Um diese Streitigkeiten, auch in Bezug auf die Fälle, die ich gerade genannt habe,
und eben um Begriffe wie Cancel Culture oder Vogue oder Political Correctness,
das sind alles Begriffe, die ich zusammenfassen würde, zumindest in Bezug auf
die ästhetischen Fragen, unter dem Begriff Neue Zensurdebatte.
Also es gibt eben seit einigen Jahren so eine Debatte darüber, ob Kunst.
Ob ästhetische Strategien eben wieder einer Zensur unterliegen und da geht es
dann oft darum, dass eben bestimmte progressive Anliegen wie Antirassismus oder
Antisexismus, dass die eben eine bestimmte Form von Kunst einschränken und zensieren wollen.
Bilder werden abgehängt im Museum, Gedichte werden von Wänden wieder entfernt.
Man muss Triggerwarnungen machen.
All diese Vorwürfe, die sich ja dann oft auch in den immer gleichen Anekdoten
wiederfinden, die bilden eigentlich sozusagen die Grundlage für diese diskursive Konstellation.
Was ich daran so interessant finde, ist, wenn man, also diese ganze Konstellation
bezieht sich auf die Heldengeschichte der modernen Kunst,
die eben auch erzählt wird als eine Geschichte von Künstlern und ästhetischen
Strategien, die sich eben gegen die unverständige,
oft gewalttätige, oft spießige bürgerliche Gesellschaft durchsetzen mussten.
Und da gibt es dann immer so Präzedenzfälle, also zum Beispiel Baudelaire,
der für die Blumen des Bösen vor Gericht geführt wurde, oder Flaubert,
gleich im Jahr 1857 für Madame Bovary angeklagt wurde,
beide übrigens vom selben Staatsanwalt, oder Seelandschaft mit Pocahontas von
Arno Schmidt, dass in den 50er Jahren noch wegen Blasphemie und Pornografie,
also Verstoß gegen Sittengesetze,
tatsächlich auch, gab es da eine Anzeige.
Und da lachen wir natürlich heute drüber und sagen, naja, hier hat sich sozusagen
die große Kunst gegen die Zensurmaßnahmen der spießigen konservativen Gesellschaft durchgesetzt.
Und dabei entsteht quasi so eine Geschichte.
Die natürlich Gründungsmythos auch der bürgerlichen Gegenwartsgesellschaft ist.
Nämlich wir haben uns jetzt sozusagen auf die Autonomie, auch auf die moralische
Autonomie der Kunst festgelegt und die als hohes Gut, als hohes auch demografisches
Gut, als schützenswertes Gut stark gemacht.
Und jetzt kommt hier der progressive Mob und möchte die Bilder von Balthus aus dem Museum abhängen.
Jetzt kommt sozusagen plötzlich von links irgendwie so das Spießbürgertum.
Das sind die Erben dieser Staatsanwälte, die damals eigentlich den Flaubert verbieten wollten.
Und was ich so interessant daran finde, und ich meine, ich habe versucht,
ich weiß nicht, wie gut mir das gelungen ist in dem Buch, nicht jeder,
aber versucht, vor allem analytisch zu sein und nicht selber zu polemisieren.
Aber das ist so einer der Momente, glaube ich, wo es mich dann doch mitgerissen hat.
Diese neue Zensurdebatte beruht
meiner Ansicht nach auf einer gewissen eigentümlichen Machtvergessenheit.
Gerade weil sozusagen dieses Autonomieparadigma inzwischen natürlich auch Herrschaftswissen
geworden ist, eine Form von institutionalisierter Form.
Von ästhetischer Vorstellung, ist es natürlich seltsam, dann sozusagen diese
Kämpfe, diese historischen Kämpfe auf der Ebene zu reszenieren.
Also ein Beispiel, das ich gemacht habe, war die Diskussion um das Gedicht,
das wurde dann im Nachhinein immer Avenidas genannt, und so nennen wir das jetzt auch,
das war von 2017, das ist von Eugen Gommringer, einem Vertreter der konkreten
Poesie, und war an der Fassade der Arles Salomon-Hochschule als Geschenk angebracht.
Und ich weiß nicht, ob sich die Zuhörerinnen noch erinnern, aber es ist ein
Gedicht, das in spanischer Sprache verfasst ist und wo es eben um einen Bewunderer
geht, der auf der Straße eben Blumen und Frauen vielleicht anschaut.
Man weiß es nicht so genau. Die Studentinnen hatten damals sich beschwert darüber,
haben einen öffentlichen Brief geschrieben und gesagt, naja,
gerade in der Ecke da hinten in Berlin werden wir ständig konkret zu Opfern
von Übergriffen, Blicken, Anmachsprüchen und so weiter.
Und dann müssen wir auch noch dieses Gedicht anschauen, wo es darum geht,
dass Frauen bewundert werden.
Das finden wir nicht so gut. Wir wollen gerne, dass das wegkommt.
Und jetzt kann man darüber diskutieren, ob das angemessen ist oder nicht,
ob das dem Gedicht gerecht wird oder nicht. Und das ist alles total interessant.
Aber was tatsächlich passiert ist, ist, dass der gesamte Kulturbetrieb eigentlich
wie ein Mann aufgestanden ist, um die Freiheit der Kunst gegen diese 20 Studierenden zu verteidigen.
Wer war da dabei? Die FAZ, mehrere Artikel, Professoren für Ästhetik.
Die Kulturstaatsministerin hat von einem Akt der Kulturbarbarei gesprochen,
Der alte Penn hat sich eingeschaltet und von Schwachsinn gesprochen.
Wenn man sich die Machtsituation tatsächlich anschaut, dann haben hier die Menschen
und Institutionen mit Macht,
Auf der Basis einer Geschichte der Machtlosigkeit gegen Menschen geschossen,
die eigentlich keine Macht haben.
Also man beruft sich halt, man reinszeniert eigentlich die Vorstellung,
dass man selber eigentlich der Erbe von Flaubert oder von Arno Schmidt oder
von den ausgestoßenen Künstlern ist, die im 18., 19., 20.
Jahrhundert für ihre Kunst gelitten haben. In Wirklichkeit gehört man aber zu
den absoluten Würdenträgern und zur Funktionselite des Landes.
Und das ist, naja, schon eine Möglichkeit,
also dieses Narrativ ist eine Möglichkeit für Eliten eigentlich,
sich über die Verteidigung der Kunst selber wiederum zur Ausgestoßenen zu machen
und diejenigen, die tatsächlich keine Macht haben,
in die Position von machtvollen Menschen zu schieben, die eigentlich in der
Tradition der Leute stehen, die Kunst versucht haben zu zensieren.
Aber Zensur ist ja eine Frage von tatsächlicher Macht.
Wenn man sich dann anschaut, was tatsächlich zensiert wird und was nicht,
dann fällt einem relativ schnell auf.
Die Machtverhältnisse sind eigentlich nach wie vor naheliegenderweise so,
dass die Menschen, die halt die Ressourcen und die institutionelle Stellung
haben, auch entscheiden dürfen, welche ästhetischen Strategien durchgesetzt werden.
Aber das finde ich total interessant. Ich habe im Buch auch von Phantomzensur gesprochen.
Es gibt so mehrere Artikel, wo gesagt wird, ja, Lolita von Wladimir Nabokov
könnte heute nicht mehr erscheinen.
Schaut man auf Amazon und sieht, kein Problem, den Roman da zu kaufen.
Meine beiden Ausgaben stehen auch noch wohlbehalten in meinem Schrank.
Und wenn man sich dann anschaut, was in den 50er-Jahren, als der Roman tatsächlich
erschienen ist, passiert ist, verfolgt, verboten in mehreren Ländern,
konnte damals nicht erscheinen, heute kein Problem.
Aber man verkehrt sozusagen diese historische Situation, um eigentlich die Fiktion
einer Situation zu schaffen, wo die Kunst eben dann verteidigt werden muss von
den Helden, die eben genauso Helden sind wie diejenigen, die damals für die
Kunst gelitten haben und das stimmt einfach nicht.