Für andere sprechen – Mit Marina Martinez Mateo über politische Repräsentation

Der demokratische Staat repräsentiert die Allgemeinheit, sagt die Theorie. Aber wer darf im Namen anderer sprechen? Wer darf für sich beanspruchen, die Interessen aller zu vertreten. Diese Frage wird in den letzten Jahrzehnten zunehmend politisiert. Sollte ein Parlament nicht mehr der tatsächlichen Struktur der Gesellschaft entsprechen, anstatt immer noch überwiegend aus weißen Männern zu bestehen? Oder bedeutet dieser Anspruch gleich, den Universalismus der liberalen Tradition aufzugeben und partikulare Gruppeninteressen gegeneinander auszuspielen. 

Unser Gast Marina Martinez Mateo fragt in einem Aufsatz im Leviathan danach, was unter Repräsentation eigentlich genau zu verstehen ist. Was wird eigentlich „repräsentiert“? Identitäten, Interessen, Individuen? Können sie eins zu eins abgebildet werden? Und wenn nicht, was sind dann Gütekritierien für demokratische Repräsentation? Für Martinez Mateo liegt die demokratische Freiheit darin, dass Repräsentation Identitäten produzieren kann, die vorher noch nicht da waren. Der Staat wird die Gesellschaft niemals abbilden, sondern bleibt immer in einer unabgeschlossenen und produktiven Spannung mit ihr.

So entsteht eine neue Perspektive auf politische Repräsentation. Paritätsnormen und Geschlechterquoten sind dann keine Spiegelung statistischer Verhältnisse. Wenn per Verfahren Männer und Frauen gleichgestellt werden, zeigt sich viel mehr die Freiheit des repräsentativen Systems. Es bildet Gesellschaft nicht ab, wie sie ist. Sondern zeichnet ein Bild, wie sie sein könnte.

Transkript

Das Transkript zur Episode ist hier abrufbar. ACHTUNG: Das Transkript wird automatisch durch wit.ai erstellt und aus zeitlichen Gründen NICHT korrigiert. Fehler bitten wir deshalb zu entschuldigen.

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Ein Kommentar

  1. Für andere sprechen“ — Die Frage, wie man das Problem der Repräsentation auffasst und wie man es konzeptuell löst, ist immer auch geknüpft an die Frage, wie es denn überhaupt entsteht, wie es in Erfahrung gebracht wird. Es geht dann um die Frage eines Problemerfahrungsprozesses, eine Frage, die nicht zuerst eine Lösung für das Problem, sondern eine Herkunft und einen evolutionären Verlauf der Entstehung des Problems analysiert. Wenn man das so auffasst, wird man aber nicht so einfach dazu kommen, in den Texten der Denker nachlesen zu können, weil der Problemerfahrungsprozess kein denkerisches, sondern ein gesellschaftlicher Vorgang ist, das nur deshalb ablaufen kann, weil niemand ihn machen und darum auch niemand anhalten kann. Man könnte die gleiche Auffassung auch umkehren und fragen, warum sich für eine festgefügte Ständegesellschaft die Frage, wer für andere spricht und sprechen darf oder sollte, nicht in dieser Dringlichkeit stellt. Tatsächlich vermute ich, dass dieser Problemerfahrungsprozess aus einer Ständegesellschaft erwachsen und in seiner Reflektiertheit auf Bedingungen feudaler Gesellschaftsorganisation angepasst war. In dem Augenblick wo der bürgerliche Stand in die Entscheidungsprozesse eingebunden wurde, wurde mit der Zeit gerade aufgrund der damit verbundenen Widersprüche immer öfter die Frage gestellt, für wen sprechen Bürgermeister, Zunftmeister, Gildenvorsteher, Universitätsrektoren, wenn sie legitimerweise Einspruchsrechte gelten machen können? Und solange auf gefügte Kooperationen verwiesen werden kann, muss die feudale Gesellschaft gleichsam sehr viel Geduld, Kraft und Widerständigkeit aufbringen, um die darin eingeschlossen Widersprüche behandeln zu können.
    Wenn aber die Frage nach der Repräsentation schließlich explizit gemacht werden kann, bedeutet das, dass damit gleichsam ein Entnaivisierungsprozess eingeleitet wird, der aus etwas, das bis dahin immer bekannt war, nun ein Räsonnieren über etwas macht, das erst noch erkannt werden muss, was schließlich in der Frage nach Gesellschaft kulminiert.
    Diesen Problemerfahrungsprozess kann man als ein Prozess des Reflexivwerdens von Sozialität auffassen. Und man kann staunen, welch‘ großartiger Gedächtnisverlust sich ereignen muss, wenn die Gesellschaft schließlich ein Problem mit sich selber bekommt und alle hilflos umherirren und eine Lösung erarbeiten.

    Ein schöner Beitrag, der beim Nachdenken weiter hilft.

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