehr oft vor und sind immer wieder die gleichen Mechanismen,
was auch spannend ist. Es wird immer gesagt, es muss jetzt gespart werden und
es kommen immer die gleichen Sachen auf den Tisch.
Es heißt immer, Investitionen dürfen wir auf keinen Fall kürzen.
Subventionen will eigentlich immer jeder kürzen und dann Sozialausgaben kommt ein bisschen drauf an.
Am Ende werden immer Investitionen gekürzt. Das war sogar schon unter Kohl so,
als es noch keine starren Regeln gab, sondern er einfach Spielraum haben wollte, hat er gesagt,
Straßenverteidigung verschieben wir jetzt mal ein bisschen und Subventionen
werden nie gekürzt und dann Sozialausgaben kommt drauf an.
Also es wiederholt sich eigentlich immer alles und auch wieder relativ unabhängig von der Parteifarbe.
Und ja, das ist wieder ein perfektes Beispiel dafür, wie das einfach seine eigenen
Dynamiken entwickelt, die so wenig mit tatsächlicher Politik zu tun haben.
Und um es jetzt vielleicht auch ein bisschen zu unserer heutigen Situation zurückzubringen
oder wieso einem das Gedanken machen kann, auch wenn es im ersten Moment sehr komisch ist, ist.
Weil es zeigt, wie sehr sich Politik festgefahren hat und auch wie wenig sie
ihre eigenen Programme heute eigentlich umsetzen können.
Und wenn jede Partei ungefähr die gleiche Finanzpolitik macht,
dann werden sie große Veränderungen ja kaum machen können in der Gesellschaft,
weil sie das gleiche machen wie ihre Vorgänger.
Und das ist für mich schon ein bisschen eine Erklärung, wieso es großen Verdruss
bei manchen Menschen gibt, weil die Politik eben am Ende die großen Versprechen,
mit denen sie Antritt zu Wahlen nicht einlösen kann und zwar recht unabhängig von der Parteifarbe.
Und dann sagt man am Ende, okay, dann bringen es vielleicht all diese demokratischen
Mitte-Parteien nicht mehr so.
Leo Schwarz
Du beschreibst ja auch diese Schuldenregeln in the long run in deinem Buch auch
als undemokratisch, eigentlich als eine unnötige Selbstbeschneidung und als etwas,
was man eigentlich auch stärker repolitisieren müsste.
Vielleicht kannst du diesen Gedanken nochmal ein bisschen ausführen.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, man sollte die Schuldenpolitik definitiv repolitisieren,
weil sonst wird man immer inkohärente Politik haben.
Also zum Beispiel kann ich ja nicht sagen, als Sozialdemokratie,
ich stehe für Vollbeschäftigung, ich will, dass jeder einen guten Job hat und
gleichzeitig habe ich eine Schuldenregel, die dafür sorgt, dass immer ein paar
Menschen arbeitslos sind,
damit die Leute in ihren Lohnverhandlungen nicht zu kräftig auftreten.
Wenn wir Politik ernst meinen, Veränderungen ernst meinen, dann muss das Geld dem folgen.
Und deswegen, das ist glaube ich der ganz fundamentale Grund,
wieso wir diese Regeln repolitisieren müssen.
Und jetzt, wenn man auch noch konkret reinguckt, dann sind da eben bestimmte
Festlegungen getroffen. Also die Schuldenbremse soll darauf abzielen,
dass die Schuldenquote nicht bei mehr als 60 Prozent liegt.
Okay, wenn wir aber sagen, wir haben heute eine andere Vorstellung und wir wollen
eigentlich ein vernünftig ausgebautes Bildungs- und Betreuungssystem,
wie soll das damit gehen?
Also müssen wir die Diskussion wieder darüber führen, wie groß der Staat eigentlich
sein sollte und was er eigentlich machen sollte.
Dann gibt es noch einen zweiten Grund. Ich glaube, dass es ganz schlecht ist,
wenn Politikerinnen und Politiker sich nicht mehr inhaltlich zu Finanzpolitik äußern müssen,
sondern einfach sagen können, ist ja alles super, ist auch alles nachhaltig,
weil ich die Schuldenbremse einhalte.
Das ist die oberste Aufgabe des Finanzministers, zu erklären,
wieso seine Politik zu dem passt, was man sich als Ziele vorgenommen hat und
wieso es nachhaltig ist.
Und diese Aufgabe sollten ihm ein paar Sätze im Gesetz eigentlich nicht abnehmen.
Jan Wetzel
An der Stelle kommt dann auch immer mal wieder oder auch später im Buch dann
eben die EU ins Spiel, auch die Europäische Kommission, weil man natürlich inzwischen
eine Situation hat, wo auch dort so eine Bürokratie sitzt.
Du sprichst auch von so einer Technopolitik, also wo man eben genau sagt,
solche Entscheidungen sind eigentlich nicht mehr politisch zu begründen,
sondern werden eben durch diese Zahlen letzten Endes beendet sozusagen die Debatten.
Und du machst auch deutlich, dass es aber gleichzeitig auch dieses esoterische
Element da nochmal sehr stark ist, weil wie das dann genau berechnet wird und
wie letzten Endes auch die Freiheiten dann der Staaten sind,
wirklich nur eine Handvoll Leute sozusagen wissen.
Und so ein bisschen, und das wäre die Frage, lese ich da auch nochmal so eine
Kritik raus an, also gerade was eben auf europäischer Ebene,
weil man da eben keine, auch die Gesichter nicht hat.
Also du sagst, es braucht auch Köpfe, die zum Beispiel sowas erklären,
genauso wie das eben dann der Bundesfinanzminister hier machen sollte.
Ist das schon auch so eine Kritik eben von EU-Technokratie oder Technokratie überhaupt?
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, also wenn die breite Öffentlichkeit verstehen würde, was in den europäischen
Schuldenregeln impliziert ist, dann hätten wir sie nicht mehr.
Nicht mal in Deutschland und wir sind hier sehr schuldenregelaffin,
weil da einfach ganz viele Annahmen drinstehen, die so nicht tragbar sind.
Entweder die intellektuell nicht durchdacht sind oder die normativ in eine komplett
andere Richtung gehen als das, was wir uns vorstellen. Unter anderem ist auch
in Europa diese notwendige Arbeitslosigkeit mit reingebacken.
In Europa ist es allerdings viel, viel schwerer, eine gute Lösung zu finden als in Deutschland.
Wir haben ja eine Bundesregierung. Es gibt ja keine Notwendigkeit,
dass wir hier jegliche Finanzpolitik an irgendwelche Formeln outsourcen und
sagen, die müssen das berechnen, sondern wir hätten ein Finanzministerium,
einen Finanzminister, der sich in die Öffentlichkeit stellen kann und das begründen
kann. Wir haben Wahlen, die darüber abstimmen können.
Und in Europa ist das wesentlich schwerer.
Diese Regeln werden im Zusammenspiel zwischen Europäischer Kommission und dem
Rat, also Vertretung der Länder, beschlossen.
Ist so ein komisches Zwitterding aus europäischer Technokratie und was die Nationalstaaten
untereinander verhandeln. Und das ist gar nicht so leicht zu sehen,
wie man das ersetzt, ohne eine vernünftige europäische Regierung zu haben.
Und das ist, was man merkt, diese europäischen Regeln wurden letztes Jahr reformiert,
dass man sich da irre schwer getan hat, weil es eben niemanden gibt,
der mit politischer Legitimation über politische Fragen entscheiden kann und
deswegen muss ich alles berechenbar machen.
Und da mache ich ganz komplizierte Rechenapparate, um es zu verwissenschaftlichen,
damit es die Technokraten lösen können.
Und das sehe ich als sehr, sehr problematisch an, weil es da ja um viel geht.
Also wenn es dann in einem Land nicht läuft und die Infrastruktur verfällt und
dann sagen Wählerinnen und Wähler in dem Land, was ist hier eigentlich los und
wieso können wir hier nicht die Straße bauen oder die Schule bauen,
was offensichtlich sinnvoll ist.
Ah ja, weil da irgendjemand in einem Excel bei der Europäischen Kommission ausgerechnet hat, das X.
Und wenn man da genau reinguckt, trägt das eigentlich alles nicht.
Dann wird das nicht dazu beitragen, dass Europa größere Unterstützung bekommt.
Jan Wetzel
Und ist das sozusagen der böse Wille der EU-Technokraten oder ist das vielleicht
auch so eine Ratlosigkeit, weil eben die Legitimation schwindet ja irgendwie auch spürbar.
Niemand weiß, was eigentlich die EU macht und ist.
Und ich meine, das kann man natürlich auch dazu sagen. Es gab ja mal andere
Pläne, aber die EU hat so ein bisschen an Fahrt verloren.
Der Brexit war, glaube ich, auch nochmal so ein Punkt, dass man sich da auch
ein bisschen, also du hast es ja angedeutet, so ein bisschen zurückzieht und
das so die Alternative jetzt ist, weil politische Dynamik fehlt auf europäischer Ebene.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, als Technokrat hat man eigentlich zwei Optionen.
Entweder man macht das Problem so passend, dass man es selbst mit seinen Mitteln beantworten kann.
Oder man gibt es der Politik zurück und sagt, wir können es nicht beantworten, ihr müsst es lösen.
Und der zweite Weg ist unglaublich schwer, das will die Politik im Zweifel auch
nicht hören. Die will eine Antwort haben.
Und in Europa hat man sich für den ersten Weg entschieden, hat gesagt,
wir bauen euch Formeln, mit denen wir das irgendwie hinkriegen.
Das ist auch wieder da nicht ganz neu. Also seit diese Schuldenregeln eingeführt
wurden, Anfang der 90er Jahre, ist man dann immer hin und her gegangen zwischen
klaren, einfachen Regeln und Flexibilisierung.
Diese Flexibilisierung war dann eigentlich immer über irgendwelche technischen
oder anscheinend technischen Verfahren, die die Technokratie zugeliefert hat,
um wieder politischen Konsens herzukriegen.
Also insofern ist kein ganz neues Schema, dass man sich heute so entschieden
hat, finde ich nicht ganz richtig.
Meiner Ansicht nach sollten die Techniker, die Ökonomen, Ökonomen öfter sagen,
wenn wir einfach was nicht begründen können und sollten der Politik den Job nicht abnehmen.
Aber das ist natürlich auch so ein bisschen Wohlfall, das jetzt hier von der
Seitenlinie zu sagen, ich habe da nicht drin gesteckt in den Prozessen, in der Kommission.
Es gibt einige Stimmen, die gesagt haben, wenn wir das nicht gemacht hätten,
dann hätten wir gar keine Reform bekommen und noch viel schlimmere Regeln und noch viel strengere.
Das ist ein Argument, das man machen kann. Deswegen würde ich mir da jetzt kein
abschließendes Urteil darüber erlauben.
Ich glaube nur, dass es immer schwierig ist, wenn Ökonomen so tun,
als könnten sie was rechtfertigen oder begründen mit wissenschaftlichen Zusammenhängen
und die Theorie gibt es eigentlich nicht her.
Jan Wetzel
Wie kann man sich da überhaupt das Zusammenspiel vorstellen?
Also du hast ja schon gesagt, man muss auf die Institutionen blicken,
dass das ganz wichtig ist und auch das ist bei mir manchmal,
also das kann man auch aus der Medienberichterstattung meistens nicht rekonstruieren,
was sozusagen in der Regierung passiert, was im Finanzministerium passiert,
was dann auf EU-Ebene, was ja nochmal unheimlich kompliziert ist, passiert.
Also ich meine, über euren Think Tank seid ihr da letzten Endes ja in dem Feld
und versucht da zu intervenieren.
Ist das überhaupt klar, wo man da ansetzt oder ist das auch einfach so ein,
was sozusagen aus dem System, ich meine, das ist immer so ein schlechter Begriff,
aber was da dann so rauskommt.
Philippa Sigl-Glöckner
Das ist tatsächlich sehr schwer, wenn es um deutsch-europäische Angelegenheiten geht.
Es gibt natürlich eine formale Aufteilung von Aufgaben, Kompetenzen etc..
Aber oft sind das auch so technische Prozesse, dass es nicht nur darauf ankommt,
wer formal für etwas zuständig ist, sondern wer es auch kann.
Und jetzt zum Beispiel sind diese europäischen Schuldenregeln aus deutscher
Perspektive echt spannend, weil es in der Kommission recht viel Kompetenz dazu gibt.
Die machen das schon länger, auch wenn sie es nicht für die Schuldenregeln genutzt
haben, aber diese Berechnungen können sie gut.
Und wir in Deutschland können die nicht so gut, weil wir unsere Finanzpolitik
nie nach diesen Regeln gemacht haben.
Und dann ist es sehr interessant, aber das wird man jetzt erst sehen,
wenn die erste Berechnungsgeneration sozusagen rauskommt, wer dann am Ende tatsächlich
gerechnet hat und angesagt hat.
Und das zu sezieren, wie das in der Praxis funktioniert, ist interessante Arbeit,
aber lässt sich oft nicht vorab auf dem Papier sagen.
Das ist auch ein weiterer Grund, wieso diese Prozesse manchmal für mich ein
bisschen zu weit weg von der Demokratie sind.
Weil wir eben gar nicht genau verstehen, wer eigentlich rechnet,
auf welcher Grundlage, wer am Ende auch Verantwortung trägt.
Also trägt jetzt Verantwortung für diese Schuldenregeln und deswegen auch für
die Finanzpolitik eigentlich die EU-Kommission.
Oder die Bundesregierung. Was hat das Parlament noch damit zu tun?
Eigentlich ist in Deutschland ja das Parlament dafür zuständig.
Also der Haushalt ist das Königsrecht des Parlaments.
Und das wird dann sehr, sehr kompliziert, da einen guten Durchblick zu haben.
Jan Wetzel
Und das ist aber auch nichts Naturgegebenes, würdest du sagen,
was sozusagen mit der Komplexität moderner Staaten zusammenheckt,
sondern das ist auch was, was man ändern kann.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, wobei das tatsächlich auch nicht einfach ist, weil das ja zu einem gewissen
Grad dem Konstrukt Europa geschuldet ist.
Also wenn wir darüber nachdenken, was wir versuchen zu machen,
dann ist das ja irgendwie ein Staatenbund hinkriegen und wir sind glaube ich
seit Anfang der 90er am überlegen, ob man Souveränität abgeben soll oder nicht.
Anfang der 90er hat man sich tendenziell eher darauf geeinigt,
also dass alle einfach ein bisschen Souveränität reduzieren,
aber sie nicht woanders aufgebaut wird.
Jetzt überlegt man, braucht es nicht einen anderen politischen Körper,
der Entscheidungsmacht hat, damit wir als Europa handlungsfähig sind.
Und das ist meiner Ansicht nach etwas diesem tatsächlich komplexen politischen
Konstrukt geschuldet, wo auch noch Entscheidungen ausstehen.
Trotzdem sollte man es nicht so machen, wie es heute gemacht ist und wir versuchen
immer Dinge vorzuschlagen, die dann möglichst einfach sind.
Also wenn nicht klar ist, dass eine komplexere Lösung oder ein komplexerer Prozess
einen Vorteil bietet, dann sollte man die einfachstmögliche Antwort nehmen,
weil sie dann noch verständlich und zugänglich ist und diskutiert werden kann.
Und diesen Weg hat man definitiv nicht gewählt.
Jan Wetzel
Dann kommen wir zum Ende vielleicht noch darauf, wie es besser geht.
Also dass quasi die Arbeitslosigkeit derzeit zum System gehört,
das haben wir ja schon erörtert.
Eine Sache, die ich auch noch, die kommt bei der Ort, glaube ich,
später noch im Buch, die ich auch nochmal spannend fand, wo man merkt,
es ist auch ein bestimmter Modus von Politik machen, ist, dass du betonst,
dass eigentlich die Schuldenbremse dazu führt, dass man nur reaktiv Politik machen kann.
Also man macht sozusagen keine langfristigen Planungen, wo man mit dem politischen
Ziel anfängt und sich dann überlegt, wie kann ich das in der Zeit umsetzen,
sondern was natürlich auch ein bisschen was damit zu tun hat,
dass die Ausnahmen immer dann greifen, wenn man Notsituationen hat.
Ich musste da auch nochmal an natürlich an die 100 Milliarden für die Bundeswehr
denken, die natürlich dann kommen, wenn der Krieg schon läuft, was natürlich irre ist.
Also vielleicht kannst du zu diesem Modus nochmal sagen, dass man sich dadurch
auch in so eine Situation reingeritten hat, wo man immer nur reagiert und das
ist ja auch ein Eindruck, den man überhaupt in der Politik hat.
Der sich inzwischen, das ist natürlich immer schwierig, wie viel es da wirklich
direkt von der Politik wirkte auf die Gesellschaft,
aber inzwischen auch in der Gesellschaft überhaupt hat, dass man eigentlich
sich niemandem mehr traut, irgendwie sich vorzustellen, wo geht man eigentlich
hin, vor allem nicht in einem positiven Sinne,
Probleme sozusagen zu erkennen und zu sagen, hier können wir hingehen.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, also mit dem Rahmen der Schuldenbremse und die ist wirklich viel lockerer als viele denken, weil,
Ganz wenig im Grundgesetz steht, deswegen kann man auch viel tun,
sind einfach gewisse Dinge vorgegeben und es ist klar, dass die Schuldenbremse,
wenn man sich den Gesetzentwurf anguckt und da sagen die Juristen,
das ist das Wichtige, das muss man sich angucken, um zu verstehen, wo sie hin will,
dass die auf eine begrenzte Staatsgröße hin will.
Also auf einen Staat, der nicht mehr als 60 Prozent der Schulden im Vergleich zum BIP hat.
Und wenn ich jetzt aber plötzlich sage, ich will eine viel größere Armee oder
ich will viel mehr Schulen oder ich will eine öffentliche Infrastruktur ausbauen,
dann geht das eben nicht.
Und dann kann man, bleibt einem nur noch ein Modus, es immer kurzfristig und
überraschend wieder zu machen und zu sagen, ah jetzt ist uns gerade eingefallen,
wir müssen das hier unbedingt tun, dann gibt es eine Notlagenklausel in der
Schuldenbremse, weil selbst,
Bundesregierung 2.9 nicht so.
Illusionär war, dass sie gesagt hat, wir binden uns für jeden Fall auch den
Katastrophenfall die Hände zusammen, das wäre wahrscheinlich verfassungsrechtlich
auch gar nicht gegangen, also darf man für Notlagen eben schon,
in Notlagen schon was tun, aber das führt dann zu einer Finanzpolitik,
die erst reagieren darf, wenn das Haus in der Ahr wegschwimmt,
oder also am verfassungsrechtlich sichersten ist es dann eine Bundeswehr aufzubauen,
wenn uns jemand angreift.
Und das ist natürlich genau das Gegenteil von dem auch, was irgendwie sinnvolle Finanzpolitik ist.
Eigentlich solltest du vorbauen, möglichst den Katastrophenfall,
Schadenfalls verhindern und das können wir heute nicht, sondern wir müssen jedes
Jahr wieder überrascht sein von den großen Ausgaben und dann ist es verfassungsrechtlich okay.
Und das zeigt, glaube ich, wirklich ziemlich komprimiert, wie einfach das momentane
Regelkorsett überhaupt nicht auf das passt.
Was eigentlich so Konsens ist.
Jan Wetzel
Also ich fand, dass diese Umwidmung, die ja, was ist ja auch einer,
und das kommt auch im Buch vor, dass du eigentlich weite Teile schon geschrieben
hattest und dann kommt nochmal so ein Ding rein, was letzten Endes das bestätigt,
dass das Bundesverfassungsgericht diese Umwidmung von 60 Milliarden,
wann das glaube ich, einkassiert hat.
Ich meine, man hat das dann so ein bisschen verkraftet jetzt und vergessen, wie das war.
Aber ich weiß auch noch, dass das so ein Moment war, wo ich dann das erste Mal
so richtig gedacht habe, das kann doch wohl nicht wahr sein.
Also wenn man sich eben nur noch solche Tricks ausdenkt, um Sachen zu finanzieren,
die eben nicht verfassungskonform sind und dann natürlich, also das ist auch
immer mein Gedanke, dann die ganze Arbeit, die man ja gemacht hat,
wo hunderte Bürokraten letzten Endes mit dieser Finanzierung sozusagen Pläne gemacht haben.
Ich habe es auch für die E-Autos gesehen, wo dann die ganze Prämie weggefallen
ist, der ganze Markt ist eingebrochen.
Und das nur, weil man solche faulen Tricks hat, die jederzeit dann einbrechen kann.
Also das verstehe ich auch, warum dann niemand mehr irgendwie Lust hat auf Politik so ein bisschen.
Philippa Sigl-Glöckner
Es führt es halt komplett ad absurdum. Es kann auch kein normaler Mensch mehr
den Bundeshaushalt verstehen.
Also vor dem Urteil war das echt spannend. Da musste man immer so Alternativrechnungen
machen, um rauszufinden, was eigentlich staatliche Defizit ist.
Jan Wetzel
Also sagst du, das ist auch Aufgabe von Leuten eigentlich im Finanzministerium, der Kreative.
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, die müssen ja heute irgendwie klarkommen. Also wie soll das funktionieren?
Ich meine, ein Bundeshaushalt ist irgendwo zwischen 400 ehemals jetzt wahrscheinlich
eher 500 Milliarden groß.
Und da kommen 100 Milliarden oben drauf.
Also ich meine, spar mal aus deinem Alltag entsprechende Summen raus.
Und das ist noch nicht mal knapp bemessen, sondern wir müssten wahrscheinlich,
oder es ist knapp bemessen, wir müssten wahrscheinlich sogar noch mehr tun,
das geht halt einfach nicht und deswegen wird man jetzt versuchen müssen da
so kreativ zu sein, wie es irgendwie geht,
ist auch viel Auslegungsspielraum da. Also Schuldenregeln werden immer enger
in der Öffentlichkeit wahrgenommen, als sie im Gesetz sind. Aber manche Sachen gehen eben nicht.
Und dass wir den Staat langfristig und mit Ansage größer machen,
also zum Beispiel über zehn Jahre ein großes Investitionsprogramm auflegen,
das ist super schwer im momentan gesetzlichen Rahmen zu machen,
weil es eigentlich so nicht angelegt ist.
Und dann fragt man sich, wieso es diesen ganzen Eiertanz gibt und ob sich nicht
kluge Leute eigentlich auf andere Dinge fokussieren sollten,
zum Beispiel diesen Umbau des Landes, anstatt komplexe Regeln zu finden,
mit denen wir Dinge tun, die wir sowieso tun sollten.
Leo Schwarz
Du schreibst ja auch, dass die Schuldenbremse zwar Verfassungsrang hat,
aber die sozusagen die Ausbuchstabierung eigentlich doch im Detail relativ dann
bis zur Excel-Liste geht, also auch in nachgelagerten Regelungen,
gesetzlichen Regelungen, aber dann eben keinen Verfassungsrang mehr haben.
Und bei denen man dann auch nicht die entsprechenden Mehrheiten braucht, um daran was zu rühren.
Wie wird man jetzt diese Schuldenbremse los? Das ist eigentlich die große Frage,
die sich aus all dem ergibt, was du sagst.
Welche Perspektiven gibt es da, um überhaupt eine ganz andere Situation wieder zu schaffen?
Philippa Sigl-Glöckner
Also ich würde tatsächlich von eher einer Reform reden als vom Loswerden,
weil ich glaube, dass es schon gut ist, einen Artikel 115 im Grundgesetz zu
haben. Also da steht die Schuldenbremse drin und wir hatten immer einen Artikel
115, der irgendwas zur Schuldenaufnahme gesagt hat.
Schuldenaufnahme ist ein sehr, sehr mächtiges Instrument, das auch Implikationen
für zukünftige Generationen hat und das sollte schon vernünftig legitimiert sein.
Deswegen würde ich sagen, es geht um die Frage, wie man diesen Artikel 115 heute sinnvoll fasst.
Wie glaube ich, dass man da hinkommt? Ich glaube, man kommt erst dahin,
also politökonomisch gesprochen.
Wenn die Schuldenbremse als politische Waffe nicht mehr so interessant ist.
Das haben wir immer mit den Schuldenregeln erlebt, dass sie deswegen immer strenger
wurden, weil sie von der Opposition strenger gemacht wurden und in der Öffentlichkeit
vor sich hergetragen wurden.
Und momentan ist die Schuldenbremse zum Beispiel für die Union,
obwohl die ganz genauso weiß, dass es nicht aufgehen wird, die Ministerpräsidenten
der Union haben das auch schon ziemlich deutlich gemacht.
Wird die Union auf Bundesebene nichts tun, um die Schuldenbremse zu reformieren,
weil sie einfach weiß, dass sie damit der Bundesregierung ein großes Problem machen kann.
Deswegen, glaube ich, muss man die Schuldenbremse in allen Auslegungsspielräumen
schon so anpassen, dass man möglichst viel damit tun kann.
Und dann hat man irgendwann die Chance auf eine Grundgesetzreform,
wenn man sagen kann, Leute, jetzt können wir so Dinge tun, die sinnvoll sind,
aber es ist saukompliziert, es ist maximal teuer. Die Kurzfristigkeit kostet nämlich richtig Geld.
Wenn ich jedes Jahr wieder mir neu überlege, dass ich die Bahn saniere,
dann wird nie ein Unternehmen seine Kapazitäten aufbauen, wird es nie günstiger.
Also maximal kompliziert, undemokratisch, maximal teuer. Jetzt lasst uns doch
mal wieder eine Schuldenregel bauen, die irgendwie sinnvoll ist und dann,
glaube ich, kann man diesen Artikel 115 anpassen.
Ich bin sehr skeptisch, wenn man einfach darauf hofft, dass es aus irgendeinem
Grund eine breite Mehrheit geben wird.
Man braucht ja eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat,
um die Schuldenbremse zu reformieren.
Wenn wir ganz viel Pech haben nach der nächsten Wahl, werden BSW und AfD ein
Drittel des Bundestags haben oder mehr und dann sowieso erstmal jeder Grundgesetzreform im Weg stehen.
Deswegen ist es so wichtig, da jetzt im Detail reinzugehen.
Jan Wetzel
Und wie würde das im Einzelnen aussehen? Habt ihr das dann auch mal durchbuchstabiert sozusagen?
Philippa Sigl-Glöckner
Ja, da haben wir ein schönes Projekt dazu gemacht, das Anfang September rausgekommen ist.
Also zwei wichtige oder zentrale Ansatzpunkte.
Das eine ist eben, wie unter der Schuldenbremse Verschuldung zugelassen wird,
um die Wirtschaft zu stabilisieren, um dafür zu sorgen, dass genug Jobs da sind.
Das Thema, über das wir am Anfang des Podcasts gesprochen hatten.
Diese Berechnung kann man heute schon ziemlich frei gestalten und verändern,
weil da im Grundgesetz eigentlich gar nichts drinsteht.
Da steht drin, dass bei einer Abweichung von der Normallage,
sich die Regierung mehr oder weniger verschulden darf oder muss.
Die Normallage, das klingt jetzt nach so einem Terminus technicus,
ist ökonomisch nicht definiert.
Das ist kein Begriff, den wir kennen, sondern das muss dann erst in einfachen
Gesetzen übersetzt werden, in ökonomische Theorien, das könnte man heute ändern.
Das wäre das Erste, fände ich, insbesondere eben, wenn man denkt,
dass gute Jobs für alle wichtig sind, ein wichtiges Unterfangen.
Und vor allem könnte man auch sagen, man macht die Verschuldung.
Abhängig davon, was die Politik tut. Wenn ich jetzt Geld ausgebe,
um Kita-Plätze zu schaffen und damit das Arbeitspotenzial erhöhe,
also mehr Arbeitsplätze auch verkraften kann in meiner Wirtschaft,
dann darf ich sie auch länger befeuern und mehr Arbeitsnachfrage kreieren,
als wenn ich jetzt eine Ausgabe mache, die zum Beispiel das Rentenalter auf
40 absenkt und damit ganz viele Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt rauszieht.
Also das wäre das Erste, diese Anpassung an die konjunkturelle Lage zu verändern.
Das kann man heute wunderbar machen.
Mit diesem Mechanismus ist es sehr schwer, Infrastruktur zu finanzieren,
weil es eben jedes Jahr die Verschuldung, die Neuverschuldung sich danach richtet,
wie gut oder schlecht die Wirtschaft läuft. Damit bringe ich keine Konstanz
rein, keine Erwartbarkeit.
Dafür gibt es einen zweiten Mechanismus und zwar werden alle Schulden rausgerechnet
aus der Schuldenbremse, mit denen ein Vermögenswert gekauft wird.
Klassische Idee, der Bund kauft eine Aktie und dann wird das rausgerechnet.
Jetzt kann man sich nur fragen, wieso gilt das nur bei einer Aktie und nicht
bei einer Bahnschiene oder bei einer Investition in die Schule,
die wahrscheinlich einen größeren Return hat, für den Staat offensichtlicher
eine Staatsaufgabe ist.
Und diese Parallelität kann man im Endeffekt herstellen.
Um es kurz zu sagen, der Staat gibt der Bahn einen Kredit, die baut ihre Schienen
und zahlt das über Jahre zurück.
Und so kann man für Konstanz bei Infrastrukturinvestitionen sorgen und kann
ein bisschen über das, was du vorhin beschrieben hattest, diese Kurzfristigkeit,
dieses Adukistische hinwegkommen.
Lass mich vielleicht noch ein letztes sagen. Ich glaube, all diese Dinge sind
gut und wichtig zu machen.
Sie sind sehr, sehr dringlich, um mit der momentanen Lage klar zu kommen.
Aber eine fundamentale Reform sollte für mich wirklich größer sein und die sollte
zu einem gewissen Grad die Ausgestaltung der Schuldenregeln wieder der Politik übergeben.
Wenn wir sagen, wir wollen unbedingt Schuldenregeln haben, in Deutschland alles okay.
Aber wieso sagt man nicht einfach jeder Regierung, dass sie am Anfang ihrer
Legislaturperiode festlegen soll, was ihre Schuldenregel ist und die in der
Öffentlichkeit begründen muss?
Würde genau den entgegensetzten Mechanismus von der Schuldenbremse auslösen.
Die Regierung kann nicht mehr einfach jede Verantwortung von sich weisen,
sagen, das hat die Schuldenbremse gesagt, sondern jede Regierung muss begründen,
wieso ihre Finanzpolitik nachhaltig ist und zu dem passt,
was sie im Wahlkampf vorgeschlagen hat und wäre damit schon mal wesentlich besser
als das, was wir bisher haben.
Jan Wetzel
Also die Forderung ist eigentlich auch nach grundsätzlichen Repolitisierung,
das haben wir ja auch schon immer mal im Gespräch gehabt.
Jetzt sieht es natürlich derzeit irgendwie nicht so aus. Man hat eher das Gefühl,
dass es so Rückzugsgefechte sind in vielen westlichen Demokratien.
Ein Artikel, den wir verlinken, hat Oliver Weber, der auch das Buch mit gelesen
hat, wahrscheinlich gute Anmerkungen gegeben hat, jetzt geschrieben,
wo er sagt, dass auch der politische Diskurs überhaupt über diese liberalen Demokratien so ist,
dass man diese ganzen Probleme anerkennt, aber dann sagt, aber im Großen und
Ganzen wissen wir nicht, was wir anders machen sollen.
Wir machen erstmal so weiter und er steigt in dem Aufsatz auch mit dem Nö des
Kanzlers ein, wo er gefragt wurde, ob er die letzten katastrophalen Wahlergebnisse
für die Sozialdemokratie kommentieren will.
Das ist natürlich Extremfall dann, aber trotzdem hat man den Eindruck,
viele Parteien sind gerade irgendwie so,
dass man die Probleme gar nicht wegredet wirklich,
aber dass man auch nicht irgendwie den Mut hat, wirklich grundsätzlich mal wieder
die Fragen der Gestaltung der Gesellschaft wirklich zu politisieren und dann
eher fast in so eine Trotzhaltung kommt und sagt, man weiß ja gar nicht,
wie man es anders machen soll.
Jetzt bist du Sozialdemokratin, würdest du auch sagen,
das ist vielleicht auch gerade so eine neue Generation oder dass jetzt auch
der Bruch so ein bisschen kommen muss aus dieser Mutlosigkeit,
wenn man quasi da noch was retten oder umlenken möchte?
Philippa Sigl-Glöckner
Vielleicht ganz kurz vielen Dank an Oliver, der war tatsächlich sehr hilfreich.
Muss jetzt anders oder größer gedacht werden oder fundamentaler auf jeden Fall.
Also dass die Sozialdemokratie ihre ökonomischen oder materiellen Grundlagen
wiederentdeckt, das fände ich schon wichtig.
Ich würde ja behaupten, all das, was ich sage, ist gar nicht so radikal.
Es ist sogar ziemlich langweilig und alles schon mal da gewesen.
Es ist halt nur wieder neu zusammengebunden und einmal die drei Lehmschichten
abgekratzt, die sich irgendwie darüber gelegt haben,
sodass man sich eben selbst recht stark entpolitisiert hat, weil man im Endeffekt
die gleiche Wirtschafts- und Finanzpolitik gemacht hat wie andere Parteien und
nicht gemerkt hat, dass es nicht mehr so richtig zusammenpasst zu den Zielen, die wir haben.
Und das grundsätzlicher zu denken ist wichtig, wobei ich glaube,
dass sogar für viele andere Parteien eigentlich diese Finanz- und Wirtschaftspolitik
nicht ganz unpassend wäre.
Aber ja, wir müssen schon wieder die Hebel freilegen, wenn wir wohin kommen wollen.
Leo Schwarz
Dann würde ich gerne auch nochmal eine fundamentale Frage anschließen.
Also was auch dein sozusagen gesellschaftliches Leitbild betrifft,
der Untertitel deines Buches schreibt ja auch die gerechte und nachhaltige Gesellschaft.
Nun scheint dein Bild ja oder das, was dir idealerweise vorschwebt,
doch eben eine Wachstumsökonomie zu sein.
Erstmal eine Wirtschaft, die weiterhin kapitalistisch bleibt,
weiterhin eine bürgerliche Gesellschaft ist, weiterhin, wo die meisten Menschen
Lohnarbeit nachgehen und ihre Arbeit verkaufen müssen.
Und eine, die wahrscheinlich systematisch auf Wachstum angewiesen ist.
Nun haben wir natürlich auch gleichzeitig als sozusagen ultimatives Problem
in diesem Jahrhundert, dass wir die ökologische Frage lösen müssen,
wie optimistisch bist du denn,
dass das mit so einem, ich sag mal vorsichtig, keynesianischen Wachstumsmodell
der Vollbeschäftigung irgendwie zusammenzubringen ist, Weil diese Wirtschaft,
die du beschreibst, die boomt ja eigentlich.
Die geht ja steil nach oben. Die ermöglicht auch natürlich zu Recht viel mehr
Menschen, viel mehr Konsummöglichkeiten.
Also wie geht das zusammen in der Situation der ökologischen Verheerung, die wir gerade haben?
Erleben.
Philippa Sigl-Glöckner
Also ich sehe es von zwei Enden. Das eine ist, ich bin mir nicht sicher,
ob es so ein grundsätzlicher Widerspruch ist,
also zumindest mal unmittelbar für die langen Fristen, da bin ich nicht zuständig,
dafür bin ich zu doof, weil es keinen Grund gibt, wieso wir immer mehr große
Autos produzieren und konsumieren müssen.
Also die wollen wir schon gar nicht konsumieren, die werden nur deswegen konsumiert,
weil es entsprechende staatliche Unterstützung gibt.
Wir haben massiven Mangel in ganz vielen Also wir können wesentlich mehr Pflege
konsumieren, wesentlich mehr Erziehungsleistung, wesentlich mehr Bildungsleistung konsumieren.
Also man könnte schon versuchen eine Umstellung und das wäre meiner Ansicht
nach sinnvoll hinzukriegen auf eine stärker dienstleistungsgetriebene Gesellschaft,
auch soziale Dienstleistung.
Also für mich ist da nicht unbedingt eingebaut, dass man mit maximalem Export
von Industrieprodukten wachsen muss.
Da gibt es ein paar Schwierigkeiten, sowohl im Endstate als auch im Übergang.
Aber wieso wir damit nicht mal anfangen sollten und gucken sollten,
wie weit wir kommen, das erschließt sich mir, glaube ich, nicht so ganz. Das ist das eine.
Das andere ist, ich fände es total schön,
wenn wir kein Wirtschaftswachstum brauchen oder auch weniger Abhängigkeiten
haben von Dingen, die wir vielleicht eigentlich gar nicht produzieren wollen,
um gute Arbeit hinzubekommen.
Also da ist man ja oft in einer schwierigen Zwickmühle als Politik,
dass man sagt, okay, jetzt müssen wir weiter hier Unternehmen unterstützen,
die vielleicht gar keine sinnvolle Strategie hatten in den letzten Jahren oder
alles als Dividenden ausgeschüttet haben.
Man tut es am Ende trotzdem, um die Arbeitsplätze zu retten.
Deswegen, wenn man eine Aufgabe in der Wirtschafts- und Finanzpolitik hat,
dann ist, glaube ich, rauszufinden, wie wir mehr gute Arbeit mit weniger Wachstum,
Wirtschaftsleistung oder unnützen Dingen hervorbringen. hervorbringen,
da sind wir nur noch nicht wahnsinnig gut drin.
Wir haben in der Vergangenheit versucht, glaube ich, schon manchmal zu gucken,
ob wir weniger Wachstum brauchen, aber jedes Mal, wenn es schlecht läuft in
der Wirtschaft, also wenn das BIP-Wachstum schwach ist,
dann sind die, die als erstes darunter leiden, halt sowieso die massivsten Freiheitseinschränkungen
haben, weil sie nicht genug Geld auf dem Konto haben.
Deswegen ist es für mich mehr so, es ist noch nicht offensichtlich auf der einen
Seite, dass es einen Widerspruch gibt.
Wir hatten Hier ja auch ein Decoupling zwischen CO2 und Wachstum und auf der
anderen Seite brauchen wir Lösungen.
Um dahin zu kommen, dass wir besser werden mit guten Jobs, ohne immer weiteres
BIP-Wachstum zu haben. Da sind wir aber noch nicht.
Jan Wetzel
Ja, dann Philippa, vielen Dank. Wir empfehlen das Buch.
Wir haben heute natürlich nur an der Oberfläche gekratzt, gutes Geld nochmal zu lesen.
Da gibt es auch ganz viele, das ist auch heute vielleicht auch ein bisschen
rausgekommen, ganz viele so kleine Geschichten und Sachen, wo man dann doch
erstmal staunt und das Buch eine Sekunde beiseite legt, so wie das sein soll.
Dann empfiehlt uns wie immer weiter offline und online hinterlasst uns auch
gern Bewertungen, das vergessen wir häufig zu sagen, die helfen sehr den Algorithmus ein bisschen,
zu manipulieren in unsere Richtung dann macht's gut, bis zur nächsten Folge
von Das Neue Berlin, tschüss Ciao.