Postmoderne Katerstimmung – Mit Oliver Schlaudt und Mark Fischer über die neue Faktenliebe

Das Projekt der Postmoderne hat einen schlechten Ruf. Während ein populistischer Lügner nach dem anderen demokratische Wahlen gewinnt, wissenschaftliche Erkenntnis mit dreister Ignoranz geleugnet und seriöser Journalismus als Lügenpresse denunziert wird, scheinen die philosophischen Moden des letzten Jahrhunderts geradezu anrüchig. Relativisten und Konstruktivisten hätten der Unvernunft die Tore geöffnet, der Beliebigkeit den Weg bereitet und obendrein die Linke auf den Irrweg der Identitätspolitik geschickt.

Wir diskutieren darüber mit den Wissenschaftsphilosophen Oliver Schlaudt und Mark Fischer, die dem Thema den Aufsatz Fakten, Fakten, Fakten im Merkur gewidmet haben. In ihrem Text zeigen sie, wie untauglich das alte Arsenal der Wissenschaftlichkeit – Fakten, Wahrheit, Realismus – im Kampf gegen die postfaktische Revolte ist. Im Gegenteil: Wenn Fakten als komplexe gesellschaftliche Produkte verstanden werden, eröffneten sich sogar neue Möglichkeiten, die blinden Flecken der Forschung zu erkennen und seriöse Medienkritik zu betreiben.

Wir debattieren, wie die aktuelle Situation zu verstehen ist. Welche Analogien bestehen zwischen der Lage in Wissenschaft, Journalismus und Politik? Und wie lässt sich der grobe Irrationalismus von Klimaleugnern und Wutbürgern zurückweisen, ohne dabei hinter das Reflexionsniveau konstruktivistischer Wissenschaftstheorie zurückzufallen?

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2 Kommentare

  1. hallo jan und leo.
    von einer „mogelpackung“ will ich gar nicht sprechen, aber zwischen ankündigungstext und audiobeitrag herrscht schon eine gewisse diskrepanz. dass es um postmoderne, (post-)strukturalismus und linke identitätspolitik nur sehr am rande ging, d.h. in den letzten 25 min., tat der sache jedoch keinen abbruch, im gegenteil. ich habe den merkur-artikel der beiden noch nicht gelesen, deswegen kann ich nur etwas zum podcast sagen: sie haben plausibel herausgearbeitet, dass die neue, quasi-positivistische faktengläubigkeit auf der einen und die renitente, enttäuschte oder ängstliche „postfaktizität“ auf der anderen seite, tatsächlich nur die sprichtwörtlichen seiten einer medaille sind. — und es falsch wäre, sich auf die eine oder die andere zu schlagen. was mich etwas gestört hatte, war das (etwas arrogante) überspringen der fragen „gute[r] schulwissenschaftstheorie“ (so die formulierung, vgl. 00:32) hin zu wissens(chafts)soziologischen perspektiven. natürlich hätte es den zeitlichen rahmen einer sendung gesprengt, aber ich denke, es wäre der diskussion beiträglich, noch einmal die perspektiven der klassischen resp. allgemeinen wissenschaftstheorie sich zu vergegenwärtigen. die (wohl nicht grundlos) noch immer ein abarbeiten an den antiquiert klingenden popper, kuhn, feyerabend und lakatos mir zu sein scheint. vielleicht wäre das ja eine idee für eine weitere, tolle sendung.
    lg.

    • Vielen Dank für den Kommentar und die wichtigen Einwände. Der Begriff der Postmoderne ist natürlich immer recht zwiespältig, weil er skandalös unscharf ist. Die Autoren nutzen ihn im Text auch nur für die politischen Phänomene, vornehmlich die Universalismuskritik. Ich habe ihn zur Zusammenfassung aller behandelten, heterogenen geistesgeschichtlichen und politischen Strömungen verwendet, weil ich die Phänomene nicht anders zu subsumieren wusste. In dieser unscharfen Mischung erscheinen sie allerdings auch in den Debatten um den Neuen Realismus.
      Postmoderne würde ich sehr heuristisch als eine Art Kritik an grundlegenden modernen Erzählungen wie wissenschaftlichem und historischem Fortschritt verstehen. In diesem Sinne wären dann Positionen postmodern, die naiven wissenschaftlichen Realismus oder Positivismus kritisieren, ebenso aber auch die Allgemeingültigkeit des moralischen Universalismus. In diesem Sinne würde ich sagen, trifft das Etikett Postmoderne schon weitgehend das Thema der Sendung. 🙂 Der Poststrukturalismus wird in der Tat kaum behandelt, taucht aber auch nicht im Teaser auf. Er gehört aber sicherlich entscheidend zum Feld der skizzierten Kritik dazu.
      Danke auch für die Anregung zu den „Klassikern“ der Wissenschaftstheorie. Die schätzen wir natürlich auch. Vielleicht ergibt sich mal ein Sendungsthema. Auch würde ich nicht alle der genannten Autoren zur „guten Schulwissenschaftstheorie“ zählen. An Tatsachen als unabhängige Korrektive unseres Wissens glaubt ja vor allem Popper, zumindest in dem Sinne, dass sie unsere Theorien falsifizieren können. Kuhn betont ja gerade den holistischen Charakter unseres wissenschaftlichen Wissens. Die Struktur des wissenschaftlichen Paradigmas ermöglicht überhaupt erst das, was wir Forschung nennen. Hier ist er gar nicht so weit von Foucaults Begriff des Episteme entfernt. Kuhn ist nicht mal ein metaphysischer Realist. Ihn würde ich ohne Zögern eine postmoderne Wissenskonzeption zuschreiben. Lakatos, der ja Kuhn und Popper synthetisiert, hat damit auch ein holistisches Verständnis von Wissen. Bei Feyerabend finden wir eine radikale Methodenkritik der Wissenschaft, die man auch meiner sehr weiten Definition von postmodern zurechnen könnte.
      Beste Grüße
      Leo

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