Transkript von Episode 97: Warum streiten wir über Kunst? – mit Johannes Franzen

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Johannes Franzen
Man reinszeniert eigentlich die Forschung, dass man selber eigentlich der Erbe
von Flaubert oder von Arno Schmidt oder von den ausgestoßenen Künstlern ist, die im 18., 19., 20.
Jahrhundert für ihre Kunst gelitten haben. In Wirklichkeit gehört man aber zu
den absoluten Würdenträgern und zur Funktionselite des Landes.
Aber Zensur ist ja eine Frage von tatsächlicher Macht.
Wenn man sich dann anschaut, was tatsächlich zensiert wird und was nicht,
dann fällt einem relativ schnell auf,
die Machtverhältnisse sind eigentlich nach wie vor naheliegenderweise so,
sodass die Menschen, die halt die Ressourcen und die institutionelle Stellung
haben, auch entscheiden dürfen, welche ästhetischen Strategien durchgesetzt werden.
Hier ist das neue Berlin.
Leo Schwarz
Hier ist das neue Berlin. Hallo und herzlich willkommen zur 97.
Folge von Das neue Berlin. Mein Name ist Leo Schwarz.
Jan Wetzel
Ich bin Jan Wetzel.
Leo Schwarz
Und gemeinsam mit unseren Gästen versuchen wir hier, Gesellschaft und Gegenwart zu verstehen.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters, so heißt es gerne, wenn wir Fragen
über Kunst und Geschmack als subjektive Privatmeinung ausgeben wollen,
entweder weil wir es wirklich glauben oder um des lieben Friedens willen.
Schnell merken wir aber, dass es so einfach nicht ist. In YouTube-Kommentaren,
im Theaterfoyer, auf der Homeparty oder im Feuilleton, überall streiten wir
weiter über die Kunstfiguren, die wir lieben und hassen, über Schauspieler und
ihre privaten Umtriebe,
über Meisterwerke und Kitsch, über ästhetische Weltbilder oder den künstlerischen
Unverstand unserer Zeitgenossen.
Unser heutiger Gast Johannes Franzen ist Literaturwissenschaftler und Kulturjournalist
und hat diesen Streitfällen ein ganzes Buch gewidmet in Wut und Wertung,
Warum wir über Geschmack streiten,
hat er verschiedene Kunstkontroversen der Vergangenheit und Gegenwart genau
angeschaut und danach gefragt, worüber streiten wir wirklich,
wenn wir über Kunst streiten. Johannes, schön, dass du da bist.
Johannes Franzen
Hallo.
Leo Schwarz
Im Untertitel deines Buches, ich habe es ja gerade schon genannt,
den Titel Warum wir über Geschmack streiten, da ist von Geschmack die Rede.
Beim Lesen deines Buches hatte ich dann doch eher den Eindruck,
es geht eigentlich wirklich um Kunst im engeren Sinne. Es geht jetzt nicht um
Kochen oder Kleidung oder dergleichen mehr.
Was ist es eigentlich, wofür du dich interessierst? Was sind die Artefakte,
was sind die Praktiken, was sind die Dinge, um die es dir geht?
Johannes Franzen
Also es ist ja tatsächlich so, dass der Untertitel, warum wir über Geschmack
streiten, vermuten lässt, dass es möglicherweise auch um, weiß ich nicht,
Schuhgeschmack oder Gardinengeschmack geht.
Aber wie bei jedem Sachbuch, das eben auch den Anspruch hat,
ein bisschen populärer zu sein, beruhen diese Untertitel ja immer auf einem
gewissen Etikettenschwindel.
Tatsächlich wird, wenn man den Klappentext liest oder wenn man die ersten drei
Seiten gelesen hat, relativ schnell klar, dass es vor allem um das geht,
was wir im engeren Sinne als Kunstwerke bezeichnen.
Also eigentlich den Bereich des Hörens, des Schauens oder des Lesens,
also Bücher, Romane, Filme, Serien, Musik, Games, aber auch bildende Kunst.
Das ist sozusagen das, wo ich mich darauf fokussiert habe.
Im Endeffekt das, was die akademische Theorie Ästhetik nennen würde,
aber eben Ästhetik in Bezug auf Kunstwerke, die wir in unserer Freizeit konsumieren.
Aber da wird es auch schon interessant, was ist eigentlich quasi ein Kunstwerk.
Es gibt ja Leute, die auch sagen würden, Schuhe, die neuen Sneaker sind eigentlich auch Kunst.
Und da sind wir eigentlich schon mitten im Streit. Aber ich wollte quasi dieser
Frage, was ist eigentlich Kunst, auch aus dem Weg gehen, indem ich eben schnelles Material gehe.
Jan Wetzel
Also dazu gehören deswegen auch Games und Sachen, die man eher der Populärkultur zurechnen würde.
Da machst du aber eigentlich nicht den Unterschied, der in Deutschland ja doch
nach wie vor irgendwie wichtig ist zwischen E- und U-Kultur.
Johannes Franzen
Der Unterschied ist ja schon ein Untersuchungsgegenstand von mir,
weil ich sagen würde, dass da eigentlich eine der,
Hauptquellen für den Streit liegt. Ich denke, da werden wir noch drauf kommen,
aber im Gegenstand selbst, also wenn ich mir eben Games oder Romane oder Serien
oder Popsongs anschaue, aber,
Symphonien würden eben auch dazu gehören,
Da mache ich insofern keinen Unterschied, als ich es eben sagen würde,
die ästhetischen Erfahrungen, die Menschen damit machen,
also auf eine spezifische Art angenehme Erfahrung in einer Zeit,
die für diese Form von Rezeption vorgesehen ist, also meistens die Freizeit
für die meisten Menschen,
das ist etwas, was in der Erfahrungshäftigkeit sich eigentlich nicht so richtig
unterscheidet, wenn es jetzt um populäre oder um sogenannte Hochkultur geht.
Und das ist ja im Endeffekt auch eine der Thesen meines Buches.
Das finde ich eben das Interessante, diese beiden Sachen auch zu reiben,
dass jemand, der abends irgendwie eine Krimiserie schaut, damit eine ganz ähnliche
Erfahrung macht wie jemand, der abends ins Programm Kino geht oder in die Oper geht.
Leo Schwarz
Das ist eine interessante Frage, ob die eigentlich dieselbe Erfahrung machen.
Da sind natürlich auch hunderte Bücher drüber geschrieben worden,
ob es da Unterschiede in diesen Erfahrungen gibt.
Du hast auf jeden Fall einen Schwerpunkt auf der, ich sag mal Rezeptionsseite,
also auf der Publikumsseite und was die Praktiken des Umgangs mit dem sind,
was die Leute eben an Kunst im weiten Sinne rezipieren.
Nun ist es so, dass du am Anfang auch die These aufstellst,
dass wir deshalb so viel über Kunst streiten oder da auch teilweise sehr empfindlich reagieren,
weil wir auf eine sehr intime Art und Weise auch in unserer Identität mit der
Kunst verbunden sind, die für uns wichtig ist.
Vielleicht kannst du das kurz entfalten und auch gleich noch die skeptische Nachfrage.
Ist das wirklich für alle so oder ist das eher doch so ein Vorurteil,
das man bekommt, wenn man zu lange
an geisteswissenschaftlichen Universitätsdepartements rumgehangen hat?
Johannes Franzen
Also die Grundthese, der Ausgangspunkt des ganzen Buches, eigentlich der Motor
aller Streitigkeiten, aller Skandale und Fäden, die um Kunst und Kultur entstehen,
ist meiner Ansicht nach das Verletzungspotenzial von ästhetischen Urteilen.
Und das entsteht dadurch, dass unser Geschmack, also das will ich definieren,
als das Ensemble von Vorlieben, die wir haben in Bezug auf Musik,
Romane und Serien, dass dieser Geschmack uns verletzlich macht,
weil er eben angegriffen werden kann.
Also das Beispiel, das ich immer mache, ist, wir sind auf einer Party,
man ist auf einer Party und es geht um Filme, man ist vielleicht auch schon
ein bisschen angetrunken und man wagt sich vor und hält so ein emphatisches
Bädoyer für den eigenen Lieblingsfilm, sagt, wie gut er ist,
eigentlich ein Meisterwerk.
Vielleicht auch thematisiert man die Emotionen, die man damit hat,
dass man geweint hat beim Tod einer Figur und dann kommt irgendeine andere Person,
irgendein Schwein und sagt, wie bitte?
Das ist doch nicht der aller schlechteste Film, das ist ja reiner Kitsch.
Und außerdem ist er auch politisch problematisch.
Ich meine, die Darstellung von Frauen ist ja ganz furchtbar in diesem Film.
Und was dann passiert, ist eine Form von Verletzungen, die zu einer Form von
Unwillen führt und zu einer Form von Wut, die dann bei den meisten Menschen
eine Form von Streit erzeugen wird,
der dann auch eskalieren kann, weil es eben doch dann wahnsinnig verletzend
ist, wenn dann auch gerade von dem Publikum der eigene Geschmack runtergemacht wird.
Und diese Verletzungserfahrung, dass quasi jede Aufwertung von Kunst immer auch
die Abwertung der Kunst der anderen ist, dass es eben darum geht,
das wissen wir ja von Bordieu, das ist einer meiner wichtigen Stichwortgeber,
dieser Kultursoziologie, dass es um Abgrenzung, Distinktion und Habitus geht,
das sind die ganzen Grundlagen dafür, dass das Gespräch über Kunst,
dass der eigene Geschmack verletzlich macht und damit Streit auslöst.
Zu eurer Frage, ob das für alle Menschen gleich ist.
Es gibt es natürlich so, das haben mir Erstleserinnen des Buches auch gesagt,
und das habe ich seitdem auch öfters gehört,
dass es natürlich Leute gibt, denen das vielleicht nicht so wichtig ist wie
anderen Leuten, dass da draußen wahrscheinlich eine ganze Reihe von Menschen
existiert, die sagen, es ist mir doch egal, ob jemand meinen Musikgeschmack angreift.
Ich würde aber sagen, dass eine von den Thesen, beziehungsweise eines meiner
Anliegen eben gerade ist, weil ich so in die Breite gehe und mir so viele verschiedene
ästhetische Artefakte und ästhetische Erfahrungen anschaue, dass ich schon sagen
würde, dass es sich um eine universelle Erfahrung handelt.
Es ist natürlich so, dass es Menschen gibt aus dem Bildungs- oder Kulturbürgertum,
die sich viel stärker über ihren Geschmack und über ihre ästhetischen Vorlieben
definieren, dann vielleicht auch verletzter sind, wenn die angegriffen werden.
Aber gerade wenn man sich zum Beispiel den Streit um bestimmte Games anschaut,
der teilweise Tausende, Zehntausende, Hunderttausende von wirklich wütenden
Kommentaren erzeugt, oder den Streit um den Schlager Laila.
Wir erinnern uns vielleicht, wenn auch nicht freiwillig, da gab es eine Diskussion
darüber, ob dieser Schlager sexistisch ist und von Straßenfesten verbannt werden sollte.
Aber auch, wenn man abends einen Krimi schaut oder wenn man gerne Musik hört,
das würde ich schon sagen, sind universelle Erfahrungen, die eigentlich zum
Alltag aller Menschen gehören.
Ich kann mir nicht vorstellen, beziehungsweise das müsste mir dann mal jemand
beweisen, dass es irgendeinen Menschen in unserer Gesellschaft gibt,
zu dessen Alltag nicht in irgendeiner Form auch die Rezeption von ästhetischen
Artefakten und angenehme ästhetische Erfahrungen gehören.
Das Verletzungspotenzial da, würde ich sagen, ist zwar sehr unterschiedlich, aber,
immer vorhanden. Und ob es sich eben um einen Schlager handelt,
um ein Computerspiel oder einen hochliterarischen Roman,
wenn dieser Geschmack angegriffen wird, dann wird damit natürlich die Erzählung,
die wir über uns selber haben, also die Erzählung unseres guten Geschmacks,
die Erzählung der Emotionen, die wir in diesen Song oder so gesteckt haben,
das wird immer angegriffen.
Und deshalb würde ich sagen, klar, es gibt sehr große Unterschiede in der Intensität
und auch in der Qualität dieser Verletzungen und dieser Streitigkeiten,
Aber ich denke, es ist unbestreitbar, dass es sich um eine universelle Erfahrung
handelt, die eigentlich doch alle Menschen in irgendeiner Form betrifft.
Jan Wetzel
Kann man vielleicht sagen, dass eben das Ausmaß, in dem das stattfindet,
einfach was damit zu tun hat, inwiefern Positionen sozusagen gefestigt und gar
nicht gerechtfertigt werden müssen.
Also wenn ich sozusagen historisch nachdenke, dann würde ich sagen,
dieser Streit um den Geschmack, der entsteht natürlich mit der bürgerlichen
Gesellschaft, weil die im Unterschied zur ständischen Gesellschaft davon ausgeht,
dass eigentlich niemand sich auf seiner Position ausruhen kann.
Also natürlich gibt es eine gesellschaftliche Hierarchie, muss man nur Bourdieu
lesen, aber die ist sozusagen selber nicht gerechtfertigt.
Das kann sich niemand hinstellen und sagen, ich bin der König,
ich bin der Adel und deswegen ist mein Geschmack durch die Position bestimmt
und ich muss darüber mich nicht rechtfertigen. Und das ist ja aufgehoben sozusagen
in der bürgerlichen Gesellschaft.
Und je bürgerlicher es sozusagen in der Weise, dass Positionen verteidigt werden
müssen, desto stärker wird das.
Und ich glaube gerade, du hast ja gesagt, in so einem bildungsbürgerlichen Feld
und so, da geht ja alles über Positionen sozusagen, die man behaupten muss.
Johannes Franzen
Total interessante konstellation, weil ich habe jetzt keine,
Geschichte dieses Streits geschrieben das wäre nochmal ein anderes,
total interessantes und auch sehr schwieriges Buch aber meine Intuition,
beziehungsweise eine Beobachtung, die glaube ich auch jetzt nicht so originell
ist, ist das natürlich Streit über Kunst und Geschmack so alt ist wie,
die Menschheitsgeschichte also quasi von sozusagen die antiken Tragödien sind
ja in Wettkämpfen darüber entstanden, wer die beste Tragödie schreibt und durchs
Mittelhalter hindurch bis durch die Renaissance sind ja sozusagen die,
ist auch der Motor der Kultur- und Kunstgeschichte eigentlich der Streit darüber,
was die richtige und was die falsche Kunst ist,
aber es handelt sich doch eigentlich bis zum Beginn der Moderne um ein Elitenphänomen,
die quasi nicht, also ich sage jetzt mal nicht Eliten, das ist jetzt soziologisch
natürlich irgendwie nicht präzise, aber ich glaube, es ist klar,
was gemeint ist, haben natürlich ihre eigene eine Alltagskultur.
Aber es ist klar, dass diese beiden Kulturen relativ stark voneinander getrennt
sind und dass die Hierarchien da auch klar sind.
Das würde, sage ich jetzt mal so, und wahrscheinlich kommt gleich irgendein,
Mittelalterforscher und widerlegt mir das, aber ich kann mir nicht vorstellen,
dass irgendein Bauer sagt, ne, meine Volkslieder und Märchen sind eigentlich
genauso gut wie der Mene Sang oder.
Aber mit dem Beginn der bürgerlichen Gesellschaft gehen diese Hierarchien eben
durcheinander und gerade,
und das ist ja eine der Thesen, die ich dann auch in dem Buch versuche zu zeigen,
gerade mit dem Beginn der Massenkultur,
also mit dem Aufstieg des Publikums als machtvoller Faktor, mit dem Beginn auch
der Reproduktionsmöglichkeiten von Büchern oder Musik.
Damit beginnen natürlich die Konflikte, die uns heute auch beschäftigen und
damit explodiert im Wesentlichen auch das Konfliktpotenzial des Ästhetischen,
weil erst jetzt sich überhaupt eine richtige Menge an Menschen auch an diesen
Streitigkeiten beteiligen kann.
Also die ganzen Konflikte, um die es mir auch in dem Buch geht,
sind eigentlich Konflikte, die durch diesen Konflikt zwischen dem Publikum,
also dem populären Publikum und der Geschmackselite andeuten.
Das ist jetzt nicht so schematisch, wie ich das gerade gesagt habe.
Da gibt es natürlich wahnsinnig viele Schattierungen, aber im Endeffekt ist
das sozusagen der Konflikt, der alle anderen Konflikte grundiert.
Leo Schwarz
Du führst ja, wie du schon angedeutet hast, die meisten zeitgenössischen Debatten
und Kontroversen auch auf das sogenannte moderne Kunstparadigma zurück.
Vielleicht sollten wir uns dem erstmal nähern, was ist damit genau gemeint und
was sind da die wichtigen Aspekte dieser neuen Denkungsart, die ja auch spezifisch
modern ist, muss man ja sagen, ja.
Johannes Franzen
Was ich dafür sucht habe, war so eine Art kleine Konflikttheorie des modernen
Kunstbegriffs anhand von vielen Beispielen, auch historischen Beispielen, erstmal aufzuführen.
Das Kunstparadigma ist eine Vorstellung von Kunst, eine ästhetische Ideologie
eigentlich, die von der Trennung ausgeht von hoch, high und low,
also von Hochkultur und Populärkultur.
Das ist ja auch eine Trennung, die man überhaupt erst vollziehen muss in dem
Moment, wo das Populäre zu einer Bedrohung wird. Ich meine, vorher gibt es natürlich
unterschiedliche Register und Registerwechsel, aber dieser Konflikt selbst ist
wiederum auch eine Erfindung bzw.
Eine Entwicklung der modernen Geschichte.
Und das Kunstparadigma habe ich definiert als eine Vorstellung von Kunst als Arbeit eigentlich.
Also wie grenzt sich das Kunstparadigma ab von dem, was es eben nicht ist?
Also der moderne Kunstbegriff lebt ja vor allem davon, was eben nicht Kunst
ist. Es ist ein Abgrenzungsbegriff.
Es ist auch nicht wahnsinnig originell interessant, was dann damit passiert
mit diesen Abgrenzungen.
Und ich habe dem jetzt, das ist natürlich schematisch, aber ich finde sowas
immer interessant und produktiv, dem Kunstparadigma das hedonistische Paradigma
gegenübergestellt. Das hedonistische Paradigma
wäre das, was Bourdieu als anti-kantianische Ästhetik bezeichnet.
Also das ist quasi eigentlich bei Bourdieu die Ästhetik der Unterschicht.
Das sind Menschen, die sagen, ja, ich will halt meinen Spaß,
ich komme halt abends von der Arbeit und dann möchte ich nicht angestrengt werden.
Und dann muss ich die Kunst sozusagen auch auf eine hedonistische und irgendwie
entspannende Art in mein Leben einfügen.
Und das Kunstparadigma selbst ist eins, das positiv.
Den nötigen Respekt vor dem Kunstwerk als autonomem Artefakt,
als autonomer Praxis eigentlich zum Ausdruck bringt.
Also man konsumiert, sagen wir mal, eine Symphonie oder einen buchliterarischen
Roman mit einer gewissen Konzentration.
Man liest es oder hört es nicht nebenher. Das wäre zum Beispiel so ein konkretes Beispiel.
Man hat aber auch seine Emotionen im Zaum. Man hat ein analytisches und genießerisches
Verhältnis, vor allem zur Form des Kunstwerks.
Das ist dann das, was bei Kant jetzt auch wiederum vereinfachend eben das interesselose
Wohlgefallen genannt wird.
Also man hat eben kein sinnliches Verhältnis zu dem Kunstwerk oder wenn man
ein sinnliches hat, dann eben eins, das zurückgenommen ist, diszipliniert auf
den Genuss der vor allem ästhetischen, formalen Aspekte.
Was heißt das konkret? Konkret bedeutet das zum Beispiel,
man definiert quasi das Kunstparadigma eigentlich immer am besten,
indem man darüber spricht, was es nicht ist, also Identifikation mit Figuren
in einem Roman oder einem Film, dass man sagt, der ist böse,
dass man wütend auf Figuren ist oder Figuren vergöttert, dass man weint,
weil eine Figur stirbt,
dass man vergisst, dass es sich um.
Erfindungen handelt, dass man sich emersiv rein stößt und einfach überhaupt
die gesamte Distanz zu dem Kunstwerk verliert, das sind alles Dinge,
die, wenn man sozusagen meiner schematischen Definition von dem Kunstparadigma
folgt, eigentlich verboten sind.
Wie gesagt, das Interessante am Kunstparadigma ist, dass es eigentlich Kunst
als eine Form von Arbeit definiert.
Es gibt bei Adorno, der jetzt natürlich ein naheliegender Feind ist,
aber jemand, der sozusagen das Kunstparadigma hochhält und der teilweise bis
zur Selbstparodie diesen elitären Kunstgeschmack verkörpert,
gibt es in seinem Aufsatz on Popular Music eben den Satz, wo er so ganz frustriert
irgendwann einfach sagt, people wanna have fun, people want to have fun.
Was er damit meint, ist, die Menschen wollen einfach nur Fun,
sie wollen nur Vergnügen, nur Genuss, aber der eigentliche Genuss,
wenn man ihn dann überhaupt noch so nennen kann, ist einer, der sozusagen darüber
hinaus geht, weil er aus der analytischen,
ästhetischen Verfeinerung kommt. Und das wären so ein paar Aspekte, die,
das hedonistische Paradigma, vom Kunstparadigma abgrenzen.
Leo Schwarz
Du beschreibst ja, ich würde sagen, vor allem im 19. Jahrhundert das auch als
ein Begriff der Disziplinierung.
Das ist natürlich auch ein Begriff, der jetzt für andere Prozesse im 19.
Jahrhundert angewendet wird, aber es trifft tatsächlich auch,
ich finde, ganz einleuchtend auch auf die Kunst zu.
Man muss in allen Bereichen den Leuten erstmal beibringen, dass man im Museum
leise ist, dass man im Theater nicht isst, nicht reinbrüllt,
nichts auf die Bühne wirft.
Ich meine, das sind ja auch lustvolle Sachen, die man jetzt,
keine Ahnung, zu Zeiten Shakespeares oder so gerne auch mal gemacht hätte.
Aber es entsteht dann irgendwie diese Guckkasten Konstellation,
jetzt für das Theater gesprochen.
Und in allen möglichen Bereichen muss man ein unglaublichen ein unglaubliches
Training erstmal durchlaufen, auch sich plötzlich ordentlich anziehen in einer
bestimmten Art und Weise überhaupt.
Also es gibt eine Türpolitik sogar für Kulturinstitutionen plötzlich und das
führt ja sogar zu gewaltvollen Auseinandersetzungen, und wie du das auch in
deinem Buch beschreibst.
Vielleicht kannst du das so ein bisschen einordnen, dieses Phänomen.
Johannes Franzen
Die Disziplinierung, der schließt da viele Phänomene auf, gerade im 19.
Jahrhundert und eigentlich auch schon im 18. Jahrhundert, aber vor allem im 19. Jahrhundert.
Da geht es im Wesentlichen darum, die Leute dazu zu erziehen,
den Respekt vor der Hochkultur im Sinne des Kunstparadigmas tatsächlich auch
einzuhalten. Das sind ja konkrete Rezeptionspraktiken.
Also du hattest ja schon gesagt, im Theater nicht essen, aber ich beziehe mich
da vor allem auf ein Buch von einem Lawrence Levine, Highbrow, Lowbrow heißt das.
Und da geht es um, wie die Oper und Shakespeare, also die Rezeptionsform von
Oper und Shakespeare, sich in Amerika das 19.
Jahrhundert verändert hat von einer ziemlich wilden Volkskultur,
wo dann, also da würden heute Leuten die Haare zu Berge stehen,
wenn man sich die Art und Weise, wie dann Shakespeare-Stücke verstümmelt wurden
und Opern irgendwie aufgeführt wurden, dass die Leute dann bei der Arie so geklatscht
haben, dass die Arie dann dreimal wieder gesungen wurde.
Das kann man sich natürlich heute in einem anständigen Konzert- und Opernhaus
überhaupt nicht mehr vorstellen.
Leo Schwarz
Anständig, oder?
Johannes Franzen
Ja, genau. So ist es eben, genau. Und er beschreibt quasi die Vorgänge beziehungsweise
die Disziplinierungsmaßnahmen, die dann dazu geführt haben, dass aus dem Publikum
das Hochkulturpublikum geworden ist.
Es sind natürlich auch soziologische Entwicklungen, also die Entwicklung des
Bürgertums und des Bildungsbürgertums.
Aber dazu gehört zum Beispiel, dass man eben den Damen der Gesellschaft beibringen
musste, dass sie ihre riesigen Hüte abziehen müssen, die da in der ersten Reihe sitzen müssen.
Und in der Herren musste man mal beibringen, dass sie eben nicht im Konzert
ihre fetten Zigarren schmauchen dürfen.
Und für Museen galt was ganz Ähnliches. Also da gibt es, habe ich auch zitiert,
einen Text von einem Museumsdirektor, der dann erleichtert feststellt,
die haben den Leuten jetzt beigebracht, ihre Hunde nicht mehr mitzubringen,
nicht mehr auf den Boden zu schnäuzen,
nicht mehr riesige Sandwiches und Eiscreme zu verzehren.
Und ich finde die Vorstellung so lustig, wenn man sich vorstellt heute,
man weiß ja, wie Museen sind.
Also man hat quasi den White Cube, der schon wenn man reingeht,
einen gewissen Respekt und eine gewisse leise Treterei einem anerzielt.
Man hat so fast das Gefühl, man muss jetzt ein bisschen...
Leisen Sohlen gehen, man redet leiser, wenn überhaupt, und hat auch Angst vor
diesen Ordnern, die immer rumlaufen und einen so beobachten.
Und das ist quasi alles, das sind alles Entwicklungen dieses Disziplinierungsvorgangs,
die aber natürlich auch, und das ist natürlich das Interessanteste,
das Verhältnis und die Vorstellung davon, was Kunst eigentlich ist, verändert hat.
Also, was Libyan in dem Buch zeigt, ist, er sagt es an einer Stelle,
das fand ich irgendwie ganz glücklich, dass Shakespeare eben im Verlauf des 19.
Jahrhunderts zum kulturellen Spinat geworden ist.
Also von etwas, was eher dem hedonistischen Paradigma zugeordnet war.
Man geht dahin, weil es eine Abtunterhaltung ist, wie man heute in einen Blockbuster geht.
Und dann wird quasi im Verlauf der Zeit durch die Aufführungspraxis,
aber auch durch einfach schiere Wertsetzung, dadurch, dass es eben dann auch
zum Unterrichtsstoff führt, dieser Künstler auf eine Art und Weise verändert,
sodass er am Ende eigentlich vor allem Ausdruck von Pflichtrezeption ist.
Etwas, wo man Leute eben ausschließt und sagt, du kannst das gar nicht verstehen,
das ist viel zu schwer für dich, das ist auch langweilig.
Und du hattest es ja gerade gesagt, ein Konflikt, wo das eskaliert ist, war Mitte des 19.
Jahrhunderts, 1849, bei den sogenannten Ruster Place Riots, wo das Bürgertum
von New York, das Großbürgertum, sich ein eigenes Theater gebaut hat,
um eben eine bestimmte Form von verfeinertem, hochkulturellem Shakespeare auch zu führen.
Das ist vor allem durch einen englischen Schauspieler verkörpert worden, ein Herr MacReady.
Und der hatte einen Konkurrenten, einen Herr Forrest.
Und der war der amerikanische Shakespeare-Darsteller. Sehr beliebt,
sehr populär und hat auf eine sehr männliche und laute Art gespielt.
Und die Konkurrenz dieser beiden Schauspieler ist so eskaliert,
dass es dann vor diesem Astor Place, also vor diesem Theater,
zu dermaßen Ausschreitungen gekommen ist,
weil eben die Fans dieses amerikanischen, des populären Schauspielers da nicht rein durften.
Dass es Tote gab.
Also über 20 Leute da zu Tote gekommen, weil die Miliz dann irgendwann in die Menge geschossen hat.
Und das ist natürlich jetzt kein repräsentativer Fall für die Streitigkeiten, die entstehen können,
wenn man über Kunst und Kultur streitet, aber auf jeden Fall einer,
der in diesem Konflikt angelegt ist, weil da eben ganz viele politische Sachen,
also auch antibiotische Ressentiments,
aber eben auch Klassen-Ressentiments zwischen Oberschicht und Unterschicht,
am Beispiel, am Anlass eines ästhetischen Konfliktes eigentlich eskaliert sind.
Und ich denke, das steckt eigentlich in all diesen Konflikten immer schon drin.
Jan Wetzel
Vielleicht kann ich noch ein Beispiel sozusagen aus meiner eigenen Arbeit anfügen,
weil für das deutsche Bürgertum ist natürlich interessant, dass man sich nicht
nur nach unten abgrenzen muss, sondern auch nach oben, indem man sozusagen den Adel ablösen möchte.
Und das findet man auch schon in den Diskussionen des 19. Jahrhunderts.
Also da geht es ja natürlich in Deutschland oder im Deutschen Reich oder in
den deutschen Staaten darum, dass man dem Adel,
also der Adel hatte ja die Kunstwerke in seinem Besitz, die waren nicht öffentlich
und das Bürgertum wollte dem Adel diese Kunstwerke abluchsen und sozusagen ins
Museum stellen und da ist das zum Teil genauso die Vorwürfe,
dass man sagt, der Adel hat das nur zum Spaß,
nur zum Hedonismus, der hat dort seine Kunstkammern und feiert dort seine Gelage
oder kauft die Kunst nur, das ist auch so ein Argument, was es dann im 1900
gibt, nur um Frauen zu beeindrucken.
Die Fürste haben das sozusagen nur als Teil des Liebesspiels erworben, die Kunst.
Oder um andere zu beeindrucken, die geben den Macker sozusagen so ein bisschen.
Und dann sagt man, der Adel muss das abgeben, das muss sozusagen ins Museum.
Und das ist ja dann auch erfolgreich. Also der Adel, das muss der dann eigentlich
einstecken und verliert sozusagen großen Teil seiner Kunstwerke als Mittel zum
Spaß und zur Freude oder zum Angeben sozusagen.
Also da sieht man das nach oben eigentlich genauso interessanterweise.
Leo Schwarz
Das ist wie bei Emilia Galotti. Die Bürger sind einfach in jeder Hinsicht moralischer,
ernsthafter und besser in allen Lebensfragen als der Adel. Das ist klar.
Johannes Franzen
Das sind ja wirklich beides total gute Beispiele,
weil das Interessante ist ja, dass das ästhetische Autonomieparadigma eigentlich
ursprünglich ein emanzipatives Potenzial gerade eben für die bürgerliche Kunst hatte,
also gegen eine spezifische Form von Adelskunst, Repräsentationskunst.
Wenn wir heute quasi von Heteronomie sprechen, also das Gegenteil von Autonomie,
dann meinen wir damit ja meistens den Markt, aber gemeint war eigentlich mal
eine höfische Repräsentationskunst.
Also dass das Concerto eben abends dann für das Fest von irgendeinem Fürsten
aufgeführt wurde und dass die Bilder halt adlige Repräsentationskunst sind.
Deshalb sind da ja die ganze Zeit diese lustigen Fressen von den kleinen Adligen.
Jan Wetzel
Ich sehe auch viele unserer großen Musikstücke der europäischen Tradition,
das war alles Hofmusik, das war Auftragskunst sozusagen, der Höfer.
Johannes Franzen
Ja, Haydn musste das Livret von den Dienern in dem Anwesen tragen,
das Fürsten, wo er gearbeitet hat.
Und da dient natürlich diese Fortschritt des Respekts vor der Kunst,
die Kunst als eigenständiger Gegenstand, Und als eigenständiges Phänomen mit
einer Autonomie und einer Würde natürlich der Emanzipation, auch der Rezipientin,
die in dem Fall ja das aufstrebende Bürgertum sind.
Ich meine, bei Emilia Galotti, da müssen wir jetzt nicht zu tief einsteigen,
obwohl es total interessant ist, da gibt es ja einen Exkurs auf adlige Rezeption,
weil zu Beginn der Maler dem...
Dem Fürsten ein Bild von Emilia zeigt und der Fürst darauf mit einer ganz gustatorischen,
eigentlich quasi erotischen Energie darauf reagiert, nämlich falsch.
Also quasi auf eine Art und Weise, die eben dem Kunstwerk, dem ästhetischen
Werk dieses Werkes überhaupt nicht gerecht wird.
Und dann wird ja gesagt, die Kunst geht nicht nach Brot, aber der Künstler weiß
natürlich genau, dass die Kunst nach Brot geht.
Und da geht es im Endeffekt auch schon, eigentlich beginnt das Stück schon mit
einer Reflexion auf den Korruptionsgrad, einer falschen Rezeption von Kunst,
der eben einer bürgerlichen Rezeption gegenübergestellt wird.
Und interessant ist eben, wie sich dann im Verlauf des 19.
Jahrhunderts mit dem Abschwächen, aber eben nicht kompletten Abschwächen des
Adels, aber dem Aufstieg sozusagen der Massenkultur, des Massenpublikums,
das Feindbild eigentlich des Kunstparadigmas verschiebt.
Und weg von der Repräsentationskunst des Adels hin zum blöden Markt,
der dann wiederum von unten die Kunst eigentlich berumpiert und zerstört.
Aber natürlich von unten auch die Macht des Kulturbürgertums angreift.
Das finde ich eine total interessante historische Entwicklung auch.
Aber es gibt natürlich Diskontinuität.
Aber beide Seiten, also sowohl der Adel als auch die Masse,
zeichnen sich beide dadurch aus, dass sie ein falsches Verhältnis zur Kunst
haben, weil es eben ein hedonistisch genießendes, sinnliches oder eigentlich
ein Verhalten ist, das die Kunst unter bestimmten Zweck stellt.
Repräsentation, Entspannung, Eskapismus oder Habitus.
Leo Schwarz
Ich finde auch diese Beispiele von diesen Theaterausschreitungen zeigen eigentlich auch,
dass also wie bei fast allen anderen Modernisierungsprozessen,
dass nie gewaltfrei vonstatten gegangen ist und immer erstmal mit massiver Gewalt
neue Institutionen auch etabliert worden werden mussten.
Also von der Schulpflicht bis hin zur Fabrikarbeit, also den Leuten zu sagen,
übrigens ihr seid nicht mehr Bauern, ihr seid jetzt Lohnarbeiter oder sowas.
Das fing schon ein bisschen früher an, ich weiß, aber das sind alles Prozesse
und die Kultur ist da nicht ausgenommen.
Also es gibt wirklich, das ist teilweise eine Frage von Leben und Tod,
das ist eine Frage von ihr dürft hier nicht mehr rein,
wenn ihr hier reinkommt, werdet ihr niedergeschossen, also nicht in allen Fällen,
aber buchstäblich, handgreiflich und wir gehen uns gegenseitig an die Gurgel-Qualitäten
kommen da auf, nicht wahr?
Johannes Franzen
Ja, absolut. Ich meine, es gibt ja eine Tendenz, gerade auch heutzutage wieder
kurz zur Kultur, so einen peripheren, eigentlich fast frivolen Status zuzuweisen.
Aber wenn man sich die Geschichte der Konflikte anschaut, die damit gekämpft
wurden, dann merkt man relativ schnell, wie relevant und existenziell diese
Fragen eigentlich sind.
Das ist dann auch nicht reiner Überbau oder einfach nur der Anstrich für tieferliegende
Konflikte, die sich im sozialen oder im politischen abspielen,
sondern es ist ein wichtiger,
vielleicht eigentlich der wichtigste, aber auf jeden Fall ein wichtiger Teilaspekt davon.
Und diese Sachen vermischen sich eben auch am Laufenden Band.
Also die kulturelle Disziplinierung ist natürlich auch mit einer sozialen und
einer wirtschaftlichen verbunden.
Und diese Sachen sind eben wahnsinnig wirkungsvoll. Also wenn man sich die Frage
stellt, wie Ideen sich verbreiten, dann ist es natürlich der Alltag der Rezeption
von Kunst da ein wichtiger Faktor, weil das im Endeffekt unsere Imagination auch bestimmt.
Und auch die Art und Weise, wie wir fühlen. Also die emotionale Welt ist ja
auch bestimmt davon, wie wir im Alltag bestimmte ästhetische Erfahrungen machen.
Leo Schwarz
Eine Frage wollte ich noch stellen zu dieser Disziplinierung und diesem Kunstparadigma der,
sagen wir mal, des freudlosen, hochkonzentrierten, vielleicht nicht freudlos,
aber unsinnlichen irgendwie Kunstrezeption, ist das...
Und unabhängig jetzt davon, ob es E und U noch gibt, ist das wirklich so stabil,
weil meinem Eindruck nach sind ja dann auch eigentlich fast alle Avantgarden,
die wir dann so am Anfang des 20.
Jahrhunderts oder auch in den 70er Jahren dann haben, irgendwie auch immer gegen
diesen urbürgerlichen Kunststil gerichtet.
Und es gibt ja dann immer Bemühungen, keine Ahnung, nehmen wir Brecht oder sowas,
eben genau diese Rezeptionssituation, diese Passivität aufzubrechen.
Wenn man heute in ein Theater geht, dann wird da gerne mal irgendwie,
also fast schon auch wieder konventionell versucht, irgendwie diese klare Trennung
der Räume zwischen Publikum und Guckkasten aufzubrechen.
Das ist alles auch schon wieder 100 Jahre her, als das zum ersten Mal versucht wurde.
Also ist das sozusagen auch vielleicht im Konkurrenzspiel des kulturellen Feldes
eigentlich auch eine überholte Norm jetzt, dieses Zurückgenommene.
Wenn man jetzt wirklich Kunstkenner ist, wenn man jetzt zur kulturellen Avantgarde
gehört, dann setzt man sich auch wieder lässig ins Theater.
Dann holt man sich vielleicht doch wieder was zu essen noch mit rein oder so,
weil man so gewöhnt ist an die Institution und so ein Kenner,
dass man schon wieder weiß, dass man sich nicht mehr schick machen muss in einem
modernen Stadttheater und weiße Handschuhe tragen und hohe Hüte.
Johannes Franzen
Also ich würde sagen, dass die Instabilität dieser Unterscheidung eigentlich
konstitutiver Bestandteil dieser Unterscheidung von Anfang an ist.
Also was diese Unterscheidung eigentlich auszeichnet, ist eben ihr Konfliktpotenzial
in bestimmten Situationen, Hierarchien herzustellen.
Aber das kann ad hoc passieren und das ist natürlich total vom Kontext abhängig, wo das passiert.
Hierarchien gibt es auch im Beatles-Fanclub Bottrop. aber um jetzt auf deine
Frage zurückzukommen ähm,
Ich glaube, diese Unterscheidung bzw. auch das Kunstparadigma ist eigentlich
in seiner Geschichte immer schon in dem Moment überholt, in dem es versucht,
sich selber in den Vordergrund zu bringen.
Was ich interessant finde, ich glaube, die Instabilität und die Durchlässigkeit
dieser Unterscheidung, die liegen auf der Hand.
Und die werden auch, wie du ja gesagt hast, gerade im Verlauf des 20.
Jahrhunderts, aber eigentlich schon im 19. Jahrhundert, eben durch Avantgarden,
durch Revolutionen, durch Innovationen eigentlich die ganze Zeit auch herausgefordert.
Was ich eher interessant finde, sind die Kontinuität und die Stabilität dieser
Unterscheidung eigentlich bis heute.
Du hattest gerade das Beispiel gemacht von Bertolt Brecht, der schon als Innovator
und auch Rebell gelten kann innerhalb der Theater- und Kulturgeschichte,
und der ganz stark sich immer wieder auf Strategie des Populären bezieht.
Also es gibt da den berühmten Fall, wo er einen Gedichtwettbewerb entscheiden sollte,
wo dann hunderte von Gedichten eingereicht wurden und das waren dann alles so
George-Hommagen und der hatte sich dann drüber lustig gemacht in dem Text und
am Ende den Preis dann in einem Gedicht,
das gar nicht eingereicht war, nämlich in einem Gedicht auch so einen berühmten
Fahrradfahrer, so einem Radsportmagazin,
glaube ich, übergeben.
Und das ist zum Beispiel so eine populistische Geste, zu sagen,
die Hochkultur, das ist so parfümierter Quatsch.
Das ist quasi langweilig und trocken geworden und ich beziehe jetzt quasi die
Energie für die neue Kunst wieder aus der Populärkultur.
Ich mache jetzt quasi wieder so Bänkelgesang und beziehe mich auf neue Techniken.
Was aber doch interessant ist, ist, dass die Geschichte der Brecht'schen Dramenästhetik
danach dann eigentlich aufgestiegen ist zu dem Institutionellsten,
was man sich vorstellen kann.
Und zwar bis heute. Also die Forschung von dem Verfremdungseffekt,
der dann doch im Endeffekt eigentlich die Immersion stört, das populäre Publikum
als eigentlich schlechtes Publikum auszeichnet.
Also die Dödel wollen quasi ihre Immersion, ihre Illusionen und mit den Figuren
mitfühlen und die Warenkenner erkennen, dass auch das, was auf der Theaterbühne
passiert, eigentlich gemacht ist.
Dass es hier eben um politische und intellektuelle Analyse geht.
Und das wird relativ schnell integriert in den Bereich des hochkulturellen Theaters,
in den Bereich der Institutionen, wo eben auch die ganzen Mittel sind und wo eben auch die Macht ist.
Und dann ist es plötzlich auch wieder eigentlich ein Mittel der hochkulturellen
Abgrenzung von Menschen, die zum Beispiel marktförmige Kunst gerne mögen.
Und ich denke, das Interessante daran ist, dass sich der Inhalt,
die inhaltliche Fügung, dessen, was Hochkultur ist, immer ändert.
Aber im Endeffekt entscheidet er über Hochkultur nicht, was es ist,
sondern wer darüber entscheiden darf.
Und das sind Institutionen, die mit Ressourcen ausgestattet sind.
Das heißt, alle Kämpfe in Kunst und Kultur sind eigentlich grundiert durch Ressourcenkämpfe,
die im Endeffekt eigentlich vor allem sich darum drehen, wer hat Geld und Macht.
Wer darf darüber entscheiden, was in den großen Theatern aufgeführt wird?
Wer finanziert diese großen Theater? Wer verfügt über die erkranklichen Mittel,
die man dafür braucht, aber auch, worüber wird berichtet?
Was steht in Zeitungen wie der FAZ oder der Süddeutschen?
Was wird da rezensiert? Und was es im Endeffekt ist?
Immer die Frage, aber ich finde es schon interessant, dass bis heute eigentlich
in der Bewertung von Kunst diese Aspekte des Kunstplanadigmas,
das soll eine gewisse Arbeit machen, eine gewisse Konzentration erzeugen,
nicht einfach sein, nicht nur Vergnügen, das sind ja eigentlich Dinge,
die sich in den letzten 250 Jahren auf eine erstaunliche Art gehalten haben.
Also das, was man damit meint, hat
sich verändert, aber die Werte selbst scheinen mir nach wie vor stabil.
Jan Wetzel
Also wenn man das mit Bordieu nimmt, dann ist natürlich die Antwort klar,
es muss halt oben und unten geben und solange es oben und unten geben muss,
muss es dann auch diese Abgrenzung geben und gerade diese Aneignung des Unterrennen,
das beschreibt ja Bordieu auch ausführlich, ist ja sozusagen die älteste Übung
des Bildungsbürgertums. Also auch im 19.
Jahrhundert, man kann sogar ins 18. Jahrhundert zurückgehen,
wo man dann eben Volkskultur und solche Sachen entdeckt, ist das ja ganz deutlich,
also Baudi beschreibt das auch als so ein Versuch der Machtausübung,
also dass man eben Sachen kulturellen Wert zuspricht, die komplett entwertet
sind und dadurch ja sozusagen die Ordnung so ein bisschen verändert.
Das kann auch schief gehen natürlich, aber wenn man das richtig macht als Intellektueller,
so wie Brecht zum Beispiel, dann kann man so natürlich seine Position behaupten
und Macht ausüben, kulturelle Macht, ohne Geld zu haben. Darum geht es aber immer.
Wie schafft man das eigentlich, Macht auszuüben, wenn man kein Geld hat?
Und das ist sozusagen die Übung der Intellektuellen. Also ich würde da Brecht
auch gar nicht in Schutz nehmen, der ist einfach ein ganz normaler bürgerlicher
Intellektueller, der versucht seine Position zu verteidigen,
ohne dass er Geld hat und damit macht das mit Bildung.
Also ich finde das gut von dir, das ziemlich deutlich zu sagen,
seit 250 Jahren unverändert, weil die Gesellschaft ist dieselbe sozusagen in diesem Mechanismus.
Johannes Franzen
Ja, im Endeffekt eigentlich, also ich will mich nicht zu sehr vorwagen,
aber eine Definition von Bürgerlichkeit ist ja quasi diese Mittelstellung zwischen
quasi der absoluten finanziellen oder Machtelite und der Unterschicht und das
ist ja auch die ethische Position und diese Position kann man eben durch eine
bestimmte Form von Kunstgeschmack einhalten,
die sich nach oben und unten eben abgrenzt durch diese Disziplinierungsvorstellung.
Und das ist natürlich immer, das ist auch nochmal ein interessantes Buch,
eigentlich quasi so ein Hase-und-Igel-Spiel, weil die unteren Schichten versuchen
durch, wie gesagt, das, was Beutue auch beschreibt, versuchen nachzurücken,
indem sie dann eben die Rezeptionspraktiken imitieren.
Und dann gibt es aber schon die nächste Rezeptionspraxis, die sich das eigentlich wieder nivelliert.
Wenn man ins Theater geht und dann plötzlich wieder ein Schlammerpoli anhat
und da sitzt dann der kleine Bürger mit seinem Frack und denkt,
ja, fantastisch, wieder reingefallen.
Ich meine, eine,
Eine Geschichte, die ich ja auch in dem Buch ein bisschen erzählt habe,
ist ja die des Kitschbegriffs.
Also an dem Kitschbegriff lässt sich, glaube ich, diese Geschichte der Wertveränderung,
aber eigentlich auch der Kontinuitäten ganz gut zeigen.
Der Begriff ist im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts aufgekommen. Man weiß gar nicht so genau, woher der etymologisch kommt.
Das ist ganz klar ein Abgrenzungsbegriff gegen eine spezifische Form von kultureller
Entwicklung, Nämlich im Endeffekt der Aufstieg einer Massenkultur,
einer kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Massenkultur, die eben partizipieren
möchte an der Hochkultur durch zum Beispiel, weiß ich nicht,
Kunstdrucke oder Gartenlaube, wo dann eben auch Gedichte drin sind.
Und das führt dann wiederum zu einer Abgrenzungsbewegung bei der bürgerlichen
Kunst, die dann quasi eigentlich mit einer bestimmten Avantgarde-Kunst,
mit einer gewissen modernistischen Form der Dekonstruktion und Zerstörung reagiert.
Um sich davon nicht zu grenzen. Und das ist Kitsch natürlich ein ganz klaren
Begriff, um sich über Leute lustig zu machen, spezifische Formen von Kunst und
Kultur und ihre Rezipienten abzuwerten.
Und seit den 60er Jahren, aber eigentlich, ja, seit den 60er Jahren,
natürlich das berühmte Essay von Susan Sontag, Notes on Camp.
Gibt es so eine Art von, ja, Wertverschiebung, auch in Bezug auf Kitsch,
dass es die Möglichkeiten gibt, vormals kitschige Artefakte in den eigenen Geschmack
zu integrieren, durch Ironisierung eine gewisse Form des Distanz und Spiel.
Meine These dazu wäre, dass das vor allem damit zu tun hat, dass man mit seinem
Kunstgeschmack nicht mehr als elitär darstellen möchte.
Es gibt so eine linke anti-elitistische Selbstbeschreibung und dazu passt natürlich
nicht, dass man sagt, ha ha, schaut mal, der Unterschichtler hat sich irgendwie
eine Gürtelbüste ins Zimmer gestellt. Das ist natürlich dann schwierig.
Man grenzt sich dann plötzlich wieder eher ab vom mittleren oder Großbürgertum
und seinem Kunstgeschmack, indem man sagt, nein, wir finden jetzt auch Kitsch
gut, aber natürlich nicht so wie die Oma, die sich irgendwie kleine Katzenfiguren
aufstellt, sondern auf eine ironisch-spielerische Art.
Was natürlich aber eigentlich auch das Kunstparadigma und seine Wertigkeiten,
nämlich dass man eine gewisse Konzentration, eine gewisse Investition an Arbeit,
braucht, um einen angemessenen ästhetischen Geschmack zu haben,
eigentlich auch wieder reproduziert und aufwertet.
Das finde ich total interessant, also wie diese Verschiebungen durch die Geschichte
hindurch eigentlich immer Verschiebung der Abgrenzung sind, die versuchen,
wo eigentlich verschiedene Gruppen voreinander auf der Flucht sind oder sich hinterherjagen.
Das ist ja im Endeffekt auch der Grund, warum diese Konflikte entstehen.
Leo Schwarz
An einer anderen Stelle im Buch schreibst du allerdings auch,
dass bestimmte kulturelle Hierarchien sich teilweise aufgelöst hätten,
also das macht jetzt auch vor dem Hintergrund, was du jetzt gerade gesagt hast,
irgendwie Sinn, nichtsdestotrotz kann man ja auch mit gleichem Recht sagen,
dass es immer noch ganz klar weitergeht in der Logik von oben und unten,
vom legitimen Geschmack und vom populären oder kitsch Geschmack.
Insofern, also wie würdest du diese These verstehen? Du redest dann glaube ich
auch vom sogenannten Mid-Cult, also so einer Art Kultur, die sowohl,
die Intellektuellen als auch normale Rezipienten sich zur Gemüte führen,
also wie genau ist das zu verstehen und lässt sich das wirklich durchhalten, diese These?
Johannes Franzen
Die Grundbeobachtung, auf der auch die meisten, also eigentlich alle Geschichten
und Thesen meines Buches beruhen, ist, dass in der Gegenwart diese Hierarchien
endgültig, also zumindest so, wie sie sich eben in den letzten 200 Jahren entwickelt
haben, endgültig am Zusammenbrechen sind.
Es hat zum Tun zum einen mit einer Radikalisierung des Konfliktes zwischen High
und Low, zwischen Populär- und Hochkultur, der auch mit vielen medientechnischen
Entwicklungen zu tun hat.
Und eine der wichtigsten medientechnischen Entwicklungen ist natürlich die Digitalisierung,
die meiner Ansicht nach diesen Prozess des Zusammenbruchs nicht bewirkt hat,
aber auf jeden Fall radikalisiert.
Also der Schub an Teilhabe am
ästhetischen Diskurs, der durch die sozialen Medien möglich geworden ist,
der hat sich dermaßen radikalisiert, einfach dadurch, dass man sich eben mit
zwei Mausklicks an diesem Gespräch beteiligen kann, einfach dadurch,
dass man viel mehr Möglichkeiten hat, sich in ästhetischen.
Also in Gruppen der Hingerissenheit, der Zuneigung zu finden und zu vernetzen.
Und das hat quasi den Machtanspruch des Kunstparadigmas auf eine Art und Weise
herausgefordert, der wahrscheinlich jetzt kein Prophet, aber demnächst zum Zusammenbruch führen wird.
Und meine These ist eben, dass das aber nicht bedeutet, dass quasi eine Nivellierung
dieser Hierarchien stattfindet oder dass alle jetzt quasi mit einer gewissen
Gelassenheit reingehen und die einen konsumieren eben das und die anderen das,
sondern dass wie bei einem Zusammenbruch einer politischen Ordnung jetzt besonders blutige Kämpfe,
Jeder Warlord hat quasi seinen eigenen Bereich, aber man geht eben auch aufeinander los.
Und das macht es eben so besonders interessant, sich diesen Konflikt gerade
auch in der Gegenwart anzuschauen, weil es eben jetzt besonders kracht.
Was ich besonders interessant finde, sind die Momente, wo High und Low aufeinanderstoßen,
gerade in der digitalisierten Gegenwart und voneinander überhaupt erst erfahren.
Weil eine der Grundlagen, dass diese Hierarchie überhaupt aufrechterhalten wird,
ist natürlich, dass Menschen in Frieden ihre eigene...
Alltag der Rezeption haben und einfach gar nicht so richtig wissen,
was bei den anderen passiert.
Aber die Digitalisierung, das wird ja immer von so Filterbubbles gesprochen,
dass Menschen nur noch das hören, was sie hören wollen.
Aber inzwischen gibt es auch genug Forschung, die echt genau das Gegenteil beweist,
dass einer der Gründe, warum die Digitalisierung so konfliktträchtig ist,
vor allem eigentlich darin liegt, dass Menschen die ganze Zeit konfrontiert
werden mit den abartigen Dingen, die andere Menschen denken und tun.
Und ich glaube, das deckt sich ja auch mit der Erfahrung, die meisten Menschen
haben, die sich im Internet bewegen.
So viel konfrontiert mit dem, was andere Menschen denken und tun,
wurde man ja vorher nicht.
Und eine von den Sachen ist natürlich, dass man eben diese kulturellen Konflikte
da stärker sieht und ein Beispiel, das ich in dem Buch auch beschrieben habe,
ist, dass eine Gedichterin,
Lude Zander hat den renommierten Peter-Huchel-Preis gewonnen.
Dann hat der SWR-Kultur auf seiner Facebook-Seite das bekannt gegeben und eben
auch ein Gedicht dann da veröffentlicht.
Da gab es über tausend extrem wütende und schäumende Kommentare,
die sich über dieses Gedicht hergemacht haben, weil eben Leute,
die normalerweise nicht mit dieser Form von Lyrik in Verbindung kommen, in Berührung kommen,
Menschen, die jetzt vielleicht auch gar nicht so richtig wissen,
was dieser Preis ist und auch diese Form von Lyrik nicht kennen,
das gelesen haben und gedacht haben, ich verstehe das nicht,
ich werde hier gedemütigt.
Ich werde hier quasi konfrontiert mit einer Form von Literatur,
die ich noch aus dem Schulunterricht kenne, wo ich es auch nicht verstanden
habe und das kriegt jetzt Geld vom Staat.
Also der Staat sagt mir eigentlich hier ist preiswürdige Lyrik,
die du nicht verstehst, du Idiot.
Jan Wetzel
Was ja auch nicht ganz falsch ist.
Johannes Franzen
Es ist ja quasi in der Struktur des Kunstparadigmas, angelegt und auch in seiner
Geschichte, dass das eigentlich genau auch eine von den Aussagen ist,
auch wenn ich die der Lyriker-Räte zum Gotteswillen nicht unterstellen möchte,
aber sie ist eigentlich in der ästhetischen Strategie, die dort angewendet ist, angelegt.
Exklusion ist in jeder ästhetischen Strategie zwangsläufig tragischerweise angelegt,
aber es gibt welche, wo es mehr und wo es weniger passiert.
Und das ist zum Beispiel ein Vorgang, der ja nicht denkbar ist ohne die Digitalisierung.
Also in gewisser Hinsicht könnte man es sich schon vorstellen und es gibt auch
Vorläufer davon, aber solche Konflikte entstehen halt jetzt die ganze Zeit,
weil eben Welten der Wertung, Wertungsgemeinschaften, Wertungskollektive aufeinanderstoßen,
die eigentlich normalerweise gar nichts miteinander zu tun haben.
Und das ist genau das, was eben diesen interessanten Konflikt ausmacht,
den ich in dem Buch dann auch untersucht habe.
Jan Wetzel
Also ich kann ja auch ein eigenes Beispiel aus eigener Erfahrung nehmen.
Das habe ich immer nachts, wenn ich in Deutschlandfunk, also abends ist ja ganz
selten, dass man abends nochmal Radio anmacht.
Aber wenn man das macht, dann kommt im Deutschlandfunk ganz hochkulturelle neue
Musik und sowas, was man wirklich nicht anhören kann als so ein ganz normaler
Mittelschichtler, der vielleicht auch nicht diesen Geschmack entwickelt hat.
Und da habe ich das manchmal, weil ich niemals in so ein neues Musikkonzert gehen würde.
Aber das mich auch nicht tangiert, weil ich höre es einfach nicht, ich kriege es nicht mit.
Und ab und zu kommt das dann mal und dann kriegt man mit, was das alles kostet
und dann denke ich auch manchmal, also warum wird dieses ganze Geld da versenkt,
aber wie du richtig sagst,
im Radio ist das relativ selten, dass sowas passiert, im Internet kann das die
ganze Zeit eigentlich passieren, dass man plötzlich mit Hochkultur oder eben
mit Unterschichtenkultur oder sowas konfrontiert wird und plötzlich merkt,
man ist nicht alleine und das ist nicht selbstverständlich eigentlich,
was man selbst so an Überzeugung hat.
Johannes Franzen
Die Räume, in denen Kultur stattfindet, überschneiden sich und man kann eben
in die Räume der anderen reinschauen und was man da sieht,
das ist oft irritierend bis problematisch und verletzend und so entsteht dann
quasi dieser Konflikt, der natürlich immer sofort auch ein Konflikt ist,
der einen zurückführt auf allgemeine gesellschaftliche Fragen,
weil für Kunst muss irgendjemand bezahlen.
Und wenn das zum Beispiel der Staat macht, dann ist natürlich sofort die Frage,
ich bin doch auch der Staat, das ist ja die Respublika, die dafür bezahlt.
Und dann sitzt man abends da oder ist im Internet und wird plötzlich mit einem
Gedicht konfrontiert, das man nicht versteht oder mit einer Musik,
die in den eigenen Ohren nur wie Geräusch klingt.
Und das ist ja quasi, so wie ich das jetzt sage, klingt das so,
als sollten die Leute sich nicht so aufregen, aber natürlich regen die Leute
sich in gewisser Hinsicht auch zu Recht auf, auch weil es tatsächlich sich ja
um eine Form von Kultur handelt,
die von gemeinschaftlichen Geldern gefördert wird und die aber eigentlich so
gemacht ist, dass sie sie ausschließt.
Und das sind genau die Konflikte, muss man jetzt einfach mal wertfrei sagen,
die ja auch dann explodieren und zu den interessanten Skandalen und Debatten
führen, die wir dann auch führen.
Jan Wetzel
Würdest du dann auch sagen, dass es tatsächlich doch mal, also doch eben eine
Demokratisierung ist? Also dieses Demokratiebegriff, den benutzen wir ja meistens
immer so ein bisschen ehrfurchtsvoll.
Demokratie ist ganz toll, aber es gibt ja auch diese andere Tradition,
die du vorhin gesagt hast, dass im Theater plötzlich das Tumulte gibt und Leute sterben und so.
Das ist ja auch eine Form von Demokratie, weil Leute einfach nicht mehr sich
damit abfinden, wo sie sind, sondern tatsächlich,
also gerade wenn es immer um das Budget, um die Steuern geht,
die alle zahlen und über die alle so ein bisschen mitreden wollen und das auch
vollkommen selbstverständlich empfinden, dass sie letzten Endes das mitbestimmen
wollen, wofür das Geld ausgegeben wird.
Das ist sozusagen eine hässliche Seite von Demokratie manchmal,
wenn man sich die Streits anguckt, aber könnte man das trotzdem sagen?
Johannes Franzen
Ich bin mit dem Demokratiebegriff in der Vergangenheit schon öfters reingefallen,
weil der, wie du sagst, so eine automatische positive Konnotation hat.
Aber interessant ist eigentlich, dass Menschen dann abwehrend reagieren,
wenn ich diese Vorgänge als Demokratisierung bezeichne, weil sie sagen,
aber das ist ja doch eigentlich auch negativ.
Aber ich finde es gerade deshalb eigentlich wirklich auch ganz gut zu sagen,
nein, das ist eine Form von Demokratisierung, weil wir reden hier ja von einer Auswahl von Teilhabe.
Also mehr Menschen können mitmachen, nicht nur bei der Rezeption selbst,
sondern auch beim Austausch über die Rezeption, der notwendigerweise auch ein
konfliktreicher Austausch darüber ist.
Was ist gut, was ist schlechte Kunst, was sollte gefördert werden,
was sollte nicht gefördert werden?
Was möchte ich in meinem öffentlichen Raum haben und was nicht?
Und wenn wir sagen, dass Demokratie die Herrschaft der breiten Masse ist,
im Gegensatz zu, sagen wir mal, einer Monarchie, die Einzelherrschaft ist,
oder einer Oligarchie, die die Herrschaft von wenigen ist,
dann ist es natürlich schon so, dass wenn man den...
Die Geschichte der letzten 100 Jahre als eine Geschichte der Verschiebung von
Machtgefügen im ästhetischen Feld beschreibt, dass es natürlich eine Form von
Demokratisierung war, weg von der Herrschaft von wenigen hin zu der Herrschaft der Masse.
Das merkt man daran, das ist auch ein Beispiel, dass ich ein Buch ausführlich
beschrieben habe, dass Leute, Kritikerinnen,
also klassische Kritikerinnen, die so, weiß ich nicht, Musik,
also Alben oder Romane rezensieren oder vor allem Games, dass die oft Gefahr
laufen, dann von den Fans der Künstler, die sie kritisiert haben oder von den
Fans der Kunstwerke massenhaft beschimpft zu werden im Internet,
also richtig Opfer von so Shitstorms zu werden. Das ist mir auch schon passiert.
Und das ist natürlich eine Erfahrung, die einem vor Augen führt,
wie sich die Machtverhältnisse tatsächlich verschoben haben,
wenn man plötzlich so hundertfach beleidigt wird.
Oder wie im Fall von Taylor Swift, das ist trotzdem nicht mir passiert,
aber da gab es in den letzten Jahren öfters Fälle, wo Leute dann so Todesdrogen
bekommen haben und gedoxt wurden.
Also ihr Interesse wurde irgendwie im Internet veröffentlicht.
Die Leute haben sich dann plötzlich auch bei ihren Arbeitgebern gemeldet,
um ihnen zu sagen, dass sie den doch feuern sollen.
Und das ist so ein konkretes Beispiel dafür, wie sich die Macht im ästhetischen
Feld, also die Macht eigentlich darüber, was wird valorisiert und was wird nicht
valorisiert, verändert hat.
Und das kann man auf sehr unterschiedliche Arten bewerten, das hat auch was
Erschreckendes, aber es ist eine Demokratisierung.
Im strengen Sinne, muss man sagen, ja.
Leo Schwarz
Also Adorno schreibt ja, das ist pseudodemokratisch dann an einer Stelle auch.
Man sagt, okay, also alles soll einfach nur für alle immer sofort unmittelbar
zugänglich sein. Das kann es dann auch nicht sein.
Andererseits, wir wissen, wie es mit Adorno dann steht auch.
Und vielleicht sollte man das auch nicht, also sollte man da auch vorsichtig
sein, weil es sind ja tatsächlich teilweise legitime Ansprüche und teilweise
eben dann diese Exzesse, die man sicherlich nicht mehr toll findet,
aber es geht ja wirklich um was Handfestes,
worum wir uns wirklich auch streiten, was auch eine gesellschaftliche Qualität hat.
Jan Wetzel
Also vielleicht noch dazu, ich finde es halt vollkommen selbstverständlich,
wenn man neue Musik, die wirklich kein Publikum hat, die sozusagen steuerlich
finanziert ist ohne Ende,
dass es sozusagen selbstverständlich Leute gibt, die das für selbstverständlich
halten, dass sie quasi was produzieren,
was niemand anhört, aber was von Steuergeldern finanziert wird.
Ich weiß nicht, warum man nicht das als einen Exzess, als einen sozusagen kulturbürgerlichen
Exzess verstehen sollte.
Also ich glaube, diese Argumente kann man immer wieder rumdrehen.
Aber es ist natürlich klar, auch darauf hat man sich ja so ein bisschen geeinigt
in der Demokratie, dass es trotzdem Positionen gibt, die mit mehr oder weniger
Legitimität ausgestattet sind.
Und dass es auch Leute geben soll, die vielleicht von Steuergeldern leben.
Zum Beispiel so jemand wie Adorno, der seine Kohle auf seinem Professorenposten dort einstreicht.
Aber es geht sozusagen immer, also da sehe ich, finde ich auch wieder diesen
Kampf um die Legitimität dieser Position.
Aber dass es keine höhere gibt.
Das würde ich auch sagen. Also das sind dann eben ästhetische Theorien,
die haben dann sozusagen die Funktion, die Position zu verteidigen.
Leo Schwarz
Ja, das ist sicherlich alles, da ist sicherlich alles irgendwie was dran und
politisch sind das auch Sachen, die immer zur Debatte stehen natürlich.
Wofür wollen wir unsere gesellschaftlichen Mittel einsetzen?
Das ist absolut legitim.
Ich würde davor warnen jetzt sozusagen diese Steuergelder-Populisten-Argumentationen
anzuschlagen. Also da sind auch ganz andere Sachen.
Dann sind wir bei Millet und dann müssen auch die ganzen Professoren gehen und so.
Und das sind dann alles Parasiten. Der ganze öffentlich-rechtliche Rundfunk kann weg und so.
Also da müssen wir schon ein bisschen vorsichtiger sein, glaube ich,
um welche gesellschaftlichen Güter es jetzt geht. Aber es zeigt ja vielleicht
auch, wie angefasst wir jetzt auch wieder von diesem Thema sind.
Ich wollte nochmal zur Schule übergehen,
die du auch beschreibst und die sozusagen die kulturelle Zwangsbildung,
die wir alle irgendwie durchlaufen haben und alle irgendwie mit einem irgendwie
großen Unbehagen und irgendwie nicht so einem wahnsinnigen Zugang zu dem,
was wir uns da damals im Deutschunterricht beispielsweise anschauen mussten.
Und ja, du beschreibst es relativ ausführlich, dass es eigentlich eine ganz
eigenartige Art ist, wie man an Kunst herangeführt wird auch.
Vielleicht gibt es da auch Perspektiven, wie vielleicht auch die ganze Kulturpädagogik
ganz anders angegangen werden könnte.
Also es scheint ja eher im Moment darum zu gehen, die Autoritäten der Klassiker
zu verteidigen und so ein schematisches Grundwissen zu vermitteln, oder?
Johannes Franzen
Also mein Ausgangspunkt war da, also die Quelle waren schlechte Rezensionen,
Ein-Stern-Rezensionen oder Zwei-Stern-Rezensionen von Klassikern auf Goodreads
und Amazon, also auf Rezensions- und Social-Reading-Plattformen,
die natürlich auch, also wieder Stichwort Digitalisierung,
in der Form von Teilhabe am ästhetischen Diskurs ermöglicht haben,
einfach weil sie eine publizistische Infrastruktur zur Verfügung stehen,
wo Menschen sich dazu äußern können, die sich vielleicht vorher nicht öffentlich hätten äußern können.
Und ich habe mir vor allem für ein Kapitel, das ist natürlich auch witzig,
so schlechte Rezensionen von Effie Priest angeschaut.
Also Theodorvens Lutanes klassischen Roman Ende des 19.
Jahrhunderts, der eben lange Zeit auch Schullektüre war. Und das merkt man eben
in diesen Rezensionen auch.
Also da ist viel von der Langeweile die Rede, die dieses Buch ausgelöst hat,
davon, dass man es sich für die Schule kaufen musste und einfach,
dass es wahnsinnig langweilig ist.
Und was ich total interessant finde an diesen Rezensionen als kulturwissenschaftliche Quelle, ist,
dass da auf eine ziemlich explizite Art und Weise eigentlich eine kulturelle
Exklusions- und Entfremdungserfahrung zum Ausdruck kommt und verhandelt wird.
Und die Schüler rächen sich da eigentlich dafür, dass ihnen ein Zwangskanon
auferlegt wurde, dass sie zu einer ästhetischen Erfahrung eigentlich gezwungen
wurden von einer mächtigen Institution.
Und daraus versuche ich dann, ein Konzept abzuleiten, das ich gerne auch in
den Diskurs einführen würde, nämlich das der Pflichtrezeption.
Pflichtrezeption ist quasi eine Form von Rezeption, die nicht freiwillig passiert.
Dann muss man natürlich die Frage stellen, was heißt eigentlich freiwillig?
Wenn man dann über die Motivation nachdenkt, warum wir bestimmte Formen von
Kunst rezipieren, dann fällt uns auch auf, dass vielleicht die meiste Rezeption
nicht ganz freiwillig ist. Aber interessant ist doch vor allen Dingen, dass eben,
Kultur- und Kunstwissenschaftlerinnen haben ja oft so eine Position,
dass sie die Cheerleader von Kunst und Kultur sind, darüber reden,
warum das gut ist für die Gesellschaft, warum das in Form von Wohlgefallen und
Hingerissenheit auslöst.
Und das Beispiel der Schullektüre ist halt das Beispiel, das am brutalsten zeigt,
dass eben diese Rezeption oft mit Pflicht verbunden ist, dass es einen kulturellen
Druck gibt, der darauf lastet.
Und wie gesagt, Schullektüre, also es ist mir auch wichtig, das zu sagen.
Es war jetzt nicht meine Aufgabe, da irgendwie so eine Straftredigt.
Ich arbeite ja an der Uni, ich unterrichte ja auch Literatur und habe genau
die gleichen Probleme zu kämpfen.
Es geht nicht darum zu sagen, die machen alles falsch und ich weiß,
wie es richtig geht, sondern es ist eher so, dass im Konzept der Schullektüre
eigentlich eine Tragik angelegt ist, die fast jede kulturelle Form von Rezeption
hat, nämlich in dem Moment, wo man es zur Arbeit macht,
Also zu einer Klassenarbeit zum Beispiel.
Das Beispiel, kennt ihr ja auch, Gedichtanalyse. Man hat zwei Stunden,
sitzt man da mit spitzenden Händen, dreht das Blatt um.
Oh Gott, das ist Mörike. Und dann fängt man an A, B, A, B, erstmal das Einfache.
Und dann muss man aber das Metrum. Und dann ist es quasi ein Bus und so weiter und so fort.
Das ist natürlich eine Form von ästhetischer Erfahrung und Praxis der Rezeption,
für die der Text wirklich nicht geschrieben wurde.
Niemand saß da und hat gedacht, ich schreibe jetzt ein Gedicht und dann passiert
das damit, sondern es ging um ganz andere Sachen.
Und so pervertiert natürlich die Form des Unterrichtens fast automatisch und
zwangsläufigerweise eigentlich auch das Verhältnis zur Kunst.
Und gleichzeitig, und da kommt dann wieder das Kunstparadigma ins Spiel,
wird natürlich durch solche Institutionen wie die Schule, aber eben auch durch
die ästhetische Forschung des bürgerlichen Kunstparadigmas, die Forschung von
Kunst als Arbeit, als Klassenarbeit eigentlich auch vorgegeben.
Und da verbinden sich diese beiden Elemente. Und das zeigt sich eben,
dass in der Moderne die Rezeption von Kunst und Kultur, wenn sie angemessen,
wenn sie eben im Bereich des bürgerlich angemessen sein soll,
eigentlich immer eine Form von Pflichtrezeption auch ist.
Und genau davon ausgehend habe ich mir dann eben Gedanken darüber gemacht,
was es bedeutet eben im Alltag, wenn dieser kulturelle Druck auf einen entlastet.
Also tägliche Beispiele fallen einem ständig ein.
Man will abends eigentlich irgendwie eine blöde Serie schauen,
weil man den ganzen Tag gearbeitet hat, irgendeine Krimiserie.
Dann guckt man vielleicht doch nach der angespruchsvollen, viel prämierten Dokumentation,
die schon seit zwei Wochen so in der Watchlist irgendwie so vorwurfsvoll einen anschaut.
Das ist zum Beispiel ein Moment, in dem Pflichtrezeption und der kulturelle Druck zuschlägt.
Das ist natürlich auch wiederum von Rezipient zu Rezipient, von Milieu zu Milieu sehr unterschiedlich.
Aber mir war es eben wichtig, quasi diesen Druck zu zeigen, weil der Druck führt natürlich zu Renitenz.
Also wir lassen uns ungern Sachen vorschreiben und Renitenz führt zu Konflikten.
Und dann sind wir wieder mitten in der Frage, warum Streit über Kunst.
Und einer der Gründe ist, weil wir oft dazu gezwungen werden, sie zu rezipieren.
Jan Wetzel
Ist da sozusagen das Element, was auch diese Wut auslöst.
Vielleicht aber, dass man eben gerade diese ästhetische Erfahrung nicht macht.
Also man bekommt sozusagen vorgesetzt, du musst diese ästhetische Erfahrung
machen und man wird dazu gezwungen. weil wenn man die ästhetische Erfahrung
nicht macht, dann kriegt man eine schlechte Note.
Und dann in der Auseinandersetzung, selbst wenn man offen rangeht,
aber es einfach irgendwie nicht klickt, merkt man irgendwann,
vielleicht gibt es die ästhetische Erfahrung gar nicht.
Das ist hier sozusagen nur ein großer Hoax, um mich sozusagen runterzumachen,
um mich sozusagen unter Kontrolle zu setzen.
Also es ist sozusagen diese Frage von, erlebt man das wirklich?
Oder hat man das Gefühl, hier steckt gar nichts dahinter? Das ist einfach nur ein langweiliges Buch.
Ist das vielleicht nicht auch so ein Moment, dass das sozusagen überhaupt die
Wirklichkeit dieser ästhetischen Erfahrungen, die Realität selbst da auch in Frage steht?
Johannes Franzen
Genau, also das Interessante an Pflichtrezeption, gerade im schulischen Kontext,
ist, dass es eigentlich eine doppelte Demütigung ist.
Also demütigend ist natürlich auch im Matheunterricht nicht gut zu sein,
nicht zu verstehen, wie die Aufgaben funktionieren oder demütigend wäre auch
im Geschichtsunterricht irgendwie
nicht zu verstehen, wie die Französische Revolution funktioniert hat.
Aber in Bezug auf andere Wissensvermittlungsformen ist sozusagen der Aspekt,
der doch wiederum hedonistischen, also der Aspekt des Genusses und des Wohlgefallens
nicht so stark im Vordergrund.
Das heißt, wenn man das Gedicht nicht versteht und damit nicht anfangen kann
und dann eine schlechte Note schreibt, dann hat man sozusagen nicht nur auf
der Ebene des Verstehens versagt, sondern auch auf der Ebene des Fühlens,
also der sinnlichen Erfahrung, die man nicht gemacht hat.
Und es wird einem dann vorgelebt, also ich weiß, dass das heute nicht mehr so
ist, aber idealerweise wird einem vorgelebt von der Lehrerin,
dass sie das Buch nicht nur verstanden hat, sondern auch sehr gut findet,
dass es ein Buch ist, das sie gerne gelesen hat in ihrer Freizeit.
Und dann sitzt man da und A, versteht man das Buch nicht und B, mag man es auch nicht.
Das heißt, man scheitert zweifach im Verstehen, also auf der Ebene der Arbeit,
aber auch auf der Ebene des Fühlens und des Genießens.
Und das ist was, was eigentlich auch ästhetische Erfahrungen in ihrem Verletzungs-
und Demütigungspotenzial vor anderen Form der Wissensarbeit oder der pädagogischen
Rezeption eigentlich auszeichnet.
Und deshalb ist es natürlich auch besonders interessant.
Das ist ja das grundsätzliche Problem, im Gegensatz zu vielen anderen schulischen
Stoffen, ist ja Literatur, wenn man es ernst nimmt, eigentlich auch ein Freizeit-
und Unterhaltungsmittel.
Aber in dem Moment, wo es natürlich in der Schule zu Schulstoff wird,
verliert es im Endeffekt diesen Aspekt auf eine Art und Weise fast zwangsläufig,
weil Freizeit ja das Gegenteil von Arbeit ist.
Aber wenn es dann Arbeit wird, und als Literaturwissenschaftler kenne ich das
Problem auf einer existenziellen, alltäglichen Ebene, dann verschwimmen diese
Grenzen zwischen Arbeit und Vergnügen auf eine Art und Weise,
die am Ende möglicherweise beides auch beschädigt.
Leo Schwarz
Es kommt sogar noch eine dritte Demütigung hinzu, nämlich wenn man dann gerüstet
mit dem Jambus Tracheus Dactylus Wissen versucht eben dieses schon zitierte Gedicht zu verstehen,
wo dann irgendeine Lyrikerin einen Preis kriegt und man dann selber wieder sogar
noch gezwungen wird, wieder die sozusagen den verlisterhaften Literaturkanon
zu vertreten, weil man das in der Schule so gelernt hat.
Dann wird einem dann wieder gesagt, man ist wieder schon weit hinter dem sozusagen
aktuellen ästhetischen Standard.
Ich glaube, Thomas Bernhard hat mal gesagt, jedes Arschloch kann sich auf die
Literaturgeschichte berufen.
So ist das wirklich dann auch noch so.
Man ist noch nicht mal kulturell kompetent eigentlich,
um dann sozusagen in den Spezialdebatten irgendwie Punkte zu machen,
sondern man blamiert sich dann auch noch, weil man irgendwie das Metrum abzählt
oder sowas, wenn man sich Lyrik anschaut.
Also es ist irgendwie ein extrem doppelbödiges Spiel auf ganz verschiedenen
Ebenen und immer, immer ist der Verdacht im Raum, der Kaiser ist nackt.
Also das ist eigentlich so das zentrale Bild, was die gesamte moderne Kunst
ja eigentlich auch, also jetzt
vor allem jetzt in der bildenden Kunst dann ganz stark auch begleitet.
Das kann ich auch malen, das hätte ich auch gekonnt, das kann mein Kind,
das hätte mein Hund machen können, wieso ist da ein Pissoir im Museum und so weiter.
Provokation, Banalität, um die Spieße herauszufordern und eine neue Welle wieder
der gegenseitigen Ab- und Aufwertung loszutreten, nicht wahr?
Jan Wetzel
Also das ist ja, wenn ich das noch anfügen kann, ja auch wiederum diese Form von Machtausübung.
Also dass man die Leute, die den Kanon vertreten, müssen gleichzeitig eigentlich
in der Lage sein, sich jederzeit davon zu distanzieren.
Und sozusagen besondere Bewältigung präsentiert man dann, wenn man stundenlang
über Ephibris dozieren kann und dann aber sagt, aber es ist eigentlich totaler Schrott.
Es ist eigentlich Kitsch. Also beides zu können, jederzeit dieses Spiel zu beherrschen.
Aber wie gesagt, das kann man bei Baudui auch alles wunderbar nachlesen.
Also diese Distanz und die absolute Negierung der Kultur, wenn es eben in den
Kram passt, wenn man sich abgrenzen kann von den Philistern.
Das ist damals Begriff, heute würde man Spiegel sagen oder Kleinbürger.
Gut, Kleinbürger hat vielleicht wieder eine Renaissance, mal sehen.
Aber ja, das ist interessant.
Johannes Franzen
Das grundsätzliche Problem, was diese Frage so faszinierend macht und die Explosionskraft
dieser Frage auszubringen, ist,
dass es eben gleichzeitig ein oft auch ironisches Spiel mit sozialen Rollen ist,
das eben der Distinktion dient und den Habitus betrifft und wo es vor allem
auch darum geht, die Spielregeln virtuos zu beherrschen.
Und gleichzeitig, was ist, was für viele Menschen auch todesernst ist.
Also wo eine starke Form von emotionalem Investment eine Rolle spielt,
wo man sich eben auch selbst, also stark darüber definiert, wer bin ich eigentlich, was ist meine Seele.
Und diese beiden Aspekte, also das Soziale, das Öffentliche,
das Spielerische und gleichzeitig aber auch, dass es eben stark kodiert ist
als etwas, was uns im Innersten ausmacht und mit einem starken auch,
also eigentlich Nähe und Distanz,
das reibt sich auf eine Art aufeinander,
die dann quasi diese hochinteressanten und explosiven Konflikte eigentlich erzeugt.
Jan Wetzel
Du hast eben das Beispiel gebracht, dass man vielleicht auch auf dem Sofa sitzt
und das Schöne, Leichte gucken will und dann aber, ja, einem diese Serie,
die hochkulturelle, so böse anguckt.
Das ist ja was, was sozusagen dann wiederum nicht die Serie macht,
sondern auch wieder sozusagen der Kopf.
Kannst du vielleicht dazu ein bisschen was sagen, dass sozusagen alle,
dass man die Standards sozusagen, die öffentlichen Qualitätsstandards und Wertungen,
dass die irgendwie so im Kopf drin sind und dass man eigentlich auch die ganze
Zeit den Kampf mit sich selbst führt.
Wie funktioniert das?
Johannes Franzen
Also eine These, die ich versucht habe im Buch zu belegen anhand von vielen Beispielen, ist,
dass der persönliche Geschmack, also die Vorlieben, die ästhetisch vorliegen,
wir haben eben unter Druck stehen und dass es quasi immer eine Form von innerer
Stimme gibt, die einem auch sagt, dass dieser Geschmack problematisch ist.
Und das ist eben auch eine von den interessanten Widersprüchen,
weil wir einerseits uns oft darauf zurückziehen, dass unser Geschmack des Authentisches
ist, also etwas, was auch uns gehört, was auch individuell für uns ist.
Und daher kommt dann auch der Ausspruch, das ist doch subjektiv.
Dann kann man immer sagen, naja, das ist doch subjektiv, das bedeutet eigentlich, es ist meins.
Und wir können darüber gar nicht diskutieren, weil es so individuell ist.
Und das ist quasi das eine.
Und das andere ist aber das Geschmack eben über individuelle Form von sozialer
Verhandlungsmasse ist, die halt auch öffentlich inszeniert wird und die zum
Teil, also zum wichtigen Bestandteil unseres Habitus wird und damit natürlich
immer unter Druck steht.
Und das bedeutet eben auch, und das war auch eine interessante Beobachtung,
dass wir unseren eigenen Geschmack auch gar nicht so richtig kennen.
Also teilweise uns vielleicht auch überreden, Dinge gut zu finden,
wo wir gar nicht mitgehen können.
Dass sozusagen die, also wenn wir in der Öffentlichkeit was sagen,
was nicht authentisch ist in Bezug auf unseren eigenen Geschmack,
dann ist es auch keine Lüge, sondern eher eine Form, um selber anzulügen,
weil wir uns zum Beispiel reingeredet haben mit bestimmten Formen von,
weiß ich nicht, neuer Musik zum Beispiel, dass jetzt sich wieder aus kein Whipping-Boy
machen, aber das wird es überreden, das gut zu finden.
Und in Wirklichkeit hören wir aber lieber Céline Dion oder andersrum.
Das geht natürlich auch.
Es kommt natürlich aufs Milieu an und das ist sehr gut vorstellbar und gibt
es ja auch viele Fälle, wo Menschen ihren,
besonderen und interessanten und schwuligen Geschmack eben verleugnen müssen
auf Kosten eines konservativen Mainstream-Geschmacks, aber diese Form von Verleugnen
und Selbstverleugnen, die würde ich sagen, ist konstitutiv eigentlich für,
unsere ästhetischen Vorlieben.
Also es lastet eben dieser Druck auf uns und der ist im Wesentlichen immer da.
Leo Schwarz
Was wir noch nicht so sehr thematisiert haben, es gab in den letzten Jahren
und sicherlich ist auch das überaus historisch wiederholungsreich,
viele Debatten darüber,
inwiefern sollte man die Kunstwerke denn jetzt unabhängig betrachten von den
Leuten, die sie gemacht haben oder vielleicht auch von den Bildern der Welt,
die darin enthalten sind.
Das sind jetzt schon unterschiedliche Ebenen, eine Art von moralischer Kritik,
eine Art von politischer Kritik vielleicht.
Nichtsdestotrotz geht es da irgendwie auch immer um die sogenannte Autonomie der Kunst.
Was wird in diesen Debatten verhandelt eigentlich in deinen Augen?
Wiederholt sich da immer dieselbe Logik oder was geht da eigentlich vor sich,
wenn wir darüber streiten, dass die Kunstwerke doch bitte frei von Politik oder Moral sein sollten?
Johannes Franzen
Einer der grundsätzlichen Konflikte, mit denen ich mich im Buch beschäftigt
habe, ist, was passiert, wenn Welt und Kunstwerk aufeinanderstoßen, aufeinanderprallen.
Weil es ja tatsächlich so ist, dass das moderne Kunstparadigma und die Diskussion
über Kunst sich eben durch die Vorstellung davon auszeichnet,
dass es sich um einen autonomen Vorgang handelt,
der frei ist von außerkünstlerischen Begehrlichkeiten und Ansprüchen.
Und eine Diskussion, die auch in den letzten Jahren wieder viel geführt wurde,
ist zum Beispiel die über die Trennung von Werk und Autor.
Werk und Künstler müssen getrennt werden. Das hat man jetzt in den letzten Jahren
oft gehört, in Bezug auf teilweise sehr unterschiedliche Kunstformen,
also quasi von Peter Handke bis Till Lindemann von moderner Poesie,
also von dem Avenida-Skandal, der vielleicht noch einige in Erinnerung ist,
bis hin zu dem Schlager Leila, wird quasi über die Trennung von Werk und Autor,
Trennung von Werk und Moral gesprochen.
Und wie es damit im Endeffekt gemeint ist, ist eigentlich in den meisten Fällen
die Frage, ob man an die ästhetische Faktur des Kunstwerks moralische,
ethische und politische Bewertungsmaßstäbe anlegen kann.
Ein Beispiel, da habe ich ein langes Kapitel drüber geschrieben,
ist, was passiert eigentlich, wenn der Künstlerin oder dem Künstler,
die das Kunstwerk geschaffen haben, das wir lieben,
schreckliche Vorwürfe gemacht werden, in Bezug auf eine Form von persönlichen
Fehlverhalten, also wo die Ellen zum Beispiel dem vorgeworfen wird,
dass er seine Stieftochter missbraucht haben soll, oder Michael Jackson,
dem auch Vorwürfe sexualisierter Gewalt gemacht werden.
Und viele andere Fälle gab es ja auch in den letzten Jahren.
Was passiert eigentlich in diesem Moment auf der Ebene des ästhetischen Gesprächs?
Und...
Es wird dann oft gesagt, man muss es trennen, aber meine These ist,
man kann es nicht trennen.
Nicht aus ethischen Gründen, nicht weil man das nicht trennen darf oder weil
man sich dann irgendwie schuldig macht, sondern wenn man sich dann die tatsächliche
Wut und die Konflikte anschaut, die um diese Fälle entstehen, dann fällt auf,
dass die Information über das angebliche oder tatsächliche Fehlverhalten dieser
Künstlerin wie ein vergifteter Paratext, so habe ich das genannt, wirkt.
Also ein Paratext, das ist ein Begriff, den der Literaturwissenschaftler Girard Genette geprägt hat.
Dabei handelt es sich um Informationen außerhalb oder um den Text herum,
die die Rezeption beeinflussen.
Und ein vergifteter Paratext, den würde ich definieren als etwas,
was die Rezeption beeinflusst und zwar auf eine schlechte Art,
die eigentlich verdirbt.
Und im Fall von den Skandalen um diese KünstlerInnen ist es dann eben so,
man liebt diese Kunst, Man glaubt vielleicht auch gar nicht so sehr an die Vorwürfe
oder sagt, das stimmt alles gar nicht.
Aber die Informationen selbst, die im Diskurs wabern, sind so stark,
dass sie sich eigentlich wie so ein Störfaktor vor das Kunstwerk schieben.
Also man schaut den Film und plötzlich denkt man an diese Vergehen oder man
hört den Song und dann vermischt sich aber in das Wohlgefallen und die schönen
Erinnerungen, die man an die Rezeption mit diesem Song hat, möglicherweise der Skandal.
Ich glaube, das führt zu Verlusterfahrungen, die...
Viele Menschen in den letzten Jahren auch gemacht haben. Also ich persönlich
zum Beispiel war ein wahnsinniger Fan des Comedians Louis C.K.
Und der ist ja nicht schlecht geworden, seit klar geworden ist,
dass er sich vor Frauen, die das nicht wollten, selbst befriedigt hat.
Aber die Bilder, die dadurch entstanden sind bei mir und auch der Ekel vor diesen
Taten und auch, wie ich das finde, der kontaminiert auf eine Art und Weise eigentlich
meine Rezeption jedes Mal, wenn ich ihn sehe. Ich kann das nicht nicht betrachten.
Und das führt dazu, dass quasi ganz automatisch eigentlich auf der Ebene der
kognitiven Ökonomie die Kunst verdorben wird.
Aber in der Öffentlichkeit werden
diese Diskussionen dann eher geführt im Sinne von, darf man das noch?
Also es wird daraus eine Dürfen-Debatte gemacht, die dann oft ausartet in diese
Cancel-Culture-Debatte. Man darf ja gar nichts mehr sagen.
Beziehungsweise es wird einem Kunst weggenommen von einem woken Mob, der da moralisiert.
Ich versuche da zumindest in die Tiefe zu gehen.
Ich will das auch nicht nochmal nachverhandeln, wer da jetzt Recht hat und würde
sagen, dass die Wut und die Konflikte, die da entstehen, eigentlich tiefer liegen
und vor allem bei dieser ästhetischen Verlusterfahrung zu suchen sind.
Aber es ist natürlich komplett frivol zu sagen, jetzt wurde mir dieser Künstler
weggenommen angesichts der Verbrechen, die diesen Künstlern vorgeworfen werden
und deshalb macht man daraus dann eher, also so Debatte über die Trennung von Kunst und Autor,
beziehungsweise über ist, weiß ich nicht, die politische Korrektheit zu weit gegangen.
Und so wird es auch ein Paradigma unversehens zu so einer seltsamen Art von
politischem Hebel, um auch diese dann wirklich außerkünstlerischen Konflikte,
auszukämpfen. Das fand ich auch sehr interessant.
Leo Schwarz
Damit verbunden ist ja auch dieser Streit darum,
ob wir jetzt in den Zeiten der Cancel Culture leben, wie es jetzt,
würde ich sagen, tendenziell eher von der konservativen Seite gesagt wird oder
ob das vielleicht auch irgendwie eine falsche Begrifflichkeit ist,
also Zensur, du stellst das sehr interessant dar,
hat eigentlich auch so eine Geschichte durchlaufen, wo eigentlich sozusagen
die Kritik der Zensur erst eher progressiv war und,
heutzutage fast eher so ein konservativer,
Handgriff geworden ist.
Vielleicht kannst du das nochmal kurz beschreiben, also wie ist diese Konstellation
und dieser Streit um die vermeintliche oder echte Zensur zu bewerten.
Johannes Franzen
Um diese Streitigkeiten, auch in Bezug auf die Fälle, die ich gerade genannt habe,
und eben um Begriffe wie Cancel Culture oder Vogue oder Political Correctness,
das sind alles Begriffe, die ich zusammenfassen würde, zumindest in Bezug auf
die ästhetischen Fragen, unter dem Begriff Neue Zensurdebatte.
Also es gibt eben seit einigen Jahren so eine Debatte darüber, ob Kunst.
Ob ästhetische Strategien eben wieder einer Zensur unterliegen und da geht es
dann oft darum, dass eben bestimmte progressive Anliegen wie Antirassismus oder
Antisexismus, dass die eben eine bestimmte Form von Kunst einschränken und zensieren wollen.
Bilder werden abgehängt im Museum, Gedichte werden von Wänden wieder entfernt.
Man muss Triggerwarnungen machen.
All diese Vorwürfe, die sich ja dann oft auch in den immer gleichen Anekdoten
wiederfinden, die bilden eigentlich sozusagen die Grundlage für diese diskursive Konstellation.
Was ich daran so interessant finde, ist, wenn man, also diese ganze Konstellation
bezieht sich auf die Heldengeschichte der modernen Kunst,
die eben auch erzählt wird als eine Geschichte von Künstlern und ästhetischen
Strategien, die sich eben gegen die unverständige,
oft gewalttätige, oft spießige bürgerliche Gesellschaft durchsetzen mussten.
Und da gibt es dann immer so Präzedenzfälle, also zum Beispiel Baudelaire,
der für die Blumen des Bösen vor Gericht geführt wurde, oder Flaubert,
gleich im Jahr 1857 für Madame Bovary angeklagt wurde,
beide übrigens vom selben Staatsanwalt, oder Seelandschaft mit Pocahontas von
Arno Schmidt, dass in den 50er Jahren noch wegen Blasphemie und Pornografie,
also Verstoß gegen Sittengesetze,
tatsächlich auch, gab es da eine Anzeige.
Und da lachen wir natürlich heute drüber und sagen, naja, hier hat sich sozusagen
die große Kunst gegen die Zensurmaßnahmen der spießigen konservativen Gesellschaft durchgesetzt.
Und dabei entsteht quasi so eine Geschichte.
Die natürlich Gründungsmythos auch der bürgerlichen Gegenwartsgesellschaft ist.
Nämlich wir haben uns jetzt sozusagen auf die Autonomie, auch auf die moralische
Autonomie der Kunst festgelegt und die als hohes Gut, als hohes auch demografisches
Gut, als schützenswertes Gut stark gemacht.
Und jetzt kommt hier der progressive Mob und möchte die Bilder von Balthus aus dem Museum abhängen.
Jetzt kommt sozusagen plötzlich von links irgendwie so das Spießbürgertum.
Das sind die Erben dieser Staatsanwälte, die damals eigentlich den Flaubert verbieten wollten.
Und was ich so interessant daran finde, und ich meine, ich habe versucht,
ich weiß nicht, wie gut mir das gelungen ist in dem Buch, nicht jeder,
aber versucht, vor allem analytisch zu sein und nicht selber zu polemisieren.
Aber das ist so einer der Momente, glaube ich, wo es mich dann doch mitgerissen hat.
Diese neue Zensurdebatte beruht
meiner Ansicht nach auf einer gewissen eigentümlichen Machtvergessenheit.
Gerade weil sozusagen dieses Autonomieparadigma inzwischen natürlich auch Herrschaftswissen
geworden ist, eine Form von institutionalisierter Form.
Von ästhetischer Vorstellung, ist es natürlich seltsam, dann sozusagen diese
Kämpfe, diese historischen Kämpfe auf der Ebene zu reszenieren.
Also ein Beispiel, das ich gemacht habe, war die Diskussion um das Gedicht,
das wurde dann im Nachhinein immer Avenidas genannt, und so nennen wir das jetzt auch,
das war von 2017, das ist von Eugen Gommringer, einem Vertreter der konkreten
Poesie, und war an der Fassade der Arles Salomon-Hochschule als Geschenk angebracht.
Und ich weiß nicht, ob sich die Zuhörerinnen noch erinnern, aber es ist ein
Gedicht, das in spanischer Sprache verfasst ist und wo es eben um einen Bewunderer
geht, der auf der Straße eben Blumen und Frauen vielleicht anschaut.
Man weiß es nicht so genau. Die Studentinnen hatten damals sich beschwert darüber,
haben einen öffentlichen Brief geschrieben und gesagt, naja,
gerade in der Ecke da hinten in Berlin werden wir ständig konkret zu Opfern
von Übergriffen, Blicken, Anmachsprüchen und so weiter.
Und dann müssen wir auch noch dieses Gedicht anschauen, wo es darum geht,
dass Frauen bewundert werden.
Das finden wir nicht so gut. Wir wollen gerne, dass das wegkommt.
Und jetzt kann man darüber diskutieren, ob das angemessen ist oder nicht,
ob das dem Gedicht gerecht wird oder nicht. Und das ist alles total interessant.
Aber was tatsächlich passiert ist, ist, dass der gesamte Kulturbetrieb eigentlich
wie ein Mann aufgestanden ist, um die Freiheit der Kunst gegen diese 20 Studierenden zu verteidigen.
Wer war da dabei? Die FAZ, mehrere Artikel, Professoren für Ästhetik.
Die Kulturstaatsministerin hat von einem Akt der Kulturbarbarei gesprochen,
Der alte Penn hat sich eingeschaltet und von Schwachsinn gesprochen.
Wenn man sich die Machtsituation tatsächlich anschaut, dann haben hier die Menschen
und Institutionen mit Macht,
Auf der Basis einer Geschichte der Machtlosigkeit gegen Menschen geschossen,
die eigentlich keine Macht haben.
Also man beruft sich halt, man reinszeniert eigentlich die Vorstellung,
dass man selber eigentlich der Erbe von Flaubert oder von Arno Schmidt oder
von den ausgestoßenen Künstlern ist, die im 18., 19., 20.
Jahrhundert für ihre Kunst gelitten haben. In Wirklichkeit gehört man aber zu
den absoluten Würdenträgern und zur Funktionselite des Landes.
Und das ist, naja, schon eine Möglichkeit,
also dieses Narrativ ist eine Möglichkeit für Eliten eigentlich,
sich über die Verteidigung der Kunst selber wiederum zur Ausgestoßenen zu machen
und diejenigen, die tatsächlich keine Macht haben,
in die Position von machtvollen Menschen zu schieben, die eigentlich in der
Tradition der Leute stehen, die Kunst versucht haben zu zensieren.
Aber Zensur ist ja eine Frage von tatsächlicher Macht.
Wenn man sich dann anschaut, was tatsächlich zensiert wird und was nicht,
dann fällt einem relativ schnell auf.
Die Machtverhältnisse sind eigentlich nach wie vor naheliegenderweise so,
dass die Menschen, die halt die Ressourcen und die institutionelle Stellung
haben, auch entscheiden dürfen, welche ästhetischen Strategien durchgesetzt werden.
Aber das finde ich total interessant. Ich habe im Buch auch von Phantomzensur gesprochen.
Es gibt so mehrere Artikel, wo gesagt wird, ja, Lolita von Wladimir Nabokov
könnte heute nicht mehr erscheinen.
Schaut man auf Amazon und sieht, kein Problem, den Roman da zu kaufen.
Meine beiden Ausgaben stehen auch noch wohlbehalten in meinem Schrank.
Und wenn man sich dann anschaut, was in den 50er-Jahren, als der Roman tatsächlich
erschienen ist, passiert ist, verfolgt, verboten in mehreren Ländern,
konnte damals nicht erscheinen, heute kein Problem.
Aber man verkehrt sozusagen diese historische Situation, um eigentlich die Fiktion
einer Situation zu schaffen, wo die Kunst eben dann verteidigt werden muss von
den Helden, die eben genauso Helden sind wie diejenigen, die damals für die
Kunst gelitten haben und das stimmt einfach nicht.
Jan Wetzel
Ist das aber dann vielleicht auch einfach ein Fall von eben dieser höheren Sensibilität,
weil zum Beispiel diese Kulturinstitutionen unter einem höheren Rechtfertigungsdruck sind,
sodass sie sozusagen jeder Form von irgendwie Angriff, so wie bei so einer Allergie,
die dann auf kleinste Mengen sozusagen der Allergene, wo normalerweise das Immunsystem
sagt, alles easy, wird abgebügelt.
Aber weil man diese Allergie hat, werden kleinste Mengen überinterpretiert,
sodass man extrem allergisch auf alle möglichen Angriffe reagiert oder würdest
du sagen, es hat schon auch was mit der politischen Konstellation zu tun?
Johannes Franzen
Das Problem ist, dass natürlich auch diese ganze Situation wahnsinnig verfahren
und kompliziert ist, weil Institutionen der Kunst sind ja heute einem tatsächlichen
Druck und Angriff ausgesetzt.
Das merkt man gerade zum Beispiel in Berlin, wo eben tatsächliche Ressourcen
gestrichen werden, auch aus politischen Gründen. Das merkt man aber auch in
den USA, wo ja dann tatsächlich Bücher
verboten werden und Angriffe auf Bildungsinstitutionen gestartet werden.
Und das steht natürlich durchaus in der Tradition, von der ich gerade gesprochen habe.
Und vor dem Hintergrund ist natürlich jeder Angriff einer, der besonders ernst
genommen wird und als besonders problematisch gilt.
Im Fall dieser neuen Zensurdebatte, die sich ja wirklich auf eine frappierende
Art, auf vor allem angebliche progressive Angriffe konzentriert,
da habe ich manchmal das Gefühl, dass es sich fast um eine Form von Aufmerksamkeitsökonomischer
Komplizenschaft handelt,
weil die Museen oder die Kulturinstitutionen auch immer, die dann angegriffen
wird, kann sich dann sehr schnell sozusagen zurückziehen.
Auf hier werden wir zensiert. Aber man wird ja gar nicht so richtig zensiert.
Und das führt sofort zur Aufmerksamkeit, die man natürlich braucht für bestimmte
Strategien und Kulturformen, die vielleicht gerade auch so ein bisschen ins
Hintertreffen geraten sind.
Gerade war in Stuttgart ein großer Skandal um die Pornogewalt-Oper.
Ich weiß nicht, ob die Hörerinnen sich erinnern, sank da.
Und da hatte ich den Eindruck, hier wird fast ein kleines öffentliches Theaterstück nochmal aufgeführt.
Also es wird dann sozusagen so ein provokationstraskrissives Provokationstheater
in einem bürgerlichen Haus aufgeführt, mit Strategien, die dann auch schon wieder 100 Jahre alt sind.
Das ist klar, dass quasi an die braven Kulturbürger da irgendwie in Ohnmacht
fallen, Leserbriefe schreiben.
Und dann kann man eben sagen, ja schaut, die Kunst hat noch diesen provokativen
Charakter. Sie kann doch Leute verärgern, aber in Wirklichkeit ist es eigentlich so ein bisschen...
Das ist eine Form von aufwachsen, kann sich ökonomischen Mitgliedschaft,
wo eigentlich alle ihre Rolle spielen.
Das heißt aber nicht, dass diese Angriffe nicht eben auch total ernst sein können.
Jan Wetzel
Also vielleicht kann man da auch eh, ich meine das ist bei den ganzen Konflikten
glaube ich auch nochmal wichtig, dass auch dann Unterscheidungen aus der Soziologie
vor der und hinter Bühne so ein bisschen unterscheiden.
Also ich glaube, das merkt man auch bei vielen von diesen Konflikten,
dass man schon auch merkt, eben auf der Hinterbühne, da wo die Leute nicht öffentlich
sprechen, da werden die manche Sachen auch ein bisschen entspannter sehen oder wie auch immer.
Das kennt man ja auch von sich selbst, dass man irgendwie in Streits dann schnell
auch Positionen vertritt, die sehr viel prononcierter sind. Und wenn man entspannt
zu Hause liegt, denkt man, naja, so schlimm ist es gar nicht.
Oder die andere Seite, an der Stelle hat es ja irgendwie doch so einen Punkt oder so.
Das heißt, es gibt auch so eine Streitdynamik, die offenbar gar nicht hundertprozentig
sich decken muss mit dem, was
man so selber fühlt oder im vertrauten Kreis vielleicht auch sagen würde.
Johannes Franzen
Ja, gerade Konflikte über Ästhetisches, die eine gewisse Öffentlichkeit bekommen,
also die zum Beispiel in Skandalen eskalieren.
Dabei handelt es sich oft auch um Diskurstheater von Menschen,
die sich dann auch auf eine Art und Weise inszenieren, die tatsächlich an theatralische
Inszenierung erinnert und die dann oft auch kulturpolitische oder tatsächlich
politische Funktionen hat.
Da reißen sich dann Leute auch auf das Hemd auf und gerieren sich auf eine Art
und Weise, wo man dann weiß, das ist jetzt natürlich irgendwie auch fürs Publikum gemacht.
Aber das macht es natürlich auch so interessant, dass ästhetische Konflikte
eben auch Bühnen sind, um größere gesellschaftliche Konflikte auszufechten.
Und gerade an ästhetischen Konflikten lassen sich halt eben bestimmte Konflikte auch ausführen.
Also man muss sich ja schon die Frage stellen, warum drehen Leute so durch,
weil ein Gedicht von irgendeiner Hochschule verschwindet.
Oder weil ein Schlager irgendwie auf einem Volksfest nicht gespielt werden darf
oder weil irgendeine Figur aus einer Serie gestrichen wird.
Das sind natürlich einfach auch Gegenstände, die den Alltag der Menschen betreffen,
die mit einer bestimmten Form von Emotionen, aber auch mit einer bestimmten
Form von einfach Betroffenheit zu tun haben.
Also eine Form von Betroffenheit durch ästhetische Konflikte erzeugt,
die dann wie so eine Art, Das ist ja ein Schlagwort, das gerade auch viel verwendet
wird, wie ein Triggerpunkt funktioniert und wo dann gesellschaftliche Konflikte
besonders gut ausgefochten werden können.
Man muss sich ja schon auf die Frage stellen, ist das jetzt so wichtig,
dass da irgendwie zwei Kinderbücher bei Winnetou verschwunden sind?
Das war ja auch so ein Fall.
Ist das so wichtig, wie viel Geld kriege ich bezahlt oder wie ist meine Krankenversicherung?
Und ich glaube, der Grund, warum eben diese Konflikte auch zu heftig eskalieren,
ist eben, weil da eine Form von alltäglicher Betroffenheit erzeugt wird,
die sich dann besonders gut eignet als Bühne, um diese Konflikte durchzuführen.
Was dann wiederum ja darauf verweist, dass das Ästhetische eben doch ziemlich
große Relevanz besitzt.
Leo Schwarz
Durch dein ganzes Buch zieht sich ja eigentlich die Feststellung,
dass es sich bei der Rezeption oder der Erfahrung von Kunst um ein hoch ambivalentes
Phänomen eigentlich handelt.
Es ist sowohl lustvoll, es ist sowohl alltäglich und vielleicht sogar existenziell für uns.
Gleichzeitig ist es schambehaftet, es wird von uns Langeweile und Kanontreue erwartet.
Wir werden diszipliniert und
von oben herab behandelt und laufen permanent Gefahr, uns zu blamieren.
Zugleich sind auch die Institutionen und die ganze Geschichte scheinen auch
auf eine gewisse Art und Weise strukturell widersprüchlich zu sein.
Sie setzen auf Provokationen und bestreiten sie gleichzeitig.
Es gibt sozusagen alle möglichen Machtkämpfe in diesen Institutionen,
die wir auch außerhalb dieser Institutionen in der Gesellschaft in ähnlicher Weise beobachten.
Also wir haben es eigentlich mit einem extrem komplizierten,
extrem auch schillernden und mehrdeutigen Gegenstand zu tun und viele der Debatten,
wir sind alte Wiederholungen, sind Theater, wie du es gerade dargestellt hast.
Was ich mich frage ist, gibt es irgendein Rezept, wie wir jetzt eigentlich in
unserer Gegenwart als dermaßen aufgeklärte Kulturkenner nun dank deines Buches
auf solche Debatten eingehen können?
Wir können ja jetzt inzwischen nicht mehr ernsthaft, kulturkritisch den Kanon
verteidigen oder die reine Kunst oder die Autonomie in irgendeinem besonders
anspruchsvollen Sinne verteidigen.
Zugleich, wer weiß, vielleicht wollen wir doch bestimmte Werte in Bezug auf
dieses Gemeinschaftsgut vielleicht auch verteidigen,
was wäre klug, was wäre irgendwie eine gute Art, eine sinnvolle Art,
eine Art, die wirklich weiterbringt,
um über Kunst zu reden.
Johannes Franzen
Also ich habe ja ein deskriptives, analytisches Buch geschrieben und kein preskriptives,
das tatsächliche Vorschläge macht.
Aber ich komme natürlich nicht umhin, darüber nachgedacht zu haben.
Und am Schluss habe ich ja auch so angedeutet, was gut und was schlechte Arten
sind, über Kunst zu streiten.
Und ich glaube, der Streit, der Konflikt ist unvermeidbar auch gut,
es ist eine Energiequelle, im Endeffekt ist das auch ein optimistisches Buch,
das Versuch dieser komischen, bindrigen,
kulturkritischen Stimmung, in der wir gerade sind, dass alles den Bach runtergeht,
gerade in Bezug auf Kunst und Kultur, keiner liest mehr, alles wird gekürzt,
was entgegenzusetzen und zu zeigen, gerade im Bereich auch populärkultureller
Phänomene gibt es diese krassen Konflikte, die teilweise ja wirklich hunderttausend
von Leuten betreffen und Leute würden ja nicht über was streiten,
wenn es ihnen egal wäre. Und das setzt auch eine Form von Energie frei.
Und ich würde eben sagen, dass eine Kulturwissenschaft, aber auch ein kulturelles
Feld, zu dem wir jetzt auch gehören und zu dem wahrscheinlich auch viele der Zuhörerinnen gehören.
Gut beraten ist, dieser Energie nachzuforschen und zu schauen,
wo die Kultur und die Kunst tatsächlich leben.
Aber das bedeutet auch, dahin zu schauen, wo sie vielleicht nicht mehr lebt
und da dann sozusagen nicht mehr so viel Energie rein zu investieren.
Und es gibt gerade auf der Ebene des Konflikts meiner Ansicht nach inzwischen
Konflikte, die sich komplett totgelaufen haben.
Und einer davon wäre zum Beispiel der berühmte Konflikt über die Cancell Culture,
wo man den Eindruck hat, hier werden die immer gleichen Fälle reszeniert,
um eigentlich, und jetzt klinge ich selber fast autonomieästhetisch,
um eigentlich Konflikte auszukämpfen, die mit Kunst und Kultur nichts zu tun haben.
Dann verteidigt man halt plötzlich Rammstein oder irgendein Schlager oder irgendeine
Poetry-Slammerin, weil deren Freiheit irgendwie eingeschränkt wurde.
Und da muss man sich dann irgendwann die Frage stellen, auch in Bezug auf die
Beispiele, an denen man eben diese Konflikte durchkämpft, wie ernst meine ich
es eigentlich mit meinem Einsatz für die Freiheit der Kunst?
Und geht es mir nicht eigentlich nur darum, bestimmte politische Fragen,
wie was darf man eigentlich noch sagen, darf ich noch bestimmte Witze machen,
auszudiskutieren und man borgt sich dafür, man klaut dafür eigentlich die Dignität,
des Ästhetischen, die Dignität der Kunst, um die eigenen Ressentiments mit ästhetischer Würde aufzuladen.
Das zum Beispiel ist eine schlechte Form von Streiten. Das gibt es aber meiner
Ansicht nach auch auf der eher progressiven Ebene, wo dann Kunst als politisches
Interventionsmittel komplett überschätzt wird.
Man sagt, ja, es geht, das ist so Chantal Mouffe, es geht um Gegenhegemonie
und das Aufbrechen von ideologischen Räumen.
Und dann schaut man sich das Beispiel an, das ist halt psychische Hochkultur,
die irgendwo im Museum steht und auch wieder von den Institutionen der Hochkultur ausgezeichnet wurde.
Das finde ich auch nicht besonders interessant.
Und ich denke quasi, das wäre jetzt kein richtig befriedigendes Plädoyer oder
kein richtig befriedigender Vorschlag, aber ich glaube, der Blick auf tatsächliche
alltägliche Rezeptionspraktiken,
auf den echten Rezipienten, auf die echte Rezipientin, das ist das,
wo es am interessantesten wird.
Also je konkreter, desto besser eigentlich.
Und die Digitalisierung mit all ihren Schrecken und all ihren Machtverschiebungen,
da ja auch ein wahnsinniges Feld an Quellen auch zum Hinschauen und Mitstreiten
eröffnet, weil so viele Menschen wie nie zuvor einfach ins Internet schreiben und reden.
Was sie von Kunst halten, wie es ihnen damit geht.
Und da würde ich sagen, sind die neuen Energiequellen sowohl für die Kulturwissenschaft
als auch für die kulturelle Praxis,
weil in der alltäglichen Rezeption, da spielen sich sozusagen im realen gelebten
Leben der Kultur, da spielen sich die eigentlich interessanten Konflikte ab.
Und die können auch auf eine ganz theoretisch avancierten Art und Weise geführt
werden, Weil sie im Endeffekt ja, also auch die wildesten theoretischen Diskussionen
innerhalb der Akademie beziehen sich ja eigentlich genau auf diese Konflikte.
Und ich glaube, wenn man diese beiden Sachen verbindet, dann findet man eine Art,
auch über Geschmack und Kniss zu streiten und zu forschen, die wirklich interessant
ist und nicht irgendwie nur die gleichen Sachen immer reproduziert oder sich
in irgendwelchen Fiktionen der Rezeption, wie es eigentlich sein sollte, ergeht.
Und das wäre sozusagen die Hoffnung, dass ich vielleicht mit dem Buch auch da
einen Anstoß geben konnte, dass man in diese Richtung geht.
Leo Schwarz
Dann sagen wir Johannes Franzen, herzlichen Dank für das Gespräch.
Johannes Franzen
Ja, danke euch. Sehr schön.
Leo Schwarz
Wut und Wertung heißt das Buch bei Fischer erschienen. Vielleicht ja noch ein
Weihnachtsgeschenk für den einen oder anderen.
Jedenfalls ein sehr gut lesbares und gar nicht so akademisches Buch.
Das war die 97. Folge von Das Neue Berlin. Wie immer, empfehlt uns gerne weiter.
Hört auch das nächste Mal wieder rein und danke fürs Zuhören. Macht's gut.
Jan Wetzel
Tschüss.